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Erstellt: 31.12.03, 20:45 Betreff: Mythos kostenlose Bildung und Privatclub Wissensgesellschaft
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Mythos kostenlose Bildung und ein Privatclub namens Wissensgesellschaft
Wohin die Politik die Bildung in Deutschland steuern möchte, ist zwar nicht ganz klar, aber es hat mit Gebühren zu tun. Diese sollen nämlich in Form von Studiengebühren endlich auch im Bildungsbereich das Verursacherprinzip durchsetzen. Dabei zeigt sich, dass der Staat so oder so nur noch bedingt für die Bildung zuständig ist. Wie die PISA-Studie zu Recht bemängelt, liegen die staatlichen Ausgaben für Bildung in Deutschland unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Rechnet man allerdings die privaten Bildungsausgaben hinzu, dann scheint wieder die Sonne, jedenfalls für die, die es sich leisten können.
Praxisgebühr und Riester-Rente werden heiß und kontrovers diskutiert. Dies sind ja auch wichtige Themen, die alle betreffen, früher oder später. In einer Informations- und Wissensgesellschaft ist aber auch Bildung das zentrale Thema. Tatsächlich werden in dieser weniger öffentlich geführten Reformdebatte Argumente in 256 schillernden Farben vorgebracht, obwohl das, was man der Gesellschaft hier schmackhaft machen möchte, auch schwarz auf weiß in Printform jeden Morgen auf einem wohlsortierten Frühstückstisch zu finden ist: Der Rückzug des Staates aus seinen bisherigen Aufgaben, politisch gesprochen: Sparen; konkret gesagt: Privatisierung.
Bei wem das Wort Privatisierung nun Assoziationen hervorruft, könnte richtig liegen. Hier finden nicht nur die nationalen Reformdebatten, sondern auch die internationale Ebene von Globalisierung (Kultur), Neoliberalismus (Ökonomie) und Informationsgesellschaft (Copyright, Patente) ihren direkten Anschluss.
Wissensarbeiter als Problem
Das oft wiederholte (Schein-)Argument ist: Der "Kostentreiber Student" soll nicht mehr umsonst die blühenden Hochschullandschaften genießen können, während die abhängig Beschäftigten mit ihren Steuern die Zeche zahlen, aber nichts davon haben. Nun sollen Studiengebühren hier endlich wieder Gerechtigkeit schaffen.
Allerdings wirft das Argument bei näherer Betrachtung viele Fragen auf: Ist Bildung umsonst, weil alle sich an den Kosten beteiligen? Warum studieren immer noch so wenige Kinder abhängig Beschäftigter an den Hochschulen, so dass deren "Kosten-Nutzen-Relation" so schlecht ist? Hat nicht die ganze (Wissens-)Gesellschaft ihren Nutzen an gut ausgebildeten Akademikern, ja sind sie nicht sogar Grundlage derselbigen? Während der Putz von den Schulwänden abfällt, SchülerInnen und Studierende sich ihre Bücher selber kaufen dürfen, und an den Universitäten der Platz langsam knapp wird, expandiert als einer der dynamischsten Wachstumsmärkte in Deutschland schon seit Jahren der private Bildungsmarkt, also Nachhilfe und Weiterbildung aller Art.
Zugang zur Wissensgesellschaft
"Die Deutschen besitzen die Gabe, Wissenschaften unzugänglich zu machen", schrieb Goethe einmal vor langer Zeit. In Vergangenheit und Gegenwart ist für die Zugänglichkeit zu Bildung in Deutschland die Herkunft und der sozioökonomische Hintergrund der Eltern entscheidender gewesen, als alle anderen Faktoren, sogar entscheidender als in den angeblich so "elitenzentrierten" USA. Da dies für eine Wissensgesellschaft nicht angehen konnte, traf man folgenden Entschluss: Was dieser Hintergrund nicht auffangen konnte, wollte man seit Anfang der 70er Jahre mit strukturellen Reformen ausgleichen. Studiengebühren wurden abgeschafft, das Bafög wurde eingeführt, also die Hochschulen breiteren Bevölkerungsschichten geöffnet. Es machte der Spruch von der "Aktivierung der Bildungsreserven" die Runde.
