Großdemo in Moskau Zehntausende protestieren gegen Wahlbetrug
Die Demonstration in Moskau entwickelt sich zum Massenprotest gegen Wladimir Putin. Bis zu 100.000 Regimegegner sind auf der Straße und prangern Wahlfälschungen an.
Alte und junge Menschen protestierten bei Schneetreiben und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt friedlich gemeinsam, berichtete ein Korrespondent der Nachrichtenagentur DPA. Die Polizei sprach von etwa 25.000 Demonstranten.
"Heute ist ein glücklicher Tag", sagte der Regierungskritiker und frühere Regierungschef Michail Kasjanow. "Wenn hier heute 100.000 Menschen sind, sind es morgen eine Million!" Dies könne zu einem Wendepunkt der russischen Politik werden.
52.000 Polizisten im Einsatz
Die Regierungspartei Einiges Russland von Ministerpräsident Wladimir Putin hat zurückhaltend auf die Proteste reagiert. "Wir alle haben diese Demonstration vernommen", teilte die Partei mit. Deren Vizechef Alexander Chinschtein kritisierte zugleich, es sei eine Provokation, dass die Opposition das Wahlergebnis nicht anerkenne und die Menschen auf die Straßen rufe.
Bei den Protesten vertreten sind alle Altersgruppen und Schichten. Viele Menschen tragen weiße Schleifen an ihrer Kleidung und tragen weiße Blumen. Auf Schildern fordern sie den Rücktritt von Regierungschef Wladimir Putin und die Freilassung politischer Gefangener wie des Ex-Ölmanagers Michail Chodorkowski. Vor allem orangene Fahnen der regierungskritischen Bewegung Solidarnost sind zu sehen.
Über soziale Netzwerke hatten sich mehr als 35.000 Menschen angekündigt. Allerdings blieben auch zahlreiche Putin-Gegner aus Angst vor Provokationen zu Hause. Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Platz. Insgesamt waren 52.000 Sicherheitskräfte in Moskau im Einsatz.
Wegen des Massenandrangs sei das Mobilfunknetz am Versammlungsort auf einer Insel im Fluss Moskwa immer wieder gestört, teilte der Telefonanbieter MTS nach Angaben des kremlkritischen Internetportals kasparov.ru mit. Die Belastung entspreche der am Silvesterabend.
Verzögerung wegen Massenandrangs
Der Beginn der Kundgebung verzögerte sich wegen des Massenandrangs. Die Organisatoren warfen der Polizei Schikane vor. So gebe es an einer Seite des Versammlungsortes nur zwei Metallrahmen, durch die alle Teilnehmer hindurch müssten.
Kurz vor der Großdemonstration sorgte ein Abgeordneter der Regierungspartei mit Todesdrohungen gegen russische Oppositionelle für Aufregung. Er wolle "für Russland sterben" und dabei "30 Liberale mitnehmen", kündigte Konstantin Rykow (32) nach Angaben russischer Medien vom Samstag über den Kurznachrichtendienst Twitter an. Der Ultranationalist, der seine Mitteilungen oft mit "Ehre sei Russland" beendet, saß bislang für die von Ministerpräsident Wladimir Putin geführte Partei Einiges Russland in der Staatsduma.
Auch in anderen russischen Städten gingen zahlreiche Regierungsgegner auf die Straße. Allein in der Pazifik-Stadt Wladiwostok demonstrierten Hunderte Anhänger der Kommunisten. "Wir brauchen keine Revolution, wir brauchen faire Wahlen", riefen die Demonstranten bei der genehmigten Kundgebung.
Statt Transparenten trugen einige Demonstranten ein für die Protestbewegung symbolisches weißes Band. Von Festnahmen wurde bisher nicht berichtet.
In Krasnojarsk gingen nach Angaben von Aktivisten etwa 3500 Menschen auf die Straße, auch hier gab es zunächst keine Berichte über festgenommene Demonstranten.
In Chabarowsk wurden der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge hingegen bei einer nicht genehmigten Kundgebung von mehr als 50 Oppositionellen etwa 20 Menschen festgenommen. Der Radiosender Kommersant FM berichtete von rund 80 Festgenommenen, die von der Polizei weggebracht worden seien. In Tomsk protestierten demnach rund 500 Menschen. Die Nachrichtenagentur ITAR-TASS berichtete zudem von mehr als tausend Demonstranten in Barnaul.
