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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Scham und Schuldgefühl

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Gast
New PostErstellt: 16.11.08, 07:10  Betreff: Scham und Schuldgefühl  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Psychiatrie
Scham und Schuldgefühl
DIE ZEIT, Ausgabe 47, 2008

Von Katrin Zeug | © DIE ZEIT, 13.11.2008 Nr. 47

* Schlagworte:
* Familie
* Psyche
* Psychiatrie

Die Familien von psychisch Kranken leiden ebenso wie die Patienten selbst. Doch Hilfen für sie gibt es kaum
Auch Angehörige psychisch kranker Menschen kämpfen gegen Vorurteile und Ausgrenzung

Auch Angehörige psychisch kranker Menschen kämpfen gegen Vorurteile und Ausgrenzung

© photocase

Mittwochs fährt Barbara B. in die Psychiatrie. Sie bringt Tabak mit und Blättchen zum Selberdrehen, Schokolade und Unterhosen von Schiesser. Ihr Sohn Oliver, 34 Jahre alt, kurze dunkle Haare, lacht und küsst sie zur Begrüßung. Er sagt: »Mama, wie schön, dass du hier bist.« Meistens gibt er ihr nur die Hand. Dann sitzt sie auf einem und er auf dem anderen Sessel neben dem Tisch voller Zigarettenstummel und Asche. Die Wände sind kahl. Sie sagt nichts. Er sagt nichts. Die Luft klebt vor offenen Fragen, aber sie zu stellen haben sie aufgegeben. Zu oft schon konnten sie einander nicht erreichen. Manchmal zischt er, dass sie an allem schuld sei. Dann geht sie. Auf dem Heimweg im Auto schreit Barbara B. oft die gesamte Fahrt über, versucht, die Beklemmung wegzubrüllen. »Gott, warum ich?«

Ihr Sohn hat eine Schizophrenie. Die Diagnose bekam er mit 19; mit 29 versuchte er sich umzubringen und lebt seitdem in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt im Süden Deutschlands. Seine Mutter ist der einzige Mensch aus der Außenwelt, der noch Kontakt zu ihm hat.

Die Angehörigen ihrer Patienten interessieren die Ärzte kaum, und wenn, dann werden sie meist als Störfaktoren gesehen. Selten werden sie in die Behandlung miteinbezogen und noch seltener nach ihren eigenen Problemen gefragt. »Kinder von psychisch Kranken, ihre Geschwister, Partner und Eltern leiden oft nicht weniger als die Betroffenen selbst«, sagt Thomas Bock, Psychologe am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Eine Studie der Universität Gießen beschreibt die Belastung, der Familienmitglieder psychisch Kranker ausgesetzt sind, mit der eines Studenten in der Examenszeit. Mit dem Unterschied, dass der Druck jahrelang, wenn nicht ein Leben lang anhält. 65 Prozent der Angehörigen sind früher oder später selbst behandlungsbedürftig, zeigt die Studie.

Die Leute sollen nicht merken, dass der Sohn schizophren ist

Barbara B. hat keine Hilfe. Ihre Nägel sind rot lackiert, die Lippen rosa nachgezogen, sie zupft die Decke auf ihrem Wohnzimmertisch zurecht und sagt, es gehe ihr gut. Während sie die Geschichte ihrer Familie erzählt, jätet ihr Mann im Garten Unkraut. Stundenlang schlägt er die Hacke in die Erde. Zu »dem Elend«, hat er zuvor gesagt, wolle er sich nicht äußern. »Aus Scham«, sagt seine Frau und schließt die Tür zum Garten. Ihren richtigen Namen möchte auch sie nicht in der Zeitung lesen. In dem kleinen fränkischen Ort, in dem sie mit ihrem Mann lebt, glauben die Leute, ihr Sohn habe Probleme mit Drogen. »Das ist auch besser so. Die Wahrheit können und wollen die Leute nicht verstehen«, sagt Barbara B. »Die zucken zusammen, man hat so was nicht zu haben, es ist ein Makel.« Seit Jahren habe in dem Ort, in dem schon sie selbst aufwuchs, keiner mehr nach ihrem Sohn gefragt. Barbara B. sagt, sie könne das verstehen, »die wollen halt keine Probleme«. Und vielleicht denken einige auch, dass sie schuld sei am Schicksal des Sohnes. Das habe sie schon öfter gehört. Schuld, dass »aus einem so netten Jungen ein Trottel geworden ist«, wie ihre Schwiegermutter einmal gesagt hat.

