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Erstellt: 08.12.05, 15:50 Betreff: Mitleid |
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Immer, wenn uns Schreckensmeldungen über Naturkatastrophen, Hungersnöte, zunehmende Armut, Kriege und Bürgerkriege, aber auch den Unfall- oder Krebstod eines Kindes und vieles Andere erreichen, erzeugen sie große Betroffenheit. Bei den Meisten zumindest verbal. Das ist auch der Zeitpunkt, Mitleid zu zeigen und einzufordern – wer kein Mitleid hat, ist ein schlechter Mensch. Bei Manchen sieht man es in tätiger Form („humanitäre Hilfe“, Spendenaktionen), meist aber nur in Form der Mitleidsbekundung („Ach, die armen Menschen.“)
Mitleid ist eine der Fähigkeiten, die unser soziales Zusammenleben erst möglich macht. Nur, wer das Leid Anderer auch selbst emotional miterlebt, wird bereit sein, etwas dagegen zu unternehmen und gegen Ursachen und Verursacher des Leides vorzugehen. Nicht zuletzt davon zeugt auch der Spruch: „Was man mir nicht antun soll, will ich auch nicht anderen Menschen zufügen.“, der sich schon bei und selbst vor Konfuzius findet und im Deutschen als „Goldene Regel“ bekannt ist. Erst das Nachfühlen fremden Leides ermöglicht, es auf sich selbst zu beziehen und zu erkennen, daß dieses Leid vermieden werden muß – und zwar für Andere wie sich selbst.
Aber: Leiden wir wirklich mit? Sicher doch, trüben diese Nachrichten über massives fremdes Leid doch unsere gute Laune und dämpfen unsere Freude in der Spaß- und Konsum-Gesellschaft. Allerdings hat die exzessive Berichterstattung über fremdes Leid dazu geführt, daß es inzwischen von Vielen mit wonnigen Schauern genossen wird – bei Lieblingsbier und Lieblingschips. Nach außen wird nur noch pro forma die Trauermiene aufgesetzt. Kleinere Ereignisse führen zu gar keiner emotionalen Mitbeteiligung mehr.
Doch selbst wenn fremdes Leid tatsächlich Mitleid auslöst – was ist das wert? Mitleid hindert uns meist nicht daran, durch unser übliches Verhalten noch in dem Moment, da wir es empfinden, die nächsten Saatkörner für weiteres Leid zu legen. Vielleicht regt sich ja bei unmittelbarer massiver Konfrontation nur unser – ansonsten abgeschaltetes – Gewissen, ein Teil des Unterbewußtseins, mahnt zur Erkenntnis unserer Schuld und drängt zum Handeln. Durch Mitleid wird die (Selbst-)Täuschung geschaffen, man stehe auf der Seite der Leidenden und tue damit etwas gegen ihr Leid, ohne daß man tatsächlich etwas (ausreichend wirkungsvolles) tun müßte, nämlich gegen die Ursachen des Leides.
Wenn irgendwo auf der Erde Mensch oder Tier Leid geschieht, kann man ziemlich sicher sein, daß Menschen – verursachend oder modifizierend – ihre dreckigen (manchmal auch angeblich so mitleidvollen) Pfoten im Spiel haben. Denn was verursacht – abgesehen von den nur schwer beeinflußbaren Naturgewalten – Leid? Durch unvernünftige Ausbeutung fossiler Energieträger und gleichzeitige Vernichtung großer Teile der Biosphäre (z.B. Regenwälder) im Profitinteresse wurden die Klimaveränderung und daraus resultierende immer schwerere Naturereignisse zumindest mitverursacht. Profitorientierte leichtsinnige Besiedlungspolitik und Architektur sowie mangelnde Schutzmaßnahmen sorgen dafür, daß diese Naturereignisse zu Katastrophen für den Menschen werden. Der Kampf um Rohstoffe, Märkte und Einflußsphären – ebenfalls im Proftinteresse – führt zu weiterem Leid in Kriegen und Bürgerkriegen. Nicht zuletzt verursacht das Streben nach Maximalprofiten immer soziale Ungleichgewichte, deren Ausprägung sich zwar schon in zunehmender Armut in der BRD zeigt, aber um ein Vielfaches leidvoller Diejenigen trifft, welche hungern, von sauberem Wasser ausgeschlossen sind, in erbärmlichem Wohnraum (wenn vorhanden) zusammengepfercht werden, unzureichend bekleidet und medizinisch unterversorgt sind. Die Aufzählung ist eher ein Ansatz als vollständig.
Hier ist nicht nur Mitleid gefragt, sondern zielgerichtete vernunftbasierte Bekämpfung der Ursachen und Verursacher. NUR Mitleid ist etwas für Pfaffen und andere Humanitätsheuchler. Es ist nicht nur völlig nutzlos, sondern dient den Verursachern des Leides zur Besänftigung des eigenen Gewissens und Rechtfertigung vor Anderen: „Seht, ich bin doch kein schlechter Mensch, ich habe doch Mileid!“ Leid kann nicht durch Mitleid aufgewogen werden. NUR wenn das Mitleid zu einem Handeln führt, welches nicht nur gegenwärtiges, sondern auch und vor Allem zukünftiges Leid bekämpft, ist es nützlich. Von diesem Handeln hängt ab, wieviel zukünftiges Leid überhaupt noch Mitleid erfordern wird.
Beurteilt Menschen nicht danach, wieviel Mitleid sie bekunden, sondern wieviel Leid sie abwenden.
[editiert: 08.12.05, 20:40 von Admin]
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