Auch W. John (P. Quinctilius Varus, in: RE XXIV I. Stuttgart 1963, Sp. 907 - 984, hier 956) und G. A. Lehmann (Zur historisch-literarischen Überlieferung der Varus-Katastrophe 9 n. Chr., in: Boreas 13, 1990, S. 143 - 167, hier 150, Anm. 22) hatten schon aus den verfügbaren schriftlichen Quellen (aufgrund der Angaben zum letzten Widerstandsnest gegen die Römer in Illyrien-Dalmatien) die Varusschlacht zuverlässig in das letzte September-Drittel 21. - 30.09.09 datiert.
Da das Äquinoktium mit Sonnenauf- und -untergang um 6.00 Uhr um den 21. März und den 23. September liegt, war damit die Zeit der Erntedankopfer der Germanen, die ihren Jahresbeginn definierten, schon sehr exakt eingekreist. Jetzt ist mit dem Vollmonddatum zur Tagundnachtgleiche im Rhythmus von 9 Jahren der Termin exakt fixiert.
Varus zur Machtdemonstration mit drei Legionen plus Troß anzustacheln, dürfte Arminius durch die Erinnerung an ein Ereignis leicht gefallen sein, das 2 x 9 Jahre zuvor zu dem Höchstfest bei den Sugambrern vorgefallen war und Augustus Anlaß gegeben hatte, diese auf diese auf die Westseite des Rheins umzusiedeln und unter Aufsicht der in Vetera Castra bei Xanten stationierten Legionen zu stellen. Florus (2, 30, 24) berichtet: "Dann griff Drusus gleichzeitig die mächtigsten Völker, die Cherusker, Sueben und Sugambrer an, die 20 Zenturionen gekreuzigt
(geopfert!) hatten ...". Augustus ließ dann die Sugambrer-Fürsten in Ketten legen, so dass diese sich kollektiv dem Selbstmord ergaben, als wären sie auf dem Kultplatz eidesmäßig zum Kampf gegen die Römer bis zur Selbstvernichtung gebunden worden - durch die Opferdiener und Orakelpriester des Mannus.
Die Sugambrer bildeten bis dahin einen Hauptstamm der Istväonen zwischen Lippe, Ruhr und Sieg, bis 40.000 (!) von ihnen zwangsumgesiedelt wurden. Die an Lippe und Ruhr verbliebenen Marsen wurden als letzter Stammesteil und Anhänger des Tanfana-Kultes 14/15 n. Chr. Opfer der Rachefeldzüge des Germanicus.
Vom Stammesverband der Hermionen oder Elbgermanen lesen wir bei Tacitus(Germania 39, 1,2): "Die Semnonen rühmen sich als die ältesten und edelsten Sueben, die Glaubwürdigkeit ihres Alters wird durch ihren religiösen Kult gestärkt. Zu 'einer festgelegten Zeit' versammeln sich alle Völker gleichen Blutes durch Abgesandte in einem Wald, der durch die Weissagungen der Väter und durch althergebrachte Ehrfurcht geheiligt ist (ginitha), und nachdem sie öffentlich einen Menschen getötet haben, feiern sie die verabscheuungswürdigen Ursprünge einer barbarischen Zeremonie (ritueller Kannibalismus, d. V.)".
So hatten also die drei Mannus-Kultverbände ihre jährlichen Erntedank-Neujahrs-Opferfeste, aber beeinflusst durch den Mondkalender alle neun Jahre ihr Höchstfest, zu dem alle kamen, wenn der volle Mond mit der Tagundnachtgleiche der Sonne Ende September zusammenfällt. Thietmar von Merseburg berichtet im 10. Jh. Für Leire (Seeland in Dänemark) und Adam von Bremen im 11. Jh. für Uppsala (Schweden) vom neunjährigen Rhythmus der Kulturhöchstfeste für Wodan/Odin. Diese könnten eine Fortsetzung des Mannus-Kultes des nordischen
Ingwäonen-Stammesverbandes aus der Vorzeit um Christi Geburt gewesen sein.
Wenn das große Opferfest Anlass für den Zustrom der Germanen war, können wir damit auch eine Textstelle bei Cassius Dio (56, 21,4) aufklären, die wir bisher nicht verstanden haben: "Zudem hatte die Zahl der Feinde noch erheblich zugenommen, denn auch viele andere Barbaren ... waren jetzt eingetroffen, um vor allem Beute zu machen, 'aber auch aus anderen Gründen'". Auch kann zwanglos erklärt werden, warum Segestes, der eigentlich nicht mitmachen wollte und den Verrat gegenüber Varus aufdeckte, keinen Glauben fand und sogar gegen die Römer kämpfen musste, als diese sich der heiligen Heide näherten.
