Forum Grundeinkommen Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" * 14.05.2005: Die Administration dieses FORUMs wird ab heute von den Nutzern dieses FORUMs gestaltet. Siehe dazu im FORUM Beitrag in "Infos zur Nutzung des FORUMs". *
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Zunächst der Artikel, vielleicht besser als pdf über die Liste - die Umformatierung eines pdf's hier hinein ist sehr anstrengend, die schlechte Formatierung bitte ich also zu entschuldigen.
Zitat:
Deutschland die Parole, die aus dem angloamerikanischen Raum schon länger erklingt. Seither ist die Republik beunruhigt, ziehen neue Montagsdemonstrationen vor allem durch ostdeutsche Städte, erhält die PDS massiven Wählerzulauf und fürchtet die SPD weitere Verluste. Durch einen eigentümlichen Zufall wurde am selben Tag in Berlin ein deutsches „Netzwerk Grundeinkommen“ gegründet. Es möchte die akademische und politische Diskussion um ein Grundeinkommen befördern, das die Existenz sichert, auf einem individuellen Rechtsanspruch beruht und ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Zwang zur Arbeit auskommt.1 Alles Eigenschaften, die mit dem Arbeitslosengeld II auf den ersten Blick nichts zu tun zu haben. Was also sind Merkmale und Mängel von Hartz IV und wie müßte die taugliche Alternative beschaffen sein? In diesem Beitrag werden in einem ersten Schritt Hartz IV und die ihm zugrunde liegende Politik der „Aktivierung“ kritisch analysiert. Im zweiten Schritt wird die Idee des Grundeinkommens entlang der wichtigsten Varianten vorgestellt. Schließlich wird überlegt, ob und inwieweit Hartz IV trotz aller Kritik dennoch ein Schritt in Richtung Grundeinkommen sein könnte. 1 Mehr unter www.grundeinkommen.de sowie unter www.basicincome.org zum „Basic Income European Network (BIEN)“, das bereits seit 1986 existiert. 2 Arbeitszwang im Arbeitsmarkt Sozialhilfeinitiativen wie Gewerkschafter sehen in Hartz IV einen Abbau von Leistungsrechten und eine Verschärfung von Arbeitsverpflichtungen; viele sprechen sogar von „Arbeitszwang“. Nun werden Arme heute nicht mehr ins Arbeits- oder Armenhaus eingesperrt. Ist der Begriff Arbeitszwang somit übertrieben? Von einem Arbeitszwang kann man dann sprechen, wenn mit einer Verweigerung solcher Sozialhilfeleistungen gedroht wird, die „den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens [...] ermöglichen“ sollen, „das der Würde des Menschen entspricht“ (§ 1 (1) des neuen SGB XII).2 Ohne Einkommen ist das Leben in einer Konsumgesellschaft unmöglich. Die Negation des Zugangs zu sozialstaatlichen Geldleistungen wirkt somit als Zwang zum Angebot der eigenen Arbeitskraft, das heißt als indirekte Arbeitsverpflichtung. Nach den Neuregelungen des Arbeitslosengeldes II muss der Langzeitarbeitslose künftig „jeden legalen Job“ annehmen. Ausdrücklich werden „Sanktionen“ benannt: Wer eine zumutbare Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt, dem wird das Arbeitslosengeld II3 gekürzt: für drei Monate um 30 Prozent, bei weiterem „pflichtwidrigem Verhalten“ je um weitere 10 Prozent, für junge Leute unter 25 Jahren auch vollständig. Das Arbeitslosengeld II arbeitet folglich mit einer zwar nicht direkten, aber indirekten Verpflichtung zur Arbeit, die im sozialdemokratischen (und teils auch grünen) Neu-Deutsch als „Aktivierung“ bezeichnet wird. Das passt zu einem Kanzler, der bereits 2001 verkündete: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Müssen aber tatsächlich 4,5 Mio. Arbeitslose „aktiviert“ werden? Sind sie inaktiv, faul, träge? Davon kann nicht die Rede sein: Die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen bemüht sich teils verzweifelt um einen Job und leidet - vor allem mit Kindern - unter der Stigmatisierung kaum weniger als unter der Geldknappheit. Doch noch greift der Vorwurf der Faulheit, weil das Recht auf Faulheit nur den Vermögenden und Rentnern gewährt wird. Derartige - wenn auch subtile - Un- 2 Parallel zur Eingliederung der Sozialhilfe als Zwölftes Buch in das Sozialgesetzbuch wurde das SGB II für erwerbsfähige Arbeitsuchende im Alter von 15 bis 64 Jahren geschaffen, die nun Leistungen der neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende („Arbeitslosengeld II“) erhalten. Dieser Personenkreis ist von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen (§ 21 SGB XII). Nichterwerbsfähige Haushaltsangehörige von ALG II-Beziehern erhalten „Sozialgeld“. 3 Zunächst wird der Regelsatz (345 Euro bzw. 331 Euro in Ostdeutschland) gekürzt, im weiteren aber auch die sonstigen Leistungen (z. B. Unterkunftskosten). Bei einer Kürzung des Regelsatzes um mehr als 30% können Sachleistungen (z. B. Lebensmittelgutscheine) ausgegeben werden. 3 terstellungen sollen die Würde der Betroffenen angreifen, ihnen Anerkennung entziehen, und sie zu neuen Paupern degradieren, zu Halb-Bürgern. Dabei erbringt, wer nicht erwerbstätig ist, oft sehr nützliche Tätigkeiten für die Gemeinschaft: Pflege von Angehörigen und Nachbarn, Erziehung von Kindern, ganz allgemein gesprochen: ehrenamtliches Engagement. Hartz IV will jedoch keine Tätigkeits-, sondern eine Erwerbsgesellschaft. Disziplinierung statt Bürgerbeteiligung Wenn jetzt seitens der Bundesregierung von mehreren hunderttausend gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten gesprochen wird, für die maximal 10 Prozent der 4,5 Mio. Arbeitslosen durch Mehraufwandsentschädigungen in Höhe von 1 bis 2 Euro pro Stunde interessiert oder gar verpflichtet werden sollen, dann könnte man darin wohlwollend einen „Dritten Weg“ in der Beschäftigungs- und Armutspolitik sehen. Die Betroffenen dürften allerdings weniger begeistert sein, weil sie ahnen, dass es dem Sozialstaat und seinen Eliten lediglich um Kompensation, um „Beschäftigung“ geht, also nicht um einen Schritt in Richtung „Bürgerarbeit“ (Ulrich Beck) und Bürgergesellschaft, sondern um eine disziplinierende statt auf sozialen Grundrechten fundierte „Aktivierung“. Schon in der Vergangenheit wurden durch Arbeitsbeschaffungsprogramme und „Hilfe zur Arbeit“ kaum Wege in den regulären Arbeitsmarkt geschaffen.4 Gerade in Ostdeutschland lässt sich nach 15 Jahren Einheit die Zunahme eines „sekundären Integrationsmodus“ beobachten: „Sekundäre Integration führt zu Erwerbsverläufen, bei denen der Wechsel zwischen Leistungsbezug, Maßnahmen und kurzfristiger Beschäftigung zur systematischen Voraussetzung des Verlaufs selbst geworden ist und sich wiederholt.“5 Auch die international vergleichenden Bilanzen von Politiken der „Aktivierung“ fallen negativ aus. Joel F. Handler verglich die US-Erfahrungen insbesondere seit der unter Clinton eingeführten großen Wohlfahrtsreform von 1996, die Sozialhilfe-Ansprüche auf zwei aufeinander folgen- 4 Vgl. hierzu informativ, wenngleich marktideologisch die neueste Benchmarking-Studie der Bertelsmann- Stiftung, Werner Eichhorst u. a., Benchmarking Deutschland 2004: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Gütersloh 2004. 5 Holger Alda u. a., Erwerbsverläufe und sekundärer Integrationsmodus. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Berliner Debatte Initial, 2/2004, S. 73. 4 de Jahre und fünf Jahre insgesamt beschränken soll („to end welfare as we know it“), mit vergleichbaren Trends in Westeuropa. Die beabsichtigte Politik der „Inklusion“ in den Arbeitsmarkt - „from welfare to workfare“ -, insbesondere durch individuelle „Kontrakte“ zwischen den „Agenturen“ und ihren „Klienten“, hat praktisch überall den fatalen Effekt, dass sie gerade die besonders gefährdeten Personengruppen „exkludiert“. Die scheinbaren Erfolge der Aktivierungspolitik sowohl in den USA wie in Europa haben praktisch nichts mit ihr, sondern fast ausschließlich mit arbeitsmarktinternen Gründen zu tun (steigende Arbeitsnachfrage, Teilzeitarbeit usw.). Das Hauptproblem ist, so Handler, die Verwaltung der Aktivierung. Die mit den Aktivierungsmaßnahmen beauftragten Agenturen sind in der Regel weder für eine professionelle Begleitung der Randgruppen des Arbeitsmarktes geschult, noch dafür ausgestattet oder entsprechend motiviert. Zudem nützen die Sanktionen gegen nicht-kooperierende Klienten praktisch nichts. Handler kritisiert: „Die Politik ergeht sich in Reformsymbolik und kümmert sich nicht um ihre Umsetzung.“ 6 Die deutsche Sozialdemokratie eifert sozialpolitisch vor allem der von “New Labour” in Großbritannien seit 1997 - in Fortführung einer Politik der Regierungen Thatcher und Major - verfolgten Konditionalisierung sozialer Leistungen nach.7 Dabei veröffentlichte sogar der der Labour- Party nahe stehende Think Tank IPPR im Sommer 2004 eine ausgesprochen kritische Bilanz von 7 Jahren Aktivierungspolitik: Der Besitzanteil der reichsten zehn Prozent der Briten stieg von 47 auf 54 Prozent; die Kinderarmut ist nur geringfügig gesunken und noch immer die höchste der EU-15 nach Portugal und Spanien; der Anteil der armen Erwachsenen im Erwerbsalter ohne Kinder hat sich von 3,3 Mio. (1994/5) auf 3,8 Mio. (2002/3) erhöht und selbst die intergenerationale soziale Mobilität hat sich verringert.8 Ob die Aktivierungspolitik dagegen irgend etwas mit der Reduzierung der Erwerbslosigkeit zu tun hat - zwischen 1997 und 2003 von 6,9% auf 5,0% (laut OECD Employment Outlook 2004) - kann niemand belegen. Es stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Funktion dann die gewaltige Ideologie der „Aktivierung“ überhaupt hat, wenn nicht diejenige, soziale Grundrechte zu desavouieren? Wim van Oorschot, einer der renommiertesten Vertreter der vergleichenden Sozialpolitikforschung, zieht ein vernichtendes Resümee der holländischen Politik der „Aktivierung“ in den 6 Joel F. Handler, Social citizenship and workfare in the US and Western Europe: from status to contract, in: Journal of European Social Policy, 3/2003, S. 233 (Übers. M.O.). 7 Vgl. Katrin Mohr, Pfadabhängige Restrukturierung oder Konvergenz? Reformen in der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe in Großbritannien und Deutschland, in: Zeitschrift für Sozialreform, 3/2004, S. 283-311. 8 Will Paxton/Mike Dixon, The State of Nation. An Audit of Injustice in the UK, London 2004. 5 1990er Jahren. Er kann nachweisen, dass die Aktivierungspolitik die sozialen Rechte und den Bürgerstatus gerade jener Gruppen gefährdet, die traditionell besonders verletzlich sind. Während das „Dutch miracle“, das Beschäftigungswunder in den Niederlanden, im Wesentlichen auf ein geringes Beschäftigungswachstum in Bezug auf die jährliche Arbeitszeit, auf die Zunahme der Teilzeitarbeit und eine hohe verborgene Arbeitslosigkeit zurück geht, droht aufgrund des umfassenden Abbaus sozialer Rechte im Prozess der „Aktivierung“ das „Wunder“ im Fall einer künftigen ökonomischen Rezession in einen „Alptraum“ umzuschlagen.9 Wenn jetzt also auch in Deutschland unter dem Leitbegriff der „Aktivierung“ mit der Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung seit 2003 Leistungsansprüche an den Sozialstaat reduziert werden und ab 2005 das Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau für alle eingeführt wird, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, dann soll das zwar mit verstärkten Vermittlungsbemühungen einer modernisierten Bundesagentur für Arbeit einher gehen, die Forderung der meisten Ökonomen und vieler Sozialpolitiker zielt aber eindeutig auf einen Niedriglohnsektor. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass für die dort Tätigen die Erwerbsarbeit allein zur gesellschaftlichen Teilhabe nicht reicht. Das Ergebnis ist schlicht Armut - mit oder ohne Arbeit, soziale Ausgrenzung trotz Inklusion in den Arbeitsmarkt.10 Die Überflüssigen Die Diskussion um Hartz IV verweist damit auf ein tief greifendes soziales Problem, das wohl zur „neuen sozialen Frage“ des 21. Jahrhundert wird: die „Exklusion“ der „Überflüssigen“. Der Prozess der Exklusion hat seine Ursache in den Umbrüchen der Erwerbsarbeit, dem Brüchigwerden sozialstaatlicher Inklusion und der Schwächung familiärer Bindungen: „Das Draußen der Ausgrenzung liegt nicht im gesellschaftlichen Jenseits, sondern ist aufs engste mit dem Drinnen verschränkt.“11 9 Vgl. Wim van Oorschot, Miracle or Nightmare? A critical review of Dutch activation policies and their outcomes, in: Journal of Social Policy, 3/2002, S. 339-420. 10 Vgl. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Armut trotz Erwerbstätigkeit. Analysen und sozialpolitische Konsequenzen, Frankfurt/New York 2003. 11 Martin Kronauer, Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt/ New York 2002, S. 235. 6 Zwar geben die langfristigen Daten bislang wenig Anlass für die auch unter Linken und Ökologen verbreitete Befürchtung einer „technologischen Arbeitslosigkeit“12, da die Inklusionsfähigkeit der Arbeitsmärkte in den OECD-Staaten noch immer erheblich ist. Dennoch betrug die Arbeitslosigkeit 2003 in der EU-15 8,0 Prozent, in der gesamten OECD 7,1 Prozent und in Deutschland sogar 9,3 Prozent.13 Außerdem kommt zur wachsenden Zahl der Arbeitslosen die wachsende Zahl der „Working Poor“. Erst wenn man beide Gruppen zusammen betrachtet, wird das Problem der „Exklusion“ in Umfang und Dramatik klar. Während im Sozialstaat des 20. Jahrhunderts die Gewerkschaften und die mit ihnen verbundenen Arbeiter-, aber auch die Volksparteien als Anwälte der Arbeitnehmer wirkten, fehlen den Überflüssigen der neuen sozialen Frage derart mächtige Anwälte. Hinzu kommt, dass der eingehegte Klassenkompromiss zwischen Arbeit und Kapital zunehmend der Vergangenheit angehört. Aufgrund der alten Schlachtordnung, der Verteilungsregel von Arbeit und Einkommen ausschließlich über den Arbeitsmarkt, wird die „Exklusion“ von immer mehr Bürgern riskiert, die ihre fehlenden oder geringen Arbeitseinkommen nur sozialhilfeähnlich aufgestockt erhalten, sich vorher weitgehend „entsparen“ müssen und denen - im Unterschied zum Arbeits- und Vermögensbesitzer - vollständige Transparenz abverlangt wird. Die „Exklusion“ von immer mehr Menschen aus dem „Normal“-Arbeitsmarkt verknüpft deshalb das ökonomische Problem der Kopplung von (Erwerbs-)Arbeit und Einkommen unmittelbar mit der Notwendigkeit der Forderung nach sozialen Bürgerrechten. Die Alternative zum Sozialstaatsmodell des letzten Jahrhunderts wie auch zur propagierten „Aktivierung“ bestünde folglich darin, dass die Verteilungsregel grundsätzlich modernisiert und grundrechtlich politisiert wird. Darauf basiert die Idee des Grundeinkommens. Alternative Grundeinkommen 12 So unermüdlich Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert. Neuausgabe, Frankfurt/New York 2004. 13 Vgl. OECD Employment Outlook 2004, Paris 2004. Die gestiegene Frauenerwerbstätigkeit ist ein Hauptfaktor der Massenarbeitslosigkeit. Am besten schneiden Länder mit hohen Teilzeitquoten ab (z. B. Niederlande) oder mit einer hohen Nachfrage nach familienbezogenen Dienstleistungen (wie die USA im privaten, die skandinavischen Länder im öffentlichen Bereich), vgl. Fritz W. Scharpf/Vivien A. Schmidt (eds.), Welfare and Work in the Open Economy. 2 Vols., Oxford et al. 2000. 7 Die Idee ist nicht neu; so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Erich Fromm, Rudolf Steiner, Claus Offe oder André Gorz, aber auch umstrittene Ökonomen wie Milton Friedman haben sich für sie verwendet.14 Grundsätzlich lassen sich zwei technische Varianten eines Grundeinkommens denken. Die eine Variante garantiert zwar jedem Bürger das Grundeinkommen, geht aber davon aus, dass es nur dann („ex post“) ausgezahlt wird, wenn die „primären“ Einkommen (Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie Unterhaltsansprüche) nicht existenzsichernd sind. Die andere Variante zahlt jedem Bürger vor allen sonstigen Einkommen („ex ante“) ein Grundeinkommen. In der nun schon mehr als 50 Jahre währenden Debatte wird die erste Variante als „negative Einkommenssteuer“ (in Deutschland als „Bürgergeld“ bekannt), die zweite Variante als „Sozialdividende“ bezeichnet. Beide Varianten unterscheiden sich nach den von ihnen angestrebten Zielen. Die „negative Einkommenssteuer“, die von liberalen Ökonomen bevorzugt wird, möchte den Arbeitsanreiz perfektionieren und gleichzeitig die Kosten begrenzen. Deshalb setzen sie das Grundeinkommensniveau möglichst niedrig an. Zusätzliche Einkommen sollen zudem „nur“ mit etwa 50 Prozent besteuert werden, so dass alle Erwerbstätigen vom Existenzminimum bis zur doppelten Höhe des Grundeinkommens („break even point“) eine Mischung aus eigenem („primärem“) Einkommen und „Negativsteuer“ erhalten. Faktisch handelt es sich um die Subvention eines Niedriglohnsektors. 15 Dadurch wird ein erheblicher Teil der Haushalte mit niedrigen Erwerbseinkommen zu Grundeinkommensempfängern, was einen enormen Finanzierungs- oder genauer: Umverteilungsbedarf zur Folge hat. Ein weiterer Nachteil sind die hohen Steuersätze für diejenigen, die mehr Einkommen als das Grundeinkommen haben. Wie immer man zur Negativen Einkommenssteuer steht, es gibt jedoch auch gute Nachrichten: So konnten regionale US-Experimente mit einer Negativ-Steuer (New Jersey, Denver-Seattle) zwischen 1968 und 1980 zeigen, dass sie die Erwerbsneigung praktisch nicht verringerte.16 14 Vgl. Michael Opielka/Georg Vobruba (Hg.), Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung, Frankfurt 1986; Robert van der Veen/Loek Groot (eds.), Basic Income on the Agenda. Policy Objectives and Political Chances, Amsterdam 2000. 