Mike Edison
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Erstellt: 11.01.09, 15:50 Betreff: 25.07.2007 |
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Reva hasste frühes Aufstehen, sie hatte es schon immer gehasst. Und dennoch war es am heutigen Tag ausnahmsweise einmal nicht ihrem verhassten und wohl schon viel zu oft gegen die Wand geschmissenen Wecker zu verdanken, dass sie sich schon so früh am Morgen aus den Federn gequält hatte. Es hatte viel mehr mit der Tatsache zu tun, dass sie sich nicht von Nayra hatte trennen können, der süßen kleinen Nayra, ihrer bezaubernden Tochter, die sie mit den großen braunen Augen mal wieder derartig in ihren Bann gezogen hatte, dass es ihr nicht gelungen war, sich schon am vorherigen Abend von ihr zu verabschieden, wie es doch eigentlich geplant gewesen war. Ein leiser Seufzer entfuhr den schmalen, perfekt geschwungenen Lippen der jungen Lehrerin, während sie ihre dunkelbraunen, fast schon schwarzen Augen über den See und die umliegenden Ländereien wandern liess. Sie genoss diese Zeit am frühen Morgen, in der alles noch so verschlafen wirkte und in der sie noch nicht viele andere Menschen erblicken konnte, die doch nur Menschen gewesen wären, mit denen sie sich nicht hätte beschäftigen wollen. Ihre Gedanken kreisten um ihre Tochter, sie hatte das vierjährige Mädchen ohnehin viel zu selten um sich, lediglich an einigen wenigen Wochenenden und in den Ferien, so dass sie die Zeit, die sie mit ihr hatte, stets umso mehr genoss und besonders ausnutzen wollte. Es war eine Schande, dass Nayra nicht bei ihr sein konnte, dass Reva nicht miterleben konnte, wie sie heranwuchs, dass sie sie nicht nach ihren Vorstellungen erziehen konnte, dass sie ihr nicht den See an diesem grauen Morgen zeigen konnte, dass nicht sie es sein würde, die ihr die Mysterien der Welt erklären würde und dass niemals gewährleistet sein würde, dass Nayra eines Tages die Einstellung ihrer Mutter betreffend der Frage, was gut und was böse ist, teilen würde. Und dennoch hatte es für Reva damals keine andere Wahl gegeben, sie war nicht gewillt gewesen, ihre Arbeit aufzugeben, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Ihre Arbeit als Lehrerin für Zauberkunst in Hogwarts war ich wichtig, doch wenn sie von "Arbeit" sprach, so meinte sie damit stets eigentlich ihre Tätigkeit als Todesserin, die sie tunlichst im Verborgenen hielt. Sie erinnerte sich noch sehr gut daran, dass sie das Kind anfangs nichtmals gewollt hatte, auch, wenn ihr dieser Gedanke heute mehr als abwegig erschien. Nur die bloße Vorstellung, Nayra nicht zu haben, nicht dieses Lächeln zu kennen, das selbst ein Herz aus Stein, wie man es auch Reva nachsagte, zum Schmelzen bringen konnte, nicht das Gefühl zu kennen, dass diese kleinen, zarten Hände auf ihrer Haut hinterliessen, nachdem Nayra ihre Hand gehalten hatte, erschien ihr so grausam und abwegig, dass es sie mehr traf als sämtliche tatsächlich passierten Dinge in ihrem Leben. Die Tatsache zum Beispiel, dass niemand für sie selbst diese Liebe empfand, die sie ihrer Tochter entgegenbrachte. Nicht ihr Vater und wohl schon gar nicht ihre Mutter, beiden war sie herzlich egal, das wusste sie. Doch dies war, angesichts der Tatsache, dass ihr ihre Eltern ebenso wenig bedeuteten, wohl eher zweitrangig und als nebensächlich zu betrachten. Ein knappes, fast hämisches Grinsen schlich sich auf ihr perfektes, elfenbeinartiges Gesicht, die tiefbraunen Augen der jungen Frau verdunkelten um eine weitere Nuance, ohne, dass sie selbst dies gemerkt hätte.
