FPR 2003 Heft 06 280
Verhältnis zwischen Hilfen nach dem SGB VIII und familiengerichtlichen Maßnahmen nach § 1666 BGB*
Professor Dr. Johannes Münder, Berlin
§ 1666 BGB mit seinen unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln ist eine Eingriffsermächtigung für das Familiengericht. Die Anwendungspraxis hat Fallgruppen gebildet: Vernachlässigung; körperliche, seelische Misshandlung; sexueller Missbrauch; Zuordnungskonflikte. Mit solchen Situationen ist regelmäßig auch das Jugendamt befasst, das mit sozialrechtlichen Angeboten des SGB VIII (§§ 27 ff.) reagiert. Diese Leistungen sind vorrangig gegenüber der Eingriffsmöglichkeit des Familiengerichts (§ 1666a BGB, § 50 III SGB VIII). Rechtsstatsächlich kommt es so letzlich darauf an, ob die Eltern „nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden“. Kommt es zu Maßnahmen nach § 1666 BGB, empfiehlt es sich, als Pfleger/Vormund nach Möglichkeit eine private natürliche oder juristische Person einzusetzen.
I. Einleitung
Die Thematik spannt sich über zwei Gesetze und ist nicht nur deswegen ein weites Feld, sondern in erster Linie wegen der in den einschlägigen Bestimmungen der Gesetze verwendeten weiten Begriffe. So knüpft das SGB VIII bei den individuellen Hilfen, den Hilfen zur Erziehung in § 27 SGB VIII an die unbeschränkten Rechtsbegriffe vom „eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung“ und daran an, dass „die Hilfe für seine Entwicklung geeignet oder notwendig ist“. Auch die Rechtsfolge ist nur sehr allgemein benannt mit „Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung)“, die in § 27 II SGB VIII auch nicht sonderlich weiter konkretisiert wird, wenn ausgeführt wird, dass die Hilfe zur Erziehung „insbesondere“ nach §§ 28 ff. SGB VIII gewährt wird1. Auch dort, wo der Bezug zu dem BGB hergestellt wird, in § 50 III SGB VIII, ist die Rechtslage ähnlich weit, wenn formuliert wird, dass das Jugendamt dann, wenn es zur Abwendung einer Gefährdung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen das Tätigwerden des Gerichts „für erforderlich“ hält, das Gericht anzurufen hat2. Auch im BGB verhält es sich nicht anders. § 1666 BGB enthält bei den Voraussetzungen der Norm eine Anhäufung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei den Rechtsfolgen arbeitet das Gesetz über den Begriff „erforderliche Maßnahmen“ mit Generalklauseln. Auch die - später eingefügte - Norm des § 1666a BGB kommt ohne solche unbestimmten Rechtsbegriffe nicht aus, wenn sie formuliert, dass der Gefahr „nicht auf andere Weise“ begegnet werden kann.
Die Häufung solch unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln weist daraufhin, dass wir es hier mit einem besonderen Feld zu tun haben. Rechtswissenschaftliche Erkenntnisse werden hier nur zu gewinnen sein, wenn bei der Auslegung die historischen Entstehungshintergründe beachtet (unter II) und die Veränderungen der Realität einbezogen werden (unter III). Auf diesem Wege kann es dann gelingen, zu Aussagen über das in der Überschrift angesprochene Verhältnis kommen zu können (unter IV).
II. Die ursprüngliche Ausgangslage: Die Regelung des § 1666 BGB
Betrachtet man § 1666 BGB distanziert, so stellt sich diese Norm für einen unbefangenen juristischen Betrachter eher als eine Norm des öffentlichen Rechts, denn als eine Norm des Zivilrechts dar: Bei Vorliegen einer Gefährdungslage wird dem (bis zum 30. 6. 1998 Vormundschafts-, seitdem dem Familien-) Gericht die Möglichkeit eingeräumt, erforderliche Maßnahmen zu treffen. Die Struktur dieser Norm hat so mehr Ähnlichkeiten mit der polizeirechtlichen Generalklausel des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsrechts als mit klassischen Normen des Zivilrechts. Es handelt sich um eine in ein justizielles Gewand gekleidete Ermächtigung für (gerichtliche) Eingriffe. Verwunderlich ist dies nicht, wird doch über § 1666 BGB auf dem Weg des zivilrechtlichen Kindesschutzes die in Art. 6 II formulierte Wacht der staatlichen Gemeinschaft realisiert3.