15 Vgl. Joachim Mitschke, Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf, Baden- Baden 2000. 16 Zu einem aktuellen Resümee der damaligen Evaluationsforscher vgl. Robert A. Levine u. a., A Retrospective on the Negative Income Tax Experiments: Looking Back at the Most Innovative Field Studies in Social Policy. USBIG Discussion Paper No. 86, June 2004, www.usbig.net. 8 Die zweite Grundeinkommensvariante möchte jedem Bürger eine „Sozialdividende“ als Anteil des gesellschaftlichen Wohlstands zahlen. Sie ist ein Grundeinkommen im eigentlichen Sinn: ein individueller Rechtsanspruch und unabhängig von sonstigem Einkommen. Jedes zusätzliche Einkommen muss dann versteuert und mit Sozialbeiträgen belastet werden. Wenn das Grundeinkommensniveau auf dem EU-Armutsniveau angesetzt wird, also bei 50 oder 60 Prozent des nationalen Pro-Kopf-Einkommens, kann man sich den erheblichen Umverteilungsbedarf vorstellen. Alle Einkommensbezieher unterhalb des Durchschnittseinkommens verfügten bei dieser Lösung über einen Mix aus Grundeinkommen mit Einkommen aus Erwerbsarbeit und Vermögen. Technisch wirkt auch dieses Modell wie die „Negative Einkommenssteuer“, erfordert also eine sehr hohe steuerliche Belastung der „Primär“-Einkommen. Die Staatsquote würde dadurch nicht gerade sinken, die Einführung hätte jedoch einen gewaltigen Vorteil: Der Arbeitsmarkt könnte - modelltheoretisch - vollständig dereguliert werden. Denn jedem Bürger wäre nicht nur stets und antragsfrei das existenzsichernde Grundeinkommen garantiert, sondern auch die Gewissheit, dass sich jedes auch noch so geringfügige Einkommen lohnt. Nur diese zweite Variante ist damit ein echtes, weil bedingungsloses Grundeinkommen, das im Bereich des Existenzminimums Arbeit und Einkommen vollständig entkoppelt. Grundeinkommen und Wohlfahrtsregime Die Modelle der Grundeinkommenssicherung können analytisch auch nach den aus der internationalen Sozialpolitikdebatte bekannten Typen des „Wohlfahrtsregimes“ unterschieden werden:17 dem liberalen Regime mit Fokus auf das Steuerungssystem „Markt“, dem sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Regime, das auf staatliche Steuerung setzt, dem konservativen Regime, das gemeinschaftliche Steuerung bevorzugt und schließlich dem garantistischen Regime, das auf soziale Grundrechte (als legitimierende Werte) abhebt. Dabei entsprechen die Grundeinkommensvarianten je einer Kombination von Regimetypen. Am wenigsten anspruchsvoll sind die Varianten einer bloßen „Grundsicherung“ innerhalb der klassischen, lohnarbeitszentrierten Sozialversicherungssysteme. Zu ihnen zählen das Arbeits- 17 Vgl. Gøsta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton, N.J. 1990; zur Erweiterung um einen vierten, „garantistischen“ Regimetyp vgl. Michael Opielka, Sozialpolitik. Grundlagen und vergleichende Perspektiven, Reinbek 2004 (i.E.), sowie aus soziologischer Sicht ders., Gemeinschaft in Gesellschaft. Soziologie nach Hegel und Parsons, Wiesbaden 2004. 9 losengeld II und das Modell des „Kombilohns“.18 Sie entsprechen einer Kombination des sozialdemokratischen mit einem liberalen (zu einem „sozialliberalen“) Regime und sind am stärksten von allen Grundeinkommensmodellen am Arbeitsmarkt orientiert. Die Negative Einkommenssteuer steht zwischen dem liberalen und dem konservativen Wohlfahrtsregime- Typ, was der historische Rückblick auf diese Idee bestätigt, die anfangs vor allem bei den englischen Konservativen beheimatet war. Die Idee der Grundeinkommensversicherung könnte man als einen Versuch bezeichnen, das sozialdemokratisch-sozialistische Gesellschaftsdenken mit einem „garantistischen“, im engeren Sinne „grünen“ Regimeprinzip zu verbinden. Ein Grundeinkommen als Sozialdividende schließlich mischt Garantismus und Konservativismus, weil ein unbedingtes Grundeinkommen stets eine Bedingung haben wird, nämlich den Bürgerstatus, also die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der jeweiligen Volkswirtschaftsangehörigen. Dies macht besonders gut eine eigentümliche Variante des Grundeinkommens deutlich, die von Bruce Ackermann und Anne Alstott als „Stakeholder Society“ propagiert wird: Jeder junge Bürger soll allein aufgrund seiner Bürgereigenschaft 80.000 Dollar erhalten („citizen’s stake“), sonst jedoch keine Transfers mehr bis zu einer Grundrente im Alter. Das besondere Problem liegt hier natürlich in dem ausgesprochen statischen Charakter dieses Modells: Aufgrund der hohen einmaligen Ausschüttung würde der Sozialstaat seine Bürger ein Leben lang auf diese verweisen, nach dem Motto: „Du hast deinen Anteil schon bekommen“. Einstiegsvarianten Wie bei allen großen Reformentwürfen liegt die Frage nahe, ob es praktikable Zwischenschritte gibt, die auf das Ziel eines echten Grundeinkommens hin führen. Zunächst gibt es eine Reihe von durchaus wichtigen technischen Fragen, die man genauer beleuchten müsste und die im De- 18 Dazu gehören auch die (mit einer Mindestlohngesetzgebung kombinierten) Zuschüsse an Erwerbstätige in den USA - Earned Income Tax Credit (EITC) - und für Erwerbstätige mit Kindern in Großbritannien - Working Families' Tax Credit (WFTC). Formal entsprechen sie einer Negativen Einkommenssteuer und werden auch über die Finanzbehörden ausgezahlt. Da aber der Anspruch nur bei Erwerbstätigkeit besteht, entsprechen sie eher dem deutschen Arbeitslosengeld II.
