sapphire
Meister
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Erstellt: 08.10.07, 20:26 Betreff: FAZ von heute... |
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FAZ von heute:
Glosse Politik Ohne Beweise
08. Oktober 2007 Anfangs sah es so aus, als habe das Ausland guten Grund gehabt, sich mit weisen Kommentaren zum Fall Marco W. zurückzuhalten. Auch in westlichen Staaten wird ein Siebzehnjähriger in Untersuchungshaft genommen, wenn er einer Vergewaltigung dringend verdächtig ist und Fluchtgefahr besteht. Die Beweislage lässt sich aus der Ferne schlecht beurteilen; ein Vertrauensvorschuss gebührt zunächst der türkischen Justiz und nicht einer reißerischen Berichterstattung. Doch hat sich die Lage geändert - dadurch dass sich nichts ändert: Seit bald einem halben Jahr sitzt der deutsche Jugendliche in Untersuchungshaft, offenbar ohne dass das ihn eines Verbrechens bezichtigende britische Mädchen ordentlich vernommen wurde. Es wäre schlimm genug, sollten sich deren Eltern tatsächlich weigern, an der zügigen Aufklärung des Vorfalls mitzuwirken. Doch schlimmer - und ein Politikum - ist es, wenn sich das türkische Gericht einer Entlassung von Marco W. aus der Haft mit der Begründung widersetzt, die Beweisaufnahme sei noch nicht abgeschlossen. Sollen die Zeugin und deren Eltern, die sich eine harte Bestrafung des Jugendlichen wünschen, über die Dauer der Freiheitsentziehung bestimmen - und vielleicht dann in zehn Jahren aussagen? Immerhin haben erste Gutachten und ein Bekannter des britischen Mädchens den Deutschen entlastet.
Womöglich will das türkische Gericht hier auf besondere Art seine Unabhängigkeit am Beispiel eines EU-Ausländers demonstrieren. Oder ist der Fall gar symptomatisch für die Justiz des Landes? Es war durchaus angebracht, dass sich jetzt sogar der Brüsseler Erweiterungskommissar Rehn zu dem Fall geäußert hat. Man muss hier nicht gleich deutsche Maßstäbe anlegen, darf aber wohl darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder Gerichte ermahnen muss, über Untersuchungshaftsachen schnell zu entscheiden. Gelegentlich mussten sogar mutmaßliche Schwerverbrecher vor ihrem Verfahren freigelassen werden, weil etwa aus vermeintlicher Überlastung des Gerichts über ihre Sache nicht in der gebotenen Frist entschieden wurde. Doch gibt es keine andere Möglichkeit: Die Freiheit der Person und die Unschuldsvermutung gehören zum Fundament jeder rechtsstaatlichen Ordnung. Wer diese Grundrechte nicht achtet, ist nicht Teil einer solchen Ordnung - und kann ihr auch nicht beitreten. Mü. Text: F.A.Z., 09.10.2007, Nr. 234 / Seite 12
http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E442F3A3CF50B43CC982821AD3510A331~ATpl~Ecommon~Scontent.html
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