1896/19004 war dies verständlich. Nicht nur deswegen, weil es zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des § 1666 BGB keine Kinder- und Jugendhilfe gab, sondern auch deswegen, weil in den folgenden Jahren das Verständnis von Jugendwohlfahrt weitgehend ordnungsrechtlich (mit fürsorgerischen Anteilen) geprägt war5. So war es folgerichtig, dass der Gesetzgeber die Struktur einer Sicherheits- und Ordnungsnorm im BGB schaffte, um so die Grundlage für - gerichtliche - Eingriffe in das Elternrecht zu schaffen.
Diesem eingriffsorientierten Verständnis des § 1666 BGB folgte die Auslegungspraxis und folgt sie weitgehend bis heute. Dies zeigt sich daran, dass nicht unerhebliche rechtsdogmatische Bemühungen darauf verwandt werden, möglichst genau die verschiedenen Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1666 BGB zu erfassen. Dies ist nicht überflüssig, denn es gibt in der Realität durchaus Situationen, bei denen es vorrangig um die genaue Subsumtion unter die in § 1666 BGB genannten Tatbestandsvoraussetzungen geht - allerdings handelt es sich rechtstatsächlich eher um einen kleinen Bereich6.
Da es in allen Fällen des § 1666 BGB auf die jeweils ganz konkrete Einzelsituation ankommt, sind die Schwierigkeiten bei der Auslegung der Norm nicht zu verkennen, denn generelle Aussagen müssen notwendigerweise einen hohen Abstraktionsgrad haben, um die Vielzahl unterschiedlicher Einzelfälle erfassen zu können. So ist es nicht überraschend, dass die Ergebnisse der Auslegung bisweilen keinen wesentlich höheren Konkretisierungsgrad als der Gesetzestext selbst erreichen.
So ist etwa für die Kindeswohlgefährdung entscheidend, ob für die Zukunft eine Gefährdung des Kindeswohls anzunehmen ist. Eine Gefährdung liegt vor, wenn durch die psychosoziale Sozialisationssituation, in der sich der Minderjährige gegenwärtig befindet, konkret benennbare Schädigungsfolgen wahrscheinlich eintreten, so dass sich bei einer Nichtveränderung der Situation eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Die befürchtete Gefahr muss im Einzelfall konkret benannt und eine weniger schädliche Alternative entwickelt werden7.
Bei den Gefährdungsursachen stellt § 1666 BGB die verschiedenen Ursachen gleichrangig nebeneinander. Unter einem Sorgerechtsmissbrauch ist nach h.M. der falsche, rechts- und zweckwidrige Gebrauch der elterlichen Sorge zu verstehen, der objektiv dem Wohl des Kindes entgegensteht und für jeden vernünftig denkenden Elternteil erkennbar ist. Als Beispiele werden genannt Misshandlungen8, Unterbindung des Schulbesuchs9, Verhinderung medizinischer Betreuung, z.B. die Verweigerung der Zustimmung zu Impfungen, Operationen oder Bluttransfusionen10, sexueller Missbrauch11. Der Vernachlässigungstatbestand bezieht sich hauptsächlich auf jüngere (auch körperlich oder geistig behinderte) Kinder, die ihre Bedürfnisse noch nicht artikulieren können. Es handelt sich um die Nichtgewährleistung zentraler physischer und psychischer Bedürfnisse. Das Tatbestandsmerkmal des unverschuldeten Versagens stellt klar, dass ein Verschulden seitens der Eltern für eine Maßnahme nach § 1666 BGB nicht erforderlich ist12. Darüber hinaus hat diese Klausel eine Auffangfunktion für verschiedene denkbare Gefährdungslagen, die sich nicht unter die vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen (Sorgerechtsmissbrauch, Vernachlässigung, Verhalten eines Dritten) subsumieren lassen. Gemeint sind hier z.B. häufige Schlägereien und Streitereien zwischen den Eltern in Gegenwart des Kindes13, Alkohol-14 und Drogenabhängigkeit der Eltern15, psychische Erkrankungen16. Da ein Verschulden seitens der Sorgeberechtigten generell nicht erforderlich ist, kommt es bei einem Eingriff allein darauf an, ob und inwieweit die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung vorliegen.
Mit dem Verhalten eines Dritten sind Situationen angesprochen, in denen nichtsorgeberechtigte Dritte eine Gefahr für das Wohl des Minderjährigen darstellen. Dritte können familienfremde Personen sein, in der Regel handelt es sich jedoch um familiennahe Personen, z.B. Stiefelternteile, Lebensgefährten, Pflegepersonen17.
Als zusätzliche Voraussetzung aller familiengerichtlicher Maßnahmen muss hinzukommen, dass die Eltern „nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden“. Ob dies aus Gründen der Unfähigkeit, Gleichgültigkeit oder Unwilligkeit geschieht, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist die Zukunftsprognose: Muss davon ausgegangen werden, dass die Eltern auch zukünftig nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwehren? Erst wenn prognostiziert wird, dass die Eltern auch in der Zukunft für die Sicherstellung des Schutzes des Kindes ausfallen - aus welchen Gründen auch immer - ist die Möglichkeit familiengerichtlicher Eingriffe gegeben.