tail erhebliche Auswirkungen vor allem auf das Grundeinkommensniveau haben, zum Beispiel, ob und wie im Grundeinkommen die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ausgewiesen werden soll, ob man bei einem allen Bürgern gezahlten Grundeinkommen nicht sinnvollerweise die Wohnkosten außen vor lässt (und sie separat bezuschusst oder übernimmt), um nicht die Wohnungseigentümer unnötig zu subventionieren, oder schließlich die Frage, ob ein allgemeines Grundeinkommen nicht vollständig neutral sein sollte gegenüber der Haushaltsform - denn warum sollte die Gesellschaft das Alleinleben prämieren oder den wirtschaftlichen Vorteil von Mehrpersonenhaushalten abschöpfen? Schon aus diesen drei Fragen ergibt sich, dass die Niveaufrage eines Grundeinkommens recht komplex ist. Unterstellen wir, dass man sich auf eine möglichst neutrale Lösung einigen könnte, also auf eine sozialpolitische Gesamtlösung, die Herausnahme der Wohnkosten und die Haushaltsunabhängigkeit, dann kann man sich zwei Einstiegsvarianten für ein Grundeinkommen vorstellen: In der ersten Variante wird das Grundeinkommen jedem „dem Grunde nach“ gezahlt, praktisch aber nur auf Antrag - den aber jeder ganz ohne aktuellen Einkommensnachweis stellen kann. Am Ende einer Berechnungsperiode, dem Quartal oder dem Kalenderjahr, muss man, wenn das tatsächliche Gesamteinkommen über dem Grundeinkommen lag, den sozusagen „unberechtigt“ erhaltenen Grundeinkommensbetrag mit banküblichen Dispo-Zinsen zurückzahlen. Das würde es für die überwiegende Mehrheit unattraktiv machen, das Grundeinkommen abzurufen. Die staatliche Grundeinkommenskasse würde für Gutverdiener zwar zu einer Art Hausbank werden, die Zinseinnahmen wären aber erklecklich. Das mag gewohnheitsbedürftig sein - die soziale Sicherungsfunktion des Grundeinkommens wird damit aber gut sichtbar. Man könnte diese Variante als „Grundeinkommenskredit“ bezeichnen.20 Die zweite Variante wäre ein „partielles Grundeinkommen“. In diese Richtung zielt beispielsweise die derzeitige Regelung der deutschen Ausbildungsförderung für Studierende (BAföG), wenn man die dabei noch geltende Berücksichtigung des Elterneinkommens fallen lässt. Das BAföG wird zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als (niedrig verzinsliches) Darlehen gezahlt. Ein „BAföG für alle“, das jüngst für Deutschland mit dem Modell einer „Grundeinkommensversicherung“ vorgeschlagen wurde21, würde auch denjenigen, die sich für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen wollen, ein Grundeinkommen garantieren. Außerdem kann man den Darlehensanteil durch zusätzliche (Erwerbs-)Einkommen bis auf Null reduzieren (wobei diese auch auf den Zuschuss angerechnet werden). Tätigkeiten für gemeinnützige Organisationen könnten pauschal (und nur) mit dem Darlehensanteil verrechnet werden. Wer mindestens drei Jahre Beiträge gezahlt hat, sich vermitteln lässt, krank oder erwerbsunfähig ist oder kleine Kinder erzieht, erhielte das Grundeinkommen ohne Darlehensanteil ganz als Zuschuss. Der Unterschied zum Arbeitslosengeld II ist schlicht die Liberalität und Würde dieser Lösung: Man wird weder als Billigarbeiter noch als pädagogisches Objekt behandelt, sondern als Bürger, der über seine Zeit und sein Einkommen (einschließlich seiner Schulden) selbst gebietet. Der Unterschied mag klein erscheinen, er geht aber aufs Ganze. Das unterscheidet das „echte“ Grundeinkommen und seine Einstiegsvarianten von jeder sozialhilfeähnlichen Lösung. Der entscheidende Unterschied ist die Abkehr von der Arbeitsabhängigkeit, von einer Ideologie der Erwerbsarbeit. Dass das Grundeinkommen daneben auch den Einstieg in den Arbeitsmarkt wie in gemeinnützige Tätigkeiten im „Dritten Sektor“ fördert, steht dazu nicht im Widerspruch. Das Grundeinkommen soll nicht den Ausstieg aus der Gesellschaft fördern, sondern den selbst bestimmten Einstieg. Es überlässt aber dem Einzelnen, wie er einsteigt. Diejenigen, die aussteigen - meist aus Resignation, selten aus Überzeugung -, werden in diesem Modell finanziell gegenüber der gegenwärtigen Situation nicht notwendigerweise besser gestellt, im Einstiegsmodell des „BAföG für alle“ sogar schlechter, weil sie eine ordentliche Schuldenlast vor sich herschieben. Aber sie werden nicht mehr diskriminiert, sondern als freie Bürger behandelt - wie heute schon faule Erben oder träge Kinder wohlhabender Eltern. Die fehlende Diskriminierung wird jedoch die kulturelle und psychische Situation all derer gravierend verbessern, die überhaupt nicht aussteigen wollen, sondern oft genug verzweifelt, weil vergeblich einen Einstieg in die gesellschaftliche Arbeit suchen - also all jene, die unter den stigmatisierenden Maßnahmen von Hartz IV zu leiden haben.
Hartz IV als erster Schritt?
Dennoch, allen Widrigkeiten mit Hartz IV zum Trotz, wäre abschließend zu analysieren, ob das Arbeitslosengeld II als ein erster Schritt zu einem echten Grundeinkommen fungieren könnte. Zunächst stellt die von Hartz IV geleistete Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der Tat die Voraussetzung dafür dar, dass Arbeiter und Arme nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden können. Das aber ist dringend notwendig, denn längst gibt es viel zu viele Menschen, die beides sind: arme Arbeitende, working poor. Tatsächlich handelt es sich bei Hartz IV, nach der regimetheoretischen Betrachtung, um ein lohnarbeitszentriertes Grundeinkommen. Erklärtes Ziel ist es, die Annahme auch von gering bezahlter Erwerbsarbeit attraktiver zu machen. Alleinstehende können das Arbeitslosengeld II mit einem Nettolohn bis etwa 900 Euro (Familien bis 1500 Euro) kombinieren, sie stellen sich dann um bis zu 270 Euro (Familien bis zu 220 Euro) günstiger, als wenn sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen.
