Graefinjutsch
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Erstellt: 22.12.08, 01:30 Betreff: Re: Nussschale |
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Kakao
Als Lillys Hand seinen Oberarm berührte, senkte er den Blick und studierte die Haut auf dem Kakao in seiner Tasse. Abgekühlt war er, der Kakao, genauso wie alles andere auch und irgendwie schämte sich Marc dafür, nahm seinen Löffel und hob das Flott vorsichtig ab.
„Entschuldige, Lill.“ „Ich würde alles für Dich tun, Marc, das weißt Du.“ „Ja.“
Es war voll in dem Café. Die Leute wärmten sich nur auf. Die Fenster waren beschlagen, es war November, draußen schon dunkel und es regnete. Drinnen klapperten und redeten die Menschen, alle durcheinander. Marc löffelte und schwieg. Das Flott schmeckte nach dem grauslichen Zeug, das morgens oft im Mundwinkel klebt, wenn man den Abend zuvor zuviel getrunken hatte. Fand Marc und kaute ein wenig darauf herum, spülte es anschließend mit dem lauwarmen Kakao hinunter. Plötzlich verschwand seine Scham. Er hob den Blick und schaute Lilly an.
„Manchmal möchte ich so richtig schön gemein sein, Lill.“ „Mach doch!“ Lillys Augen schauten stur. „Ich habe gestern mit Hanna geschlafen. Das war richtig geil.“ Lilly schwieg. „Und, und letzte Woche, da habe ich Dein Emailkonto bei Hotmail gelöscht. Einfach so, weil ich Lust dazu hatte. Ja, Lilly, das war ich. Hast Du Dich nicht gewundert?“ „Ja, Marc, habe ich.“ Er trat sie unterm Tisch gegen das Schienbein. Lilly schaute ihn nur an. „Hör auf, so zu gucken!“ „Marc, das ist nichts, was Du hier gerade tust. Einfach nichts, verstehst Du?“
Er nahm die Haut ihrer Wange, zwischen Daumen und Zeigefinger nahm er sie und drückte zu. Je fester er kniff, desto mehr Farbe bekam Lilly im Gesicht. Als ihre Tränen in die Kakaotasse, auf das Flott ihres eigenen abgekühlten Kakaos tropften und dort eine Pfütze bildeten, meinte Lilly nur: „Ich liebe Dich.“ „Lass das! Ich will das nicht hören! Hör auf damit! Sofort!“
Er trat noch einmal zu. Dann ein drittes Mal, fester. Dabei hielt er ihre Wange zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte und drückte und die dicke Frau am Nachbarstisch starrte empört zu ihnen herüber. „Ich liebe Dich, Marc, und Du wirst nichts daran ändern können.“ „Ich hasse Deinen schlaffen Arsch und Deine schmierige Liebe und Deine blöden gefüllten Käsetaschen und die Geräusche, die Du beim Sex immer machst. Ich hasse Dich! Ich hasse Dich, Lilly!“ Lillys Tränen liefen. Die dicke Frau beugte sich ein wenig vor. „Warum tun Sie das, junger Mann? Das Mädchen weint doch schon!“ „Halt’ s Maul, Wachtel!“ Ein Herr vom gegenüberliegenden Tisch mischte sich ein. „Soll ich der Bedienung Bescheid geben? Die könnte diesen unverschämten Bengel rausschmeißen.“ Er sprach mit Lilly. „Darum geht es doch gar nicht.“, antwortete sie ihm und starrte zu Marc. „Wie bitte?“ Der Mann war irritiert. Lilly fingerte ihr Handy aus der Handtasche. Dabei fixierte sie Marc, sprach aber mit dem Herrn. „Es geht um Liebe und da müssen Sie sich nicht einmischen.“ Sie wählte und hielt sich das Handy ans Ohr. Marc kniff weiter, der Mann und die dicke Frau starrten fassungslos und Lilly sprach ins Gerät. „Mam? Hi, ich bin’s, Lilly! Ich wollte nur sagen, Marc und ich werden heiraten.“ Marc trat ein weiteres Mal zu. Dann nahm er ihr das Handy vom Ohr, schmiss es auf den Boden, trat drauf, ließ unversehens von ihrer Wange ab und trank den letzten Schluck Kakao. Er schüttelte sich und Lilly tat es ihm gleich.
„Wann?“, fragte er nach einer kurzen Pause. „Nächsten Monat?“ „Okay, Lilly, Du machst den Termin bei Pastor Meier. 23.12., wenn’s geht. Aber Du weißt, ich hasse Dich.“ „Ja, Marc, ich weiß.“
Die dicke Dame erhob sich, nahm ihren Mantel und ihre Tasche, verließ kopfschüttelnd ihren Platz und ging zum Zahlen an den Tresen. Der Herr von der anderen Seite wollte noch nicht kapitulieren. „Ihr solltet nicht heiraten, Ihr jungen Leute. Schon gar nicht zu Weihnachten. Das kann doch nicht gut gehen!“ Lilly langt herüber zum Mann und kniff ihn in die bärtige Wange. Die Stoppeln pieksten sie augenscheinlich in die Finger. Darüber musste Marc lachen.
„Aua!“, protestierte der Herr und schlug ihren Arm weg. „Haben Sie das gemerkt?“ „Tat weh! Was glaubst Du denn!“ „Eben.“ „Ach nee! Was ist denn das für ein neumodischer Krams!?“ Lilly zeigte auf den schillernden Fleck an ihrer Wange. „Das System ist so alt, wie die Menschheit.“
Marc lachte sehr laut. Er musste sich den Bauch halten. Alle Gäste im Café schauten inzwischen zu ihnen herüber. Deshalb holte Lilly auch aus und schlug Marc mit der Faust direkt ins Gesicht. Sie traf seine Nase, es knackte ein wenig, ihm wurde heiß und schwindelig und er fühlte das Blut hervor schießen. „Komm, komm, komm!“, meinte Lilly gleich darauf, während sie blitzschnell um das Tischchen herumging und seinen Oberkörper nach vorn drückte. So konnte sein Blut von oben in die leere Kakaotasse strömen. „Ihr spinnt doch!“, rief der Mann vom Nebentisch, klopfte sich an die Stirn und ging. An der Tür stieß er beinahe mit dem Polizisten zusammen, der gerade hereinkam, wohl, weil er gerufen wurde. „Dahinten sind die Idioten!“, sagte der Bartstoppelherr und drängelte sich in den Regen hinaus.
Marc spürte den dicken, roten Fluss des Blutes. Er atmete durch den Mund. In seinem Kopf pulsierte es. Von unten, von ganz tief unten aus seinem Bauch ließ er ein Gefühl aufsteigen. Es stieg solange auf, bis es ihm durch die Nase heraus in seine Tasse tropften konnte. Lilly hielt Marc an den Schultern fest und sprach dabei mit dem Uniformierten. Er nahm ihre Personalien auf und ging dann wieder. So ein Glück aber auch, dachte Marc und schämte sich nicht.
„Willst Du das Flott noch?“ „Nein danke, Schatz. Du?“ „Ja, gern.“
Lilly löffelte Marcs Tasse leer. Es hatte sich noch kein Flott auf dem Blut bilden können, das wusste Marc. Er hielt sich ein Taschentuch vor die Nasenöffnung, hob seine freie Hand und bestellte bei der herangeeilten Bedienung frischen Kakao. Diesmal mit Sahne.
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