Germaine
Mitglied
Beiträge: 7
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Erstellt: 28.08.03, 20:29 Betreff: Re: Kontakt
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Hallo,
Ich kann sehr gut verstehen, dass du Kontakte zu Eltern suchst, deren Kinder das gleiche Problem haben wie Deines.
Ich habe eine Tochter, die ebenfalls Retinoblastom auf beiden Augen "hatte". Mit zwei Jahren wurde ihr eines davon entfernt und das andere bestrahlt. Heute ist sie 13 Jahre alt und es geht ihr sehr gut.
Als ich ihr Deine Nachricht vorgelesen habe (ich wohne in der franz. sprechenden Schweiz und meine Tochter spricht nur französisch), da hat sie spontan gesagt, dass Dein Kind Glück hat, noch seine beiden Augen zu haben. Meine Schwester hat ebenfalls eine Tochter mit Retinoblastom auf beiden Augen und beide konnten gerettet werden, da durch Gen-Forschung schon bei der Geburt dieses Kindes bekannt war, dass dieses Kind Träger der Krankheit ist (wir hatten leider nicht diese Chance). Meine Tochter Sarah möchte nun wissen, ob Dein Kind auf beiden Augen noch die volle Sehkraft hat, oder ob es wie ihre Cousine "schielt" und weniger sieht ?? !!
Ich erinnere wie es für uns Eltern schwierig war die Krankheit zu akzeptieren. Aber der Mut und der Lebenswille meiner Tochter hat uns dabei sehr geholfen. Was mir in dieser schweren Zeit gefehlt hat, war ein Forum wie dieses, wo man Gedanken und Sorgen austauschen kann.
Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Mut und Zuversicht für die Zukunft. Ich habe gelernt possitiv zu denken und jeden Tag zu geniessen.
Gruss Germaine
[editiert: 28.08.03, 20:39 von Germaine]
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christina
Mitglied
Beiträge: 92 Ort: Göttingen
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Erstellt: 29.08.03, 12:11 Betreff: Re: Kontakt
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Hallo Jana,
vielen Dank für deinen Beitrag. Ich hatte schon seit längerem vor, eine Art Kurzbiografie zu schreiben, um mich vorzustellen, aber wie das so ist, man braucht erst einen Anstoß, um ein Vorhaben umzusetzen. Für mich war dieser Anstoß dein Beitrag. Ich wurde am 29.08.1983 in Göttingen geboren. Als ich knapp zwei Jahre alt war, bemerkten meine Eltern, dass ich zunehmende Sehschwierigkeiten hatte. Unser Augenarzt erkannte dann in meinem linken Auge ein Retinoblastom. Wir wurden sofort an die Uniklinik in Essen überwiesen, wo man mein linkes Auge kurz darauf entfernte, da der Tumor schon zu weit fortgeschritten war. Auch in meinem anderen Auge wurden Tumoren entdeckt und die folgenden zwei Jahre fuhren meine Mutter und ich alle zwei bis drei Wochen zu Untersuchungen und Behandlungen nach Essen. Man versuchte alles, um mein zweites Auge und einen Sehrest zu erhalten – Bestrahlung, Aplikatoren, Cryokoagulation -, aber kurz vor meinem vierten Geburtstag musste auch mein zweites Auge entfernt werden. Nach dieser letzten OP wollte ich vor allem eins: Die Erlebnisse in Essen vergessen und ein normales Leben führen. Ich war in dem Jahr gerade in den Kindergarten gekommen (ein kirchlicher Kindergarten in unserem Nachbardorf) und verbrachte dort drei wundervolle Jahre. Ich hatte einen großen Freundeskreis und war überglücklich, als meine Eltern nach anderthalbjährigen Auseinandersetzungen mit den Schulbehörden meine integrative Beschulung durchsetzten. So konnte ich genau wie meine Freunde in unsere Grundschule eingeschult werden. Integrative Beschulung war 1990 noch die Ausnahme. Inzwischen ist sie zu einem bekannten Unterrichtsmodell geworden und es gibt Strukturen, die es den Familien erleichtern, Integration zu beantragen und durchzusetzen (was immer noch schwer genug ist). Die drei Grundvoraussetzungen sind die Zustimmung einer Regelschule, das Kind aufzunehmen, die Zustimmung des Schulträgers und die Bereitstellung eines Begleitlehrers durch eine Blindenschule. Ein solcher Begleitlehrer unterstützt Lehrer, Eltern und das beschulte Kind, bringt dem Schüler in den ersten Jahren vor allem Grundtechniken und –fertigkeiten bei und übernimmt später eher organisatorische Aufgaben, indem er sich z.B. um die Beschaffung und Umsetzung von Arbeitsmaterialien kümmert. Zu Beginn mussten meine Eltern viele Skeptiker davon überzeugen, dass meine integrative Beschulung möglich ist und keine Nachteile für meine Mitschüler mit sich bringen würde. Inzwischen haben alle Beteiligten durchgehend positive Erfahrungen gemacht. Meine Klasse – egal, ob in der Grundschule, Orientierungsstufe oder im Gymnasium – galt immer als sehr leistungsstark und mit einem besonders guten Klassenzusammenhalt und Sozialverhalten. Ob das an mir lag, möchte ich dahingestellt lassen. Meine Lehrer, die sich freiwillig bereit erklärt hatten, mich zu unterrichten, waren alle sehr engagiert und haben durch diese neue Erfahrung vieles gelernt, was sie gewinnbringend auch in anderen Klassen einsetzen können. Ich selbst habe mich in meiner Schule und in meinem Freundeskreis immer sehr wohl gefühlt, wurde mit meiner Behinderung immer akzeptiert, nie geneckt oder ausgegrenzt. Dass ich gerade gegen Ende meiner Schulzeit einige Neider im Jahrgang hatte, die mir meine hervorragenden schulischen Leistungen übel nahmen, war zwar traurig, ist aber normal und hat nichts mit meiner besonderen Situation zu tun. In diesem Frühjahr habe ich mein Abitur „mit der Traumnote 1,0“ (wie es in den Zeitungen hieß) abgelegt. Meine integrative Beschulung sehe ich durchweg positiv. Die Blindenschulen in Hannover und Marburg, die ich im anderen Fall besucht hätte, sind für mich persönlich keine Alternativen zu einer integrativen Beschulung vor Ort. Das muss aber nicht heißen, dass die integrative Beschulung grundsätzlich und für jedes Kind der richtige Weg sein muss. Hier wie überall muss jeder seine eigenen Erfahrungen machen und entscheiden, was für ihn der richtige Weg ist.