Oliver hatte gerade seine Ausbildung als Krankenpfleger begonnen. Etwas verspätet, weil er oft nicht in der Schule gewesen war, und erst nach vielem Zureden seiner Eltern und der damaligen Freundin. Zusammen mit den anderen Auszubildenden sah er in der Klinik einen Lehrfilm; Blut war zu sehen, Fleisch, Skalpelle, eine normale Operation. Als das Licht anging, blieb Oliver reglos sitzen und starrte weiter auf den Bildschirm. Er rührte sich nicht mehr und reagierte auf nichts. Als er seine Mutter zwei Tage später anrief, war er nicht mehr Schüler der Klinik, sondern Patient. »Bei meinem ersten Besuch erkannte ich ihn nicht wieder. Sein Körper war der gleiche, aber seine Reaktionen, sein Sprechen, sein Denken waren mir so fremd.«

»Wie geht es dir?«, fragt die Mutter ihren Sohn immer wieder und will ihn am liebsten schütteln, bis der Spuk aufhört. »Ich hätte alles getan, um ihm zu helfen, aber ich war machtlos.« Der unerreichbare Sohn ist für sie wie eine persönliche Ablehnung, die Diagnose wie ein Stempel: versagt! »Für mich war immer klar, wenn es Kindern schlecht geht, machen die Eltern etwas falsch. Aber wir, dachte ich, machen es richtig. Als ich ihn so sah, wäre ich fast erstickt an den Schuldgefühlen.« Auf der Suche nach der Ursache zerpflückt Barbara B. ihre Vergangenheit, hinterfragt jede getroffene Entscheidung.

Von ihm habe er die Krankheit nicht, sagt der Vater und wird zum Trinker

Sie holt eine Klarsichthülle und schüttet Fotos auf den Tisch. Die Bilder zeigen ihren Sohn als Baby im Tragerucksack auf dem Rücken des Vaters; blond gelockt und mit dicken Beinchen auf der Terrasse vor dem Haus stehend. Im Trachtenanzug bei der Kommunion und mit einer Schultüte, die beinahe so groß ist wie der kleine Junge selbst, der in die Kamera grinst. »Wir stellten uns vor, er würde vielleicht einmal Arzt werden oder so etwas. Wir dachten, er könnte die Welt ein bisschen besser machen, wenn er groß ist«, sagt sie und dann: »Vielleicht haben wir zu viel von ihm erwartet.«

Auf den Klassenfotos werden seine Jeans enger, die Haare länger, seine Haut wird pickliger. Ihr Oliver, sagt sie, war eigentlich immer ein ganz normaler Junge. Vielleicht mit etwas seltsamen Freunden, immer eher in sich gekehrt. Sensibel eben, hatte sie gedacht und dann, dass er »eine verspätete Pubertät« durchlaufe. Die Fotos werden spärlicher. Das letzte ist ein Bild aus dem Automaten und zeigt Oliver als hübschen Teenager. 19 Jahre alt, die braunen Haare zu einem Zopf gebunden, der Kiefer kantig, sein Blick ist auffallend stechend. Danach gibt es kein Bild mehr. Barbara B. hat zu weinen begonnen. »Es ist, als hätte ich einen Menschen verloren«, flüstert sie.

Ein halbes Jahr lang versagte Barbara B. die Stimme. Sie konnte nicht mehr als Lehrerin arbeiten, blieb zu Hause und übernahm die Betreuung ihres Sohnes. 60 Prozent aller chronisch psychisch Kranken werden in ihrer Familie von Eltern, Kindern oder Partnern versorgt. In der Altenpsychiatrie sind es nach Angaben einer Angehörigenorganisation sogar 80 Prozent. Schulungen, um zu lernen, mit dieser Situation umzugehen, gibt es so gut wie keine.

Oliver blieb die folgenden 10 Jahre zu Hause, unterbrochen von Klinikaufenthalten in akuten Krisen. Er schluckte das Psychopharmakon Zyprexa gegen Wahnvorstellungen und das Beruhigungsmittel Tavor – psychologische Betreuung bekamen weder er noch seine Familie. »Oft war es zu Weihnachten oder anderen besonderen Ereignissen, dass eine Krise losging«, sagt Barbara B. Dann entdeckte er überall Kameras, die ihn ausspionierten, fühlte sich von der Polizei verfolgt, für die Verbrechen in den Nachrichten schuldig, schrie seine Mutter an, sie stecke mit der CIA unter einer Decke. Olivers Vater wollte davon nichts wissen. Sein Erbe könne das nicht sein, sagte er und glaubte, sein Sohn sei schlicht zu faul zum Arbeiten. Als er sich lustig machte über dessen wirre Ängste und ihn immer öfter anschrie, wurde Barbara B. auch ihr Mann fremd. »Ich empfand es als abstoßend, wie er unseren Sohn behandelte.«

Der Vater begann zu trinken. Bei einer Auseinandersetzung holte Oliver aus und schlug ihm auf die Nase. Das blutige Taschentuch von damals steckt seitdem in einem Glas auf dem Schreibtisch des Vaters. Es ist das Einzige, was er von seinem Sohn aufgehoben hat, sie haben sich danach nicht mehr gesehen. Die Eltern trennten sich.