Auf der Rechtsfolgenseite, bei der Auslegung der erforderlichen Maßnahmen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind, zeigt sich deutlich die sicherheits- und ordnungsrechtliche Prägung. Hier wird als zentraler Maßstab der (verwaltungsrechtliche) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herangezogen, wonach das Gericht den „geringst möglichen“ Eingriff vorzunehmen hat, um die Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. Dementsprechend werden die gerichtlichen Maßnahmen nach dem Maß der Intensität des Eingriffs in die elterliche Sorge qualifiziert18.
Bei aller Notwendigkeit einer rechtsdogmatischen Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 1666 BGB hat sich die Rechtsanwendungspraxis - wie im Falle derartiger Generalklauseln häufig - bei der Anwendung des § 1666 BGB in den letzten Jahren mit der Bildung von Fallgruppen geholfen, was durchaus eine sachangemessene Anwendung des § 1666 BGB befördert. Auf Grund der vorliegenden rechts- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse lassen sich folgende Fallgruppen für die Anwendung des § 1666 BGB benennen19.
Vernachlässigung: Hierbei handelt es sich um eine andauernde oder wiederholte Unterlassung der physischen (Ernährung, Pflege, Gesundheitsfürsorge) und psychischen (Zuwendung, Förderung und Bereitstellung von Entfaltungsmöglichkeiten) Versorgung des Kindes. Auf Grund von Unfähigkeit oder fehlender Bereitschaft sorgeberechtigter Personen werden kindliche Lebensbedürfnisse nicht wahrgenommen und befriedigt, so dass die körperliche, geistige oder seelische Entwicklung des Kindes beeinträchtigt oder geschädigt wird. Betroffen sind hier vorwiegend kleinere Kinder beiden Geschlechts. Häufig sind die Sorgeberechtigten auf Grund ihrer konkreten Lebenslage damit überfordert, die Versorgung ihres Kindes angemessen sicherzustellen20.
Körperliche Misshandlung: Als körperliche Misshandlung werden Verletzungen des Kindes bezeichnet, die aktiv durch Erwachsene (meist Sorgeberechtigte) verübt werden. Sie umfasst alle gewaltsamen Handlungen, die dem Kind körperliche Schäden und Verletzungen zufügen. Mit den körperlichen Misshandlungen sind regelmäßig auch psychische Misshandlungen verbunden, das Kind erfährt nicht ausschließlich den körperlichen Schmerz: Es erlebt Bedrohung, Feindseligkeit und Gewalt seitens einer Person, die es dennoch liebt und auf die es in jeder Hinsicht angewiesen ist. Die Folgen von Misshandlungen sind neben körperlichen Verletzungen und psychischen Krankheiten Kontakt- und Konzentrationsstörungen, auffälliges Sozialverhalten u.v.m.
Seelische Misshandlung: Bei der seelischen Misshandlung erfährt das Kind Ablehnung, wird terrorisiert oder isoliert, in der Entwicklung seines Selbstwertgefühls beeinträchtigt. Es wird von den Eltern abwertend behandelt, psychisch unter Druck gesetzt, verängstigt, überfordert oder zurückgewiesen. Zur seelischen Misshandlung zählt auch die extreme Überbehütung oder die symbiotische Fesselung der Kinder. Im familiengerichtlichen Verfahren ist diese Form der Misshandlung besonders schwer nachzuweisen: Eine mögliche Gefährdung müsste als solche erkannt werden, auch wenn die schädigenden Auswirkungen noch nicht offensichtlich feststellbar sind. Folglich spielen hier Prognosen (und die damit verbundenen Unsicherheiten) über die voraussichtliche Entwicklung des Kindes in der Familie eine besondere Rolle.
Autonomiekonflikte: Hierunter werden Konflikte verstanden, bei denen sich unterschiedliche Lebensauffassungen von Eltern und jugendlichen Minderjährigen gegenüberstehen. Insbesondere ab der Pubertät findet bei den Jugendlichen ein Streben nach Autonomie und ein Einüben in selbstständige Handlungen und Entscheidungen statt. Wird dieser Prozess unterbunden oder wird die Eigenentscheidung des Minderjährigen grob missachtet, kann dessen seelisches und geistiges Wohl erheblich beeinträchtigt werden. Besonders betroffen sind im Allgemeinen jugendliche Mädchen. Autonomiekonflikte sind besonders in Immigrantenfamilien von Bedeutung, wo neben der altersbedingten Ablösungsproblematik unterschiedliche kulturelle Entwicklungen der älteren und der jüngeren Generation eine Rolle spielen21.
