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Onkel Nuckel

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Maiken

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Beiträge: 7344
Ort: Frankenthal (Pfalz)



New PostErstellt: 28.12.09, 17:53  Betreff: Onkel Nuckel  drucken  weiterempfehlen


Manfred Kyber

Onkel Nuckel

Onkel
Nuckel war ein Karnickel. Darum spielt auch die Geschichte von Onkel
Nuckel in Karnickelkreisen, und zwar in den besseren, den gutsituierten
- wir begegnen hier lauter Leuten, die satt sind, die ein soigniertes
Fell haben und in komfortablen Höhlen wohnen. So war Onkel Nuckel, so
war seine engere Familie und die ganze Kolonie, und all das war das
Werk seiner Pfoten. Denn es war nicht immer so gewesen - o nein! Onkel
Nuckel hatte ganz klein angefangen, jeder Schritt seines Lebens war
mühsam erhupft, er hatte Hunger, Nässe und Kälte kennengelernt und
hatte oft mit klappernden Zähnen das letzte Radieschenblatt bekümmert
verschluckt. Und dazu die vielen, vielen Kinder - Tante Nuckel war so
fruchtbar! Es war schwer, sehr schwer. Aber Onkel Nuckel war ein
Charakter, ein hochachtbares Karnickel. Er ließ die Ohren nicht hängen,
sondern stand allzeit auf den Hinterbeinen dem Schicksal gegenüber und
meisterte es mit schwieliger Pfote! Onkel Nuckel ist ein Vorbild, dem
man nachhupfen sollte, und darum erzähle ich diese Geschichte. Onkel
Nuckel war das Kind kleiner, ärmlicher Karnickelleute und hatte eine
liebreiche, aber salatarme Jugendzeit. So kam es, daß er auch bei
seiner Heirat mehr auf Liebe als auf Salat gab. Das war groß und
erhaben, denn Liebe ist groß und erhaben, Salat aber ist das nicht.
Onkel Nuckel heiratete ein Kaninchen aus sehr alter, aber gänzlich
mittelloser Familie. Das war Tante Nuckel - eine geborene von Döskopp.
Sie hatte viel Gemüt, sehr viel, und liebte Onkel Nuckel heiß und
innig, ihre Aussteuer jedoch bestand nur aus einer Haselnuß. Diese war
ein altes Familienerbstück, und die Familie der Karnickelbraut tat sehr
wichtig und geheimnisvoll damit, eben weil es doch ein Familienerbstück
war. Es hatte eine Bewandtnis damit - man wußte freilich nicht welche,
aber eine Bewandtnis ist viel wert, wenn kein wirkliches Futter
vorhanden ist, und mit einer Bewandtnis kann man immerhin schon die
alte Familie repräsentieren. Am Hochzeitstage sollte die Bewandtnis
aufgeknackt werden, und Tante Nuckels Verwandte murmelten dabei was von
einer alten vornehmen Tradition. Onkel Nuckel war die Sache peinlich,
von Tradition wird selbst ein Karnickel nicht satt, und außerdem konnte
niemand die Nuß aufknacken.

«Das ist das Alter, das ist vornehm«, sagten Tante Nuckels Verwandte.

Endlich
bat man eine Eichkatz darum, mit der man auf nachbarlichen Pfoten
stand, die man aber nicht eingeladen hatte, weil sie arg mit ihrem
Schwanz kokettierte und überhaupt ihre prunkvolle Toilette empörend zur
Schau trug. Sie nahm die Nuß in die Pfötchen und knackte sie im Nu, mit
der routinierten Geschäftsmäßigkeit, wie sie nur der Beruf verleiht.
Aber die Nuß war hohl. Bewandtnisse sind meist hohl. Man war allgemein
schockiert und bewegte verlegen die Ohren.«Das ist das Alter, das ist
vornehm«, sagten Tante Nuckels Verwandte.

Tante Nuckel selbst war
es furchtbar unangenehm, und sie errötete tief - auf der
Schnauzenspitze natürlich, denn sonst woanders kann ein Karnickel nicht
erröten.«Es kostet einen Tannenzapfen«, sagte die Eichkatz
rücksichtslos.

Tante Nuckels Vater nahm sie beiseite und bat sie,
den Tannenzapfen einstweilen zu kreditieren. Bei einer so guten Familie
könne sie sicher sein, daß sie den Tannenzapfen richtig erhielte.

