Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit ist die größte Bedrohung für die Stabilität des Kosovo die desolate Wirtschaftslage. Armut und Korruption könnten zu sozialen Unruhen führen, so Experten.
Der Kosovare Arbnor Kastrati verkauft Bücher auf der Straße. Er hat kein regelmäßiges Einkommen. Um zu überleben, nimmt er immer wieder die unterschiedlichsten Arbeiten an. "Vor dem Krieg 1999 konnte ich mit meinem Gehalt eine zehnköpfige Familie ernähren. Jetzt müssen sieben Familienmitglieder arbeiten, damit wir über die Runden kommen. Unser Lebensstandard ist sehr niedrig."
Mehr als 45 Prozent der Kosovaren sind den Angaben der Weltbank zufolge arm, 15 Prozent davon leben in extremer Armut.
Fast die Hälfte hat keine Arbeit und die, die arbeiten, erhalten ein durchschnittliches monatliches Einkommen von nur 230 Euro.
Fehmi Krasniqi ist ein Arbeiter aus Prishtina. Mit seinem Gehalt von nur 185 Euro im Monat sei es unmöglich seine fünfköpfige Familie zu ernähren. "Ich weiß nicht, was ich zuerst besorgen soll. Die Gehälter sind niedrig und die Preise sehr, sehr hoch."
Der Wirtschaftsexperte Ibrahim Rexhepi kritisiert, dass die Verantwortlichen im Kosovo erwartet haben, dass die Unabhängigkeitserklärung alle Probleme von allein lösen werde. "Es war klar, dass erst dann die inneren wirtschaftlichen und sozialen Probleme beginnen werden." Offiziellen Angaben zufolge hat es zunächst tatsächlich ein Wirtschaftswachstum gegeben.
Aber dieses Wachstum sei aufgrund der früheren Unterentwicklung wieder geschrumpft. Die Folge: hohe Arbeitslosigkeit und die Zunahme von extremer Armut.
Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben
Safet Gergjaliu, Vize-Präsident der Handelskammer des Kosovo, warnt, ohne wirtschaftliche Entwicklung könne es auch keine politische Stabilität geben.
Im Kosovo gelten zwar europäischer Lebensstandard und europäische Preise, das monatliche Einkommen liegt dagegen auf einem afrikanischen Niveau. "Das ist kein gutes Zeichen. Das Kosovo ist wie ein Pulverfass, das eines Tages explodieren könnte", meint Gergjaliu. "Jeden Tag gibt es irgendwelche Proteste: im Gesundheitswesen, aber auch in der Justiz und Polizei. Und wenn sich die Polizei eines Staates beschwert und unzufrieden ist, ist dass für eine Regierung sicherlich das schlimmste Zeichen."
Vor dem Hintergrund möglicher sozialer Unruhen warnt Präsident Fatmir Sejdiu, dass jeder Mensch, das Recht habe, seine Meinung durch Streiks und Porteste zu äußern. "Allerdings darf dadurch nicht die Stabilität des Landes bedroht werden." Viele Experten sagen aber voraus, dass die Kosovaren mit Patriotismus und Unabhängigkeit allein nicht mehr zufrieden zu stellen seien. Sie wollten endlich bessere Lebensbedingungen.
Angewiesen auf Auslandsimporte
Eines der größten Probleme der Wirtschaft im Kosovo ist, dass es fast keine eigene Produktion gibt. "Die Tatsache, dass 92 Prozent aller Produkte, die in den Geschäften im Kosovo ausliegen, ausländische Importe sind, beweist, dass wir nur Geld exportieren", so Gergjaliu.
"Damit können wir kein Wirtschaftswachstum erreichen." Es sei bitter, aber das Kosovo finanziere so die wirtschaftliche Entwicklung von Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien mit.
Zu wenig Kontrolle
In den letzten zwei Jahren gab es im Kosovo auch einen Rückgang ausländischer Investitionen. Schuld daran seien das schlechte Investitionsklima und die hohe Korruption, meinen Wirtschaftsexperten wie Ibrahim Rexhepi. "Uns fehlen die rechtlichen Grundlagen und funktionierende Institutionen. Das Parlament hat nicht die volle Kontrolle über die Regierung des Kosovo. Ganz zu schweigen von einer Kontrolle über die hohe Korruption."
Dem stimmt auch Safet Gergjaliu zu: der Kampf für einen Rechtsstaat und Ordnung sei eigentlich fast unmöglich - auch wenn es keine andere Alternative dazu gebe. "Falls das Verantwortungsgefühlt nicht wächst und falls wir den Kampf gegen die Korruption und Kriminalität nicht endlich aufnehmen, werden wir auch den Kampf um die Zukunft verlieren", meint Gergjaliu.
Autoren: Zulfija Jakupi / Bahri Cani
Redaktion: Mirjana Dikic / Nicole Scherschun
Quelle: DW World.de