Lieber Tom,
was ist denn daran putzig? Ich habe nur viel zu spät eingesehen, dass ich Jörg viel zu lange Unrecht getan habe. Jeder Mensch sollte das Recht haben, eine zweite Chance zu bekommen. Gut - dass Jörg in diesem Jahr bereits seine siebenundzwanzigste Chance bekommt, steht auf einem anderen Blatt. Aber dennoch ist er einer von uns! ... ein Bruder! Mehr noch: ... zwei Brüder - oder meinetwegen sogar: wie eine Schwester. Oder auch Brüderchen und Schwesterchen. Ich habe ihn im Laufe der Zeit richtig lieb gewonnen. Er ist ein Teil von mir. Früher hätte ich gesagt: "mein Hinterteil!" Aber heute sehe ich das anders, seit ich weiß, wie oft ich ihm mit meinen dummen Bemerkungen sehr weh getan habe. Und ich möchte doch niemanden wehtun. Schon gar nicht Jörg. Ich will nicht länger Schuld daran sein, dass Jörg abends beim Abendessen sitzt, und über sein zartes Gesicht bittere Tränen der Verzweiflung kullern - direkt auf seine Kartoffeln. Und das alles nur, weil ich mich mit meinen bitterbösen Kommentaren wieder einmal nicht zurückhalten kann. Aber das ist jetzt vorbei, denn ich habe eingesehen, dass ich viele Fehler gemacht habe. Wie steht es schon im großen Drehbuch unseres Lebens: "Was siehst du den Dorn im Auge deines Bruders, siehst aber den Balken in deinem eigenen Auge nicht?" So ist es. Jahrelang habe ich auf Jörg's Fehlern rumgeritten. Das war falsch! Jetzt weiß ich es, denn ich habe gelernt, seine Fehler nicht abwertend zu betrachten, sondern sie vielmehr als kleine schrullige Macken eines liebenswerten Geschöpfes Gottes zu sehen. Ich hoffe, dass Jörg mir verzeihen kann. Und würde ich Jörg heute begegnen, so würde ich auf ihn zugehen, ihn in meine Arme nehmen und zu ihm sprechen: "Bruder!"
Früher, da hätte ich ihm was in die Fresse gehauen. Dafür schäme ich mich heute. Und darum reiche ich ihm heute meine Hand, lächle ihn an und rufe ihm zu: "Jörg - ich möchte ein Kind von dir!"
Dein
arne
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"Bei A. Rany gibt es immer wieder was auf die Öhrchen!"