Sollten die Betroffenen also froh darüber sein und die Demonstrationen einstellen? Das wäre unangemessen. Viele der Arbeitslosehilfeempfänger vor allem in Ostdeutschland verlieren erheblich an Zuwendungen - ohne dass es überhaupt Jobs gibt. Sie protestieren zurecht. Die Übergangszuschläge für Arbeitslosengeld I-Bezieher werden auslaufen; verheirateten Frauen wird kein eigenständiges Einkommen garantiert (Männer trifft die Anrechnung von Partnereinkommen selten). Kurzum: Armut soll normal werden, damit die Leute sich „bemühen“, worum auch immer. Das Arbeitslosengeld II wertet die „da unten“ ab, macht sie nur im glücklichen Fall zu „Kunden“ einer Bundesagentur für Arbeit, diskriminiert im schlechten Fall die Mehrheit zum „überflüssigen“ Rest, der sich gefälligst um die wenigen Jobs rangeln soll. Für 1 bis 2 Euro pro Stunde sollen sie gemeinnützige Arbeit leisten oder durch Billiglöhne das Arbeitslosengeld II aufbessern. Was für junge Leute noch angehen mag, erleben Ältere als massive Entwürdigung. Diese diskriminierende Intention von Hartz IV steht konträr zur Idee des Grundeinkommens. Das neue Arbeitslosengeld II in Deutschland ist insofern noch weit davon entfernt, ein echtes Grundeinkommen zu sein. Es ist allenfalls eine Grundsicherung, die weiterhin an die Arbeitsbereitschaft geknüpft bleibt. Fehlende Arbeitsbereitschaft führt, zumindest prinzipiell, zum Verlust des Einkommensanspruchs. Sozialpolitisch spricht alles für ein Grundeinkommen, das auf jede Form des staatlichen Arbeitszwanges verzichtet und vollständig auf Anreize setzt. Anders als das Arbeitslosengeld II setzen echte Grundeinkommensmodelle auf soziale Grundrechte, auf Anerkennung von gesellschaftlicher Tätigkeit, nicht nur von Erwerbsarbeit. Ermunterung statt Exklusion, das mag heute utopisch klingen - es spricht jedoch unverändert für das Grundeinkommen und gegen eine soziale Realität, die Demokratie und Liberalität zunehmend gefährdet.
Dr. Michael Opielka, geb. 1956 in Stuttgart, Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena und Geschäftsführer des Institut für Sozialökologie in Königswinter.
Erstellt: 01.09.04, 15:43 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Und nun die Anmerkungen: blafasel...
Nach zusätzlichen 3 Jahren VWL-Studium und politischer Tätigkeit sehe ich die Sachen differenzierter. Da ich dem googler die dafür notwendige Lesearbeit ersparen möchte, habe ich meine auf viel zu einfachen und unreflektierten VWL-Modellen basierten Texte hier rauseditiert. Ich bitte um Verständnis.
Der Debatte schadet es nicht, die ist inzwischen weiter - hier im Thread, und in den Vereinen und Parteien.
Erstellt: 01.09.04, 18:00 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Lieber Christoph Kung,
danke für die Auseinandersetzung. In der Tat wirken Negativsteuer und Sozialdividende formal gleich. Ihre Berechnungen vergessen freilich, dass aus dem Staatshaushalt sowie den Sozialversicherungen nicht nur eine Grundeinkommenssicherung, sondern auch Bildung, Straßen, Polizei, vor allem aber auch das Gesundheitswesen (derzeit allein 15,9 Prozent Sozialversicherungsbeitrag incl. Pflege) bezahlt wird ---- das taucht bei Ihnen alles nicht auf.
Von: Christoph Kung [mailto:@carookee.com] Gesendet: Mittwoch, 1. September 2004 15:43 An: Betreff: [Mailingliste-Grundeinkommen:] Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikel
Erstellt: 05.09.04, 14:24 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Hier sollte doch nun klar werden, daß ein bedingungsloses Grundeinkommen und zwar für jeden NICHT bedeutet, daß an jeden Bundesbürger netto ein Bürgergeld ausgezahlt wird. Tatsächliche Kosten "verursachen" nur die, die weniger als 1200€ verdienen (ich beziehe mich hier auf obiges Modell 600€GE/50%St), und den vollen Satz empfangen netto auch nur die mit gar keinem eigenen Einkommen. Ich glaube, daß das Umverteilungsvolumen hier im Forum zuweilen überschätzt wird.
Worüber bisher auch kaum diskutiert wurde: Welche Leistungen hat der Staat (und nach welchem Finanzierungsmodell) neben dem GE noch zu erbringen? In welchem Ausmaß können Leistungen durch erwerbsarbeitsunabhängige Steuereinnahmen sicher gestellt werden? Ist unter den Bedingungen von GE eine (steuersubventionierte)Arbeitslosenversicherung noch nötig (oder kann diese privatisiert und von der Pflicht dazu abgesehen werden)? Kann ein Gesundheitssystem noch über Lohnabhängige Beiträge finanziert werden oder sollte eine Grundversorgung im Sinne aller steuerfinanziert werden? Inwieweit läßt sich der (gesellschaftliche/ökologische usw.)Resourcenverbrauch Einzelner gezielt zur Beteiligung und Umverteilung heranziehen, etwa durch sog. "politische Preise"/"Luxussteuer"/mehrfach abgestufte Mertwersteuer (gibt es teilweise schon heute allerdings kaum mit der Intention solidarischer Umverteilung, sondern eher als Unterwerfung unter finazpoltische "Sachzwänge" und "Haushaltslöcher").
Erstellt: 06.09.04, 23:15 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Die sprachliche Bedeutung des Ausdrucks "bedingungsloses Grundeinkommen" ist eindeutig. Das gibt es kein Vertun. Ein Grundeinkommen, das nur unter der Bedingung gezahlt wird, daß kein Erwerbseinkommen vorhanden ist bzw. ein zu geringes, ist eben kein "bedingungsloses" Grundeinkommen. Man kann ja mit Gründen ein bedingungsloses Grundeinkommen ablehnen. Daß aber Bedingungslosigkeit nun mal heißt, jeder Bundesbürger bekommt das Grundeinkommen (den identischen Betrag), unabhängig auch vom vorhandenen Vermögen und der Höhe eines Erwerbseinkommens, kann man doch nicht im Ernst bestreiten wollen.
Erstellt: 07.09.04, 01:50 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
„Bedingungslos“ heißt vor allem: nicht an (Lohn-)Arbeit geknüpft. Der Einwand von Manuel Franzmann zielt auf ein Grundeinkommen hin, dass nach dem Modell der „Sozialdividende“ „ex ante“ ausgezahlt wird, also vor allen anderen Einkommen. Der „Opielka-Artikel“ - vermutlich der Beitrag in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ - macht deutlich, dass die Grenzen zwischen „ex ante“ und „ex post“ - also Zahlung nach Prüfung sonstiger vorhandener Einkommen - fließend ist. Ein Beispiel: man kann eine „Sozialdividende“ in den Einkommenssteuertarif integrieren. Dann erhält man/frau das Grundeinkommen nur, wenn das sonstige Einkommen unter dem Grundeinkommensniveau liegt - ähnlich wie in den Modellen einer „negativen Einkommenssteuer“.