US-Regierung appelliert an beide Seiten
Zwei prominente Journalistinnen haben aus Protest den offiziellen Menschenrechtsrat des Kreml verlassen. Swetlana Sorokina und Irina Jassina kritisierten zudem das harte Vorgehen der Polizei bei Kundgebungen von Regierungsgegnern, berichteten Medien in Moskau am Samstag. Der Menschenrechtsrat sprach sich unterdessen für Neuwahlen aus, falls sich die Fälschungsvorwürfe bei der Abstimmung vom vergangenen Sonntag bewahrheiten sollten.
Der Ratsvorsitzende Michail Fedotow kündigte an, dass die Mitglieder die Großdemonstration der Opposition in Moskau beobachten würden. Zuvor hatte er die Massenfestnahmen von Regierungsgegnern bei Protesten in den vergangenen Tagen kritisiert.
Inzwischen hat sich auch die US-Regierung zu Wort gemeldet. Sie appellierte an beide Seiten, keine Gewalt anzuwenden. Washington erwarte, dass sich Demonstranten wie Behörden friedlich verhalten, sagte Außenamtssprecherin Victoria Nuland am Freitag. Die USA unterstützten das Recht auf friedlichen Protest überall in der Welt, auch in Russland. Der russische Regierungschef Wladimir Putin hatte den USA vorgeworfen, zu den Protesten gegen die umstrittene Parlamentswahl vom Sonntag angestiftet zu haben.
Der Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Hans-Henning Schröder, befürchtete ein gewaltsames Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. Sollten am Samstag tatsächlich, wie angekündigt, 30.000 Menschen in Moskau gegen die Manipulation der Parlamentswahl vom vergangenen Wochenende protestieren, dann habe das eine neue Qualität, sagte Schröder der "Frankfurter Rundschau". "Nicht einmal während des Putsches 1991 waren so viele Menschen auf der Straße." Die Sicherheitskräfte "werden versuchen, das gewaltsam zu unterbinden", sagte Schröder.
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Massenproteste in Moskau Mutig und friedlich gegen den Putin-Frust
Russland erlebt die größten Proteste seit 20 Jahren: In Moskau demonstrieren Zehntausende gegen das System Putin - friedlich und voller Selbstbewusstsein. Und der Kreml lässt sie gewähren. Von Bettina Sengling, Moskau
Gerne hätte der Kreml größere Protestveranstaltungen gegen die http://www.stern.de/politik/ausland/russische-parlamentswahl-osze-beobachter-prangern-verstoesse-an-1758921.html#utm_source%3Dstandard%26utm_medium%3Drssfeed%26utm_campaign%3Dpolitik\" href="http://www.stern.de/politik/ausland/russische-parlamentswahl-osze-beobachter-prangern-verstoesse-an-1758921.html#utm_source%3Dstandard%26utm_medium%3Drssfeed%26utm_campaign%3Dpolitik">gefälschten Dumawahlen vom vergangenen Wochenende verhindert, und dafür tat er, was er konnte. Verbieten, so dachte man wohl, ging nicht - die Wut über die unfairen Wahlen war zu groß. Also versuchten die Behörden, wenigstens die potentiellen Teilnehmer abzuschrecken. So wurden in Moskau am Freitag alle Schüler der Klassen 9, 10 und 11 spontan für Samstag um 15 Uhr in die Schulen beordert, um eine zentrale Klassenarbeit in Russisch zu schreiben. Auch alle Lehrer hatten Anwesenheitspflicht.
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Aus den Sicherheitsbehörden meldete die Nachrichtenagentur Interfax, dass die Behörden während der Demonstration angeblich nach jungen Männern im Rekrutenalter Ausschau halten wollten. Wer sich vor seinem Wehrdienst gedrückt habe, werde sofort zu einem Wehramt gebracht. Außerdem empfahlen die Behörden, nicht an Großkundgebungen teilzunehmen, um eine Grippe-Epidemie zu vermeiden. Zur weiteren Abschreckung wurden mindestens 50.000 Polizisten nach Moskau delegiert, die sich teilweise in Meterabständen am Straßenrand aufstellen mussten. Aber die Leute kamen doch.
