Wolfgang Schäuble sagt, Deutschland sei seit 1945 zu keinem Zeitpunkt souverän gewesen. Experten stellen das Geldsystem in Frage. Von Günther Lachmann
In diesen Zeiten der Schuldenkrise geschehen bemerkenswerte Dinge. Gemeint ist nicht das, was täglich in den Nachrichten rauf und runter läuft.
Gemeint sind Ereignisse, von denen nur wenige Notiz nehmen und die einem, wenn man von ihnen erfährt, glatt die Sprache verschlagen, weil ihre Wirkung die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland in ihren Grundfesten erschüttert.
Nehmen wir nur diesen Satz: Deutschland sei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu keinem Zeitpunkt ein souveräner Staat gewesen.
Das sagte nicht irgendein Extremist, sondern sagte kein geringerer als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Ende November auf dem "European Banking Congress" in der Alten Oper in Frankfurt am Main.
Satz von der Wirkung eines Sprengstoffanschlags
Es war ein Satz von der Wirkung eines Sprengstoffanschlages auf das nationale Selbstverständnis der Deutschen, ausgesprochen von ausgerechnet jenem Mann, der im August 1990 den deutschen Einigungsvertrag unterzeichnete. Obwohl er schon vor einiger Zeit fiel und von einer ganzen Reihe aufmerksamer Internetmedien zitiert wurde, muss dieser Satz noch einmal thematisiert werden, weil er einfach so unglaublich ist.
Das wiedervereinigte Deutschland soll kein souveräner Staat sein? Was ist es dann? Eine Besatzungszone? Und wenn ja, von wem besetzt?
Kein einziger der anwesenden Top-Banker stellte Schäuble diese Fragen. Und wäre das Ereignis nicht auf Video dokumentiert worden, man würde es kaum glauben.
Es braucht nicht viel Fantasie sich vorzustellen, was geschehen wäre, hätte das ein Linker behauptet. Aber nun sagte es der Finanzminister einfach mal so dahin, weil er die Preisgabe nationaler Souveränitätsrechte an das von Angela Merkel geplante neue Europa herunterspielen möchte. Und niemand widersprach ihm.
Souveränität gibt es seit den Kriegen nicht mehr
Schäuble leitete diese Passage seiner Rede mit den Worten ein: "Die Kritiker, die meinen, man müsse eine Kongruenz zwischen allen Politikbereichen haben, die gehen ja in Wahrheit von dem Regelungsmonopol des Nationalstaates aus."
Diese durch das Völkerrecht geschützte Souveränität sei aber in Europa spätestens mit den beiden Weltkriegen "längst ad absurdum geführt" worden.
Und weil dies so sei, formulierte er jenen folgenschweren Satz: "Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen."
Deswegen sei der Versuch, in der europäischen Einigung, "eine neue Form von governance zu schaffen". In dieser neuen Form gebe es dann halt nicht eine politische Ebene, die für alles zuständig sei und, gestützt auf "völkerrechtliche Verträge, bestimmte Dinge auf andere überträgt". Nein, so stellt sich Schäuble die Zukunft Deutschlands und Europas nicht vor.
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http://www.welt.de/politik/article13757549/Die-oeffentliche-und-die-verborgene-Seite-der-Krise.html