Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen

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Tobias Teetz

Beiträge: 97
Ort: Berlin


New PostErstellt: 08.08.04, 15:45  Betreff: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Liebe Freunde,

hier einige Gedanken zu den möglichen Auswirkungen eines Grundeinkommens.

Welche möglichen Konsequenzen hätte eine negative Einkommenssteuer auf unser Lohngefüge, auf die regulären staatlichen Transferzahlungen (Rente u.ä.) ?

Jeder Bürger bekommt auch schon heute staatliche Leistungen (Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Rente) auch wenn er nicht arbeitet. Ändert sich also nichts? Bei Rentnern dürfte man weiterhin einen Altersruhestand -ceteris paribus- annehmen und keine wesentlichen Änderungen und Folgewirkungen durch die negative Einkommenssteuer erwarten.

Anders bei allen selbständig Beschäftigten, den Schwarzarbeitern, den Serviceangestellten (in Restaurants) mit Trinkgeldeinkommen. Wäre weiterhin Schwarzarbeit erlaubt, das Einkommen von Selbständigen nicht kontrollierbar, würde die Konzeption einer negativen Einkommenssteuer nicht aufgehen. Diese Personengruppen hätten dann ein höheres Einkommen als Arbeitnehmer in Industriebetrieben oder in der öffentlichen Verwaltung.
In diesem Fall würde unsere Wirtschaft zusammenbrechen.
Alle Gewerbe müßten äußerst genau auf Umsatz und Gewinn geprüft werden, Trinkgeldzahlungen würden sich ändern, jede Schwarzarbeit müßte verhindert werden.
Denn sonst käme es zu erheblichen Einkommensfehlallokationen.
Jede abhängige Beschäftigung nur mit Lohnsteuerkarte. Und die Anspruchslöhne (aufgestockt durch das Exsistenzgeld) würden wesentlich geringer sein.

Auch die Entlohnung der Arbeitnehmer würde sich anders gestalten. Im Dienstleistungsgewerbe (z.B. in der Gastronomie o.ä.) würden die Löhne erheblich sinken, das Arbeitseinkommen wird aber durch das zusätzliche Grundeinkommen aufgedeckelt. Das Gesamteinkommen sollte weiterhin auf einem ähnlichen Niveau liegen.

Die Industriebetriebe haben weiterhin sehr hohe Umsätze. Nun stellt sich die Frage, ob sie die Umsätze auf die Beschäftigten verteilen, wobei der Staat durch die Einkommenssteuer, die Krankenversicherungsbeträge, die Rentenversicherungbeiträge, die Arbeitslosenversicherung auf die Einkommen der Beschäftigten zurückgreift.
Eine derartige Entwicklung wollen gerade Unternehmen des produzierenden Gewerbes vermeiden, weil dies die Arbeitskosten erhöht. Besser sind Auslandsinvestitionen, bei denen die Arbeitskosten deutlich geringer sind.
Hocheffektive Produktionsbetriebe mit zehn bis zwanzig Mitarbeitern, können Gewinne von mehreren Millionen € erwirtschaften. Einerseits könnte der Gewinn unter den Beschäftigten aufgeteilt werden (hohe Löhne, der Staat beschneidet diese jedoch durch Steuer und Sozialabgaben) oder das Unternehmen baut mit seinem unternehmerischen Gewinnen Auslandsstandorte auf, die in diesen Ländern für mehr Wohlstand sorgen.
Auslandsstandorte sind jedoch nur sinnvoll, wenn die Gewinne und die Unternehmen nicht verstaatlicht werden.
Ohne Anreiz keine Auslandsinvestition.