»Ach
was, gute Familie«, knurrte die Eichkatz,«ich hole mir nächstens den
Tannenzapfen, und wenn ich statt des Tannenzapfens nur die gute Familie
treffe, dann setzt's was um die langen Ohren!« Sie zeigte ihre
Krällchen. Das Karnickel schwieg pikiert. Was soll man sagen zu solchen
Manieren, wenn man ein vornehmes Karnickel ist und einen dunklen Fleck
auf dem Kopf hat, grad auf dem Gehirn! Das hatten alle Verwandten Tante
Nuckels, und auch Tante Nuckel hatte ihn. Das war die Vornehmheit.
Dieser dunkle Fleck auf dem Kopf wurde sehr gepflegt, denn er war das
Kennzeichen der Familie von Döskopp. Darum lernten auch alle von
Döskopps nichts, aus Furcht, der dunkle Fleck auf dem Kopf könne
verschwinden. Einmal nämlich war dieser traurige Fall wirklich
eingetreten, und zwar gerade durch die ja auch sonst so gefährliche
Bildung. Dabei hatte das betreffende Karnickel der Familie von Döskopp
nicht einmal viel gelernt, sondern nur grade den allerbescheidensten
Anfang der gefährlichen Bildung, nämlich den Satz, daß die Welt größer
ist als ein Kaninchengehege. Aber dieses verderbliche Wissen hatte
schon genügt; der dunkle Fleck verschwand und kam trotz aller Versuche
der verzweifelten Familie und trotz aller Pfotenmassage nicht wieder.
Die Ansicht, daß das eigne Kaninchengehege die Welt ist, ist eben die
unerläßliche Vorbedingung für den dunklen Fleck auf dem Kopf, was ich
zur Warnung aller von Döskopps feststellen muß, auch wenn es keine
Kaninchen sind. Seitdem war ein so scheußliches Familienereignis nicht
wieder eingetreten; denn man kannte ja nun die Gefahr der Bildung für
den dunklen Fleck auf dem Kopf und vermied sie gänzlich.

Die
Eichkatz hatte inzwischen gar keine Antwort abgewartet, sondern war an
einem Baum hochgegangen. Sie lachte dazu ihr eigentümlich schnalzendes
Lachen, das - wir wollen gerecht sein - wirklich etwas leichtfertig
klingt. Dabei glänzte ihr Fellehen in der Sonne, und ihr Schwanz
sträubte sich kokett, unsagbar kokett ...

Dem Karnickel von Döskopp senior wurde blümerant.«Demi-monde«, murmelte er und rieb sich den dunklen Fleck auf dem Kopf.

Das
war die Hochzeit von Onkel Nuckel und Tante Nuckel. Onkel Nuckel und
Tante Nuckel gingen nun auf die Wanderschaft. »Wir gehen nach Amerika-,
sagte Onkel Nuckel, »es soll allerdings Wasser und so allerlei
dazwischen sein, aber Herr Schlups, der Biber, hat mir eine Empfehlung
mitgegeben. Wo Wasser dazwischen ist, geht's nicht ohne Empfehlung. Die
geb' ich einem Biber ab, der da lebt, wo das Wasser anfängt. Dann baut
er uns ein Boot, und zwei Radieschen nehmen wir auch mit. Herr Schlups
wäre selbst nach Amerika gegangen, wenn nicht eine Kleinigkeit
dazwischengekommen wäre.Tante Nuckel seufzte. Erstens wußte sie wegen
des dunklen Flecks auf dem Kopf überhaupt nicht, wo Amerika war, und
zweitens bekam ihr das Wandern nicht gut. Aber sie hielt tapfer mit,
Tage und Wochen, vier ganze lange Wochen, wenn sie auch heimlich
wünschte, es käme auch was dazwischen, wie bei Herrn Schlups -
irgendeine Kleinigkeit. Das kam auch, und es waren sogar acht
Kleinigkeiten. Tante Nuckel legte sich hin und bekam acht Kinder.

Onkel
Nuckel legte sich natürlich nicht hin, aber er setzte sich. Denn bei
solch einem Ereignis ist es für den Vater das einzig Mögliche, sich
vorläufig einmal hinzusetzen. Er setzte sich also, legte die Ohren
zurück und dachte nach. Mit acht Kindern kann ich nicht nach Amerika,
dachte er, sehr richtig, also muß ich hierbleiben, und zwar dauernd,
denn Tante Nuckel kriegt wieder Kinder, und diese Kinder kriegen Kinder
und deren Kinder kriegen Kinder ... und zwar sehr schnell ... Oh, Onkel
Nuckel wußte das. Es schwamm ihm vor den Augen, und er sah lauter
kleine Ohren, die sich hin und her bewegten, immer eins grade und eins
schief, so wie seine Ohren, oh, ganz genauso ... ein ganzes Feld von
Ohren - aber kein Feld, von dem man ernten kann. Doch war es nur eine
Anwandlung, die viele nachfühlen werden. Onkel Nuckel war kein
Karnickel, das untätig die Pfoten faltet. Er sprang mit einem Satz auf
und grub eine Höhle, daß ihm der Sand um die Löffel flog. Noch bis zum
Abend möblierte er sie mit weichem Moos und ähnlichen Dingen des
allernötigsten Komforts, so daß die vervielfachte Familie sich nachts
schon beruhigt aufs Ohr legen konnte, was für Karnickel wegen der
Beschaffenheit dieses Organs besonders weich und angenehm ist. Nur
Onkel Nuckel schlief nicht. Selten schlafen Väter in solchen Fällen.