"Wir wollen unser Land zurück"
Zehntausende versammelten sich am Samstagnachmittag am Ufer der Moskwa gegenüber des Kreml und harrten trotz Schneeregens mehrere Stunden in der Kälte aus. Von etwa 80.000 bis 85.000 sprachen die Organisatoren, die Polizei von lediglich 25.000. So oder so, es war die größte Demonstration in Russland seit 20 Jahren. Die letzte und einzige große Protest-Demonstration gegen Wladimir Putins Politik ist zehn Jahre her. Damals ließ der Kreml den einzigen unabhängigen TV-Sender schließen. Danach ließen die meisten Russen Putins autoritären Kurs mehr oder weniger gleichgültig über sich ergehen.
Die offenen Wahlfälschungen, die der Kremlpartei "http://www.stern.de/politik/ausland/russische-parlamentswahl-osze-beobachter-prangern-verstoesse-an-1758921.html\" href="http://www.stern.de/politik/ausland/russische-parlamentswahl-osze-beobachter-prangern-verstoesse-an-1758921.html">"Einiges Russland" nun auf dem Papier den Sieg sicherten, markieren für viele einen Wendepunkt. "Wir haben wieder Selbstbewusstsein", forderte ein Redner von der Bühne. "Wir wollen unser Land zurück! Es ist unser Land!" Die kritische Zeitung Nowaja Gaseta stellte fest: "Moskau ist wieder politisch!"
"Neuwahlen!" forderten die Demonstranten, außerdem immer wieder ein "Russland ohne Putin", "ehrliche Wahlen", und die Freilassung der tausend Menschen, die während der Demonstrationen Anfang der Woche verhaftet worden waren. "Das Schweigen der Lämmer ist vorbei!", hatte ein Student der Moskauer Universität auf sein Plakat gemalt. Ein anderes zeigte das Lenin-Mausoleum mit der Aufschrift "Putin". Und den Worten: "Wir glauben, hoffen, warten."
Widerstand wird übers Internet organisiert
Zu der Protestveranstaltung hatten Oppositionelle aus unterschiedlichen Bewegungen aufgerufen: Die außerparlamentarische Opposition um den Politiker Boris Nemzow, die Bürgerrechtsbewegung um den Blogger Alexej Navalnyj und die Umweltaktivistin Jewgenija Tschirikowa , selbst Oppositionsparteien aus dem Parlament, die sich eigentlich mit dem Kreml arrangiert haben, nahmen teil. "Die Kremlpartei Einiges Russland hat Zauberkräfte", sagte einer von ihnen. "Sie vereint uns alle gegen sie!" Auch Schriftsteller, Politologen, Satiriker und Journalisten sprachen zu den Demonstranten. "Sie haben Angst vor uns!", sagte der Menschenrechtler Lew Ponamarjow, "weil wir so viele sind."
Wie in den arabischen Ländern im vergangenen Frühjahr wird der Protest auch in Russland über das Internet organisiert, da die einflussreichen Medien staatlich kontrolliert werden. Über 30.000 Menschen hatten sich über Facebook und das russische Pendant vkontakte zu den Protesten angemeldet. Im Vorfeld kursierten im Netz sogar Anweisungen, wie man sich bei Konflikten mit der Polizei zu verhalten habe. "Lassen Sie sich niemals auf Provokationen ein", lautete ein Tipp. Sogar die Telefonnummern von Hotlines kursierten, unter denen Juristen im Falle von Verhaftungen Ratschläge geben.
Die wurden jedoch nicht gebraucht. Trotz massiver Polizeipräsenz verlief die Veranstaltung friedlich. Viele Demonstranten trugen Blumen, weiße Luftballons und weiße Bänder, als Zeichen für ihren gewaltfreien Protest. Die meisten Demonstranten waren junge Leute, manche hielten gar ihr iPad als Plakat hoch. "Die Wahlen waren eine Farce, es ist so peinlich, wie plump sie gefälscht wurden", sagt Svetlana, 23, Studentin der Biologie. "Sie sind völlig überflüssig, weil sowieso vorher alles verabredet wurde."
Der Kreml redet Massenproteste klein
Der Jurist Sergej, 50, ist nicht einmal zur Wahl gegangen: "Wieso sollte ich, alle wissen, dass die Ergebnisse mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben." Er war zuvor noch nie auf einer Demonstration. "Nun muss einfach etwas geschehen", sagt er. "So geht es nicht weiter." Andere erzählen, für sie sei Putins erneute Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen ein besonderes Ärgernis. "Die Macht wird einfach verschoben und wir sollen schweigen wie eine Herde", schimpft ein junger Mann. Eine ältere Frau ärgert sich über die niedrigen Renten und Löhne, die steigenden Ausgaben für Heizung und Strom.