Falls nun die staatliche Abschöpfung der Betriebe nur an dem unternehmerischen Erfolg gekoppelt wäre und etwas weniger durch die Arbeitskosten, da die Grundsicherung bereits durch das Exsistenzminimum gegeben wäre, wäre es auch möglich, Arbeitskräfte mit sehr geringer Effizienz im Unternehmen einzustellen.
Gute Arbeitnehmer verdienen weiterhin ein gutes Einkommen - jedoch kein exorbitantes Einkommen.
Denkbar wäre es auch, nur den unternehmerischen Erfolg zu einem gewissen Prozentsatz zu besteuern, losgelöst von Arbeitskosten, um diese Steuerneinnahmen dann in die sozialen Sicherungssysteme zu stecken. Der überschüssige Rest wird dann in Löhne und Unternehmensgewinne geparkt. Höhere Rentenauszahlungen für gute Mitarbeiter müssen weiterhin beibehalten werden.
Geringere Steuern gibt es dann für ein Unternehmen, dass sinnvolle Auslandsinvestitionen tätigt. So kommt auch die Wirtschaft in anderen Ländern auf Trab.

In der gegenwärtigen Zeit ist das unterschiedliche Arbeitseinkommen zwischen Arbeitnehmern Ausgangspunkt für Überlegungen zu anderen Investitionsstandorten. Dabei werden die Arbeitskosten verschiedener Standorte gegeneinander ausgespielt. Dies ist ein unschöner Punkt bei der Globalisierungsdebatte.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Teetz

Berlin, Chemiker


[editiert: 21.08.04, 19:11 von Manuel Franzmann]
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Tom Maier

Beiträge: 50


New PostErstellt: 09.08.04, 14:28  Betreff: Re: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen  drucken  weiterempfehlen

Hallo!

Zuerstmal - der Fetisch der Lohnarbeit ist vorbei. Man braucht die Leute nicht mehr. Punkt. Computer+Roboter und ein immer kleiner werdender Teil der Bevölkerung erledigen das locker.

Also ein GE als verdeckte Subvention an Betriebe lehne ich ab. Als ob die nicht schon genug bekämen.

Zuerst war ich ein Fan davon das jeder ein GE bekommt. Die Auswirkungen dabei wären aber die das die Inflation mächtig angeheizt würde.

Weiterhin: es wäre eine verdeckte Subvention für Unternehmen (Lohnzuschuss).

Ich bin für den konsequenten Weg: Man bekommt GE oder ist selbstständig, lohnarbeitend oder Staatsangestellter.

Damit wird die Industrie gezwungen profitable und hochtechnisierte Jobs anzubieten - was gleichzeitig auch ein hohes Einkommenssteuerniveau produziert.

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Tobias Teetz

Beiträge: 97
Ort: Berlin


New PostErstellt: 25.08.04, 19:17  Betreff: Re: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen  drucken  weiterempfehlen

Hallo Tom Meyer,

die Rationalisierung im verarbeitenden Gewerbe hat in der Tat zu erheblichen Einsparungen von Arbeitsplätzen geführt. 1990 hatten das frühere Bundesgebiet ca. 8,6 Mio. Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe.
Im vereinigten Deutschland (alte + neue Bundesländer) lag die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe bei 7,2 Millionen !
Im Baugewerbe kam es zwischen 1996-2001 zu einem Verlust von 500.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen (2 Mio. -500.000= 1,5 Mio. Baubeschäftigte im Jahr 2001).

Es läßt sich aber nicht immer exakt bestimmen, ob die verbesserten Produktionsweisen und Rationalisierungen, Marktsättigungen oder Globalisierungseinflüsse , staatliche Fehlsteuerungen, demographische Entwicklungen, Änderungen von Angebot und Bezahlung bei geschlechtsspezifischen Berufen für eine erhebliche Verschiebung bei der Arbeitsplatzstruktur verantwortlich sind. Die Arbeitsplatzentwicklung im Baubereich kann jedenfalls nicht auf Computer und technischen Rationalisierungen zurückgeführt werden.

In der Menschheitsgeschichte führten technische Rationalisierungsmaßnahmen, Änderungen von Handelsströmen immer wieder zu Arbeitslosigkeit und Änderungen von Berufsfeldern. In England (Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) machten die ersten dampfgetriebenen Webstühle die Weber, die Stoffe manuell auf Webstühlen fertigten, überflüssig.
Die Weber bezogen keinen Lohn mehr, die Familien der Weber hungerten. Schließlich zettelten die Weber einen Aufstand an und zerstörten die dampfgetriebenen Webstühle. Folgewirkung: Die britische Regierung ließ die Aufständischen erschießen oder ins Gefängnis stecken.

