Remus’ Augen verloren sich im himmlischen Blau und trugen seine Gedanken weit fort in andere Zeiten und Welten. Erst die dünne, zaghafte Stimme der jungen Summer Shade brachten in wieder zurück und er fühlte sich, als wäre er von einer langen Reise heimgekehrt, jedoch ohne dem befriedigenden Gefühl von Sicherheit und Wärme, das sich einstellt wenn man die heimatliche Türschwelle übertritt.
„Warum sollte jemand für Sie einen schlagenden Baum pflanzen wollen? Ich verstehe das nicht so recht, es macht doch gar keinen Sinn!“
Zuerst war Remus amüsiert von ihrer unbegründeten Angst Grenzen zu überschreiten, in dem sie Remus so direkt eine Frage stellte, doch dann wurde er bald wieder ernst. Er schaute Summer tief in ihre dunklen Augen und war sich mit einem Mal sicher, dass dieses Mädchen die Wahrheit durchaus verkraften konnte. Remus sprach nicht oft über seine animalische Seite. Nicht darüber zu sprechen half ihm manchmal sie zu vergessen und wenn auch nur für eine Sekunde. Tonks hatte ihm stets geholfen darüber hinweg zu helfen. Bei ihr hatte er sich immer wie ein Mensch gefühlt. In ihren weichen und dennoch starken Armen zu liegen hatte ihm das Gefühl gegeben kein Monster zu sein, selbst wenn er sich in jeder Vollmondnacht in eines verwandelte. Sie hatte in seine Augen geblickt ohne Angst zu haben, das Tier darin zu erblicken. Sie war überzeugt gewesen, dass er ihr niemals wehtun würde, nicht einmal als Wolf. Sie hatte geglaubt, dass Liebe im Stande war die Grenzen zwischen Tier und Mensch verwischen, oder sogar vollständig aufzulösen. Aber der Werwolf in Remus hätte niemals gezögert Tonks anzugreifen, ihre Knochen zu brechen, ihr Blut zu vergießen, sie zu töten; bei einem Angriff hätte Remus’ Liebe nicht gereicht um sie zu retten.
Remus hatte diese Tatsache niemals verdrängen können und Tonks, nachdem die erste Verliebtheit verflogen war, auch nicht mehr. Die Trennung hatte Remus sehr geschmerzt, noch heute konnte er nicht an sie zurück denken ohne einen großen Verlust zu spüren. Seit Jahren hatte er nichts mehr von ihr gehört. War sie glücklich geworden? Hatte sie Kinder bekommen? Dachte sie an ihn – wenigstens hin und wieder? Er hatte geträumt Vater zu werden. Ihrer Kinder. Er wäre sogar das Risiko eingegangen seinem Kind die schreckliche Verwandlung anzutun, im ein Leben als Werwolf aufzubürden um es im Arm halten zu können, seine Lippen auf die weichen Kinderbacken zu drücken und zu wissen, dass er Tonks’ Kind berührte. Dann kam die Trennung.
Tonks hatte ihm tief in die Augen gesehen und gesagt, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein konnte. Remus hatte ihr nicht widersprochen und hatte sie nicht angefleht bei ihm zu bleiben. Die Bitte lag noch immer ungesagt auf seiner Zunge und ließ ihn vor Bitterkeit würgen. Er hatte geahnt, dass es so kommen würde und hatte nicht gewagt sich dagegen zu stellen. Tonks hatte es verdient einen gesunden Mann zu bekommen, einen vor dem sie sich nicht fürchten musste. Dabei hätte ihr Remus niemals im Weg stehen können. War das Liebe?
Wahrscheinlich hätte es Remus nie über das Herz gebracht ein Kind zu zeugen, ohne zu wissen ob es gesund sein würde. Einen unschuldigen Säugling mit diesem Fluch zu strafen kam ihm verwerflich vor, die größte Schuld die ein Mensch auf sich laden konnte. Dennoch verspürte der alte Mann ein wenig Selbstmitleid, als er Summer betrachtete und sich für einen Moment erlaubte, sich vorzustellen, dass sie seine Tochter sei.
Er hatte seinen Vater kaum gekannt, er starb bei dem Versuch ihn vor dem Werwolf zu beschützen. Wie gern hätte er seinen Kindern von seinem Vater erzählt, hätte sie ebenso beschützt wie Divicus Lupin es getan hatte. Remus hatte diese Gefühle und Bedürfnisse stets auf seine Nichten und später deren Kinder übertragen. Sie konnten den Platz in seinem Herzen trotzdem nicht völlig ausfüllen. Remus hatte noch viel mehr zu geben.
