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Bernard Bonvivant
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Erstellt: 12.11.09, 14:02 Betreff: Manchmal steht die Zeit still
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An einem herrlichen Sommertag verlässt ein alter Mann seine Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses im Nauwieserviertel von Saarbrücken. Sein Ziel ist der Staden, eine Parkanlage in der Landeshauptstadt, direkt gelegen an der Saar. Sein Weg führt immer hierher sogar an bitterkalten Wintertagen.
Früher als seine Frau noch lebte, hat sie ihn oft begleitet, dann saßen sie bei gutem Wetter stundenlang auf der Parkbank an ihrer Saar.
Leider hat seine Frau ihn vor zwei Jahren für immer verlassen, jetzt ist er nur noch allein mit sich und seinen Erinnerungen.
Die Saar war über viele Jahrzehnte seine Heimat gewesen, schon als kleiner Junge begleitete er oft seine Eltern, vor allem in den Schulferien. Sein Vater fragte ihn meist. „Und Gottfried, was wirst du von Beruf, wenn du ein Mann bist?“
Er antwortete dann immer. „Papa, ich werde natürlich Saarschiffer genauso wie du!“ Sein Vater nahm sich dann meist eine Gitanes aus der Zigarettenpackung und rauchte erst einmal ein paar Züge, ehe er sich dann zu einer Antwort durchgerungen hatte.
„Weißt du, Gottfried, das wird von Jahr zu Jahr schwerer auf diesem Fluss. Ich habe in deinem Alter noch meinem Vater zugesehen, wie er mit seinen Leuten das Boot entlang des Treidelpfades gezogen hat. Wir hatten zwar Rösser aber die Arbeit mein Junge war dennoch schwer. Ein paar Jahre später hat mein Vater unser Schiff hier gekauft. Wir hatten zwar ein großes Schiff mit einer starken Maschine aber unsere Schulden waren keineswegs gering. Es gab Tage an denen war unser Essenstisch sehr bescheiden.“
Gottfried meinte dann immer. „Papa, die Zeiten ändern sich, heute geht es uns doch viel besser. Wir haben ein Auto. In ein paar Jahren haben wir eine ganze Schiffsflotte.“
Sein Vater musste dann immer laut lachen und Mutter streckte den Kopf aus der Kombüse und rief. „Josef, höre mir bloß damit auf, dem Jungen Flausen in die Ohren zu setzen. Du weißt wie hart wir unser Brot verdienen.“ Der Vater lachte dann meist noch lauter. „Herr Gott, Mariechen, ich versuche es ihm doch auszureden. Der Junge ist halt ein echter Saarschiffer!“ Seine Mutter war dann meist noch wütender. „Josef mache unseren Buben nicht unglücklich. Der soll ein besseres Leben haben.“ Der alte Mann hatte seine Parkbank erreicht und setzte sich mit einem Lächeln nieder.
Seine Mutter war eine Seele von Frau gewesen und sie hatte es wirklich nur gut mit ihm gemeint. Gottfried aber hatte andere Ziele und die hießen, Schiffer werden. Alle Versuche seiner Mutter, ihm eine andere Zukunft auszumalen, waren für ihn undenkbar. Die arme Frau hatte schließlich an jenem Tag verloren, an dem Gottfried für sich die Liebe zu einem Mädel entdeckte.
Unter der Brücke von Sarreguemines geschah dies an einem Sommertag. Sie stand vor dem Schiff ihres Vaters und blickte ihn wütend an. Er hatte sie nicht bemerkt und war gegen ihr Fahrrad gelaufen. Die Einkaufstasche auf dem Gepäckträger des Rades fiel zu Boden. Da lagen nun das Baquette und der Käse und die zerbrochene Rotweinflasche am Boden. Der Schiffer kam zu ihnen und sah sich die Bescherung an. Er blickte zu seiner Tochter und dann zu Gottfried. Dann sprach er. „Ihr zwei seit mir ein schönes Paar, habt ihr nur noch Augen für euch im Kopf oder was ist los?“
Josef kam von seinem Schiff herüber und entschuldigte sich für seinen Sohn. „Wir ersetzen den Schaden, Monsieur. Ich heiße Josef Wagner“ Der Mann blickte ihn groß an. „Mais oui, Monsieur Josef, weißt du noch wie wir damals Schläge von unseren Vätern bekamen, weil uns die Rösser auf dem Treidelpfad fast verloren gingen?“
Josef griff sich an seine Stirn und brüllte. „Mensch, der Jacques Legrand, das ist schon so lange her, ich habe dich nicht mehr erkannt. Ist das deine Tochter?“ Jacques nickte voller Stolz. „Das ist meine Lucie.“
Lucie lächelte und es war der schönste Augenblick dieses Lebens für Gottfried. Ab jenem Tag waren sie unzertrennlich und ihr weiteres Leben stand fest. Sie würden die Tradition der Saarschiffer fortsetzen. Zwei Jahre später haben sie geheiratet. Im Jahr darauf hatten sie ihr eigenes Schiff, die Lucie. Es war das schönste Schiff auf der Saar und immer tiptop gepflegt und sauber. Bei ihnen konnte ein Besucher sprichwörtlich vom Boden essen. Die ersten Jahre liefen gut, viel zu gut. Sie hatten immer Fracht und schipperten die Saar hinunter über den Saar-Kohle-Kanal zum Rhein-Marne-Kanal und oft führten diese Fahrten ins Ruhgebiet und manches Mal sogar nach Rotterdam.