Kurz vor der Französischen Revolution kam es zwischen England und Frankreich zum Freihandel (keine Zölle) von Waren. Die Engländer produzierten sehr viel billiger Stoffe und konnten große Exporterfolge in Frankreich realisieren. Folge: die französischen Textilweber wurden arbeitslos (=brotlos in früheren Zeiten).
Auch das Steuersystem war vor der Revolution extrem ungerecht. Den Ärmeren wurden erhebliche Steuerlasten aufgedrückt, die reicheren Schichten wurden kaum belastet.

Andererseits kann auch der Zusammenbruch des Welthandels schädlich wirken: Der Schwarze Freitag hatte 1929 in den USA zum Absturz an den Aktienmärkten geführt. Massenarbeitslosigkeit in der USA war die Folge.
Um die heimischen Arbeitsplätze zu sichern, erhöhten die USA die Zölle auf ausländische Güter (über 60%). Damit kam der Welthandel zum erliegen. Deutschland war zu dieser Zeit stark in den USA verschuldet, außerdem drückten Reparationslasten nach dem Ersten Weltkrieg die deutschen Steuerzahler.
Die deutsche Exportindustrie konnte nach 1929 kaum noch Waren in die USA liefern, Arbeitsplätze wurden in erheblichem Umfang abgebaut, 6 Millionen Arbeitslose ohne ausreichende staatliche Versorgung, Armut pur. Der volkswirtschaftliche Wohlstand schrumpfte umgerechnet von 1430 € / Jahr (1929) und Einwohner auf 900 € / Jahr (1932) und Einwohner. Etwa 40% Wohlstandsverlust für jeden Deutschen.

Warum ich diese geschichtlichen Beispiele anführe ?
Weil in der Gegenwart ähnliche Minenfelder (Sprengwirkung jedoch geringer) auf uns warten.
Die USA finanzieren ihren Wohlstand auf Pump. Das Leistungsbilanzdefizit beträgt etwa 5% des BIP der USA. Dieser Zustand kann nicht lange anhalten. Falls die Amerikaner wieder ihre heimische Wirtschaft und Industrie ankurbeln und weniger Waren aus dem Ausland ordern, hat dies auch Folgewirkungen für die deutsche Exportindustrie. Dann kann sich die deutsche Handelsbilanz schnell eintrüben. Das bedeutet, das in vielen Bereichen der Exportindustrie die Umsätze zurückgehen und damit erneut Arbeitsplätze gefährdet sind.
Die anderen historischen Beispielchen muß ich nicht mit gegenwärtigen Zeitproblemchen unterfüttern - oder ?

Ein Grundeinkommen ist keine verdeckte Subvention von Betrieben, ein Grundeinkommen wäre eine verdeckte Subvention der bisher Arbeitslosen, die durch das Grundeinkommen und eine negative Einkommenssteuer leichter in Beschäftigungsverhältnisse gelangen könnten. Dadurch kann mehr Wohlstand und mehr Beschäftigung in Unternehmen für die Gesellschaft erzeugt werden.

Die Inflation wird nicht angeheizt, wenn sich die Entlohnung der Arbeitgeber und die Preise von Dienstleistungen der Selbstständigen ändern.

Ein Grundeinkommen ohne die Möglichkeit eines besseren Überganges von Nichtbeschäftigung zu Beschäftigung (und mehr persönlichem Einkommen) lehne ich ab.

Sowohl bei der geistigen Durchdringung als auch für eine Formulierung der Ideen bräuchte man Mut, einen angemessenen Überblick und Entschlossenheit.
Aber was will man von den Deutschen erwarten, entweder sie zerstören gute Ideen in der Anfangsphase ("Unmöglich ! Geht nicht! Das alte System ist viel besser!") oder sie ignorieren Änderung bei Arbeitsmarkt, Entlohnung und Beschäftigung und warten auf einen Wunderführer der ihnen alles in der gewünschten (die dann doch nicht so gewünscht ist) Form serviert.

