Samu Haber: "Das Kreischen hat auch abgelenkt" Sunrise Avenue gehören aktuell zu den erfolgreichsten Rockbands Skandinaviens. Gerade haben die Finnen ihr drittes Studioalbum "Out Of Style" herausgebracht. Am 31. März war Sänger Samu Haber zu Besuch bei NDR 2, um das neue Album vorzustellen, Fans zu treffen und natürlich für ein Interview.
Als ihr das letzte Mal hier wart, habt ihr euer Album "Popgasm" präsentiert. Inzwischen ist eure Karriere vorangekommen. Wo immer du hinkommst, die Leute freuen sich, hier und da entsteht sogar Hysterie. Was ist in den letzten zwei Jahren mit dir und Sunrise Avenue passiert? Samu Haber: Hysterie? Weiß ich nicht. Es ist aber ein gutes Gefühl, willkommen zu sein. Beim letzten Mal waren wir vielleicht auch noch etwas angespannter, da hatten wir gerade unser zweites Album veröffentlich - da ist man immer etwas unsicher.
Klingt so, als hättet ihr Hindernisse überwinden müssen. Na ja, das zweite Album ist immer schwer. Unser erstes Album war sehr erfolgreich, und so haben dann an die 20 Leute versucht, uns beim zweiten Album reinzureden. Das war nicht so toll. Wir haben uns dann auch noch von unserem Gitarristen getrennt, der uns ganze drei Jahre den Prozess gemacht hat. Jetzt ist alles geregelt, wir haben uns die Hände gereicht. Auch wenn wir uns nicht in Freundschaft getrennt haben, geht jetzt alles wieder seinen Gang. Es war also gut was los.
Und dann wart ihr ja auch noch fleißig auf Tour, mit wachsendem Publikum. Hat sich das verändert? Ich muss sagen, unser Publikum gefällt mir heute viel besser. Wie sind aktuell in Finnland auf Tour. Und da ist mir zumindest aufgefallen, dass ich auch schon Paare sehe, also nicht nur Mädchen. Klar, das ganze Angekreischtwerden am Anfang hatte auch was für sich, aber jetzt sehe ich auch etwas ältere Fans. Für mich ist das ein Zeichen, dass die wegen unserer Musik kommen - das finde ich schön. Das Kreischen hat einfach auch abgelenkt. Nach etwa 2.000 gespielten Shows ist man dann auch etwas abgehangener. Wenn mal was schief geht - eine Gitarrensaite reißt zum Beispiel - ist das nicht das Ende der Welt.
Ist doch schön, dann seid ihr also entspannt bei der Sache. Ja, aber dazu muss man erst mal Höhen und Tiefen durchgemacht haben. Es gab sogar Situationen während der Aufnahmen zum dritten Album, bei denen ich mich gefragt habe, ob ich das alles wirklich machen möchte. Denn es ist nicht immer einfach. Aber wenn man die Gitarre wieder in die Hand nimmt, weiß man: Das ist wahre Liebe!
Und wahre Medizin. Wenn einem zum Beispiel vor Liebeskummer das Herz ächzt, kann Musik auch trösten, findest Du nicht? Ach ja! Ich kann nur jedem empfehlen, sich eine Gibson "Sheryl Crow" [eine recht edle Elektro-Akustik-Gitarre / die Red.] zu besorgen. Vielleicht passiert nichts voll Abgefahrenes, aber wenn es ein November Abend ist und niemand Dich anruft oder deine SMS beantwortet, und Du sitzt auf dem Sofa, mit einem, sagen wir, Glas Milch, dann nimm die Gitarre und spiel was. Das fühlt sich dann wirklich toll an!
Kann man bei so vielen Touren überhaupt noch auf dem Boden bleiben? Ich glaub, man muss schon ein bisschen verrückt sein, um diesen Job machen zu können. Allzu bodenständig darf man dabei gar nicht sein. Andererseits habe ich bis heute noch Angst davor, vor einem leeren Haus aufzutreten. Selbst wenn mir die Jungs sagen: "Jetzt reiß dich mal zusammen! Hast du die Zahlen vom Vorverkauf gesehen? Wir sind ausverkauft!" Dann sage ich: "Und wenn doch keiner kommt?" Ich weiß nicht, ob ich diese Unsicherheit noch mal loswerde. Vor der Veröffentlichung des neuen Albums hatte ich einen Albtraum über die Show, bei der wir es vorstellen wollten. Wir stellten unsere neuen Songs vor, spielten sie so laut und so gut, wie wir nur konnten. Doch das Publikum stand nur da, mit verschränkten Armen und schüttelte den Kopf als wollte es sagen: Spielt endlich die alten Songs!
Da würde ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen ... Ich glaube, dass manche Menschen sich wie Stars aufführen, weil sie im Grunde sehr unsicher sind. Du musst deinen Job machen, jeden Tag haufenweise Interviews geben, Songs spielen, auch wenn du dich vielleicht gerade nicht so gut fühlst, vielleicht benimmst du dich dabei schon mal idiotisch. Ich hoffe für mich, dass ich nicht wie ein Riesenarsch rüberkomme, oder dass ich mal einer werde.
Denke ich nicht, wir mögen Dich hier! Das freut mich zu hören. Also hast Du mir nichts in den Kaffee getan?
Nö, keine Sorge. Anderes Thema. Heute bist Du alleine hier, vor zwei Jahren hattest Du Deinen Schlagzeuger dabei. Richtig, Sami war mit mir hier.