Sexueller Missbrauch: Als sexueller Missbrauch wird jede sexuelle Handlung bezeichnet, die an oder vor einem Kind oder Jugendlichen entweder gegen dessen Willen vorgenommen wird, oder der er auf Grund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Minderjährigen zu befriedigen. Bei der Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch tritt oft das Problem auf, dass ein Verdacht besteht, dieser jedoch ebenso wenig wie das Gegenteil bewiesen werden kann. So handelt es sich hier nicht selten um eine Gratwanderung, Kinder unbegründet von ihren Eltern(teilen) zu trennen und eventuell Unschuldige zu stigmatisieren bzw. zu dulden, dass Kinder missbraucht werden22.
Zuordnungskonflikte: Juristisch firmiert dieses soziale Problem meist unter dem Stichwort „Missbrauch des Herausgabeverlangens“ nach § 1632 BGB. Hier wachsen Minderjährige in einem Beziehungsgeflecht auf, in dem die rechtlichen Inhaber der Personensorge keine bestimmende Rolle (mehr) spielen. In diesen Konstellationen kann es beispielsweise zu Konflikten zwischen Pflegeeltern und Eltern kommen, zwischen Eltern und Verwandten (z.B. Großeltern) oder zwischen Elternteilen, bei denen nur ein Elternteil sorgeberechtigt ist23.
Vergleicht man die Ergebnisse der bisher umfangreichsten Untersuchung von Münder/Mutke/Schone mit den ca. 20 Jahre zurückliegenden Untersuchungen in Frankfurt a.M.24, so ergibt sich, dass neue gesellschaftliche Aufmerksamkeiten auch hier zu neuen Erkenntnissen führen: Als neue Kategorie, die in der früheren Untersuchung noch nicht auftauchte, wird jetzt der sexuelle Missbrauch erfassbar.
III. Die heutige rechtstatsächliche Situation: Jugendamt als zentraler Akteur
Heute ist die rechtstatsächliche Situation anders als 1896/1900: Es existiert mit dem SGB VIII ein ausformuliertes sozialrechtliches Leistungsgesetz und mit dem Jugendamt eine organisatorisch zuständige Behörde, die zentraler Akteur bei der Förderung und Sicherung des Kindeswohls ist. Zwar gibt es auch weiterhin Fälle, in denen das Jugendamt nicht oder nur punktuell mit Fragen der Sicherung des Kindeswohls befasst ist25. In der erwähnten Untersuchung war insgesamt nur in etwa 10% der Fälle die familiale Situation den Jugendämtern nicht bekannt. In allen anderen Fällen kannten die Jugendämter die Familien. Zwar spielte bei der Einschaltung der Familiengerichte auch hier bisweilen eine aktuelle Notlage eine Rolle (insgesamt in 16,7% der Fälle), der überwiegende Teil der Einschaltung der Gerichte erfolgte jedoch nicht aus solch aktuellen Notsituationen heraus, sondern war Folge von sich zuspitzenden Gefährdungen oder fehlgeschlagenen, von den Eltern nicht angenommenen sozialpädagogischen Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Diesen sich zuspitzenden Kindeswohlgefährdungen und den fehlgeschlagenen sozialpädagogischen Unterstützungsangeboten ging regelmäßig ein zum Teil langer Kontakt mit der Familie voraus. Im Einzelnen ist dies je nach der konkreten Problemsituation unterschiedlich, doch insgesamt lässt sich sagen, dass von den Gerichten Maßnahmen nach § 1666 BGB in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur nach vorheriger Befassung des Jugendamts mit der familialen und sozialen Situation getroffen werden.
[Tabelle: Kenntnis der Familien durch das Jugendamt (n=312)]
Betrachtet man die Gesamtheit der Familien, in denen eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist, hinsichtlich der Angebote und Leistungen der Jugendämter26, so sind drei Gruppen zu unterscheiden. Die erste Gruppe sind Familien, in denen das Kindeswohl zwar gefährdet ist, die Eltern jedoch die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Gefahrenabwendung aufbringen (z.T. unter dem Druck einer möglichen gerichtlichen Intervention), Hilfsgebote annehmen und so die Gefährdung des Kindeswohls abgewandt wird. Dieses ist bei weitem die größte Gruppe von Familien mit kindeswohlgefährdenden Situationen. In diesen Fällen geht das Sozialleistungskonzept des SGB VIII auf, die Kindeswohlgefährdung wird durch das Angebot von Hilfen durch das Jugendamt und die Annahme dieser Hilfen durch die Eltern abgewendet, so dass kein Anlass mehr für das Tätigwerden der Gerichte besteht.