[I]„Wer keine Liebe kennt, der liebt auch nicht“[/I] erinnerte sie sich an die Worte von Jonathan Miles, dem Vater von Nayra, einer weiteren Person in ihrem Leben, die gekommen und gegangen war, ohne Spuren zu hinterlassen, weder in ihrem Herzen, noch in ihrer Seele. Wie auch sollte man schwarze Spuren auf etwas Schwarzem sehen? Vielleicht hatte er richtig gelegen mit diesen Worten, Reva hatte darübe rnie wirklich nachgedacht. Sie war alles andere als warmherzig, sie war kühl und berechnend, sie war stets auf ihren eigenen Vorteil aus und sie nahm keine Rücksicht auf Verluste - ja, sie kannte sich selbst sehr gut. Zwar gelang es ihr oft, ihr wahres Ich, ihre dunkle Seite, zu verbergen, doch wer sie wirklich kannte, der wusste auch, dass Reva eine wahre Meisterin der Tarnung war und der wusste, dass man alles was sie sagt auf die Goldwaage legen musste, dasss man zwischen den Zeilen lesen musste, wenn man auch nur in Ansätzen hinter das kommen wollte, was die junge Lehrerin wirklich meinte und glaubte. Sanft begrüßten die ersten, zaghaften Sonnenstrahlen den Tag, schlichen sich hinter den grauen Schleierwolken hervor und schienen den Himmel zu erkunden, bevor sie sich zaghaft auf Revas kastanienbraunem Haar niederliessen. Es versprach, ein wunderschöner Herbstmorgen zu werden, doch dies konnte Revas Laune nicht heben. Sie war traurig, auch wenn sie dies nicht recht einordnen konnte, da Trauer ein Gefühl war, das ihr kaum bekannt war. Sie kannte Schmerz, sie kannte Angst und sie kannte auch Wut. Sie hatte diese Gefühle kennengelernt und sie hatte gelernt, sie abzuschalten. Wer brauchte schon Gefühle, was nutzten sie? Sie machten einem das Leben schwer, so hatte Reva es stets wahrgenommen, und deswegen existierten zwischenmenschliche Gefühle nicht mehr für sie. Allenfalls vielleicht noch Hass, doch auch diesen hatte sie in großen Teilen versucht, durch Gleichgültigkeit zu ersetzen.
Es gab lediglich zwei Menschen in ihrem Leben, die positive Gefühle in ihr hervorriefen, Gefühle, die sie verletzbar und angreifbar machten und die insofern eigentlich kaum duldbar waren. Ein weiterer Grund, warum Nayra nicht bei ihr sein konnte: Sie war und wäre immer ihre allergrößte Schwäche. Die zweite Person, die ihr nahe stand und die sie, zumindest annähernd, an sich heranliess war ihre Halbschwester Neela, ein 16 Jähriges Mädchen, das in Hogwarts zur Schule ging, die Tochter ihrer Mutter und deren neuem Mann, Vincent Regis. Das junge Mädchen weckte in ihr das Bedürfnis, sich um sie zu kümmern, auch wenn Reva selbst sich in dieser Hinsicht anfangs selbst nicht recht verstanden hatte. Sie hatte Neela zum ersten Mal gesehen, als sie selbst 16 Jahre alt gewesen war, Neela war 8 Jahre jünger, und vom ersten Moment an hatte Reva gewusst, dass dieses Mädchen ein Teil von ihr selbst war, der Teil, den sie stets unterdrückt hatte. Der unsichere Teil, der schüchterne, in sich gekehrte Teil. Ganz anders als Reva selbst, und doch auf eine unheimliche Weise miteinander verbunden waren sie, die beiden hübschen Schwestern. Sie verstanden sich, trotz des Altersunterschiedes, oft ohne Worte, Reva wusste, dass sie für Neela ein wichtiger Halt war und ihr selbst tat es gut zu sehen, wie ihre eigenen Ideale in ihrer Schwester aufgingen und wie diese den Weg ging, den Reva ihr aufzeigte. Vielleicht war Neela, zumindest hier in Hogwarts, für Reva auch eine Art Ersatz für ihre eigene Tochter, manch einer nahm die beiden ohnehin eher als Mutter und Tochter denn als Schwestern wahr, doch Reva war dies herzlich egal, sie war froh, dass sie ihre Schwester in ihrer Nähe wusste und sie somit nahezu ständig beobachten und kontrollieren konnte, es schien doch somit ausgeschlossen, dass Neela einen Weg