So
stand er morgens schon sehr zeitig auf und suchte mit übernächtigen
Augen und nervös heißer Schnauze nach Lebensunterhalt. Es war ein
schwerer, sorgenvoller Gang, noch dazu in fremder Gegend, wo man die
Gefahren nicht kannte. Onkel Nuckels kleines Herz schlug ängstlich, er
äugte nach allen Seiten und bewegte die Ohren. Oft blieb er stehen und
nuckelte kummervoll vor sich hin. Aber seine Pfoten waren schon manchen
schweren Gang gehupft, und Onkel Nuckel wäre kein tapferes
Self-made-Rabbit gewesen, wenn nicht das Rammlerbewußtsein die
Oberpfote gewonnen hätte. So machte er noch ein paar gewaltige Sätze
ins Unbekannte und befand sich plötzlich an einer großen Mauer. Er
schnüffelte emsig an den bröckligen Steinen entlang und entdeckte bald
ein Loch, das, ungefähr drei Ohrenlängen groß, ihn bequem
durchschlüpfen ließ. Was Onkel Nuckel nun sah, durchrieselte ihn mit
einem tiefen Glücksgefühl von der Nase bis ins Schwänzchen, und die
nervös heiße Schnauze bekam wieder die normale kühle Temperatur, die
sie als Schwammgebilde zu beanspruchen hat. Was Onkel Nuckel sah, war
wundervoll: Salat, Salat und nichts wie Salat, nur dazwischen noch
einige Radieschenbeete. Essen, reichliches Essen für sich, für Tante
Nuckel und seine acht Kinder und noch für viel, viel mehr Kinder, für
eine ganze Kolonie kleiner nuckelnder Leute - oh, Onkel Nuckel traten
die Tränen in die Augen, und er wischte sich gerührt mit der
schwieligen arbeitsharten Pfote über die Nase, die schon Kummerfalten
aufwies, obwohl Onkel Nuckel noch in den rüstigsten Rammlerjahren
stand. Aber nun würde alles gut werden. Tante Nuckels Wochenmoosbett
würde glänzend verlaufen und viele Wochenmoosbetten nach sich ziehen,
und die Kinder würden Kinder kriegen, und alles würde eine große,
unabsehbare, befellte Multiplikation sein! ... Und all das würde satt
sein, satt und dankbar, wie Onkel Nuckel es war.

Die Dankbarkeit
des Geschöpfes ist das beste Gebet, und diese Gebete sind wirkliche
Religion, denn ihre Kirche ist die Natur und ihr Altar sind Gottes
Himmel und Gottes Sonne. Und über all dem Salat und der Dankbarkeit des
kleinen Kaninchens schien eben die Sonne, die die Sonne aller Geschöpfe
ist.

Onkel Nuckel stärkte sich erst mal etwas und nahm einen
flüchtigen Lunch ein. Die Blätter waren exquisit und dabei durchaus
verschieden im Aroma. Die Hauptmahlzeit wollte er erst im Kreise der
Familie schlucken; denn Onkel Nuckel hatte, wie wir wissen, eine durch
und durch anständige Gesinnung.

Dann prüfte er das Terrain auf
seine architektonischen Werte für Tiefbau, aber es erwies sich als zu
locker. Zur dauernden Wohnung ist im Überfluß der Boden stets zu
locker. Auch sind das meistens Mistbeete und nicht jedermanns
Geschmack. Nur harter Boden gibt sichere Heimat.

«Nein, hier ist
kein Tiefbau möglich«, sagte Onkel Nuckel nachdenklich,«aber das
schadet nichts. Hier ist Essen, und wenn ich fleißig hinübertrage, so
kann ich einen Laden eröffnen und für Salate Terrain eintauschen. Es
gibt hier gewiß viel Kaninchen, die besitzlich sind.«