Die zweite Gruppe sind Familien, bei denen es zwar gelingt, Hilfen einzurichten, wo diese Hilfen jedoch (letztlich) nicht geeignet oder nicht hinreichend sind, die Kindeswohlgefährdung wirkungsvoll abzuwenden. Hier werden durchaus mehrere Hilfs- und Unterstützungsangebote von den Familien angenommen, diese reichen jedoch nicht aus, um letztlich auf gerichtliche Maßnahmen zur Kindeswohlsicherung verzichten zu können.
Die dritte Gruppe sind Familien, bei denen es nicht gelingt, sozialpädagogische Hilfs- und Unterstützungsleistungen zu realisieren. Diese Familien wehren alle Versuche ab, allgemeine Förderungsleistungen oder spezielle Hilfen zur Erziehung zu realisieren. Hier misslingt der Jugendhilfe bereits der erste Schritt. Bei den angebotenen Leistungen handelt es sich durchaus auch um „stigmafreie“ Leistungen der Jugendhilfe, wie die Kindergartenbetreuung, die Beratung usw. - selbst derartige Angebote scheitern in diesen Fällen.
Daraus wird erkennbar: Entscheidend für das Tätigwerden der Gerichte ist nicht die Kindeswohlgefährdung als solche, sondern ganz überwiegend (in fast 90% der Fälle) die Tatsache, dass die Familien (nach Ansicht der Jugendämter) „nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden“. Dies entspricht durchaus dem Grundgedanken sowohl des § 1666 BGB, wie dem Sozialleistungskonzept des SGB VIII. Damit verschiebt sich aber die Aufgabe der Gerichte: Vorrangig wird regelmäßig nicht, zumindest nicht alleine, das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung geprüft, sondern Schwerpunkt der gerichtlichen Tätigkeit ist die Überprüfung, ob das vom Jugendamt angenommene Merkmal des Nichtwollens oder des Nicht-in-der-Lage-Seins seitens der Eltern vorliegt. Damit wird die Tätigkeit der Gerichte bei § 1666 BGB zu einer justiziellen Kontrolle verwaltungsrechtlichen Handelns.
Diese globale Aussage gilt, auch wenn sich die Handlungskonzepte der Gerichte durchaus unterschiedlich darstellen. Trotz der individuellen Vorgehensweise der Gerichte lassen sich gewisse Typisierungen erkennen. Zusammenfassend lassen sich drei unterschiedliche Typen charakterisieren, die unterschiedliche Verfahrensstile repräsentieren27. Idealtypisch lassen sich diese Verfahrensstile bezeichnen als korporativer, autonomer und mediativer Verfahrensstil.
Der korporative Verfahrensstil wird von RichterInnen praktiziert, welche den Kindesschutz als gemeinsame Aufgaben von Jugendamt und Gericht interpretieren, deshalb sollten beide Institutionen in dieser Frage eng zusammenarbeiten. Diese Richter"Innen gehen von einer hohen Richtigkeitsgewähr der Vorschläge des Jugendamts aus. RichterInnen mit korporativem Verfahrenstyp lassen sich eher auf informelle Vorinformationen durch das Jugendamt ein. Sie beziehen inhaltlich nur selten konträre Positionen zum Jugendamt und verlassen sich auf dessen Fachlichkeit.
Der autonome Verfahrensstil wird von RichterInnen praktiziert, die ihre Aufgabe mehr von der justiziellen Seite her interpretieren. Sie sehen es im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht als wichtig an, eine eigene intensive Prüfung der Sachverhalte vorzunehmen und Beweisverfahren durchzuführen. Gegenüber dem Jugendamt prüfen sie, ob von dieser Seite alles Notwendige getan wurde, um die Gefährdung auf andere Weise abzuwenden. Sie nehmen eine kontrollierende und korrigierende Haltung gegenüber dem Jugendamt ein und legen Wert auf umfassende Berichte und auf die Vorlage von Hilfeplänen.
Den mediativen Verfahrensstil schließlich kennzeichnet eine arrangierende oder moderierende Haltung der RichterInnen, die die Situation zwischen Eltern und den Fachkräften am Jugendamt eher als klassischen Konflikt sehen. Diese RichterInnen versuchen, festgefahrene Hilfeprozesse wieder in Gang zu setzen, indem sie sich als ModeratorInnen betätigen und Lösungen in beiderseitigem Einverständnis auszuhandeln versuchen. Von Seiten der Jugendhilfe werden diese RichterInnen oft als entscheidungsschwach charakterisiert.