Gottfried stehen die Tränen in seinen Augen und während die Jugend im Fluss der Tränen erneut vor seinem Auge verwelkt, wie war diese Zeit mit Lucie so schön gewesen. Manchmal aber stand die Zeit auch in dieser Vergangenheit still, dann wenn das Hochwasser oder extremes Niedrigwasser eine Weiterfahrt verhinderte. Diese Zeiten nutzen sie damals nur für sich, gemeinsam erkundeten sie das Elsass, kletterten durch die Vogesen oder waren in Luxemburg, Belgien, eben gerade wo ihr Schiff sozusagen gestrandet war, gemeinsam Hand in Hand unterwegs. Ja, sie hatten ihr Leben genossen und es gab nichts was sie hätten bereuen müssen.
Was dann geschah konnten sie nicht verhindern, sie hatten in der schweren Zeit noch großes Glück gehabt. Es war ihnen gelungen die beiden Schiffe der Eltern zu verkaufen und nach deren Tod war noch genügend geblieben um nicht mittellos zu werden. Die schönen Zeiten hatten sich gewandelt, es kam die Stahlkrise.
Die Stahlkocher wurden von ihren Hochöfen weggespült und die Frachtraten gingen dramatisch zurück. Das schwarze Gold wurde auch immer weniger und am Ende waren sie froh, wenn sie wenigstens noch gerade so über die Runden kamen.
An einem Sonntagmorgen saßen sie auf dem Saar-Kohle-Kanal fest mit einem Maschinenschaden. Lucie nahm es gelassen, deckte den Frühstückstisch und meinte sie müssten eine Entscheidung treffen. Gottfried hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet.
Lucie ließ keinen Zweifel aufkommen, es war an der Zeit der Saarschifffahrt „lebe wohl“ zu sagen. Für Gottfried war dieser Sonntagmorgen hart. Eine Wasserratte war nun einmal keine Landratte. Am Ende aber siegte die weibliche Vernunft und die Erkenntnis, dass es keinen Sinn ergab, die Ersparnisse für das Alter in eine ungewisse Zukunft zu stecken. Sie verkauften ihr Schiff und zogen in die Stadt. Es war Lucie, die unbedingt eine preiswerte Wohnung wollte. Wussten sie was noch kommen sollte? So zogen Sie in das Nauwieserviertel, statt einem Auto gab es zwei Räder und ansonsten fuhren sie mit den Straßenbahnen im Saartal. Er war stolz eine so kluge und bescheidene Frau an seiner Seite zu wissen.
Gottfried schaut auf seinen Fluss und könnte er die Zeit noch einmal durchleben, die Zeit würde länger stehen bleiben in den guten Jahren. Nein, da ist kein Groll, er hat eine sehr gute Frau gehabt, nur die Zeit ihres gemeinsamen Lebens war zu kurz und seine Zeit allein vielleicht zu lang. Langsam erhebt er sich von der Bank, ein paar Schritte hin zum Fluss. In einer Plastiktüte hat er wie so oft Brotreste. Er wirft sie in hohem Bogen den Enten in der Saar zu. Einige Minuten schaut er noch dem Treiben im Wasser zu, dann wendet er sich ab.
Sein Weg führt ihn zurück, in seine einsame Wohnung. Seine Brust aber ist voller Stolz, er war schließlich ein echter Saarschiffer, einer von dem alten Schlag. Seine Liebe zur Saar ist nie erloschen genauso wenig wie die Liebe zu seiner Lucie. Darum wird er auch Morgen wieder auf seiner Bank an der Saar im Staden sitzen, allein und seine Gedanken werden eintauchen in seine gute alte Zeit.
© Bernard Bonvivant, Schriftsteller
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