Die Hartz IV Reformen (Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 4) sehen immerhin eine finanzielle Entlastung (Bund, Kommunen, BA) von 6,4 Mrd. € im Jahr 2007 vor. Diese Mittel müssen dann irgendwie von der bisherigen Arbeitslosenhilfe (14, 8 Mrd. €) weggenommen werden. Das solche Dinge nicht schmerzfrei verlaufen stellt auch Herr Wolfgang Strengmann-Kuhn in "Die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - finanzielle Auswirkungen für die Betroffenen und ein Gegenvorschlag" fest.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Teetz

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Christoph Kung

Beiträge: 6


New PostErstellt: 01.09.04, 14:40  Betreff: Re: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen  drucken  weiterempfehlen

Ein Grundeinkommen führt überhaupt nicht zu einer Anheizung der Inflation, unabhängig davon, ob sich die Löhne verändern. Die einzige Bestimmungsgröße für die Anheizung der Inflation ist die Finanzierung des GE. Wenn das GE über Steuern (50% statt bisher 33% beim ersten Euro und 50% statt bisher ca. 60% bei der Beitragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung) haushaltsneutral finanziert wird, findet Inflation nicht statt.

Das Ende der Lohnarbeit ist auch nicht in Sicht. Die Faktoren Arbeit und Kapital (Maschinen) werden auf lange Sicht entsprechend der Faktorpreise eingesetzt. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit entsteht nicht durch Technik, sondern durch schlechte Politik, insbesondere auch bei der Lohnentwicklung. Das gehört freilich nicht zum Thema hier.

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Manuel Franzmann
(Administrator)

Beiträge: 132
Ort: Frankfurt am Main


New PostErstellt: 01.09.04, 19:00  Betreff: Re: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen  drucken  weiterempfehlen

"Unfreiwillige Arbeitslosigkeit entsteht nicht durch Technik, sondern durch
schlechte Politik, insbesondere auch bei der Lohnentwicklung."