Man kann ein Grundeinkommen philosophisch konzipieren: als ein Modell, das ganz absieht von den vorhandenen Institutionen der Sozialpolitik. Sozialpolitisch wird man aber pragmatisch die vorhandenen Institutionen mit einbeziehen. In diese Richtung zielt der Vorschlag einer „Grundeinkommensversicherung“. Dass auf längere Sicht eine „Sozialdividende“, die Manuel Franzmann meint, das adäquate Grundeinkommensmodell ist, darüber gibt es wohl kaum Dissens im Netzwerk. Die - durchaus spannende - politische Frage lautet: wie kommen wir dorthin? Wie nehmen wir die Bevölkerung und - das ist ziemlich bedeutsam - die Eliten mit?
Erstellt: 07.09.04, 07:40 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Ist alles schon mehrfach diskutiert und berechnet. Wer soll das wieder ausklbüsern, wem nun GE zusteht un wem nicht. Bitte wenn es geht jegliche Bürokratie draußen lassen. Dafür zahlen doch die Unternehmer weniger Lohn/Gehalt. Soziale Ansprüche an den Staat sind dann nicht mehr zu stellen --> keinerlei Anträge von keinem mehr, der nicht offensichtliche Gebrechen nachweisen kann --> Pflege! --> auch keine Rentenzahlungen mehr --> kene BfA und keine LVA mehr --> eine Krankenkasse und Beiträge von allen ohne jegliche Bemessungsgrenze! So wird das! Wolfgang Schlenzig ----- Original Message ----- From: Botwin Theo To: Sent: Sunday, September 05, 2004 2:24 PM Subject: [Mailingliste-Grundeinkommen:] Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikel
Hier sollte doch nun klar werden, daß ein bedingungsloses Grundeinkommen und zwar für jeden NICHT bedeutet, daß an jeden Bundesbürger netto ein Bürgergeld ausgezahlt wird. Tatsächliche Kosten "verursachen" nur die, die weniger als 1200? verdienen (ich beziehe mich hier auf obiges Modell 600?GE/50%St), und den vollen Satz empfangen netto auch nur die mit gar keinem eigenen Einkommen. Ich glaube, daß das Umverteilungsvolumen hier im Forum zuweilen überschätzt wird.
Worüber bisher auch kaum diskutiert wurde: Welche Leistungen hat der Staat (und nach welchem Finanzierungsmodell) neben dem GE noch zu erbringen? In welchem Ausmaß können Leistungen durch erwerbsarbeitsunabhängige Steuereinnahmen sicher gestellt werden? Ist unter den Bedingungen von GE eine (steuersubventionierte)Arbeitslosenversicherung noch nötig (oder kann diese privatisiert und von der Pflicht dazu abgesehen werden)? Kann ein Gesundheitssystem noch über Lohnabhängige Beiträge finanziert werden oder sollte eine Grundversorgung im Sinne aller steuerfinanziert werden? Inwieweit läßt sich der (gesellschaftliche/ökologische usw.)Resourcenverbrauch Einzelner gezielt zur Beteiligung und Umverteilung heranziehen, etwa durch sog. "politische Preise"/"Luxussteuer"/mehrfach abgestufte Mertwersteuer (gibt es teilweise schon heute allerdings kaum mit der Intention solidarischer Umverteilung, sondern eher als Unterwerfung unter finazpoltische "Sachzwänge" und "Haushaltslöcher").
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Erstellt: 07.09.04, 10:15 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Bedingungslos heißt bedingungslos: daß das Grundeinkommen bedingungslos gewährt bzw. gezahlt wird. Und das heißt wiederum: Es wird an die Mitglieder der politischen Gemeinschaft gezahlt, ohne daß irgendeine (!) Bedingung erfüllt werden müßte. D.h. das Grundeinkommen wird gezahlt unabhängig vom Erwerbsstatus, aber auch unabhängig von der Höhe eines Erwerbseinkommens, vom Vermögen, vom Vorhandensein von Kindern, von der Arbeitsbereitschaft, Bedürftigkeit, etc. etc.. Daher kann ein solches Grundeinkommen daher auch nur in einem für alle gleichen Pauschalbetrag bestehen.
Mir geht es mit diesem Hinweis im übrigen nur darum, daß wir bei einem zentralen Begriff der Grundeinkommensdiskussion ("Bedingungslosigkeit" bzw. "bedingungsloses Grundeinkommen") klar bleiben und nicht aneinander vorbei reden. Und eine Voraussetzung dafür ist nun mal, daß man sich an die sprachliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke hält. Nur so können wir doch zu Klärungen in der Sache gelangen.
Daß der Weg zum Ziel nicht weniger wichtig ist, als das Ziel selbst, sehe ich natürlich genauso. Ob die Grundeinkommensversicherung ein hilfreicher Schritt auf diesem Weg wäre, weiß ich nicht. Eines ist klar. Dieses Modell bliebe weiterhin stark der Erwerbsarbeit als Normalmodell verpflichtet. Arbeitslose würden zwar nicht mehr vom Arbeitsamt gegängelt, sie würden sich aber bei längerer Arbeitslosigkeit hoffnungslos verschulden, da ja die Hälfte der Grundeinkommensleistung nur als Darlehen gezahlt würde. Man muß sich mal ausmalen, was sich da auf längere Sicht an Schulden ansammelt. Ob das unter dem Strich ein Gewinn ist, darüber kann man streiten. Es wäre in jedem Fall eine ziemliche Ungerechtigkeit, wenn Langzeitarbeitslose, die aufgrund des großen Stellenmangels trotz intensiver Bemühungen keinen Job finden, für diese individuell nicht zu verantwortende (wenn überhaupt, dann nur geringfügig) schwierige Lage zusätzlich noch dadurch bestraft würden, daß man ihnen eine progressive Verschuldung aufbürdet. Im übrigen zeigt sich darin das Verhaftetsein an Erwerbsarbeit als Normalmodell, wird doch mit dieser Verschuldung das Tätigsein jenseits der Erwerbsarbeitssphäre enorm belastet und gerade nicht prinzipiell für alle ermöglicht. Für diejenigen, die kein Vermögen haben, muß vor diesem Hintergrund Arbeitslosigkeit weiterhin ein Unglück darstellen, daß sie in die Verschuldung zu ziehen droht. Leisten kann sich eine solche Arbeitslosigkeit nur derjenige, der Vermögen hat und die Verschuldung nicht zu befürchten braucht. Der braucht aber auch zunächst einmal keine Grundeinkommensversicherung.