Auch in zahlreichen anderen Städten kam es zu Protesten gegen das Resultat der Abstimmung vom 4. Dezember. Dabei wurden zwar landesweit Dutzende Menschen festgenommen, die sich an nicht genehmigten Aktionen beteiligt hatten. Neue Massenfestnahmen wie in den Tagen zuvor blieben aber aus.
Der Kreml redet die Massenproteste indes klein. Die Opposition werde von westlichen Geheimdiensten finanziert, die US-Außenministerin Hillary Clinton habe das Signal für die Proteste gegeben. Außerdem seien die Demos nur eine modische Erscheinung der übersatten Jugend mit ihren iPads und iPhones, ließ die Kremlpartei verlauten. Immerhin, und das ist neu, war die Protestkundgebung Thema in den Abendnachrichten. Bislang wurden Demonstrationen im staatlichen Fernsehen stets totgeschwiegen.
"Wir werden jetzt keine Ruhe geben!", drohte der Duma-Abgeordente Gennadij Gudkow von der Bühne. Die nächste Protestkundgebung ist für den 24. Dezember geplant. Und im kommenden März steht die nächste Wahl an: Putin will noch einmal Präsident werden. "Wir werden ihn nicht in den Kreml lassen", sagte der Politiker Michail Kassjanow.
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Naja, gaaanz faire Wahlen wie sollten die denn aussehen? Aber bei uns bemüht man sich darum, sie so fair wie möglich verlaufen zu lassen, was ja von Russland nicht sagen kann und von einigen anderen Staaten.
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Wünsche den Menschen in Russland ganz viel Kraft, daß sie es endlich schaffen, die Regierung in ihrem Land selbst in die Hand zu nehmen und daß dieses angeblich so demokratische Regime die Macht verliert und dies ohne Gewalt und Blutvergießen.
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Ich weiß nicht, ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass z. B. die Merkel-Wahl wirklich fair und gerecht abgelaufen ist. Gerade, wo Schröder so viele Sympathiepunkte bei den Menschen gesammelt hat, weil er nicht mit in den Irak-Krieg gezogen ist. Merkel dagegen hat doch damals Schröders Verhalten als eine Schande bezeichnet, wie er sich damit gegen die USA stellt. Nach diesen Vorkommnissen sollen die Menschen wirklich Frau Merkel gewählt haben? Meine Meinung ist da eigentlich, dass Schröder laut oberster Stelle weg musste, die Meinung und das Wählen der Menschen ist da eher uninteressante Nebensache - man muss es eben zumindest äußerlich nach Demokratie aussehen lassen. Das ist eben Politik, wie überall auf der Welt, egal wie sie sich nennt, nur eine wahre Demokratie gibt es nirgends.
Großdemo in Russland Massenprotest versetzt den Kreml in Unruhe
Während Westeuropa den Heiligen Abend feiert, gehen die erzürnten Massen in Moskau auf die Straße. Der Kreml reagiert mit sowjetischen Reflexen - und billigen Versprechen. Von Bettina Sengling, Moskau
Eine halbe Stunde lang schien Wladimir Putin wie verwandelt. Die Massenkundgebungen" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/massenproteste-gegen-wahlmanipulation-russland-in-rage-1761216.html\">Massenkundgebungen, in denen Zehntausende Menschen im ganzen Land gegen Wahlfälschungen protestierten, seien doch "ganz normale Erscheinungen", erklärte er während seiner traditionellen Fragestunde live im Fernsehen. Als er die vielen jungen Leute auf den Kundgebungen gesehen hat, habe er sich sogar gefreut. "Wenn dies das Ergebnis des Putin-Regimes ist", sagte er, "dann ist das doch gut." Doch die Fernsehsendung dauerte viereinhalb Stunden. Und je länger Putin vor den Kameras saß, desto stärker schlugen seine sowjetischen Reflexe durch.
Die Proteste seien aus dem Ausland initiiert worden, die Studenten habe man für ihre Teilnahme sogar bezahlt. "Und das ist ja auch ok", fügte er hämisch hinzu. "Sollen sie wenigstens ein bisschen verdienen". Die weißen Bänder, die den Demonstranten" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/massenproteste-in-russland-moskau-erlebt-groesste-demonstration-der-putin-aera-1761131.html\">Demonstranten als Symbol für den friedlichen Protest dienen, erinnerten Putin an Präservative. Dann ließen die Regisseure der Sendung noch Mitarbeiter einer Panzerfabrik aus dem Ural zuschalten. "Wenn die Polizei nicht fertig wird mit den Demonstrationen", sagte ein Vorarbeiter, "dann sind wir Männer bereit auszurücken, um die Stabilität zu verteidigen!" Putin: "Vielen Dank!"