einschlagen würde, den Reva als den falschen erachten würde. Sie wusste, dass ihre gemeinsame Mutter die Wirkung ihrer älteren auf die jüngere Tochter mit äußerstem Wohlwollen betrachtete, doch hatte dies rein gar nichts mit Revas Denken und Handeln zu tun, viel mehr wollte sie Neela, da war sie ehrlich zu sich selbst, der Mutter entfremden, wenn diese das nicht ohnehin schon selbst geschafft hatte. Candace Tudor-Regis war die wohl denkbar schlechteste Mutter, die man haben konnte, das stand schon seit Jahren ausser Frage. Und doch empfand Reva keinen Hass für sie, sie selbst war zu dem Menschen geworden, der sie war, weil sie schon früh in ihrem Leben auf sich selbst gestellt gewesen war – und dies hatte ihr gut getan. Ausserdem hatte der neue, der zweite Mann ihrer Mutter, diese auf die dunkle, die Revas Meinung nach einzig richtige, Seite geführt, eine Tatsache, die ihre Mutter für Reva zumindest akzeptabel erscheinen liess. Reva wusste, was sie wollte und sie wusste, für welchen Preis sie es bekommen konnte. Ihre Eltern spielten dabei schon längst keine Rolle mehr, auch, wenn ihr Vater ihr in seiner Position als Zaubereiminister schon das ein oder andere Mal hatte nützlich sein können. Ob er wusste, dass sie ihn ausnutzte? Reva wusste es nicht recht, doch ihr Vater war ein intelligenter Mann, er musste durchschaut haben, dass er seiner Tochter völlig egal und für sie nur ein Mittel zum Zweck war - doch dennoch half er ihr, wenn er es konnte. Vielleicht empfand er doch so etwas wie Liebe für sie, kam Reva ein bislang verdrängter Gedanke, den sie auch sogleich wieder beiseite schob. Sanft fuhr der Wind in die langen, braunen Locken der jungen Lehrerin und wehte diese in ihr Gesicht. Es schien, als würde der Wind auch die unnützen Gedanken wegwehen und Reva machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Haare wieder zu ordnen, da der nächste Windstoß sie doch ohnehin wieder durcheinander gebracht hätte.
Kurz schloss sie die Augen und genoss das Gefühl absoluter Freiheit, das sich allmählich warm in ihr ausbreitete. Schon zu ihrer eigenen Schulzeit war hier ihr Lieblingsplatz gewesen, fernab von den beengenden Gemäuern des Schlosses, fernab von den Leuten, die ihr vorschreiben wollten, wie sie zu denken hatte, den Leuten, die sie abfällig, manchmal jedoch auch voller Furcht, betrachteten, wenn sie sahen, welche Bücher sie unter ihrem Arm trug oder wie sie jemanden aus einer niedrigeren Klassenstufe nahezu grundlos ankeifte, dann jedoch gute Miene zum bösen Spiel machte, die Schultern straffte, und lässig auf ihr Vertrauensschülerabzeichen deutete, das mittlerweile längst durch die Position als Vertrauenslehrerin des Hauses Slytherin ersetzt worden war. Ja, der See war ein besonderer Ort, ein Ort, an dem die Gedanken frei waren, unabhängig und frei. Vorsichtig, um ihren Umhang nicht zu beschmutzen oder gar zu zerreissen, liess Reva sich am Stamm eines kräftigen Baumes hinuntergleiten, dessen meiste Blätter bereits rötlich gefärbt waren, bis sie schließlich auf der kühlen, harten Erde zum Sitzen kam. Müde lehnte sie den Kopf zurück, schloss für einen kurzen Moment die Augen - eigentlich hatte sie lesen wollen, erinnerte sie sich, sie wollte die Minuten, die ihr noch blieben, bis der Rest des Schlosses zum Leben erwachen würde noch nutzen, um sich mit Dingen zu beschäftigen, die ihr vielleicht sogar noch wichtiger waren als ihr Beruf. „Dunkle Magie und ihre wichtigsten Vertreter“ war das Buch, welches sie gerade las und in das sie sich auch nun mal wieder völlig vertiefte, in ein Kapitel über Gellert Grindelwald, den wohl grausamsten schwarzen Magier, wenn man einmal von Lord Voldemort absah.
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