Frickibär
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Erstellt: 28.09.06, 16:42 Betreff: Gemeinsam trauert man leichter |
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Gemeinsam trauert man leichter DER NEUE FILM: Oliver Stones "World Trade Center" möchte ein filmisches Dokument des 11. September sein
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß
Die eigenwilligste Figur des Films ist die des Kriegsveteranen Dave Karnes. Seine beste Zeit, so ist er überzeugt, habe er bei den Marines verbracht; er hadert mit sich und seinem zivilen Leben, besucht viel die Kirche und trifft im Gespräch mit dem Pfarrer den Entschluss, nach New York zu gehen, um bei den Rettungsarbeiten nach den Anschlägen aufs World Trade Center zu helfen. Er geht noch zum Friseur, um sich wieder einen militärischen Haarschnitt verpassen zu lassen, schlüpft in die alte Uniform und stapft im Alleingang durch die Trümmerlandschaft auf der Suche nach Überlebenden.
Schließlich findet er die beiden verschütteten Polizisten, die im Zentrum von Oliver Stones Film stehen, den von Nicolas Cage gespielten John McLoughlin und Will Jemeno (Michael Peno). Während sich nun die ganze Aufmerksamkeit auf die beiden richtet, sucht Karnes (Michael Shannon) schon wieder weiter und beschließt dann noch, sich wieder zur Armee zu melden, um die Anschläge aufs World Trade Center vergelten zu helfen. Im Abspann liest man noch von seinen Einsätzen im Irak-Krieg.
Oliver Stones "World Trade Center" ist eben ein sehr patriotischer Film, nicht zuletzt dieses Veteranen wegen. Viele sind davon irritiert, sie hatten von diesem US-Filmemacher etwas anderes, einen kritischen und politischen Film erwartet. Doch der Regisseur glaubt, die Zeit sei noch nicht reif für einen solchen Film. Natürlich ist er, der mit Filmen wie "Platoon", "J.F.K." oder auch den umstrittenen "Natural Born Killers" viel gesellschaftskritisches Bewusstsein bewiesen hat, nicht auf George-Bush-Linie gegangen. Durch die Figur des Dave Karnes könnte man aber den Eindruck gewinnen, dass die beiden "Kriege gegen den Terrorismus" eben doch die einzig richtige Antwort auf die Anschläge gewesen seien.
So sieht das Stone zwar gar nicht, man kann seinen Film aber so verstehen, und das liegt wohl daran, dass man über den folgenreichen 11. September 2001 gar keinen unpolitischen Film drehen kann, wie es Stone doch wollte. Während Paul Greengrass in "Flug 93" von der Katastrophe ergreifend erzählte, indem er den Umweg über das entführte Flugzeug wählte, das sein terroristisches Ziel verfehlte, geht Stone den direkten Weg: Er schildert den Anschlag auf die Zwillingstürme aus der Sicht zweier davon betroffener Familien. Stone will emotionalisieren, nicht analysieren, sein Film soll zu Herzen gehen, und das tut er auch. Den Preis, den er dafür bezahlt, ist eine bedingungslos patriotische Wirkung, die auch missverstanden werden kann.
In klassischer Parallelmontage setzt Stone die Schilderung der Katastrophe, das lange Verweilen der Kamera bei den beiden verschütteten Polizisten, die buchstäblich zwischen Leben und Tod schweben, gegen die Szenen, welche die Familien der Polizisten zeigen: Hier sitzen die - natürlich attraktiven - Ehefrauen (Maria Bello und Maggie Gyllenhaal) im Kreis ihrer Lieben, warten sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen ihrer Männer - bis es schließlich kommt; die beiden authentischen Figuren zählten tatsächlich zu den wenigen Überlebenden des Terroranschlags, der fast 3000 Menschen das Leben gekostet und die USA nachhaltig traumatisiert hat.
Die Hoffnung stirbt eben zuletzt, so lehrt auch dieser Film, der einmal mehr die Werte von Familie und Gemeinschaft beschwört. Dokumentarische Aufnahmen vom 11. September kombiniert Stone sehr geschickt mit seinem eigenen Material. Es hängt allein vom Zuschauer ab, davon, was er selber mit den Anschlägen verbindet, ob er den Streifen nur als gut gemachten Katastrophenfilm erlebt oder als mehr denn das. Stone begreift ihn als Dokument, das die Atmosphäre des 11. September aufbewahre. Das ist er wohl auch; der Patriotismus gehört dann eben schlicht dazu.
Mannheimer Morgen 27. September 2006
Quelle: www.morgenweb.de
"doch wenn ich arm bin, habe ich nur meine träume. die träume breite ich aus vor deinen füßen. tritt leicht darauf, du trittst auf meine träume." (William Butler Yeats)
[editiert: 28.09.06, 16:42 von Frickibär]
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