Als Sänger bist du eine Art Aushängeschild der Band und bekommst oft die ganze Aufmerksamkeit. Gibt es da nicht auch mal Eifersucht? Ist das für die Band okay? Wir alle sind Sunrise Avenue. Der Spirit in der Band ist toll, es war noch nie so ausgeglichen wie jetzt - und die Jungs wissen, dass ich hier auch harte Arbeit leiste. Unser Schlagzeuger Sami zum Beispiel mag überhaupt keine Interviews geben. Er fragt eher: "Muss ich das machen? kann ich nicht lieber Schlagzeug spielen?"
Kann man sagen, dass dein Leben jetzt ist wie ein Traum, der wahrgeworden ist? Ja, es gibt viel Gutes und viele Herausforderungen, wie im Leben anderer auch. Bei diesem Album ist es so, dass ich mich natürlich schon über die Chartplatzierungen freue, ich mir aber weiter keine Gedanken machen will. Ich möchte jetzt einfach mal genießen. Ich weiß, wir alle haben unser Bestes gegeben. Und ich glaube, wenn mir auch weiter danach ist, Musik zu machen, werde ich das auch tun. Ganz sicher ist man nie.
Das heißt, du bist nicht vollends auf die Band fixiert? Nein, ich will auch noch was anderes machen. Nächste Woche bin ich in Finnland, da werde ich zwei Wochenlang auf Seminaren über Unterhaltungsindustrie referieren, das macht mir total Spaß. Außerdem schreibe ich gerade an einem Buch über die letzten zehn Jahre. Und was die nächsten 10, 15, 20 Jahre betrifft, da sehe ich mich selbst als Manager einer Band. Ich bleibe da offen. Das hier ist bestimmt nicht die einzige Chance, die das Leben zu bieten hat.
"Out Of Style" habt ihr zum Teil in Los Angeles aufgenommen, dem Eldorado des Showbusiness. Wie war das? Ein harter Trip. Kann ich nicht wirklich empfehlen. Das sollte man nur machen, wenn man weiß, was man will. Es hat mich aber auch stärker gemacht. Und natürlich war das auch toll, die Speerspitze der professionellen Songschreiber zu treffen. Da waren Leute, die schreiben für Bon Jovi, John Mayer, Avril Lavigne, Pink. Ich habe auch die Leute getroffen, die den Bodyguard Soundtrack gemacht haben. Schon eine tolle Sache. Die Songs, die ich mit denen zusammen gemacht habe, waren auch total gut und sind immer noch auf meinem Laptop. Aber auf dem Album sind die nicht. Die klangen einfach nicht nach Sunrise Avenue. Alles in allem eine coole Reise, sehr lehrreich, werde ich aber nie mehr wieder machen! Ich war echt tot, als ich nach Hause kam.
Leidet das Privatleben nicht auch darunter? In vielen der neuen Songs geht es ja auch um Trennung. Ich glaube, wenn man jemanden wirklich liebt, ist es nicht so wichtig, dass man die ganze Zeit miteinander verbringt. Viele Menschen fangen auch an, sich zu langweilen, wenn sie ständig zusammen sind. Worüber sollte ich denn singen? Ich kann nur über das singen, was ich sehe. Den Song "Stormy End" habe ich letzten Sommer in den Ferien geschrieben. Der handelt aber von meinem guten Freund und seiner Freundin. Die haben sich ständig gestritten, und es war abzusehen, dass ihre Beziehung nicht mehr lange hält. Darüber dachte ich nach, als ich in der Sauna saß, und mir fiel eine Melodie dazu ein.
Also haben die Texte nicht unbedingt immer was mit Dir zu tun. Nein, ich beobachte auch, was um mich herum passiert. Ohne mich schuldig zu machen, wenn Leute sich trennen! (Lacht).
Bei "Sex & Cigarettes" singst Du von einem Liebeskummer, der so stark ist, dass er die "Erektion tötet". Ging es dabei denn um dich? Bei dem Song habe ich mir Gedanken gemacht, wie es sich anfühlt, wenn man wirklich ganz unten ist, weil man verlassen wurde. Und ich glaube, jemandem wie mir, der so empfindlich ist, kann das passieren. (Lacht) Und es ist auch natürlich, wenn du echt traurig bist, und dir das Herz bricht, dann (auf Deutsch) "alles ist kaputt".
Letzte Frage: Wann weißt du, wann ein Song fertig ist? Du weißt es einfach. Das ist, wie wenn du jemanden liebst. Das weißt du auch einfach so und musst dich nicht fragen, wieso. Unsere Plattenfirma wollte auch einen anderen Song als erste Single. Und ich musste denen dann versuchen zu erklären, warum ich das anders sehe. Am Ende habe ich gesagt: "Mund halten, das ist jetzt so. Das ist unsere Single, damit machen wir das Video und fertig!" Weil es sich stimmig anfühlt. Trotzdem ist es nicht leicht, anderen einen Grund zu liefern, und dabei auch noch diplomatisch zu bleiben. Da zahlt es sich aus, dass ich in der Vergangenheit als Verkäufer gearbeitet habe, ich weiß, an welchen Strippen ich ziehen muss, um meine Gefühle glaubhaft an den Mann zu bringen.
Das Interview führte Kristina Bischoff am 31.03.2011 im NDR Funkhaus in Hamburg.
Hör nicht auf für das zu Leben an was Du glaubst - Glaub an Dich!
[editiert: 11.04.11, 20:17 von Irina]
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