IV. Vorrang von Sozialleistungen vor gerichtlicher Intervention
Die rechtstatsächlichen Veränderungen werden auch bei der Interpretation bestehender bzw. der Schaffung neuer Rechtsnormen erkennbar. Dies gilt schon für § 1666 BGB selbst. Zwar wurde die Norm 1979 im Rahmen der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge28 geändert29, aber sie ist in ihrer Grundstruktur weitgehend gleich geblieben. Änderungen ergeben sich jedoch im Rahmen der Rechtsauslegung. Bei der Interpretation der Begriffe „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ ist heute der Vorrang von Angeboten und Leistungen der Jugendhilfe zu realisieren. Denn die Existenz des SGB VIII und die Etablierung der sozialpädagogischen Fachbehörde Jugendamt bedeutet, dass durch entsprechend methodisches sozialpädagogisches Handeln dafür zu sorgen ist, dass Eltern in die Lage versetzt werden, durch entsprechende Angebote und Unterstützungen der Jugendhilfe eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden, bzw. dass durch das sozialpädagogische Vorgehen der Fachkräfte der Wille der Eltern geweckt und gefördert wird, einer Kindeswohlgefährdung zu begegnen. In der verwaltungsrechtlichen Eingriffsterminologie wird dies meist als „geringstmöglicher Eingriff“ bezeichnet. Sozialrechtlich ist es als die Verpflichtung des Sozialleistungsträgers zum aktiven Handeln zu bezeichnen, durch das die Eltern befähigt werden, Angebote und Leistungen der Jugendhilfe anzunehmen30.
Der auch im Zusammenhang mit der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge neu eingefügte § 1666a BGB macht diesen Grundgedanken ebenfalls deutlich - allerdings nur bezogen auf familientrennende Maßnahmen. Seit dem 12. 4. 2002 wird diese Zwitterstellung zwischen Eingriff und Leistung auch in der Überschrift der Norm deutlich, wenn nebeneinander einerseits der aus der verwaltungsrechtlichen Eingriffsterminologie stammende Begriff des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und andererseits der aus dem Sozialrecht stammende Aspekt des Vorrangs der öffentlichen Hilfen verwendet wird.
Aus §§ 1666 und 1666a BGB ergibt sich somit insgesamt (nicht nur für die familientrennenden Maßnahmen), dass sozialrechtliche Leistungen und Angebote Vorrang haben vor gerichtlichen Interventionen.
Diese Orientierung auf den Vorrang von Sozialleistungen muss sich letztlich auch bei den gerichtlichen Entscheidungen zeigen. Das Verständnis der gerichtlichen Entscheidung nach § 1666 BGB ist noch weitgehend vom Denken der Eingriffsverwaltung bestimmt. So werden die in § 1666 BGB genannten „erforderlichen Maßnahmen“ üblicherweise nach einer Skala der Intensität sortiert: Diese reicht „als mildestes Mittel“ von Auflagen, Ermahnungen, Vereinbarungen mit den Eltern, über den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts, den Entzug des Personensorgerechts bis hin zum Entzug der gesamten elterlichen Sorge. Auch in der realen Entscheidungspraxis zeigt sich, dass dort, wo es um eingreifende Interventionen geht, der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts bevorzugt wird, da er als „geringerer Eingriff“ als etwa der Entzug des Personensorgerechts angesehen wird31. Wenn es jedoch darum geht, den Vorrang von Sozialleistungen zu realisieren, dann muss die vom Gericht getroffene Maßnahme die rechtliche Situation dafür schaffen, dass dies möglich ist. Das bedeutet, dass individuelle Hilfen, in erster Linie die Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII, realisiert werden können. Nach § 27 I SGB VIII ist Anspruchsberechtigter der Hilfen zur Erziehung der Personensorgeberechtigte. Insofern kommt es entscheidend darauf an, dass die gerichtliche Maßnahme das Recht beinhaltet, die individuellen Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen. Wird - wie in den meisten Fällen - das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, so beinhaltet dies grundsätzlich nicht das Recht, Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen32.
Wird in diesem Zusammenhang ein Pfleger (u.a.) mit dem Aufgabenkreis bestellt, Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen, so ist zu beachten, dass Rechtsanspruchsverpflichtete der Hilfen zur Erziehung die öffentlichen Jugendhilfeträger sind. Deswegen ist es nicht sinnvoll, das Jugendamt selbst in dieser Situation zum Pfleger zu bestellen. Würde das Jugendamt dazu bestellt werden, müsste es zugleich unterschiedliche Rollen wahrnehmen: die des Personensorgeberechtigten als Antragsteller und die des Sozialleistungsträgers als Leistungsverpflichteter. Das würde zu einer problematischen Rollenvermengung führen. Empfehlenswert ist es vielmehr, wie es auch das BGB vorsieht (§ 1791b BGB), vorrangig eine (natürliche oder juristische) Person außerhalb des Wirkungsbereichs des Jugendamts zu bestellen33. Die Bestellung des Jugendamts als Pfleger wäre eine Ermächtigung des in Kindeswohlverfahren sowieso sehr dominanten Jugendamts.
Die Beachtung der hier dargestellten Aspekte vor der Entscheidung des Familiengerichts, die - hier nicht weiter behandelte - Interessenvertretung des Kindes während des Verfahrens durch einen Verfahrenspfleger34 und die Einsetzung eines vom Jugendamt unabhängigen Pflegers nach Verfahrensabschluss, würde so insgesamt dazu führen, dass der Vorrang von Sozialleistungen vor gerichtlichen Interventionen auch rechtstatsächlich realisiert wird.
*Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Sozialrecht und Zivilrecht am Institut für Sozialpädagogik, Fakultät I, Geisteswissenschaften, an der Technischen Universität Berlin.
1Zu den Auslegungsproblemen bei dieser Norm - die schon damit beginnen, ob die Eignung und Notwendigkeit zu den Tatbestandsvoraussetzungen oder zu den Rechtsfolgen gehören, die sich bezüglich der einzelnen unbestimmten Rechtsbegriffe fortsetzen, die schließlich in der Frage münden, inwiefern die Entscheidungen des Jugendamts gerichtlich überprüfbar sind - vgl. ausführlich Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe (FK-SGB VIII), 4. Aufl. (2003), § 27 Rdnrn. 4ff., 13ff., 40ff.
2Die h.M. geht davon aus, dass das Jugendamt hier einen Beurteilungsspielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative hat, kein Ermessen, vgl. dazu Münder u.a., FK-SGB VIII (o. Fußn. 1), § 50 Rdnr. 22; Wiesner u.a., SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 2. Aufl. (2000), § 50 Rdnr. 75.
3Diese Norm setzt die schon in der Reichsverfassung (Weimarer Verfassung) begründete Konzeption fort, auch dort ist in Art. 120 mit demselben Wortlaut davon die Rede, dass die Erziehung oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern ist, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.
4Am 18. 8. 1896 wurde das BGB zusammen mit seinem Einführungsgesetz im Reichsgesetzblatt verkündet und ist gem. Art. 1 des Einführungsgesetzes am 1. 1. 1900 innerhalb des Gebietes des damaligen Deutschen Reiches in Kraft getreten.
5Ausführlich dazu Münder, Familien- und JugendhilfeR, Bd. 2: Kinder- und JugendhilfeR, 4. Aufl. (2000), S. 30ff.
6Vgl. dazu unter III die Hinweise auf die Fallkonstellationen, in denen die Familiengerichte „unmittelbar“, d.h. ohne vorherige Befassung mit den Fällen durch das Jugendamt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben.
7BayObLG, FamRZ 1999, 179.
8BayObLG, NJWE-FER 1997, 173 = FamRZ 1997, 572.
9BayObLG, NJW 1984, 928.
10Z.B. OLG Düsseldorf, DAVorm 1992, 878; OLG Celle, NJW 1995, 792.
11OLG Köln, FamRZ 2000, 1240.
12Das unverschuldete Versagen wurde als verfassungswidriger Eingriff in das Elternrecht angesehen, das BVerfG hat jedoch die Formulierung des Gesetzes ausdrücklich gebilligt - BVerfGE 60, 79 = NJW 1982, 1379.
13BayObLG, FamRZ 1984, 829.
14OLG Hamburg, FamRZ 2001, 1088.
15OLG Frankfurt a.M., FamRZ 1983, 530.
16OLG Karlsruhe, JAmt 2001, 192.
17Vgl. z.B. BayObLG, DAVorm 1981, 216 (221); BayObLG, FamRZ 1994, 1413.
18Ausführlich Röchling, Vormundschaftliches Eingriffsrecht und KJHG unter besonderer Berücksichtigung der „öffentlichen Hilfen“ nach § 1666a I BGB, 1997.
19Welches in der Rechtstatsächlichkeit die Problemlagen sind, wurde Ende der 70-er Jahre von Simitis u.a., Kindeswohl, 1979, und Zenz, Kindesmisshandlung und Kindesrechte, 1979, untersucht und typisierte Gefährdungslagen von Kindern und Jugendlichen wurden herausgearbeitet. Ende der 90-er Jahre wurde dies von Münder/Mutke/Schone, Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz, 2000, weiterentwickelt. Diese Typisierungen können nicht alle Bereiche abdecken, so dass es immer Einzelfälle geben wird, die nicht in diese Kategorien einordbar sind, hier bleibt die oben genannte Auslegung der Tatbestandsmerkmale nach wie vor von Bedeutung.
20Nach der Untersuchung von Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19) stellt in quantitativer Hinsicht die Vernachlässigung mit ca. 50% der Fälle, bei denen die Jugendhilfe bei Gericht mitwirkt, die hauptsächliche Gefährdungslage dar, vgl. S. 99ff.
21Deutlich wird dies bei einer fast typischen Autonomiekonfliktkonstellation: zwischen weiblichen türkischen Jugendlichen und ihren Vätern, beim Konflikt zwischen patriarchalischen Strukturen und der Entwicklung autonomer weiblicher Lebensentwürfe, vgl. dazu den ausführlich dokumentieren Fall von LG Berlin, FamRZ 1983, 943 m. Anm. John, FamRZ 1983, 1274; KG, NJW 1985, 68, sowie z.B. OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 1258; BayObLG, FamRZ 1997, 945.
22Vom sexuellen Missbrauch sind in erster Linie Mädchen betroffen, bis auf einen Fall handelte es sich in der Untersuchung von Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19) ausschließlich um Mädchen; bei den Mädchen ist der sexuelle Missbrauch nach der Vernachlässigung (und neben der seelischen Misshandlung) die zweithäufigste Gefährdungslage bei der Kindeswohlgefährdung - ca. 14% der Fälle, vgl. S. 101.
23Während bei den Veröffentlichungen Gerichtsentscheidungen aus diesem Bereich eindeutig dominieren, ergibt sich bei einer rechtstatsächlichen Untersuchung, dass die Zuordnungskonflikte in etwa nur 4% der Fälle eine Rolle spielen - vgl. Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19), S. 101.
24So Simitis u.a. (o. Fußn. 19) und Zenz (o. Fußn. 19).
25Bei den punktuellen Fällen handelt es sich häufig um Situationen, in denen keine generelle, sondern nur eine spezifische Maßnahme des Familiengerichts erforderlich ist, so z.B. bei der Zustimmung zur Vornahme von Operationen, Bluttransfusionen usw., wenn diese seitens der Eltern (wie z.B. aus religiösen Gründen bei den Zeugen Jehovas) verweigert wird.
26Zu den einzelnen Hilfen und Angeboten vgl. Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19), S. 109ff.
27Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19), S. 209.
28BGBl 1979 I, 1061; in Kraft getreten zum 1. 1. 1980.
29Die Änderung bezog sich inhaltlich in erster Linie darauf, dass mit der Formulierung „durch unverschuldetes Versagen der Eltern“ gesetzgeberisch klargestellt wurde, dass eine objektive Kindeswohlgefährdung wie die Anwendung des § 1666 BGB ausreichend ist - vgl. o. Fußn. 12.
30Der Gegensatz zu einem aktiven Handeln wäre ein passives Verständnis des Sozialleistungsträgers, wonach Tätigwerden des Sozialleistungsträgers nur auf „Antrag“, auf Anregung seitens der Eltern erfolgen müsste.
31Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist mit 29,3% die am häufigsten getroffene Entscheidung in der Hauptsache - vgl. Münder/Mutke/Schone (o. Fußn. 19), S. 136f.
32So h.M., vgl. z.B. Gutachten des Deutschen Vereins, NDV 1995, 168; BayObLG, FamRZ 1995, 168; 1437 m.w. Nachw.; LG Leipzig, DAVorm 1996, 620; BVerwG, NJW 2002, 232 = ZfJ 2002, 30; Jans u.a., Kinder- und JugendhilfeR, Komm., 3. Aufl., § 27 Rdnr. 22a; Münder u.a., FK-SGB VIII (o. Fußn. 1), § 27 Rdnr. 24; a.A. Schellhorn, SGB VIII/KJHG, § 27 Rdnr. 15; LG Darmstadt, FamRZ 1995, 1435: Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts genügt, da es als „Annex“ Erziehungs- und Betreuungskompetenz beinhaltet.
33Damit ist ein neues Problemfeld eröffnet vgl. dazu Hansbauer, ZfJ 1998, 496; ders. (Hrsg.), Neue Wege in der Amtsvormundschaft?, 2000; Zenz, ZfJ 2002, 457, sowie die Ergebnisse des Forschungsprojekts des Instituts für Soziale Arbeit e.V. zu den Perspektiven der bestellten Vormundschaft/Pflegschaft für Minderjährige, die voraussichtlich im Sommer 2003 von Hansbauer/Mutke/Oelerich veröffentlicht werden.
34Salgo, Der Anwalt des Kindes, 1993; Weber/Zitelmann/Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft, Standards für VerfahrenspflegerInnen. Die Interessensvertretung für Kinder und Jugendliche in Verfahren der Familien- und Vormundschaftsgerichte gem. § 50 FGG, 2001.