Als Remus ansetzte Summer die Geschichte seiner Schulzeit zu erzählen war er doch erstaunt, dass das Mädchen darüber nicht schon Bescheid wusste. Zu Harrys Schulzeit waren die Geschichten der Rumtreiber legendär gewesen. Man wusste einfach darüber Bescheid. Aber in diesen Zeiten wurde so viel vergessen und verdrängt. Niemand sprach mehr über Harry und Voldemort. Sie versuchten es totzuschweigen, als könnten sie es dadurch ungeschehen machen. Jedes Mal wurde Remus mit Groll erfüllt wenn er daran dachte. Wie konnte die Zaubererwelt die Taten der Potters und ihrer Weggefährten nur so missachten?
So viele Schüler Hogwarts’ waren Waisen. Hatten sie denn nicht wenigstens verdient, dass auch ihre Schulkameraden von deren Heldentaten erfuhren? Remus musste unbedingt noch ein ernstes Wort mit Percy darüber sprechen. Die Kinder sollten alles erfahren. Nur so konnte der Friede gewährleistet werden, nur so konnte eine erneute Rückkehr des Dunklen Lords verhindert werden! Doch niemand hörte mehr auf den alten Mann. Hinter vorgehaltener Hand schimpfte man ihn sogar schwachsinnig und spürten die Bedrohung nicht.
Remus selbst hatte die Hoffnung auf einen endgültigen Sieg des Guten längst aufgegeben. War es denn möglich, dass die Dunkle Magie jemals völlig verschwinden würde? War das Gute noch gut, wenn es keinen bösen Gegenspieler mehr hatte? Existierte der Frieden überhaupt noch, wenn er nicht vom Krieg bedroht wurde? Die Fragen bereiteten Remus oft Kopfschmerzen, dennoch konnte er nicht aufgegeben. Er fühlte die Last der Verantwortung auf seinen Schultern. Er musste die anderen Zauberer vor SEINEN dunklen Machenschaften schützen, selbst wenn sie es gar nicht wollten. Er würde unermüdlich weiter kämpfen, versuchen die Menschen aufzurütteln und die Vergangenheit immer erzählen, bis sie niemals mehr vergessen werden konnte.
Nach einer langen Zeit in der Remus geschwiegen hatte, begann er endlich zu sprechen. Man konnte den Eindruck haben, als hätte Remus erst über den Grund nachdenken müssen. Als läge die Erinnerung irgendwo verschüttet in seinem Gehirn, aber dem war nicht so. Es war alles so nah, als wäre es gestern geschehen. Der alte Mann beugte sich ein wenig zu Summer hinab, die noch immer auf dem weichen Gras zu seinen Füßen saß.
„Als ich fünf war wurde ich von einem Werwolf gebissen, um mir eine normale Schulzeit zu ermöglichen wurde die Peitschende Weide gepflanzt. Von ihr führte ein Weg zu einem geheimen Ort, wo ich mich während der Vollmondnächte versteckt hielt. Die Weide wurde also gepflanzt, um die anderen Schüler vor mir zu beschützen.“
Das freundschaftliche Glitzern in Remus’ Augen war bei den letzten Worten verschwunden und eine Leere hatte sich breit gemacht. Es war nötig die anderen vor ihm zu beschützen. Er war eine Gefahr. Jedes Mal stieg Bitterkeit in Remus auf, wenn er daran dachte. Nach wenigen Herzschlägen wurde ihm jedoch bewusst, dass er sich nicht um ihn Sorgen zu machen brauchte, sondern um die Ravenclaw-Schülerin. Er hatte ihr doch soeben eröffnet, dass sie in der letzten halben Stunde völlig ahnungslos neben einem Monster gesessen hatte.
„Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt!“, fügte er deshalb hinzu und die Bestürzung war ihm deutlich anzumerken. „Momentan geht keinerlei Gefahr von mir aus, aber ich könnte es verstehen, wenn Sie sich in meiner Gesellschaft nun unwohl fühlen…“
Remus hätte es ihr nicht übel genommen, wenn sie nun vor ihm geflohen wäre, doch er hoffte, dass Summer sich anders entscheiden und bei ihm bleiben würde. Er hatte den leisen Verdacht, dass er sich nicht in ihr getäuscht hatte.
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Presentiment - is that long Shadow - on the Lawn -
Indicative that Suns go down -
The Notice to the startled Grass
That Darkness - is about to pass -
Emily Dickinson.