Onkel
Nuckel war eben reell bis in die Krallenspitzen. Er hätte sich nie
widerrechtlich Boden angeeignet und nahm nach den trüben Erfahrungen
seiner Jugend an, daß alles besetzt sei. Denn Onkel Nuckel stammte aus
einer sehr bevölkerten Gegend, wo alles besetzt ist, wenn man sich
setzen möchte. Mit menschlichem Eigentum, wie Salaten, ist das was
anderes: das ist vogelfrei in der Tierwelt, weil man hier die
menschliche Moral notwendig übertragen hatte. Onkel Nuckel nahm an
Salat und Radieschenblättern, soviel er tragen konnte, ins Mäulchen und
hupfte beseligt nach Hause, wo acht kleine blinde Kinder eifrig an
Tante Nuckels Magengegend saugten.«Wenn sie erst Augen haben«, murmelte
Onkel Nuckel glücklich,«und die Sonne sehen können, so wie ich sie heut
sah über den Salaten ... oh!« Onkel Nuckel leckte ergriffen Tante
Nuckel die Stirn. Da sah er, daß der dunkle Fleck weg war. Die Not des
Lebens hatte ihn fortgewischt, und die Erkenntnis, daß das
Karnickelgehege derer von Döskopp nicht die Welt war. Jetzt war Tante
Nuckels Stirn rein und klar, als sie Onkel Nuckel ansah, von den
Salatsegnungen hörte und mit zärtlicher Mutterpfote über acht kleine
Geschöpfe fuhr, die zweiunddreißig Beinchen bewegten. Als Karnickelmama
lernt man zählen. Onkel Nuckel war recht froh, daß der dunkle Fleck
fort war. Er hatte nie viel davon gehalten.

Es ist doch besser,
man hat den dunklen Fleck nicht und weiß, was Amerika ist, dachte er,,
sonst wäre ich ja gar nicht hierhergekommen.

Dann aßen Nuckels
mit dem gesunden Appetit, den Kaninchen haben, und besonders hungrige
Karnickelleute, denen es schwer ergangen ist.

Bleib nur im
Moosbett, sagte Onkel Nuckel später und wischte sich den Bart,«ein
Salatblatt ist noch übrig, damit eröffne ich einen Laden, und abends
hole ich neuen.«

»Warum willst du denn einen Laden eröffnen?-
fragte Tante Nuckel und rieb sich unwillkürlich die Stelle, wo der
dunkle Fleck gewesen war. Von Döskopps hatten nie gehandelt, lieber
lagen sie anderen auf dem Fell. Das ist vornehm, und nicht nur bei
Kaninchen.

»Ich will Terrain erwerben zu unseren Höhlen«, sagte
Onkel Nuckel, »hier werden auch noch andere Karnickelherrschaften sein
und sicher auch besitzliche. Ich tausche gegen Salat. Das kann ich dir
nicht so erklären. Das ist merkantil. Auch greift es dich an«, schloß
er stolz und liebevoll.

»Merkantil« verstand Tante Nuckel nicht. Sie dachte, es wäre was zu essen, und schlief ein.

Onkel
Nuckel aber grub schnell noch eine Höhle, eine kleine mit offenem
Eingang, legte das Salatblatt hinein und schrieb mit sicherer
energischer Kralle in den Erdboden:

Dann setzte er sich davor und
wartete. Er rührte das Salatblatt nicht an, obwohl es appetitanregend
roch und er noch nicht ganz satt war. Schließlich setzte er sich drauf,
um es nicht zu sehen. Onkel Nuckel war eben ein Charakter! Es dauerte
eine ganze Weile, aber es kam niemand. Sollten hier wirklich keine
Kaninchen sein, dachte Onkel Nuckel, dann könnte ich doch beinahe frei
graben und das Salatblatt selbst essen.

Er holte zaghaft etwas
unter seinen Hinterbeinen hervor. Aber er blieb standhaft. Onkel Nuckel
war eben groß! Wie wenige sind so!

Endlich erschien etwas Weißes
im Buschwerk. Onkel Nuckel äugte ängstlich. Ja, es war ein Kaninchen,
aber ein ganz weißes. So was hatte Onkel Nuckel noch nie gesehen.
Mußten das vornehme Leute sein! Er sah ganz bedrückt an seinem
graubraunen Röckchen hinunter und strich es unwillkürlich mit den
Vorderpfoten glatt. Am Ende war das hier ein ganz fremdes Land.

Das
weiße Kaninchen hatte das Salatblatt unter Onkel Nukkels Hinterbeinen
bemerkt und kam eiligst auf ihn zugelaufen. Dann setzte es sich und
machte Männchen, wobei es kokett den hellen Schnurrbart mit der Pfote
strich. -Äh - gestatten«, sagte das weiße Karnickel schließlich, »M-m-m
ist mein Name.«

Die Sprache ist dieselbe wie unsere, dachte Onkel
Nuckel, nur schnarrte es etwas und sagte äh. Dann sagte er »Nuckel« und
legte verbindlich die Ohren nach vorne.

-Welch ein schönes Salatblatt!« sagte Herr M-m-m flötend und nahm es ohne weiteres zu sich.