Der Kreml ist nervös und gereizt. Am 24. Dezember, der in Russland kein Feiertag ist, wird die zweite große Protestkundgebung in Moskau stattfinden. 50.000 Menschen hatten sich bis Freitag bereits auf Facebook dazu angekündigt, 25.000 auf der russischen Version VKontakte. Die Veranstalter rechnen mit etwa doppelt so vielen Menschen. Es sind die größten Demos seit 20 Jahren, als die Sowjetunion zerbrach. Zur Vorsicht sollen zusätzliche Polizeikräfte und sogar Armeeeinheiten in die Hauptstadt kommandiert worden sein. Die Demonstration ist jedoch genehmigt, mit Ausschreitungen muss niemand rechnen. Auf der Bühne werden nur wenige Politiker auftreten, dafür Bürgerrechtler wie der Blogger Alexej Nawalnyj, populäre Journalisten, Schauspieler und Sänger. Auch Michail Gorbatschow wird sprechen.
Keine der Forderungen wurde bisher erfüllt
Die Unzufriedenheit ist immer noch groß. Vor zwei Wochen hatten die Demonstranten bei der Großkundgebung auf dem Moskauer Bolotnaja Platz ehrliche Neuwahlen, Befreiung der politischen Gefangen und Entlassung des Obersten Wahlleiters gefordert. Keine der Forderungen wurde erfüllt. Der Kreml erweckte nicht einmal den Anschein, auch nur darüber nachzudenken. Nur die politischen Gefangenen, die bei einer ungenehmigten Kundgebung verhaftet wurden, sind wieder frei – jedoch nur deshalb, weil sie die Haftstrafe über 15 Tage inzwischen abgesessen haben. Das neue Parlament, das durch die Wahlen bestimmt wurde, hat inzwischen sogar seine Arbeit aufgenommen als sei nichts gewesen.
Noch-Präsident Dmitrij Medwedew versprach in seiner Ansprache" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/nach-protesten-gegen-russische-regierung-medwedew-kuendigt-politische-reformen-an-1765720.html\">Ansprache an die Nation am Donnerstag politische Reformen – offenbar als Zeichen an die Unzufriedenen. So sollen die Gouverneure, die derzeit vom Kreml eingesetzt werden, bald wieder in direkter Wahl bestimmt werden. Auch soll die Registrierung von Parteien erleichtert und eine Art öffentlich-rechtlicher Fernsehsender gegründet werden. "Man muss allen aktiven Bürgern die Möglichkeit geben, am politischen Leben teilzunehmen", sagte Medwedew. Doch für Begeisterung sorgten auch diese Ankündigungen nicht: Skeptisch vermuten die meisten russischen Wutbürger dahinter wieder nur ein Ablenkungsmanöver, das allein dem Machterhalt dient.
Gegendemonstrationen der Kreml-Jugend
Denn gleichzeitig versucht der Kreml mit alten Methoden, hinter den Kulissen gegen die Opposition vorzugehen. Routiniert wurde die Kreml-Jugend zu Gegendemonstrationen ausgesandt, Wortführer verbrachten zwei Wochen im Gefängnis. Mit "weißer PR" werden außerdem die eigenen Helden ins beste Licht gerückt – eine leichte Übung für Kreml, da die staatlichen Kanäle vollständig kontrolliert und zensiert werden. So werden alle Nachrichtensendungen von Putin und Noch-Präsident" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/medwedews-facebook-profil-russischer-praesident-provoziert-neuen-proteststurm-1761780.html\">Noch-Präsident Dmitrij Medwedew dominiert, Oppositionspolitiker nicht einmal erwähnt. Nur Michail Prochorow darf vorsichtige Kritik üben: Der Multimilliardär und Unternehmer wird derzeit als liberaler Präsidentschaftskandidat des Kreml in Position gebracht. Der Gegner wird mit "schwarzer PR" bedacht. Dazu werden kompromittierende Videofilme oder Aufzeichnungen verbreitet, die offenbar vom Geheimdienst aufgezeichnet wurden. Berühmtestes Opfer dieser Taktik ist bislang der ehemalige Generalstaatsanwalt Jurij Skuratow, ein älterer Herr, der Ende der 90er Jahre gegen hohe Kreml-Beamte ermittelte, bis er im staatlichen Fernsehen mit zwei jungen Damen im Bett gezeigt und danach entlassen wurde.
