Strafversetzung nach Interview
Wie ein angeblicher Skandal im Saarlouiser Jugendamt in der Homburger Kreisverwaltung zu Konsequenzen führt
Von MICHAEL JUNGMANN
Den Betriebsfrieden im Jugendamt des Saarpfalz-Kreises sieht Landrat Clemens Lindemann gestört. Ein Beamter hatte ein kritisches Interview über die Praxis in Jugendämtern gegeben. Er wurde deshalb versetzt.
Homburg/Saarlouis. Im Jugendamt des Landkreises Saarlouis ist die Welt in Ordnung. "Wir haben keine Fehler gemacht, haben uns absolut nichts vorzuwerfen", sagt Verwaltungsdirektor Bernd Klein. Einen Grund, personelle oder organisatorische Konsequenzen aus einem Vorfall zu ziehen, den Kritiker als Skandal einstufen, sieht er nicht. Eine Saarlouiser Familie war über Jahre hinweg von ihrer kleinen Tochter Lena (Name geändert) getrennt. (Siehe Info: Der Fall Lena.) Auslöser war wohl unter anderem eine amtliche Fehleinschätzung. Konsequenzen hatte die Saarlouiser Affäre dann aber im Jugendamt des Saarpfalz-Kreises. Wegen "Störung des Betriebsfriedens" musste dort Heribert Giebels (56) nach mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit in der Jugendhilfe seinen Schreibtisch im Kreisjugendamt räumen. Sein strenger Dienstherr, Landrat Clemens Lindemann, verfügte die Umsetzung, wie es im Beamtenjargon heißt. Der diplomierte Sozialpädagoge und Verfahrenspfleger darf künftig im Sozialamt wirken. Leute aus seinem Umfeld sprechen von einer Strafversetzung, weil Giebels seine Meinung öffentlich gesagt habe. Genau an diesem Punkt wird die Sache brisant und pikant: Landrat Lindemann ist als Vorsitzender der Homburger Siebenpfeiffer-Stiftung ein wahrer Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit und den freien Journalismus.
Der Beamte Giebels ist ganz bestimmt nicht pflegeleicht. In der Jugendhilfe gilt er als Profi. Er ist auch ehrenamtlich engagiert. Der Mann aus Blieskastel ist seit 13 Jahren stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes an der Saar. Wenn es um die Interessen von Kindern und Jugendlichen geht, meldet er sich deutlich zu Wort. Der Journalistin Sabine Rückert von der Wochenzeitung Die Zeit war die Meinung des Experten Giebels in Zusammenhang mit dem Saarlouiser Fall Lena ein umfangreiches Interview wert. Reporterin Rückert hat ihren Gesprächspartner als kompetenten Mann vom Fach kennen gelernt, sagt sie. Giebels Rat war in Saarlouis auch gefragt. Immerhin wurde er von den Beteiligten und Betroffenen gebeten, einen Helferkreis zu moderieren. Diese Runde sollte helfen, dass Lena wieder in ihre Familie eingegliedert werden konnte. Klar und deutlich hatte Giebels in dem Interview Position bezogen, darauf hingewiesen, dass die Sozialarbeiter in Jugendämtern mit großer Macht ausgestattet sind: "Dass Macht missbraucht wird, kommt immer wieder vor. Deshalb gerät das Jugendamt auch nach wie vor in den Ruf, ein rechtsfreier Raum zu sein. Das Jugendamt hat immer Recht, heißt es dann." Autorin Rückert hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihr Interviewpartner stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes ist und beim Jugendamt Homburg arbeitet.
Genau dort werden die Giebels-Worte vom Dienstherrn Lindemann als "Störung des Betriebsfriedens" angesehen. Seinen Kollegen sei eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar, meint der Landrat. Fürsprache von früheren Schützlingen des Sozialpädagogen, Reklamationen von betreuten Familien blieben ergebnislos. Der strafversetzte Beamte hat zwischenzeitlich über seine Interessenvertretung Widerspruch gegen die Umsetzung eingelegt. Möglicherweise kommt es deswegen auch zu einem Prozess. Dann könnte der Ablauf eines Personalgesprächs mit dem Landrat und dem Beamten als Hauptakteuren eine Rolle spielen. Giebels hatte zu dem Treffen einen Oberstleutnant als Person seines Vertrauens mitgebracht. Der Zeitsoldat hat in einem Gedächtnisprotokoll notiert, dass Lindemann dem Beamten gar mit einer Strafanzeige gedroht habe. Über Giebels Aussagen in dem Interview sei nicht gesprochen worden. Lange dauerte die Runde nicht. Lindemann fühlte sich angeblich "vorgeführt", weil erst im Verlauf des Gesprächs klar wurde, dass Giebels Vertrauensmann der Vater des Kindes war, das das Saarlouiser Amt aus seiner Familie geholt hatte. "Ich kann und darf dazu nichts sagen", meinte Landrat Lindemann zu der von ihm angeordneten Personalmaßnahme. Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht sieht er sich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Innerhalb der Ämter wurde in dem Fall nicht geschwiegen. Der Saarlouiser Verwaltungsdirektor Klein räumte ein, dass nach dem Giebels-Interview mit den Homburger Kollegen über den Kritiker aus der eigenen Zunft gesprochen wurde.
Saarbrücker Zeitung vom 13.12.2003: