Es war noch sehr früh am Morgen.
Ein trüber Tag mit grauem Himmel, der gerade erst begonnen hatten. Noch hielt sich hartnäckig die Dunkelheit der Nacht an einem entfernten Punkt des Horizontes und noch konnte man blass über dem alten Schlossgebäude eine schmale Mondsichel erkennen, die aber bald einer milden Herbstsonne weichen sollte, welche nicht mehr fähig war, den Erdboden zu erwärmen, da der nahende Winter ihr bereits jegliche Kräfte raubte.
Dichte Nebelfetzen hingen zwischen den mächtigen Stämmen der knorrigen Bäume des an das Schulgelände angrenzenden Waldes oder schwebten geisterhaft über die Spiegelglatte Oberfläche des grauen Sees, dessen eisiges Wasser nur hin und wieder von einem leichten Lufthauch oder einem Regen des Riesenkraken gekräuselt wurde.
Mit knirschendem Kies unter den vom taunassen Gras feuchten Schuhen bahnte sich eine zierliche Gestalt ihren Weg am Ufer des Sees entlang, deren gebräunte Haut und zu einem lockeren Zopf geflochtenes pechschwarzes Haar sich scharf von dem milchigen Weiß des Morgennebels abhoben. Summer Shade schlang sich ihren gestreiften Schal fester um die schmalen Schultern, um sich besser vor der morgendlichen Kälte schützen zu können und setzte ihren Weg durch das Dickicht am Seeufer fort, um zu dem Platz zu gelangen, an welchem sie den letzten Abend verbracht hatte. Hätte man die Ärmel ihres Pullovers zurückgeschoben, so hätte man das tiefe Rot frischer Wunden sehen können, welche die zarte Haut ihrer Unterarme verunstalteten und nur zu deutlich von dem kündeten, was sie sich selbst in der letzten Nacht angetan hatte. Und Summer hatte panische Angst davor, dass jemand herausfinden könnte, was sie sich hinter verschlossen Türen in Augenblicken, in denen niemand hinsah antat.
Panik.
Das war es, was sie so früh am Morgen auf die Ländereien trieb. Die Angst vor einer Entlarvung ihrer Schwächen. Schlimm genug, dass Mike bereits zuviel wusste. Zufällig hatte er sie aufgefunden, als sie in den Sommerferien nicht mehr anders gekonnt hatte. Nur für einen winzigen Moment lang war Summer unachtsam gewesen und dieser eine Moment war ihr zum Verhängnis geworden. Er hatte ihrer Freundschaft zu Mike, dem einzigen Menschen, der sie je richtig verstanden hatte, das Leben gekostet. Denn Mike hatte sie geküsst und damit etwas in ihr ausgelöst, was sie niemals für möglich gehalten hatte. Oder? Hatte sie vor dem Kuss niemals darüber nachgedacht, ob ihre Gefühle für Mike tatsächlich rein freundschaftlicher Natur waren? Wenn Summer ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie schon viele Jahre vorher begonnen, über Mike nicht als Freund nachzudenken. Sie hatte über ihn als Mann nachgedacht. Doch sie hatte diese verhängnisvollen Gedanken verbannt, hatte sie gnadenlos niedergekämpft und tief in sich verschlossen, denn sie hatte gewusst, dass sie niemals eine Beziehung miteinander würden führen können, ohne die Beziehung ihrer Eltern zueinander zu zerstören. Und das hätte Summer nicht überlebt, da sie sich insgeheim schon immer schuld am scheitern der Ehe ihrer Eltern gegeben hatte.
Und nun war es Mike gewesen, der sie geküsst hatte. Eigentlich war es niemals mehr als ein zarter Hauch eines Kusses gewesen, doch er hatte Summer gezeigt, dass diese Gefühle, welche sie bereits verjagt geglaubt hatte, noch immer in ihr existierten. Und es hatte sie erschreckt, so sehr, dass sie Mike aus dem Weg gegangen war.
Natürlich hatte sie gewusst, dass sie ihm früher oder später hatte gegenüber treten müssen. Doch als sie schließlich vor ihm gestanden hatte, da hatte sie die Kontrolle über sich verloren. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so von ihren Gefühlen überwältigen und mitreißen lassen wie an diesem Tag, als sie vor dem Slytherin, den sie besser kannte als alle anderen, zusammengebrochen war und endlich ausgesprochen hatte, was sie tief in sich spürte. Dass sie ihn vermisste. Dass sie seine Freundschaft vermisste. Doch Mike hatte nichts getan. Er hatte nur da gestanden und sie verständnislos angeblickt, ganz so, als schere er sich nicht um das, was einmal zwischen ihnen gewesen war. Und in dem Versuch, ihm wieder näher zu kommen, hatte Summer die Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, nur noch verbreitert. Und ihr herz war in tausend und abertausend winziger Scherben zersprungen.
Noch am selben Abend hatte sie sich schlimmer verletzte als in den Jahren zuvor und zum ersten Man hatte der Schmerz nicht vermocht, ihre Seelenpein vollständig zu lindern. Sie wusste, dass sie sich selbst ihr Ende bereitete, indem sie sich all das selbst antat, doch sie hatte längst die Kontrolle verloren und war nicht mehr fähig, den Schmerz zu missen. Und sie wusste auch, dass Mike alles nur noch schlimmer machte, obwohl er für sie die einzige Rettung bedeutete, da er der einzige Mensch auf dieser Welt war, der es wusste.
An einer Stelle, wo das steil abfallende Ufer des Sees besonders dicht bewachsen war, blieb Summer stehend und schob mit einer Hand das hohe Schilf beiseite, das einen mossbewachsenen Stein bedeckte, der ein Stück in das Wasser hineinragte. Doch kaum war sie durch das Schilf getreten, wünschte sie sich, es nicht getan zu haben. Denn dort, an der stelle, an der sie nur einen Abend zuvor selbst gesessen hatte, hockte ein hochgewachsener blonder Junge und starrte entgeistert auf einen metallisch glänzenden Gegenstand in seiner bandagierten Hand. Einen Gegenstand, den sie selbst nur einen Abend zuvor an eben dieser Stelle vergessen hatte…
Als Summer an diesem Morgen mit Schreck aufgefallen war, dass sie die Rasierklinge, die sie für gewöhnlich immer bei sich trug, vergessen hatte, nachdem sie sich zwei lange Wunden in den linken Unterarm geritzt hatte, war sie sofort losgelaufen, um das verlorene Kleinod wieder einzusammeln, da sie nicht wollte, dass es jemand fand. Doch nun hatte genau der Mensch es gefunden, der es am wenigsten hatte finden sollen.
Wie vor einem Todesurteil schloss Summer kurz die Augen, in denen Angst und Sorge, aber auch Verbitterung und Stolz zu lesen waren und verbarg das durchdringende Graugrün unter einem Schleier dichter, tiefschwarzer Wimpern.
„Mike.“, sagte sie leise, als sie die Augen wieder öffnete und in ihrem Gesicht war keinerlei Anflug einer Gefühlsregung mehr zu lesen. Er hatte ihr deutlich gezeigt, dass er kein Interesse daran hatte, länger mit ihr befreundet zu sein. Er hatte ihre Freundschaft durch einen unbedeutenden Kuss aufs Spiel gesetzt und sie nicht mehr zurückgefordert, als er die Chance dazu gehabt hatte. Und so blieb Summer nichts weiter übrig, als ihn zu ignorieren, um sich selbst zu retten.
Doch als sie ihren Blick auf ihn richtete, blickte sie auf einen Punkt dicht über seiner rechten Schulter, da sie nicht fähig war, seinen anklagenden Blick zu ertragen. Sie konnte den getroffenen Ausdruck in seinem wunderschönen, kantigen Gesicht, das umrahmt war von blondem Haar und in dem sich die stechenden, blauen Augen stark abhoben, nicht ertragen.
Nicht diesen Ausdruck in dem Gesicht des einzigen Menschen, der ihr, abgesehen von ihrem Zwilling Noel, jemals etwas bedeutet hatte.
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{Summer Shade.17 years old.7th class.Ravenclaw.My sweet pain...
{I can hear you when you whisper, but you don't even hear me when I'm screaming}
{Just another fallen angel...Our lady of sorrows...Of love and shadows...Heaven's darkest star}
Maybe we like the pain.
Maybe we're wired that way.
Because without it, I don't know, maybe we just wouldn't feel real.
What's that saying?
WHY DO I KEEP SCRATCHING MYSELF WITH A KNIFE?
BECAUSE IT FEELS SO GOOD WHEN I STOP.
{Yes, my other personalities are}
{The Good. The Lost. The Lioness. The Bad. The Free. The Musician.}