KerstinB
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Erstellt: 23.05.06, 18:19 Betreff: Re: Die Söhne bei der WM |
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Wir sind Patrioten
„Wir spielen hoffentlich tollen Fußball, aber verlieren im Finale.“ – Boris Becker und Xavier Naidoo über die Last und Lust, Deutscher zu sein
Es war Boris Beckers Wunsch, das MAX-Gespräch über Heimat, Patriotismus und den Alltag als Helden gemeinsam mit Xavier Naidoo zu führen. Die beiden kennen sich schon seit gut zehn Jahren, beide sind sie Badische, die sich auf Anhieb sympathisch waren. „Bevor ich ihn das erste Mal traf, dachte ich, der Boris ist einer, der sich gern reden hört. Und dann stellte sich heraus, dass er ein guter Zuhörer ist“, sagt der Musiker Naidoo.
Boris Becker Ich habe mich mit Dir Xavier, schon mal bei mir zu Hause über unsere Heimat unerhalten – erinnerst Du Dich daran? Ich weiß das noch, weil ich immer von England geschwärmt habe und du zu mir gesagt hast: Bleib doch mal zu Hause. Bei uns in Mannheim ist es auch schön.
Xavier Naidoo Weil ich gespürt habe, dass du heimatlos bist. Ich wollte Dir Heimat vermitteln.
Becker Ich habe natürlich ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland. Ich sehe einerseits deutscher aus als deutsch, ich habe für das Land 15 Jahre als Tennisspieler gekämpft, andererseits habe ich meine Heimat teilweise sehr hart kritisiert. Ich bin gern hier, das ist mein Zuhause, hier kann ich meine Muttersprache sprechen. Aber leben kann ich hier nicht. Oder besser: Man lässt mich hier nicht, denn ich habe es ja zehn Jahre probiert, was damit endete, dass ich fast ins Gefängnis musste. Hast du schlimme Erfahrungen gemacht?
Naidoo Ich bin mal als Kind bei einem Fußballspiel den Zaun raufgeklettert, um besser sehen zu können, und da hat mich einer angeschrieen: „Bimbo, was machst denn du da oben? Ey, Bimbo, weg da!“ Ich wusste gar nicht, was Bimbo heißt. Ich habe erst gar nicht begriffen, dass der mich meint. Und dann bin ich völlig aufgelöst nach Hause gerannt. Meine Mutter hat sofort die richtigen Worte gefunden. Sie hat nicht mit Hass reagiert, sondern mir gesagt: „Du bist was wert. Schau dir an, wo du herkommst“. Und das hat mich ins Lot gerückt.
Becker Wo bist du geboren?
Naidoo Ich bin in Mannheim geboren, aber meine Mutter sagte zu mir: „Du hast königliches Blut in den Adern. Deine Vorfahren in Südafrika waren Häuptlinge, dein Urgroßvater war Richter. Und auch wenn wir hier jetzt arm sind, so haben wir andere Werte.“ Meine Vater hat Schicht gearbeitet und deswegen musste ich zu Hause immer sehr leise sein – ich kann bis heute nicht laut sein, selbst wenn ich Besuch habe, sage ich: „Psst, seid leise, die Nachbarn!“ So streng bin ich erzogen worden. Meine Mutter war unter der Woche Putzfrau, aber wenn sie irgendwohin gegangen ist, war sie gekleidet wie eine Königin. Sie war Schneiderin, hat unter anderem für die Beatles und andere Top-Musiker in London geschneidert. Und von daher hab ich immer gewusst: Das, was zählt, ist in dir.
Becker Die Welt war Mitte der Achtziger, Anfang der Neunziger schon mal freundlicher für Ausländer, entspannter. Ich fürchte, dass auch in der Ausländerfrage die Schere weiter auseinander geht. In Deutschland gibt es jetzt die guten Ausländer und die bösen Ausländer. Meines Erachtens ist es auch aus diesem Grund bei der Fußball-WM wichtiger, wie wir uns als Gastgeber verhalten: Uns wird hoffentlich die beste Organisation aller Zeiten gelingen, die Stadien werden voll sein, die Sonne wird scheinen, aber in meinen Augen darf die Mannschaft nicht den Titel gewinnen. Das wäre für ein positiveres Deutschlandbild schon etwas zu viel. Okay, das ist jetzt ein bisschen zynisch, aber im Kern dieser Aussage steckt doch viel Wahrheit. Wenn wir gute Gastgeber sind, lassen wir einer anderen Nation den Vortritt. Wir spielen hoffentlich tollen Fußball, aber verlieren spätestens im Finale. Interview: Annette Utermark, Christian Krug und Hansjörg Falz
____________________ "Try to get away for good Leaving on a train Find that all that matters to me Blew away with the wind"
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