Die unterschiedlichen Arten, mit Schmerz, Wut und Unsicherheit umzugehen, entfernen Angehörige oft genau dann voneinander, wenn sie sich am meisten brauchten. »In der Sorge um den Kranken hören viele auf, sich um sich und ihre Beziehungen zu kümmern. Alles dreht sich nur noch um den Kranken, was den noch mehr unter Druck setzt«, sagt Thomas Bock. »Wir wissen längst, dass es wichtig ist, die Familien in die Therapie miteinzubeziehen, aber leider ist das noch immer nicht selbstverständlich.« Die kürzeren stationären Aufenthalte werden daher oft zur Drehtür: Die Familie ist überfordert, die Stimmung entsprechend angespannt, der Patient wird rückfällig.

Lässt die Mutter ihr Kind im Stich, wenn sie etwas für sich selbst tut?

Nach dem Schlag auf die Nase wurde Oliver erneut eingeliefert, zum letzten Mal. Kurz darauf, in einer Gruppentherapie, stand er plötzlich auf, rief: »Jetzt bin ich total durchgeknallt!«, rannte zum Fenster und sprang aus dem dritten Stock. Dass ihr Sohn versucht hatte, sich umzubringen, und – kaum verletzt – überlebte, erfuhr seine Mutter zufällig, als sie zwei Tage später in der Klinik anrief.

Seit drei Jahren fährt Barbara B. regelmäßig in die nächstgrößere Stadt zu einem »Stammtisch für Angehörige psychisch Kranker«. Im Wirtshaus Zur silbernen Kanne hängen im holzgetäfelten Schankraum Hirschgeweihe an der Wand und ausgestopfte Fasane. Schwere Vorhänge und Polster dämpfen die Geräusche der Straße. Einmal im Monat kommen Väter und Mütter, Partner und erwachsene Kinder hierher, um ihr Leid zu teilen. Um Geschichten auszutauschen, die andere nicht hören wollen, und um von Ängsten zu erzählen, die nur wenige verstehen. Mehr als tausend Selbsthilfegruppen gibt es deutschlandweit, die von den Landesverbänden des Vereins für Angehörige psychisch Kranker organisiert werden. Barbara B. erfuhr davon über einen Aushang in der Klinik. »Zum ersten Mal habe ich hier Menschen getroffen, von denen ich mich verstanden fühlte. Wenn ich deren Geschichten höre und sehe, dass sie es auch schaffen, gibt mir das Kraft und Hoffnung.« Dort lernte sie, dass sie sich nicht fürchten muss vor den Wahnvorstellungen ihres Sohnes, dass sie ein Teil von ihm sind. Wenn er von CIA-Agenten spricht, antwortet sie heute: »Ich weiß, dass du das so empfindest, aber ich sehe das anders.«

»Den anderen mit seiner Krankheit anzunehmen ist für viele schwierig, aber ein entscheidender Schritt«, sagt Thomas Bock. Oft sei das nicht ohne äußere Hilfe zu bewältigen. Auch die Frage, wie viel Abstand man braucht, um seine Liebe zu bewahren, ist schwer zu lösen. Lasse ich mein Kind im Stich, wenn ich mir Zeit für mich nehme? Wie stark muss ich sein für mein erkranktes Familienmitglied? »Es hat keinen Sinn, nur noch für den anderen da zu sein«, sagt Thomas Bock. »Wer nicht auf sich achtet, geht selbst verloren, und dann rasen am Ende zwei Gestirne durchs All, das bringt niemandem etwas. Angehörige dürfen sich nicht auch verlieren, sonst fallen sie als wichtige Stütze aus.«

Barbara B. schaut in den Garten. Sie sei wieder zu ihrem Mann zurückgegangen, sagt sie, »damit er sich nicht zugrunde säuft«. Wenn sie schon für ihren Sohn nichts tun könne, wolle sie sich zumindest um ihren Mann kümmern. Dann betont sie noch einmal, dass es ihr gut gehe. Die Tränen laufen ihr dabei so selbstverständlich über das Gesicht, als wären sie immer da. Barbara B. beachtet sie nicht.

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