Onkel
Nuckel stand unwillkürlich auf und sah wehmütig zu, wie das kostbare
Gut, das merkantil wirken sollte, allmählich verschwand. Nun mußte er
gleich den weiten Weg noch einmal laufen, und auch die
Selbstbeherrschung war umsonst gewesen. Weg war es. Es hätte auch in
seinem Magen sein können.

»Eigentlich wollte ich es verkaufen«,
meinte er schließlich schüchtern und wies mit der Pfote auf seine
Erdannonce. »Sehr gut«, sagte Herr M-m-m, » das ist laitue.« Herr M-m-m
war ein geborenes zahmes Kaninchen und hatte menschliche Dekadenz, wie
er selbst sagte. Darum unterschied er die einzelnen Salate mit
französischen Namen. Richtig brauchten sie nicht zu sein.

Wenn
was weg ist, ist es egal, ob es laitue hieß oder anders, dachte Onkel
Nuckel. »Ich wollte Terrain dafür eintauschen«, sagte er nun fest und
ruhig, denn das weiße Fell imponierte ihm nach dieser Gesinnung nicht
mehr. »Also bitte bemühen Sie sich, wenn Sie hinuntergeschluckt haben!
Sie werden mir wohl Auskunft geben können.«

Er trommelte drohend mit den Hinterbeinen.

Herr
M-m-m wurde höflicher und schluckte schnell den Rest. Man muß immer
schnell den Rest schlucken, wenn andere mit den Hinterbeinen trommeln.

»Mein
bester Herr Nuckel«, sagte er und machte eine legere Pfotenbewegung,
-Terrain tauschen? Hier ist alles frei. Glauben Sie, ich würde meinen
full dress hier spazierenführen, wenn das eine volkreiche Gegend wäre?
Nein, nicht in die Pfote! Das hier ist eine alte Besitzung von
sogenannten Menschen - eine Art Raubzeug von großen Dimensionen -; aber
sie steht leer, nur das Raubtier, das die Salate züchtet, lebt darin.
Daher bin ich, und darum gehe ich nicht gern in den Garten. Es ist ja
alles sehr elegant, aber es bleibt doch - wie soll ich sagen? - eine
Art Bevormundung. Paßt mir nicht. Auch sind die Raubtiere, die die
Salate züchten, nur halb gezähmt. Man weiß nie, ob sie einen nicht
plötzlich totschlagen Oh, ich weiß Geschichten.«

Onkel Nuckel
schauderte. -Das ist ja schrecklich«, klagte er, -ich habe mich so
gefreut, diese Salatstelle entdeckt zu haben. Ich habe Frau und Kinder.«

Herr M-m-m tupfte Onkel Nuckel nachsichtig auf die Schulter.

»Nur
Mut, junger Mann«, sagte er großartig, »ich zeige Ihnen die sicheren
Stellen und die richtigen Zugänge, es ist keine Schwanzbreite Gefahr
dabei. Dafür geben Sie mir eine Höhle und bringen mir das Essen aufs
Zimmer. Ich bin nervös und kann nicht arbeiten. Auch verträgt es der
weiße Dreß nicht - äh. Eigentlich gehöre ich gar nicht hierher, aber
ich will Ihnen den Gefallen tun.«

Onkel Nuckels gutes Herz schwoll in Dankbarkeit. »Oh, wie gerne - man kann hier graben??«

»Ungeniert.
Wissen Sie was? Wir gründen eine Terraingesellschaft. Das heißt, Sie
graben sie, und ich gründe sie.« Onkel Nuckel spitzte die Ohren. »Was
ist denn das, eine Terraingesellschaft?«

Herr M-m-m wiegte sich
überlegen auf den Hinterbeinen. »Das ist eine menschliche Einrichtung.
Eine Terraingesellschaft ist, wenn man viele Höhlen baut und niemand
hineinläßt.«

»Ja - aber dann??«

»Dann läßt man doch jemand
hinein, aber nur gegen Salat.« Aha, dachte Onkel Nuckel, das ist
merkantil, und zwar im großen Stil, im Hupftempo.

»Schließlich«,
fuhr Herr M-m-m fort und schnalzte mit der Zunge, »sitzen Sie so alle
Tage, trommeln mit den Hinterbeinen eine leichte Melodie und essen den
Salat, den andere holen - laitue oder was Sie wollen. Das ist vornehm.
Das ist Dekadenz - äh ...«

»Nein, das ist nichts für mich, ich
muß meine Pfoten bewegen«, sagte Onkel Nuckel, »aber sonst ist es ja
natürlich alles sehr schön.«

»Na, das können Sie halten, wie Sie
wollen«, meinte Herr M-m-m gnädig, »ihr Bauern seid nun mal so. Ich
kann mir das nicht leisten bei meinem weißen Dreß, wissen Sie, und bei
der ganzen Dekadenz überhaupt.« Herr M-m-m blies vornehm durch die
Nase. »Aber nun ans Werk! Graben Sie, und ich gründe - und abends,
bitte vergessen Sie nicht, ich speise dann laitue, aber nur die zarten
inneren Blätter - und nicht wahr, auf meinem Zimmer...«

Herr M-m-m machte es sich nonchalant in der Höhle bequem, die Onkel Nuckel als Gemüseladen gedacht hatte.