Welche Politik wäre denn die richtige? Etwa das Senken der Lohnnebenkosten
und die Verbilligung der Ware Arbeitskraft, wie sie gegenwärtig Land auf
Land ab gepredigt wird? In meinen Augen wäre es eine Illusion zu glauben,
die Massenarbeitslosigkeit sei bloß die Folge eines Lebens über den
Verhältnissen seit Mitte der 1970er Jahre. Was, wenn das nicht stimmt,
sondern tatsächlich die Rationalisierungsdynamik ein Niveau erreicht hat,
daß grundsätzlich die Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze die Zahl der
wegrationalisierten nicht mehr ersetzen kann? Soweit ich das beurteilen
kann, sind in den Wirtschaftswissenschaften gegenwärtig überhaupt noch nicht
die geeigneten analytischen Instrumente entwickelt, diese Frage empirisch
befriedigend zu klären, so daß wir gesellschaftlich Gefahr laufen, der
Illusion der Möglichkeit einer Rückkehr zur Vollbeschäftigung
hinterherzulaufen. Wenn man empirisch die Frage klären möchte, ob die
Rationalisierungsdynamik ein Schrumpfen des Arbeitsvolumens zur Folge hat
(das ja bei den meisten Industrienationen tatsächlich schon seit Jahrzehnten
zu konstatieren ist), so daß nicht mehr für alle Erwerbsarbeit vorhanden ist
und ein Abschied von Erwerbsarbeit als Normalmodell zwingend geboten
scheint, dann muß man aus meiner Sicht über die einschlägigen
wirtschaftswissenschaftlichen, statistischen Indikatoren hinaus auch den
konkreten Arbeitsplatzbestand analysieren und dabei die unausgenutzten
Rationalisierungspotentiale einbeziehen. Dann muß man sich genau anschauen,
welche Arbeitsplätze angesichts der Rationalisierungspotentiale überhaupt
noch notwendig sind und naturwüchsig nachgefragt werden und welche
Arbeitsplätze nur noch aufgrund politischer Stützmaßnahmen (etwa einer
staatlich subventionierten Verbilligung von Arbeitskraft) aufrechterhalten
werden. Meine These ist, daß wir es bereits in großen Teilen der Arbeitswelt
mit Beschäftigungsverhältnissen zu tun haben, die eigentlich längst
rationalisiert werden könnten, wenn es nicht politisch und gesellschaftlich
immer noch die Bindung an Erwerbsarbeit als Normalmodell gäbe. Diese Bindung
zeigt sich etwa bei Unternehmern daran, daß sie eben nicht offensiv
rationalisieren und rationalisieren können, obwohl dies eigentlich ihre
Aufgabe wäre (als Unternehmern sind sie aus meiner Sicht primär der
Wertschöpfung verpflichtet). Sie müssen vielmehr in einer Gesellschaft, in
der Erwerbsarbeit als Normalmodell gilt, zugleich auch Arbeitgeber sein, was
ihre Rolle als Unternehmer gegenwärtig extrem restringiert. Entsprechend
können sie im Prinzip nur dann Arbeitsplätze wegrationalisieren, wenn sie
dies gegenüber der Öffentlichkeit mit Blick auf das Überleben des
Unternehmens rechtfertigen können. Man muß sich einmal grundsätzlich klar
machen, was das für eine enorme Bremse für die Entwicklung der Wertschöpfung
bedeutet. Noch vor Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, das hohe
Lohnniveau in Deutschland mit dem hohen Qualifikationsgrad der Bevölkerung
in Beziehung zu setzen. Man war sich damals also durchaus bewußt, daß man in
Konkurrenz zu anderen Ländern und Volkswirtschaften stand, gründete aber das
Selbstbewußtsein aus dem gesellschaftlichen Entwicklungsabstand zu anderen
Ländern. Und in der Tat gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem
Lohnniveau, dem Qualifikationsgrad und der Produktivität einer
Volkswirtschaft. Wenn man diesen Zusammenhang jedoch beherzigt, dann muß es
oberstes Ziel sein, den Unternehmern die Möglichkeit der radikalen
Ausnutzung von Rationalisierungsmöglichkeiten zu geben und auch das
Qualifikationsniveau der Bevölkerung weiter befördern. Beides ist ohne ein
ausreichendes, bedinungsloses Grundeinkommen illusorisch. Nur ein solches
Grundeinkommen befreite die Unternehmer grundsätzlich von ihrer Rolle als
Arbeitgeber. Und wohin die gegenwärtige Hochschul-"Reform"-Politik führt,
davon könnte ich ein Lied singen: zu einer Verflachung von Bildung und
Ausbildung und entgegen anderslautender Absichtserklärungen zur
fortschreitenden Beschneidung der Autonomie. Im übrigen tut eine Politik wie
Hartz IV ihr übriges dazu, daß vorhandene Qualifikationspotentiale ungenutzt
bleiben und Menschen in unproduktive Billiglohn-Jobs hineingedrängt werden,
was langfristig natürlich auf eine fortschreitende Dequalifizierung der
Bevölkerung hinauslaufen wird. Man merkt offenbar gar nicht, daß man sich
den Ast eines hohen Qualifikationsniveaus der Bevölkerung und einer
hochproduktiven Wirtschaft als Grundlage für das Lohngefälle zu anderen
Ländern zunehmend absägt, obwohl man eigentlich das Gegenteil zu erreichen
sich vornimmt.

Ein ausreichendes bedingungsloses Grundeinkommen würde nicht nur die
Unternehmer von ihrer Rolle als Arbeitgeber befreien und ihnen ermöglichen,
radikal zu rationalisieren und die Wertschöpfung voranzutreiben. Es würde
zugleich die strukturellen Bedingungen zur geistigen Fortentwicklung von
Technologien und Rationalisierungsmöglichkeiten radikal verbessern, weil die
für kreative Einfälle notwendige Bedingung der Muße in der Breite der
Gesellschaft verfügbar wäre und auch Bildungsprozesse in einem Ausmaß
ermöglichte, was bislang unbekannt war. Hier ist übrigens die
"Open-Source-Bewegung" in der Softwareentwicklung ein instruktiver Fall, der
ahnen läßt, was für Potentiale mit einem Grundeinkommen freigesetzt werden
könnten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zugleich ein in der
Menschheitsgeschichte ungekanntes Ausmaß an Autonomie bereitstellen, und
ohne Autonomie ist gewissermaßen das Schmiermittel der Kreativität.

Mit besten Grüßen
Manuel Franzmann
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