Diese "Bildungsreserven" gibt es natürlich auch heute noch, und sie werden auch heute noch am Ende eines jeden Monats auf ihrem Konto daran erinnert, dass das Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) deshalb geschaffen wurde, weil ein Studium keineswegs kostenlos ist, auch ohne Studiengebühren. Ob man solche Wissensarbeiter in den darbenden Hochschulen noch benötigt, scheint wiederum nicht ganz klar, wird doch deren ökonomische Lage, und die von vielen anderen, von der angepeilten Gebührenordnung verschärft, mithin so verschärft, dass sich viele aus den Universitäten verabschieden werden müssen. Abgesehen davon, dass es Studiengebühren partiell schon gibt, lebt es sich ja schließlich auch als Student nicht von Luft und Liebe allein. Die Lösung liegt vielleicht im Problem begründet. Wie konnte es nur zu dieser angeblich verzwickten Situation kommen?
Erhellt wird die Bildungsszene von heute durch einen Blick in die Vergangenheit: Vergaß man doch tatsächlich nach der oben beschriebenen Bildungsexpansion der 70er Jahre, parallel zu dem Mehr an Studenten, den Hochschulen die entsprechend höheren Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die Hochschulpolitik der letzten 30 Jahre blieb beim "Immer-mehr-in-die-Hochschulen-Hinein-Prinzip" und ließ das "Immer-besser-aus-den-Hochschulen-Hinaus" einfach wegfallen. Die Folgen heute: hohe Abbruchquoten, zu wenig Innovationsfähigkeit, zu wenig Motivation aller Beteiligten, hoher brain drain ins Ausland, schlechte Bibliotheksausstattung, lange Studienzeiten, und ständig steigende private Kosten für ein Studium. Trotzdem müssen die Universitäten mit immer weniger Geld auskommen.
Privatclub Wissensgesellschaft
Den genannten, einer Wissensgesellschaft unwürdigen Bedingungen, insbesondere wenn sie im Land der Dichter und Denker gedeihen soll, will die Politik nun also mit dem Steuerungselement von (Studien-)Gebühren entgegentreten. Diese Maßnahme geht weit über die jetzt schon vorhandenen Kompensationsnotwendigkeiten aufgrund der Mängel des Bildungssystems durch Möglichkeiten des Zukaufs auf dem privaten Bildungsmarkt hinaus.
Müssen sich Eltern für ihre Kinder schon jetzt Bücher und Nachhilfe erkaufen, ganz abgesehen von Kindergarten- und Kitagebühren, muss zukünftig wohl auch der Hochschulbesuch extra finanziell abgesichert werden. Ob das Familien mit unteren und mittleren Einkommen bewerkstelligen können, bleibt abzuwarten. Wenn nicht, muss über die Folgen für die ganze Gesellschaft diskutiert werden, hat Intelligenz, Fleiß, Können, Wissen und Freude am Forschen doch keinen Geldbeutel.
Eins scheint klar zu sein: Stipendien und Fördermaßnahmen können bei der heutigen Ungleichverteilung von Bildungschancen niemals einen freien Zugang zu den Hochschulen kompensieren. Außerdem wäre ein Stipendienmodell zum Großteil auch nichts anderes als eine weitere Privatisierungsmaßnahme.
Heute kostet ein selbstfinanziertes Studium in den USA einen ansehnlichen fünfstelligen Betrag. Wäre dies in Deutschland auch so, wäre solch ein Risiko zu tragen für alle Studenten wie eine Wette auf die Zukunft. Für die Reichen weniger, für die Armen mehr. Insofern ist dies also auch eine Risikoverschiebung von der solidarischen Gemeinschaft auf das einzelne Individuum und vom Zeitpunkt der Bezahlung, also der Gegenwart, in Richtung Zukunft, wenn man so will, also eine Privatisierung des Risikos. Auch ein diskussionswürdiger Aspekt, verbirgt sich doch dahinter die Infragestellung des sozialen Rechtsstaates, wie er in der Gesetzesbegründung der Bildungsreformen der 70er Jahre definiert wurde:
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Der soziale Rechtsstaat, der soziale Unterschiede durch eine differenzierte Sozialordnung auszugleichen hat, ist verpflichtet, durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit hinzuwirken.
Ein Telepolis Artikel: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/16395/1.html
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