Onkel
Nuckel aber hüpfte eiligst zur Salatstelle, nachdem er sich den
gefahrlosen Zugang hatte beschreiben lassen. Denn nun mußte man noch
viel mehr laufen. Noch einer mehr war zu beköstigen, und dazu einer,
der nervös war und nur die inneren Blätter aß. Aber dafür gründete er
ja. Nur graben und Futter schleppen mußte Onkel Nuckel. Oh, Onkel
Nuckel war so dankbar! Abends grub er schon, und bei Mondschein grub er
auch noch weiter.

Onkel Nuckel war eben immer voll und ganz dabei, was er auch in die Pfote nahm.

So grub Onkel Nuckel, und so verging die Zeit.

Harte
Arbeit war es, und Bau um Bau wurde angelegt mit kunstvollen Röhren,
schön separat alles und doch dem Familiensinn entsprechend durch
Korridore und Klubräume verbunden. Auch zahllose Vorratskammern
entstanden, alles sachgemäß und nach einem sinnreichen Plan, denn Onkel
Nuckel war ein Meister im Tiefbau. Besondere Sorgfalt wurde auf die
Innenarchitektur verwandt, und die Fauteuils für den Winterschlaf
entsprachen allen Anforderungen der Neuzeit. Den ersten Anfang zu allem
grub Onkel Nuckel allein und eigenpfötig. Nachher gruben Kinder und
Kindeskinder mit. Man grub oder sammelte Vorräte für den Winter. Nur
Herr M-m-m grub nicht und sammelte nicht. Er chassierte bloß durch die
fertigen Räume, sprach von Dekadenz und laitue und kniff schäkernd die
jungen Karnickelmädchen in die Löffel. Herr M-m-m war eben ein
Weltmann. Das Weltmännische besteht darin, durch fertige Räume zu
chassieren und von Kohl zu sprechen, wenn er nur einen französischen
Namen hat. Richtig braucht er nicht zu sein. Aber Herr M-m-m sollte
noch trübe Erfahrungen machen, wie ja überhaupt die fertigen Räume
immer weniger von den Arbeitenden zum Chassieren hergegeben werden. Das
ist ein schreckliches Zeichen der Zeit! Wie leicht kann da die Spezies
der Weltleute aussterben samt dem Chassieren und dem Kohlsprechen! Aber
so weit sind wir noch nicht - ich meine natürlich in dieser
Karnickelgeschichte. Es kommt noch ganz anders, und einen gräßlichen
Schicksalsschlag sollte Onkel Nuckel noch erleben, ehe er ganz auf der
Höhe stand und mit ihm seine Multiplikationsfamilie.

Der Tiefbau
war gerade so weit gediehen, daß ein Teil der Höhlen entbehrlich war
und zum Vermieten bestimmt werden konnte. Die Höhlen wurden mit Moos
möbliert, und zwar elegant und komfortabel, wie überhaupt alle
Räumlichkeiten jetzt den Charakter eines gediegenen Wohlstandes trugen,
der auf sicheren Pfoten stand. Herr M-m-m memorierte eine
Einweihungsrede, die mit laitue anfing, und übte sich eine cäsarenhafte
Pfotenbewegung ein, als der Schreckensruf erscholl, Schlangen seien in
den Räumen gesehen worden. Alles stürzte wild durcheinander und brachte
die Botschaft in Onkel Nuckels Privatkontor.

Onkel Nuckels
Nasenspitze erbleichte vor Entsetzen. Er befahl mit energischer
Rammlerstimme, sofort die Zugänge zu den Neubauten zu schließen. Dann
brach er ganz in sich zusammen, zum ersten Male in seinem Leben. Die
verarbeiteten Pfoten klappten wie ein Taschenmesser ein, Tante Nuckel
zog sich die Ohren über die Augen und schluchzte, und alles rundherum
nuckelte ratlos und kummervoll. »Nun ist alles umsonst«, klagte Onkel
Nuckel, »man soll eben keine Höhlen bauen, um andere nicht hineinzulassen. Das
ist menschlich und unnatürlich. Das ist eben die Terraingesellschaft.
Wie gern würde ich darauf verzichten! Aber nun müssen wir alle hinaus
aus den schwer erworbenen Höhlen samt den gesammelten Salaten. Die
Schlangen werden auch hierherkommen. Leute, die so kriechen, kommen
überall durch!«

Oft sagen einfache Geschöpfe, wie Onkel Nuckel, in ihrer Herzensangst große Wahrheiten.

