Meine lieben Freunde der Festumer Freiheit!
Gezeichnet von Seuche und Pein versuche ich mich an der Fortsetzung unseres hiesigen Kammerspiels.
Am Morgen des 19 HES 1039 BF hat in Festum ein von allen Seiten kommender Wind und Schneegestöber eingesetzt. Nur einzelne fieselig dünne Wehen von Graupelschnee ziehen wie Wanderdünen über den Boden des Marktplatzes.
Die Luft ist voll mit Flöckchen, die den ganzen Tag lang hin und her und hoch und runter und links- wie rechtsherum im Kreis zu tanzen vermögen, aber keine Anstalten machen jemals auf dem Kopfsteinpflaster liegen zu bleiben.
Am Vorabend schon haben Izan, Iowa und Farindula im Hesindendorf noch einmal zusammengesessen und die nächsten Schritte ausgelotet wie man dem Kirschhausener Jaruslaw für seine Grausamkeit gegenüber dem Festumer Goblinpaar von Gesetz wegen noch ein Nachspiel bereiten könne. Auch der junge Ludo hatte sich noch einmal dazugesellt, aber ein wenig überraschend - und zur Enttäuschung aller - einen Rückzieher gemacht. Seine Umtriebigkeit in den ersten Tagen nach Ankunft in Festum war schon augenfällig und es schien als sei er mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die Energie und Mühen, die man in einen Prozess stecken müsste, entscheidend bei der Ausübung von weitaus einträglicheren Geschäften fehlt.
Drei wackere Streiter machen sich also am Morgen des 19 HES 1039 auf den Weg zu mehr Gerechtigkeit. Das Marktgericht verwerft ihr in euren Überlegungen, schließlich hat eure Angelegenheit nichts mit dem Markt zu tun. Stattdessen soll es direkt zum Rathaus gehen. Es ist ein Wassertag, der nur im Bornland ausnahmsweise "Zinstag" genannt wird.
Von zwei Spalierwachen beäugt, bestaunt ihr zunächst die große Eingangshalle, in der an allen Wänden in silber gefasste Knochenfragmente des von Festo von Aldyra erschlagenen Höhlendrachen präsentiert werden. Dann aber orientiert ihr euch an weltlicheren Dingen, nämlich einer Schautafel mit deren Hilfe ihr versucht die passende Amtsstube ausfindig zu machen.
Letztlich landet ihr in einem Sekretariat des "Guts- und Blutsgerichts zu Festum" wo eine junge Schreiberin namens Birkya (die, wie sich später noch herausstellen sollte, mit ihrem gesamten Auftreten und Habitus ihrer vorgesetzten Rechtsgelehrten nacheifert) zunächst einmal eure Personalien und dann in einer Sitzecke euer Begehr zu Protokoll nimmt. Farindula drückt sich so gewählt wie möglich aus und gibt an "im Namen Praios - und Hesindes - eine Straftat gegen die körperliche Gesundheit eines Festumer Bürger zur Anzeige bringen zu wollen"...
Ihr wähnt euch auf dem richtigen Weg, denn sofort verfällt die Protokollantin in ihre Routine und stellt die üblichen Fragen.
Wer wurde geschädigt?
Wurde die Garde informiert?
Wo ist das passiert?
Von wem ging die Schädigung aus?
Ihr antwortet geflissentlich aber nach der letzten Frage hält sie sogleich inne. Sie tupft ihre Feder ab, legt sie beseite. Blickt über ihre Brillenränder, nimmt das Gestell dann vorsichtig ab. Prüft ihre Robe auf einen Fleck. Da ist kein Fleck.
"Euer Gnaden, werte Herrschaften... ich glaube für eine Anklage gegen jemand vom Wappen Kirschhausens... wegen Handlungen auf dessen eigener Scholle... da sind wir unzuständig. Ich denke da sollte Ihnen lieber die Kammerrichterin von Seweritz genauer Auskunft geben."
Dann erhebt sich die Schreiberin, klopft an einer schweren schwarz gelackten Tür, horcht daran und verschwindet kurz danach dahinter.