Erstellt: 07.09.04, 10:35 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Manuel Franzmanns Antwort ist leider nicht korrekt:
Im Modell einer „Grundeinkommmensversicherung“ verschuldet sich der Arbeitslose, der sich für den Arbeitsmarkt bereit hält, überhaupt nicht. Er erhält - angelehnt das Modell der Schweizer Grundrente AHV - in jedem Fall ein Grundeinkommen und zwar ohne zeitliche Begrenzung. Wer sich aber nicht für den Arbeitsmarkt bereit halten möchte - und erst dann kann man von einem „bedingungslosen“ Grundeinkommen sprechen - erhält faktisch ein „partielles“ Grundeinkommen, ein „Bafög für alle“, bei dem die Hälfte des Grundeinkommens auf Darlehensbasis gezahlt wird. Der Darlehensanteil wird jedoch in einen Zuschuss umgewandelt, wenn man für gemeinnützige Zwecke tätig ist. Genauer kann man das in dem Papier zur „Grundeinkommensversicherung“ nachlesen, das sich im Download-Bereich des Mailforums befindet (- allerdings habe ich unterdessen am Konzept einige Änderungen vorgenommen).
Auch der Begriff „bedingungslos“ bezieht sich in der Grundeinkommensdiskussion durchgängig auf die Entkopplung vom Arbeitsmarkt. Sonstige Geld- und Vermögenseinkommen bzw. -werte werden in jedem Steuer- und Abgabensystem der Welt herangezogen. Eine „reine“ „Bedingungslosigkeit“ kann deshalb nicht existieren, weil jeder Wohlfahrtsstaat, der Geldansprüche befriedigt, die Mittel von derselben Bevölkerung erheben muss.
Erstellt: 07.09.04, 12:05 Betreff: Re: Anmerkungen zum Opielka-Artikeldruckenweiterempfehlen
Lieber Michael,
ich muß mit Bedauern feststellen, daß ich tatsächlich Deinen Vorschlag einer Grundeinkommensversicherung falsch wiedergegeben habe, was mir leid tut, weil so die Diskussion unnötig verkompliziert wurde und auch Deinem Vorschlag keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Zum Teil liegt mein Mißverstehen daran, daß Dein Vorschlag sehr komplex ist und es schwer ist, ihn im Detail zu überblicken, was mich natürlich nur bedingt von der Verantwortung für mein Mißverstehen entlastet. Ich danke Dir daher auch, daß Du so wohlwollend sachlich reagierst.
Wenn ich es richtig verstehe, besteht Dein Vorschlag im Hinblick auf Arbeitslose aus zwei Komponenten. 1.) einem "Grundeinkommen" ohne zeitliche Begrenzung unter der Bedingung der Arbeitsbereitschaft. Das wäre doch dann in etwa mit der Sozialhilfe bzw. mit dem zukünftigen Arbeitslosengeld II zu vergleichen. Oder? 2.) einem "Grundeinkommen", das auch bei Nicht-Arbeitsbereitschaft gezahlt wird, dann allerdings hälftig als Darlehen. Man würde also als Arbeitsloser nicht zwangsläufig in die Verschuldungsspirale getrieben, die mit einem längeren Verbleib in Komponente II verbunden ist. Man hätte statt dessen die Alternative, Arbeitsbereitschaft zu zeigen und auf dieser Basis ein "Grundeinkommen" ohne Darlehen zu erhalten. Bei der ersten Komponente kann ich im Moment keinen nennenswerten Unterschied zur Sozialhilfe bzw. zum Arbeitslosengeld II erkennen. Bei der zweiten Komponente bliebe doch das Problem, daß sie für viele Bürger aufgrund der Verschuldungsproblematik höchstens kurzfristig infrage käme. Eine längerfristige Abwendung von der ständigen Suche nach Erwerbsarbeit könnten sich die meisten doch angesichts der dann losgetretenen Verschuldungsspirale gar nicht leisten. Das würde aber bedeuten, daß weiterhin trotz struktureller Massenarbeitslosigkeit die meisten Arbeitslosen permanent ihre Energien in der Beschäftigungssuche auf Basis der Transferzahlung im Rahmen der ersten Komponente aufbrauchen müßten und nicht für eine Tätigkeit jenseits der Erwerbssphäre freigesetzt würden. Das aber bedeutet doch ein Festhalten an Erwerbsarbeit als Normalmodell trotz fortbestehender struktureller Massenarbeitslosigkeit, was in meinen Augen das eigentliche Problem der gegenwärtigen Krisenkonstellation darstellt.
Deine Verwendung des Ausdrucks "bedingungslos" überzeugt mich nicht so ganz, was Dich vermutlich angesichts meiner vorausgehenden Ausführungen nicht überraschen wird. Ich sehe auch nicht, daß Du dem schlichten Argument, daß ein "bedingungsloses Grundeinkommen" nur dann wirklich bedingungslos ist, wenn seine Zahlung an keinerlei Bedingungen geknüpft ist, ergo jedes Mitglied ein solches Grundeinkommen erhält, etwas entgegenzusetzen hast. Daß in der Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen der Aspekt der Entkoppelung von Grundsicherung und Arbeitsmarkt dominiert, sehe ich auch. Der Witz ist aber doch, daß nur ein Grundeinkommen, das grundsätzlich bzw. in jeder Hinsicht bedingungslos, ergo an alle Bürger, gezahlt wird (wie ja auch vom Basic Income European Network propagiert), eine vollständige Entkoppelung vom Arbeitsmarkt bzw. eine Aufgabe von Erwerbsarbeit als Normalmodell der Lebensführung bedeutete. In dem Modell einer Grundeinkommensversicherung bleibt eben Erwerbsarbeit weiterhin das Normalmodell, dem sich die meisten Arbeitslosen aufgrund der Verschuldungsgefahr nicht entziehen können, so daß sie am Ende doch trotz struktureller Massenarbeitslosigkeit Arbeitsbereitschaft vorschützen müssen, um eine Grundsicherung ohne Darlehensanteil zu erhalten.
Ich hoffe, nun nicht noch einem weiteren Mißverständnis aufzusitzen.