Johannes
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Erstellt: 16.12.08, 23:56 Betreff: Re: Nussschale |
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Die Gestalt auf meiner linken Schulter sah aus wie ein Anwalt, obwohl sie nicht größer war als ein Papagei. Sie hatte einen dieser albernen schwarzen Papphüte mit Bommel auf, die die Absolventen in amerkanischen Highschoolfilmen tragen. Eigentlich hatte sie die Verkleidung als Jurist nicht nötig, aber vermutlich diente die Kopfbedeckung sowieso nur dazu, die Hörner zu verdecken.
"Eine Assoziation ist nach den allgemeinen Regeln der sozialen Kommunikation auch als Reaktion, mithin als Kommentar zu werten. Ein klarer Verstoß gegen das Kommentarverbot der Nussschale!"
An seinem Geplapper merkte man, dass der kleine Anwalt sicher auch ein guter Papagei geworden wäre. Es war ein Teufel, ganz klar. Jeder weiß doch, dass Teufel weder Klumpfüße noch einen abschweifenden Steiß noch Sonnenbrand haben; sie tragen Markensakkos, manchmal mit nichts drunter, haben trendy Bartschnitte, sprechen Szenja und tippen den ganzen Tag auf Blackberries oder iPhones herum. Ganz manchmal tragen sie auch Waffen, gehen in Karaoke-Bars oder beides.
Der Typ auf der anderen Seite hatte gar nichts über die Hörner gezogen. Auch unterhalb der Hörner trug er nur sein Adamskleid, wenn man das bei Teufeln so sagen kann. Das reichte mir dann. Ich schnappte sie beide und warf sie mit einer lange geübten Schwingbewegung in meinen amerikanischen Mülleimer. Den Nackten musste ich etwas nachstopfen, hing er doch erst ziemlich unvorteilhaft in der Klappe. Blöd war nur, dass er kaum ganz hinter der Babyklappe, wie ich sie immer nenne, verschwunden war, und schon änderte sich schlagartig das Szenario. Plötzlich war er Müll außerhalb des Eimers, und das Wohnzimmer darinnen. Nun, Zeit zum Aufräumen wäre auch vorher schon gewesen. Aber manchmal braucht es eben einen Wink mit dem Zaunpfahl.
Ich hatte schließlich eine bessere Idee und ging erst einmal ins Extrakt, eine Kneipe in meinem Lieblingsstadtteil, die immer etwas länger als ortsüblich aufhat, und in der man immer wen trifft. Mein alter Freund Robert lachte sich tot über die Geschichte. Bei ihm säßen immer nur Engel auf der Schulter, die ihn kritisch ob seines Bierkonsums beäugten. Dabei hätten die selber auch alle irgend einen Dreck am stecken. Engel sind die schlimmsten, meinte er. Dann haben wir getauscht. Leider war seine Bude noch dreckiger als mein erweiterter Mülleimer. Dafür habe ich mich mit den Engeln schnell angefreundet. Ich weiß gar nicht, was Robert gegen die hatte. Wenigstens labern die nicht so rum.
Und wegen der Assoziation, da hat sich keiner mehr gemeldet. Es gab da mal einen berühmten Science-fiction-Schriftsteller, der hatte fast alles nur geklaut. Als er dann irgendwann feststellte, dass der, von dem er alles geklaut hatte, alles in der Zukunft von ihm abgeschrieben hatte, war er sehr verwundert. Aber nicht lange, denn das hatte das Zeug zu einer richtig guten Story; die die erste wurde, die er sich wirklich selbst ausgedacht hatte! Auch wenn die Idee natürlich geklaut war. Im Gegensatz zu seinen anderen Geschichten, eigentlich!
Nun, bestraft wurde er schließlich wegen etwas ganz anderem. Die Wände zu den Nachbarn waren ziemlich dünn. Und die beiden Engel hatten, nun ja, ihre Hörner auch schon abgestoßen, wenn man das so sagen mag. Als er dann eines Nachts über den Balkon aus seiner, also aus Roberts Wohnung fliehen musste, weil Gott plötzlich hereingeplatzt kam, und er dann frierend nach Hause in seine alte Wohnung geflitzt war, da stand die Feuerwehr schon vor der Tür. Man sollte halt niemals unbedacht zwei Teufelchen seine Wohnung überlassen geben. Schon gar nicht, wenn man sie vorher in der Klappe seines amerikanischen Mülleimers eingeklemmt hat.
Aber hinterher ist man ja immer schlauer!
Die literarische Störung ist eine Diagnose, die uns allen gestellt werden könnte. (S.L.)
[editiert: 17.12.08, 00:04 von Johannes]
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