neue adresse parkinson-treffpunkt

Gandalf · Mitglied Beiträge: 59

Verehrte Mitlgelegenheitslügner,

ich gebe zu - hin und wieder - ebenfalls auf Notlügen zurückzugreifen. Manchmal geht es wohl auch kaum anders,zumindest nicht, ohne andere Menschen zu verletzen.
Bei Telefonvertretern habe ich keine Hemmungen wild drauflos zu lügen.
Allerdings fühle ich mich dabei doch immer unwohl und versuche dann eher mit Halbwahrheiten über die Runden zu kommen.
Manchmal frage ich mich jedoch, ob Halbwahrheiten nicht sogar die schlimmeren Lügen sind!
Es wurde hier schon einiges Scharfsinnige zum Thema geäußert und Nina schildert sehr treffend und humorvoll, was wir wahrscheinlich alle kennen.
Ja, das ist unsere Wirklichkeit, wir leben mit der Lüge!
Ehrlich gesagt erschreckt mich diese "Alltäglichkeit"des Lügens.
Sind wir nicht schon soweit, dass wir es als selbstverständlich hinnehmen von unseren führenden Gesellschaftsvertretern (Politik, Wirtschaft) ständig belogen zu werden? Dies führt doch zwangsläufig zu Vertrauensverlust und fortdauerndem Misstrauen. Und wie es uns die "Mächtigen" vorleben, setzt sich dies durch alle Schichten und Gruppen der Bevölkerung, bis in die Familien hinein fort. Kinder orientieren sich am Beispiel der Eltern und so dreht sich die Spirale immer schneller - nur wohin?
Ich habe "am eigenen Leib" erfahren dürfen, wie ein einziger Jungmanager in einem Ärztedachverband, ohne irgendeine echte Notwendigkeit, den Weg der Lügen und Intrigen wähte, um eine kleine Abteilung (6 Personen) loszuwerden.
Die Folgen waren psychische und physische Erkrankungen, sozialer Abstieg und schwer belastete Ehen/Familien. Weiter gab es damit unzufriedene Vorgesetzte, die sich dem ausgeworfenen Lügennetz jedoch nicht entziehen konnten und deshalb inaktiv blieben, sowie Angestellte, die aus Existenzangst von sozialen Schafen zu geifernden Hyänen mutierten.
Was können ein paar Lügen alles anrichten?

Eine Gerichtsverhandllung soll der Wahrheitsfindung dienen,
Ich habe deutlich den Eindruck, Gerichte gehen bei streitenden Parteien davon aus, dass beide nicht die (volle)Wahrheit sagen. Auf solcher Grundlage bildet sich das Gericht ein Urteil.
Wenn dann ein Depp wie ich daherkommt und versucht möglichst aufrichtig die Fakten zu schildern (im Bewusstsein, dass wir keine objektive Wahrheit kennen) ist er schon im Nachteil, da er ja auch dem gerichtlichen "Lügenabzug" unterworfen wird.
In der Konsequenz muss ich vor Gericht also lügen, um überhaupt eine Chancengleichheit herzustellen. Ist das nicht ziemlich krank?

Wie ist das eigentlich, schwindeln wir im näheren Beziehungsumfeld - sprich Lebenspartner, Familie und enge Freunde - genauso häufig oder verhalten wir uns hier aufrichtiger?

Noch`ne Geschichte: Ich besuchte meine Mutter im Krankenhaus und konnte erkennen, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Während des Gespräches fragte sie in flehendem Tonfall, wann sie denn endlich aus dem Krankenhaus entlassen würde.
Was hättet Ihr geantwortet?
Ich konnte ihr keine Lüge, wie "Ach,noch einpaar Tage,wenn du wieder etwas kräftiger bist" erzählen.
Ich konnte dem Menschen, mit dem ich intensive Gespräche über den Tod und das "Danach" geführt hatte, nicht die Wirklichkeit des drohenden Endes aufzwingen.
Sie war nicht bereit und ich habe ihr nur schweigend in die Augen geschaut -
es war das letzte Mal.

Ehrliche Grüße
von Gandalf

Ps: Ich hoffe es versteht hier niemand den Text als Kritik oder Anklage, ich schließe mich da voll mit ein.