Inzwischen
war Herr M-m-m hinzugekommen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß
die Zugänge zu den Schlangenräumen alle gut verschlossen waren, machte
er die eingeübte cäsarenhafte Pfotenbewegung und sagte: »Ach was, jetzt
gründe ich erst recht. Warum sollen wir denn nicht vermieten? Nun
gerade. Haben wir darum so lange gearbeitet?? Wenn die Schlangen die
möblierten Herren haben, lassen sie uns in Ruhe. Wir bleiben im
Hintergrund. Bei allen Geschäften muß man im Hintergrund bleiben. Das
ist menschlich.« Da richtete sich Onkel Nuckel zu seiner ganzen Höhe
auf. »Ob das menschlich oder laitue ist, ist mir gleich«, sagte er,
»das ist unter meiner Karnickelwürde, und dazu gebe ich meine Pfote
nicht her!«

Alles nuckelte beifällig.

Aber Herr M-m-m, der
seine Mooschaiselongue und die inneren Blätter des Salates bedroht sah,
schlich sich hinaus und schrieb an alle Eingänge folgende Erdannonce:

MÖBLIERTE HÖHLEN zu vermieten.

Nur an solche, die zu Tisch nicht auf Karnickel reflektieren, weil Vermieter selbst Karnickel.

ONKEL NUCKE

Er
schrieb Onkel Nuckel darunter und nicht M-m-m; denn er wußte von den
Menschen her, daß man bei einer Terraingesellschaft, wenn Schlangen
irgendwelcher Art darin entdeckt werden, immer einen fremden Namen
darunterschreibt. Herr M-m-m hatte eben die menschliche Kultur. Dann
machte er noch einige sezessionistische Schnörkel um die Erdannoncen,
chassierte wohlgefällig auf und ab und wartete auf Reflektanten.

Sehr
bald kam auch jemand. Es war ein Igel, der mit der charakteristischen
Eile dieser Herrschaften alle Eingänge abgelaufen und alle Erdannoncen
durchgelesen hatte. »Ich bin der Direktor der Internationalen
Schlappfuß-Stachel-Transportgesellschaft«, sagte er geschäftsmäßig,
»ich will hier mieten.«

»Bitte sehr«, sagte Herr M-m-m und machte einige weltmännische Männchen.

»Ich will Onkel Nuckel selbst sprechen«, zischte der Direktor, »Sie sind kein Arbeitskaninchen. Sie sind ein weißer Fatzke! «

»Laitue ...«, hauchte Herr M-m-m, aber er kam nicht weiter. Das Wort erstarb ihm auf der Schnauze.

Wie
verschieden wird man doch bewertet! Es kommt immer auf den Maßstab an,
und man ist stets das Karnickel des Maßstabs. Das sah Herr M-m-m in
diesem furchtbaren Augenblick ein und setzte sich hin und verfärbte
sich. Das können Kaninchen und andere Tiere, und das heißt
Assimilation. Die Menschen verfärben sich meist jeden Tag, aber leider
nicht, wenn sie die Wahrheit hören, sondern schon im voraus, um die
Wahrheit nicht zu hören. Darum heißt es auch nicht Assimilation,
sondern anders. Aber das gehört nicht hierher. Denn dies ist eine
harmlose Karnickelgeschichte und kein Injurienlexikon.

Unterdessen
war der Igel in seiner geschäftsmäßigen Eile durch eine Menge Höhlen
und Röhren gepilgert und hatte sich bis zu Onkel Nuckel durchgefragt.
Onkel Nuckel war entsetzt, als er von der frivolen Erdannonce hörte.

»Ich lecke meine Pfoten in Unschuld«, sagte er, »sie sind rein von dieser Erdannonce. Das war M-m-m.«

Schon
gut«, sagte der Igel. »M-m-m sitzt oben und verfärbt sich zu einem
anständigen Arbeitskarnickel. Aber ich will hier mieten, und zwar
schnell - ich habe wenig Zeit.«

»Oh«, sagte Onkel Nuckel, »wenn
Sie hier mieten, haben Sie bald gar keine Zeit mehr. Sie sind dann tot.
Denn hier sind Schlangen! Huh!«

»Also inklusive voller
Beköstigung«, sagte der Direktor der
Schlappfuß-Stachel-Transportgesellschaft. Er war Geschäftsmann bis in
den letzten Stachel und behielt stets seine kühle Schnauze.

»Wie?
» rief Onkel Nuckel, »jawohl Beköstigung, aber Beköstigung andersherum.
Sie werden die Beköstigung sein! Oh, wie furchtbar!«

Als Beköstigung andersherum entpuppt sich vieles im Leben.