Etwa zwei durchgezählte Kompanien später macht ihr Bekanntschaft mit der dritten Kammerrichterin Derja-Tinke von Seweritz. Es liegt auf der Hand, dass Sie - bereits von Falten und grauem Haar gesegnet - die Authorität, das Charisma, die Strenge und die Milde zugleich verkörpert, für die Birkya schlicht noch 30 Jahre Leben fehlen. Sie wirft sich gerade einen teuren Mantel über und trägt zwei Urkundsrollen unter dem Arm, es sieht so aus, als schicke sie sich gerade an das Rathaus zu verlassen.
Trotzdem rückt sie zunächst einen Ohrensessel heran und lässt sich bei euch an der Sitzecke nieder. Nach standesgemäßer Begrüßung erörtert sie:
"Nun denn. Meine Kollegin hat mich bereits auf trockene Füße gestellt und euer Anliegen vorgetragen. Was soll ich sagen? Die Namen Bruutsch Smuddelvlies und Jääni Grauroth sind hier in der Stadt seit einigen Tagen in aller Munde. Ich verstehe euer Interesse, doch ich denke es macht am meisten Sinn euch an dieser Stelle bereits zu unterbrechen. Nicht weil ich eurem Ansinnen innerlich entgegenstehe, sondern um euch eure kostbare Zeit zu ersparen."
Sie blickt in eure zerknirschten Gesichter.
"Lassen sie mich erläutern: Die mit der Festumer Stadtfreiheit einhergehenden Bürgerrechte können nur dort gelten, wo der Arm des Festumer Stadtrechts auch hinreicht. Das ist in den Mauern Festums selbst der Fall, auf der Festumer Scholle... und darüber hinaus auch noch an einigen Märkten entlang des Borns, wo uns von diversen örtlichen Adligen die Gerichtsbarkeit unterstellt wurde. Alderow. Blütenfeld. Hamkeln. Da fahren wir Kammerrichter als Fahrsprecher dann gelegentlich hin und befassen uns mit den offenen Streitigkeiten.
Theoretisch könnten sie auch in Norburg und Firunen noch auf die Festumer Bürgerfreiheit pochen, da die gegenseitige Anerkennung unserer Stadtrechte mit diesen Städten vertraglich vereinbart wurde."
Sie fährt fort:
"Wie sie nach meinen Ausführungen vielleicht schon mutmaßen können, will ich Ihnen nun deutlich aufzeigen wo der Arm der Festumer Stadtfreiheit nicht hinreicht: nämlich in die Souveränität der Bronnjaren. Ein Bronnjar ist auf seiner Scholle das Gesetz.
Hätten sich die beiden zweifellos mit Bürgerrechten ausgestatteten Goblins dort aufgehalten wo ihnen das Bürgerrecht Schutz verleiht, und wäre es dort zu einem Übergriff gekommen, dann müsste sich auch ein Jaruslaw von Kirschhausen-Krabbwitzkoje nun peinlichen Fragen stellen. So wie mir die Geschichte nun jedoch zu Ohren gekommen ist kann sich der Bronnjar auf das Recht seiner Scholle berufen und muß sich allenfalls gegenüber seiner Mutter, der Gräfin von Kirschhausen verantworten. Es ist jedenfalls das gute Recht der Bronnjaren Rotpelze aufzugreifen, welche sich verdächtig gebaren und kostbare Besitztümer bei sich führen. Unter sewerischen Bronnjaren würde man sich dazu vermutlich sogar in der Pflicht sehen.
Ich weiß, das ist nicht die Antwort die sie von mir jetzt gerne gehört hätten, aber ich sehe leider keine Erfolgsaussichten für eine Klage gegen Jaruslaw von Kirschhausen-Krabbwitzkoje vor dem Festumer Stadtgericht.
Selbstverständlich ist das alles barbarisch und geradezu abscheulich... gerade was den Umgang mit den beiden Goblins angeht bei Harden und im Heerlager an den Sprenkeln... aber da sind uns die Hände gebunden, denn Jääni und Bruutsch hatten den Schutzschirm der Zivilisation verlassen."
Auf euer Insistieren, dass man da doch was machen können muss, schiebt sich die Richterin noch einmal die Brille ein wenig die Nase hoch und sagt:
"Das kann man schon. Nur hat das nichts mehr mit einer Klage vorm Stadtgericht zu tun. Da reden wir dann über politische, wirtschaftliche oder klerikale Sanktionen gegenüber Kirschhausen. Und dabei kann ich Ihnen leider auch nicht helfen. Da brauchen Sie andere Freunde..."
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"War does not determine who's right. Only who is left."
Bertrand Russell