Im Herbst werde ich nun ein Studium beginnen. Lange Zeit hatte ich mich für den journalistischen Bereich interessiert. Mein Betriebspraktikum im zehnten Schuljahr absolvierte ich bei einem lokalen Radiosender, wo ich auch nach dem zweiwöchigen Praktikum einige Zeit mitarbeitete, eigene Sendebeiträge erstellte und umfassenden Einblick in die journalistische Arbeit gewann. Obwohl mir diese Tätigkeit sehr viel Spaß machte, konnte ich mir aber doch nicht vorstellen, sie zu meinem Beruf zu machen. Eine Reihe neuer Impulse bekam ich dann durch einen Auslandsaufenthalt in Kanada, wo ich ein halbes Jahr lang als Austauschschülerin in der Nähe von Toronto lebte und dort die elfte Klasse einer mennonitischen Schule besuchte. Durch das Leben in einem anderen Land und mit meiner Gastfamilie machte ich wichtige Erfahrungen, die meine Persönlichkeit prägten und meine Weltanschauung erweiterten. Vor allem der ständige Kontakt mit den Mennoniten in der Schule, in der Gastfamilie und in der Kirche veranlasste mich, meine eigene Einstellung zu Glauben und Kirche neu zu überdenken. Schon seit dem Konfirmandenunterricht in der vierten Klasse hatte ich mich unserer Kirche sehr verbunden gefühlt. Die Spiritualität, die das Kirchengebäude, die Gottesdienste und die Liturgie ausstrahlte, faszinierte mich und zog mich an, während meine Freunde gerade dies als weltfremd und veraltet empfanden und eher belächelten. In Kanada begegnete ich einer Gruppe von Menschen, die ihren Glauben ganz bewusst ins Diesseits holen, in deren Leben und Handeln ihr Glaube eine zentrale Rolle spielt und die ihre Gemeinschaft in und durch ihre Religion betonen. Durch dieses Erlebnis und durch lange Diskussionen mit einem jungen Pastor und Lehrer entstand in mir der Wunsch Theologie zu studieren und verstärkte sich über die folgenden zwei Jahre mehr und mehr. Ab dem Wintersemester 2003/04 werde ich in Göttingen Theologie studieren mit dem Ziel, einen kirchlichen Abschluss zu erlangen und als Pastorin eine eigene Gemeinde zu betreuen. Ich hoffe, in meinen Beruf meine sozialen und seelsorgerischen Fähigkeiten gut einbringen zu können. Andererseits kann ich mir auch gut vorstellen, später eine Lehrtätigkeit an einer Universität auszuüben, da ich auch ein großes wissenschaftliches Interesse habe.
Das Thema Retinoblastom war für mich lange Jahre hindurch ein geschlossenes Buch und ich sah keinen Grund, es aufzuschlagen, bis ich vor zwei Jahren auf einmal unerklärliche Ohnmachtsanfälle und Kreislaufprobleme bekam. Dies mag die körperliche Reaktion auf den Stress der vorangegangenen Monate gewesen sein (ich war gerade aus Kanada zurückgekehrt), dazu das schwüle Sommerwetter und eine leichte Grippe, aber trotzdem machte sich meine Mutter Sorgen und sprach zum ersten Mal aus, dass ich aufgrund der Genmutation und der Strahlenbehandlung ein erhöhtes Krebsrisiko habe. Das traf mich völlig unvorbereitet und wie ein Blitz aus heiterem Himmel. In der folgenden Zeit begann ich dann mehr und mehr zu spüren, dass es da noch mehr gab als die Angst vor einem Zweittumor. Da ist einerseits die Notwendigkeit, die Kindheitserlebnisse aufzuarbeiten, die ich in „Wehrlos“ beschreibe (im Forum unter der Überschrift „Erinnerungen eines RB-Kindes“ zu finden). Ein anderes Thema, von dem ich vorher nie geglaubt hätte, dass es zu einem Thema für mich werden würde, ist die Akzeptanz meiner Behinderung und der selbstbewusste Umgang damit. Und schließlich ist da die Frage nach eigenen Kindern, die mit 50%iger Wahrscheinlichkeit meine Genmutation erben würden. (Übrigens habe ich eine jüngere Schwester, die kerngesund ist. Ich bin sehr froh, dass meine Eltern den Mut hatten, sich für ein zweites Kind zu entscheiden. Aber natürlich ist ihre Situation eine völlig andere als bei mir.) All diese Fragen beschäftigen mich und werden mich auch zukünftig begleiten. Im Moment beginne ich aber auch einen neuen Lebensabschnitt, ziehe von zu Hause aus in eine andere Stadt, beginne ein neues, eigenständiges Leben, für das ich viele Pläne habe. Emails sind immer willkommen! Herzliche Grüße Christina
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