»Lieber
Mann, haben Sie eine Ahnung!« sagte der Igel, »das sind ja
Delikatessen! Ach, Sie meinen wegen der Giftzähne? Delikatessen haben
oft Giftzähne. Das tut nichts. Wir sind immun dagegen. Immun ist, wenn
man kann, wo man möchte. Wir machen das ganz einfach: Knacks, weg mit
den Giftzähnen - und was dann kommt, schlürft sich so angenehm fettig
und glitschig - ah - deliziös.«

Der Direktor leckte sich die
spitze Schweineschnauze. »Also, es bleibt dabei. Ich miete die Räume.
Kost und Logis. Sie sollen Salat geliefert bekommen, soviel Sie wollen.
Ich bin der Direktor der Internationalen
Schlappfuß-Stachel-Transportgesellschaft, wissen Sie. Es geht alles
furchtbar schnell« - er zeigte seine Pfote - »das sind Schlappfüße. Es
klatscht nur so, und wie das fördert! Das ist praktisch, sehen Sie.
Modell der >American Paw Society<.«

«Die amerikanischen
Society-Tatzen sind sehr schön«, sagte Onkel Nuckel höflich und fand im
stillen seine Beine schöner, »ich glaube wohl auch, daß das sehr
fördert. Aber viel können Sie doch auch nicht forttragen an Salat. Ich
weiß, wie mühsam das ist. Oh, ich weiß das aus Erfahrung! Ich bin Ihnen
ja schon sehr dankbar, wenn Sie mit den geehrten Ihrigen Delikatessen
speisen und keine zu uns hereinlassen. Darum möchte ich wohl bitten. Es
mag ja vielleicht sehr gut schmecken, aber wir sind einfache
Karnickelleute.«

»Sie kriegen Ihren Salat«, sagte der Igel, »eine
Pfote wäscht die andere. Wozu wären wir denn sonst eine
Transportgesellschaft?! Wir legen uns einfach auf den Rücken und
spießen den ganzen Salat auf. Das ist praktisch, wissen Sie. ..« .

»Ich weiß schon«, sagte Onkel Nuckel. »American Society oder so...«

»Nein,
diesmal nicht so. Aber ich habe gar keine Zeit«, sagte der Direktor,
»also auf Wiedersehen! Ich hole die Meinigen, es sind mehrere Familien.
Wir nehmen alle disponiblen Räume.«

Abends speisten die
Mitglieder der Transportgesellschaft schon die sehr unangenehm
überraschten Delikatessen, die Karnickelleute aßen den pünktlich
gelieferten Salat, Herr M-m-m verfärbte sich weiter, und Onkel Nuckel
tat einen tiefen, tiefen Atemzug.

Nun habe ich doch noch
gegründet, dachte er dankbar und gerührt, und es überkam ihn die
Stimmung voll Sonne und Salat von jenem Tage nach Tante Nuckels erster
Niederkunft. Jetzt bin ich auch - wie hieß es doch? - immun, denn jetzt
kann ich, wo ich möchte.

Onkel Nuckel war stolz und froh, daß er immun war, und tat einen Rückblick, was man nur tun soll, wenn man schon immun ist.

Was war nicht alles erreicht in diesen Jahren! Die vielen Höhlen und der viele Komfort und die vielen, vielen Karnickel.

Onkel
Nuckel flimmerte es vor den Augen. Nun war das Feld von kleinen Ohren
Tatsache geworden, das er damals visionär und keineswegs angenehm vor
sich gesehen, als er sich zum ersten Male als Vater hingesetzt hatte.

Nun
war er so weit, daß die Zahl seiner Familie im besten Fall eine
Wahrscheinlichkeitsrechnung war - und das kam von der Liebe und nicht
vom Salat, so nötig auch Salat ist. Denn Liebe ist groß und erhaben,
Salat aber ist das nicht. Das war Onkel Nuckels Wahlspruch gewesen, und
so herrlich weit hatte er ihn gebracht!

Nur die eigenen Kinder
konnte er noch zählen. Das tat Onkel Nuckel auch, und schließlich wurde
Tante Nuckel wieder leidend und bekam nebst einigen anderen Kindern das
hundertste Kind. Murkchen wurde es genannt. Da feierte Onkel Nuckel ein
Jubiläum, und alle feierten mit. Sogar die Delikatessenkonsumenten von
nebenan sandten eine Deputation, die in Gratissalat eingehüllt war.
Onkel Nuckel aber thronte inmitten all seiner statistisch nicht mehr
faßlichen Familie wie ein Patriarch! Ein Patriarch ist einer, vor dem
alle die Ohren zurücklegen. Das war Onkel Nuckel!

Hupft ihm nach!

 



____________________
Liebe Grüße aus der sonnigen Pfalz

Maiken
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