"Für die meisten erstmal eine Katastrophe"
Immer mehr Teenager werden schwanger
Von Sandra Schmitt
Die Zahl schwangerer Minderjähriger steigt. Wo liegen die Ursachen? Aus welchem Umfeld kommen die Mädchen? Welche Perspektiven haben sie? wdr.de sprach mit Beraterinnen und betroffenen jungen Frauen.
Entscheidung für das Kind
"Für die meisten, die in unsere Beratungsstelle kommen, ist es erstmal eine Katastrophe", sagt Martina Debus-Crott über die schwangeren Mädchen, die bei ihr Hilfe suchen. Debus-Crott ist Sozialberaterin bei der Beratungsstelle1 Pro-Familia im Kölner Stadtteil Chorweiler. Manche Mädchen erleben ihre Situation als bedrohlich. Vor allem, wenn sie keinen Menschen haben, dem sie vertrauen können, der für sie da ist. Insbesondere, wenn die Mädchen im Heim oder in einer zerrütteten Familie leben, seien sie in Panik, weil keiner "es" wissen darf.
Minderjährig und schwanger: Im Jahr 2004 haben in NRW 1.532 Mädchen unter 18 Jahren einen Schwangerschaftsabbruch2 vorgenommen, 146 davon waren jünger als 15. Zum Vergleich: Im Jahr 1996 lag die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei Minderjährigen noch bei 910 (davon 62 unter 15 Jahre alt). Im Jahr 2003 brachten 1.602 minderjährige Mütter ein Kind zur Welt (für das Jahr 2004 liegen noch keine offiziellen Zahlen vor.). Während die Zahl der Geburten insgesamt in Deutschland rückläufig bleibt, steigt die Zahl minderjähriger Eltern kontinuierlich.
Ein Kind als Perspektive?
Im Durchschnitt berät Debus-Crott zwei schwangere Minderjährige pro Monat: "Aber das kann man nicht verallgemeinern. Es sind eher Wellenbewegungen, wochenlang kommt kein Mädchen, dann auf einmal mehrere gleich hintereinander." Das landläufige Vorurteil, die Mädchen kämen überwiegend aus unteren sozialen Schichten, kann die Beraterin nicht bestätigen. Aber: "Je schwieriger die sozialen Bedingungen sind, desto eher entscheiden sich die Mädchen für das Kind." Sie hätten wenige Perspektiven, oft keinen Schulabschluss, es sei schwierig für sie, ins Berufsleben zu kommen. Sie hätten selbst kein intaktes Familienleben erfahren, und ihre Sehnsucht danach sei entsprechend groß. "Sie haben die Vorstellung, dass das dann schon so klappt." Das Kind scheint eine Perspektive zu sein, eine Aufgabe und eine gesellschaftliche Rolle, die Sicherheit bietet, Anerkennung und finanzielle Unterstützung.
Konsequenzen nicht bewusst
Martina Hartmann von Donum Vitae
Ein Trugschluss. Denn tatsächlich steht den Mädchen - in den meisten Fällen - ein steiniger Weg bevor. Viele brechen ihre Schulausbildung ab, die Beziehung zum Kindsvater - womöglich selbst minderjährig - zerbricht sehr oft spätestens ein bis zwei Jahre nach der Geburt. "Die Jungs haben oft noch weniger Kraft als die Mädchen", erklärt Martina Hartmann von der Beratungsstelle1 Donum Vitae in Aachen. Etwa ein Viertel der Frauen, die in ihre Beratungsstelle kommen, sind unter 20. Donum Vitae bietet Einzelgespräche, betreut aber auch eine Gruppe junger Mütter - etwa sechs bis zehn Mädchen und Frauen, die sich regelmäßig treffen. Vielen von ihnen seien die Konsequenzen einer Schwangerschaft zuvor gar nicht bewusst gewesen.
Aufklären über das Leben
Daher bedeutet Aufklärung für Martina Hartmann wie für Martina Debus-Crott mehr als bloß Reden über körperliche Vorgänge und ein bisschen Verhütung. Man müsse über das Szenario sprechen: "Was passiert, wenn man schwanger ist?" Und zwar bevor ein Mädchen schwanger werden kann. Aufklärung, das sei vor allem auch Sprechen über Lebensperspektiven, sind sich die beiden Frauen einig. "Es gibt immer mehr Lehrer, die bei uns um Informationsgespräche bitten", sagt Debus-Crott. Das mache schon ab der 4. Klasse Sinn. Denn das erste Mal passiere immer früher und in den meisten Fällen völlig überraschend. Das belegt auch eine Studie3 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Knapp 15 Prozent der Mädchen sind beim ersten Mal 14 Jahre alt. Die meisten Jungen und Mädchen verhüten dabei mit Kondomen. "Aber eben nicht konsequent", sagt Debus-Crott.
Oder aber ihnen ist beispielsweise nicht bewusst, dass die Einnahme von Medikamenten die Wirkung der Pille beeinträchtigen kann - wie etwa im Fall der 17-jährigen Sandra . Mehr Offenheit, mehr Gespräche, fordern die Beraterinnen. Und wissen trotz allem: "Wo Sexualität ist, gibt es auch ungewollte Schwangerschaften."
Liebe und Geborgenheit fürs Kind
Ihre Entscheidung für das Kind bereuen die Mädchen und jungen Frauen, die Martina Hartmann betreut, zumeist nicht: "Sie sind zwar traurig, wenn sie mit ihm allein sind. Aber sie versuchen, ihrem Kind all die Liebe und Geborgenheit zu geben, die ihnen fehlt." Und wenn der Kindsvater bei der Familie bleibt - wie etwa bei der 18-jährigen Semat "Da fliegen zwar oft richtig die Fetzen", sagt Martina Hartmann. Die Stimmung sei himmelhoch jauchzend, und dann zu Tode betrübt - "aber irgendwie kriegen sie es hin".
"Bei mancher 30-Jährigen mache ich mir mehr Sorgen"
Verantwortung bewusst übernehmen
Doch bei aller Zuversicht - kann ein minderjähriges Mädchen eine verantwortungsvolle Mutter sein? "Klar gibt es Fälle, in denen ich denke: 'das arme Kind!'", sagt Martina Hartmann. Aber daran sei nicht unbedingt das Alter der werdenden Mutter schuld. Bei mancher 30-Jährigen mache sie sich mehr Sorgen. Unter guten Umständen könne ein Mädchen die Verantwortung für ein Kind ganz bewusst übernehmen. Insbesondere, wenn es in einer Abtreibung keine Alternative sieht, wenn das Mädchen die psychische Stärke besitzt, einen Partner hat, Eltern - eine verlässliche Vertrauensperson eben - oder andere funktionierende soziale Sicherungssysteme. "Aber solch optimale Bedingungen stehen den jungen Frauen in der Realität leider nur sehr selten zur Verfügung", gibt Martina Debus-Crott zu bedenken. Minderjährige Mütter seien mit der Verantwortung für ein Kind im Alltag oft überfordert.
Lieb Grüßt Sandra