Frickibär
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Erstellt: 17.06.05, 19:42 Betreff: Re: Bruce Springsteen Solo-Tour im Juni ! |
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Meister der Irritation ROCK: Bruce Springsteen solo in der Frankfurter Festhalle Von unserem Redaktionsmitglied Jörg-Peter Klotz
Bruce Springsteen ist ein Klassiker. Das wussten die 7000 Fans, die sich zu seinem "Solo & Acoustic"-Auftritt in der ausverkauften Frankfurter Festhalle versammelt haben, schon bevor sie eine umfangreiche Liste von Verhaltensmaßregeln in die Hand gedrückt bekommen. Sitzplätze vor dem ersten Song einnehmen, die Türen zur Lobby bleiben während des gesamten Konzerts geschlossen, die Verkaufsstände auch - viel regulierter laufen auch Auftritte der Berliner Philharmoniker nicht ab. Fast erschreckt man sich über den stürmischen Jubel, mit dem der "Boss" dann begrüßt wird.
"Ich freue mich, wieder in Mainhattan zu sein", gibt Springsteen die Blumen in gut angelerntem Deutsch zurück. Und erklärt: "Heute Abend brauche ich viel Ruhe, um euch mein Bestes zu geben. Danke!" Was folgt ist noch etwas einschüchternder: "Bruuuce" verschanzt sich hinter einem Pump Organ, einer in Folk und Klezmer gern verwandten Klavier-Spielart, die klingt wie ein gestrichenes Akkordeon in Moll. Für das beklemmende "Into The Fire", das Lied zum todesmutigen Einsatz der Feuerwehrleute in den zusammenbrechenden Twin Towers, sind dieses Instrument und das Szenario des einsamen Straßenmusikers auf einer riesigen Bühne wie gemacht. Und für einen Stadionrocker wie den Mann aus New Jersey muss sich die riesige Festhalle anfühlen wie die Vorhalle eines Bahnhofs an der Strecke nach New Orleans.
Die Beklemmung weicht leichter Verstörung, dann Begeisterung, als Springsteen zur Gitarre greift, seine Stimme durch den Tom-Waits-Wolf dreht, beinahe zornig mit dem Stiefel einen bis auf Schlagzeug-Lautstärke aufgedrehten Rhythmus stampft - und das Ganze sich nach einer Weile als fabelhafte Blues-Version von "Reason To Believe" zu erkennen gibt. Die Arbeiterklassenballade vom puristischen "Nebraska"-Album (1982), "The River" und "The Promised Land" sind die einzigen Songs, die Springsteen aus dem Kanon seiner Klassiker zum Besten gibt.
Bis auf selten gehörte Stücke wie "For You", "Lost In The Flood" (beide 1973), "Two Faces" (1987) oder "Open All Night" (1982) beschränkt er sich zu zwei Dritteln auf das Material seiner beiden jüngsten CDs, "Devils & Dust" und "The Rising" (2002). Auch wenn Springsteen nach der triumphalen Stadion-Tournee im Sommer 2003 sehr sicher sein durfte, dass die Songs zum 11. September live genauso gut funktionieren wie sein reich gefülltes Hit-Arsenal - kaum ein anderer Musiker könnte es wagen, seinen Fans fast nur exotisches Material zu präsentieren, noch dazu mutterseelenallein auf der Bühne.
Aber für den 55-Jährigen mit dem alterslosen Wolfsgesicht ist das ein Kinderspiel. Sein Trick: Er ist ein Meister der Irritation, in die Lehre gegangen bei Bob Dylan. Das Verfahren: Verfremdung. Auf die Sitze getrieben bei "Reason To Believe" und "The River", wo Springsteen die Phrasierung des Refrains komplett umkehrt. Ein gutes Beispiel ist auch "Long Time Comin'". Hier entfernt sich der Star unmerklich vom Mikrophon, die Gitarre wird 'runtergepegelt, so dass es sich fast unverstärkt anzuhören scheint - und mit dem Refrain steht der Song plötzlich wieder voll unter Strom.
So sichert man sich Aufmerksamkeit. Und das zwangsläufig hoch konzentrierte Publikum merkt, dass auf CD unauffällige Songs wie "Jesus Was An Only Son" Facetten haben, die weit über das bloße Abarbeiten katholischer Neurosen hinausgehen. Und so ist Bruce Springsteen wieder angekommen, bei Woody Guthrie, Pete Seeger oder Dylan. Folksänger, die früher das Gewissen der USA waren. Ein Klassiker eben.
© Mannheimer Morgen - 17.06.2005
Quelle: www.morgenweb.de
"die Mundart is en geile Beat, wie Dynamit so explosiv..." (Christian "Chako" Habekost - "2 Mann und Xavier Naidoo")
[editiert: 17.06.05, 19:42 von Frickibär]
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