Diesmal traf es Boris Nemzow, einen der führenden russischen Oppositionspolitiker, dessen Mobiltelefon abgehört wurde. Sechs Stunden dauern die Aufzeichnungen seiner Privatgespräche, die nun vermutlich vom Geheimdienst an eine Online-Nachrichtenseite lanciert wurden. Offenherzig und in derben Kraftausdrücken regt sich der temperamentvolle Nemzow darin über andere Oppositionelle auf. "Arschloch" und "Vollidiot" sind die harmloseren Ausdrücke, mit denen er seine Mitkämpfer bedenkt. Rasch beteuerten die Betroffenen, sie ließen sich vom Kreml nicht durch illegale Abhör-Aktionen zerstreiten. Doch was die Aufzeichnungen wirklich unter den Organisatoren des Protestes ausgelöst haben, lässt sich nur ahnen. "Das ist das Ende der Karriere von Boris Nemzow", folgerte die angesehene Journalistin Olga Romanowa spontan.
Die jungen und wohlhabenden Russen rebellieren
Die Aufzeichnungen geben allen Wortführern auch die Gewissheit, dass beim Telefonieren immer jemand mithört. Sie müssen auch fürchten, dass ihre E-Mails nicht vertraulich bleiben. Systematisch zog ein Hacker, der sich selbst "Brigade Hell" nennt, Post von Oppositionellen ans Licht, zuletzt war der Schriftsteller Boris Akunin betroffen. Auch Blogger" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/strippenzieher-blogger-kommunisten-sie-entscheiden-ueber-russlands-zukunft-alexej-nawalny-der-blogger-1762158-6b23bd2efad8307d.html\">Blogger Alexej Nawalnyj musste seine Privatpost schon im Netz lesen. Hinter den Attacken wird unter anderem ein Russlanddeutscher aus Bonn vermutet, der im Auftrag des Geheimdienstes handeln soll. Die Organisatoren der Kundgebung warnten die Besucher vor möglichen Provokationen von Nationalisten und der Kremljugend, die während der Veranstaltung möglicherweise Chaos auslösen wollen.
Wie die Opposition die Staatsmacht unter Druck setzen will, bleibt trotz der Massendemonstrationen unklar. Eine Revolution will kaum einer von ihnen. Die meisten fürchten Chaos und Gewalt, viele haben Angst um Besitz und Privilegien. Denn im Gegensatz zu den Revolutionen im Nahen Osten sind es nicht die Hungrigen und Arbeitslosen, die auf die Straße gehen, sondern die jungen, modernen, wohlhabenderen Russen. Außerdem ist die Opposition tatsächlich zerstritten und zerfällt in verschiedene Gruppen. Die Chance, einen einheitlichen Kandidaten gegen Putin aufzustellen, haben sie verpasst. Inzwischen sind die Fristen abgelaufen. Mehrere Politologen hatten empfohlen, die liberale Dumaabgeordente Oksana Dmitrijewa ins Rennen zu schicken, die sozialdemokratische Positionen vertritt. Sie hätte Stimmen von Liberalen und Kommunisten vereinen können. Doch der Vorschlag scheiterte an den Interessen der jeweiligen Parteien und außerparlamentarischen Oppositionsgruppen. Nur Gennadij" target="_blank">http://www.stern.de/politik/ausland/parlamentswahl-in-russland-die-miesen-tricks-des-kremls-1758708.html\">Gennadij Sjuganow, der Dauer-Kandidat der Kommunisten, kann Putin bei den Wahlen am 4. März ernsthaft gefährlich werden. "Putin wird gewinnen, doch ein starker Präsident wird er nicht", urteilt der liberale Blogger Wladimir Pribylowskij. "Sondern einer, den das Volk gar nicht mehr will."
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Proteste in Russland Gorbatschow legt Putin Rücktritt nahe
Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat dem russischen Regierungschef Wladimir Putin in einem Radiointerview den Rücktritt nahegelegt. "Es gab im Grunde drei Amtszeiten: Zwei als Präsident, eine als Regierungschef. Drei Amtszeiten, das ist genug." Gorbatschow gab das Interview am Samstag, als erneut zehntausende Russen im Land gegen Putin und das umstrittene Ergebnis der Parlamentswahl demonstriert hatten.
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