Arminius konnte also schon lange vor dem höchsten Neujahrs-Opferfest der Istwäonen die Zeremonien- und Kultmeister darauf einschwören, alle vier Stämme des Verbandes mit der Zusatzbemerkung dringlichst zum Erscheinen aufzufordern, dass große Ereignisse bevorstünden.
Der Cherusker selbst konnte sich sowohl als Initiator des Aufstandes als auch als Anti-Römer gegenüber den Pro-Römern völlig im Hintergrund halten, weil Varus selbst den Grund zum Aufstand liefern würde. Dabei konnte er das geheime Kommunikations-Netzwerk der Orakel- und Opferpriester nutzen. Niemals hätte Arminius die gesamte Mannschaft von wohl rund 50.000 Kämpfern mit drückender Überlegenheit gegenüber den 20.000 Legionären so leicht zusammengezogen wie dieses Hochfest mit seinem strengen Ritus der Heiligkeit, Friedfertigkeit und Verschwiegenheit. Und nichts hätte einen so guten Anlaß geboten, zum Aufstand zu reizen wie die Entweihung des Gottesfriedens durch den martialischen Aufmarsch zu dem geheiligten Versammlungsplatz auf der Gnitaheide und bei den Opferhainen in den Lipper Wäldern, zu denen sicher auch die Externsteine bei Horn gehörten (Goethe: "Man kann sich wehren und wenden, wie man will, man findet sich wie in einem magischen Kreis gefangen ..."), die dortige (inzwischen versiegte) Jakobsquelle, die (ungeklärten) "Opferstein-Setzungen" im Leistruper Wald ebenfalls in der Nähe und der "Ulenstein" bei Bad Driburg-Alhausen (Gisela Graichen, Das Kultplatzbuch, Hamburg 1988).
Wie ein Elefant im Porzellanladen führte sich Varus auf, dem dieses gar nicht bewusst wurde, weil er sichals Römer haushoch überlegen fühlte und im Gegensatz zu Arminius kein multikulturelles Verständnis mitbrachte. Er war nicht einmal in der Lage, die warnenden direkten Worte des Segestes zu "verstehen".
Auch die späteren römischen Schriftsteller haben den "Witz" des Arminius-Hinterhalts nicht begriffen, wenn sie von entfernten Aufständen sprechen, die Varus nebenbei niederschlagen wollte: Diese Aufstände würde Varus selbst provozieren. Der Legat persönlich legte die Lunte an das Pulverfass, ohne die Brisanz des Bannwaldes und Tabubruchs auf der Heide zu bemerken. Das war der eigentliche Hinterhalt, den der listige Arminius vorbereitet hatte, der somit seine feindlichen Stammesgenossen nicht überzeugen oder zwingen musste: Dem Kult folgend mussten auch sie die Römer angreifen. Durch die vorsätzlich herbeigeführte Situation zwang der Cherusker sowohl den Römern als auch seinen Stammesgenossen - Freund und Feind - seinen Willen auf: Varus brachte sich selbst und seine Führungsoffiziere pünktlich zum Schlacht- und Sühneopfer dar.
Die Zivilisten des ließ er wohl laufen, während die Barbaren den Tross plünderten. Hätte er Frauen und Kinder erschlagen, hätten die römischen Schriftsteller dieses mit Sicherheit wie auch in anderen Fällen gemeldet. Und sie mussten sich wohl auch verkneifen, gesondert auf "Kaisers Geburtstag" am 23. September hinzuweisen, denn nur für die Germanen gab es Anlaß für eine Feier.
Wenn später von Opfergruben und -schächten, von angenagelten Gebeinen in den Hainen die Rede ist, dann lässt sich das mit dem großen Fest der Istwäonen sehr gut in Einklang bringen - und auch damit, dass die Germanen den Grabhügel, den Germanicus 15 n. Chr. auf ihrem Kultplatz für die Römer anlegte, zerstören mussten; auch hier könnte Arminius wieder in dem Sakrileg der Römer den gewünschten Anlass für die Einigung der Kampfkraft gegen die Römer gefunden haben: Germanicus und Caecina mussten mit großen Opfern büßen.
Obwohl jetzt die Kampfplätze hinreichend exakt bestimmt sind, dürften selbst sorgfältigste Grabungen wenig zutage fördern, weil natürlich alle Militaria und Münzen von den Germanen sorgfältig aufgelesen wurden. Dass von der letzten Schlacht des Germanicus am Angrivarierwall in Kalkriese soviel gefunden wird, ist dem Umstand zu verdanken, dass die Relikte zum Teil unter dem eingestürzten Wall verborgen und zum Teil in den Sumpf der Niewedder Senke getreten wurden: Man kann daraus nicht einmal, wie es die Kalkrieser gern tun, auf eine vergleichsweise große Schlacht schließen. Die große Zahl der über 6.000 Relikte zeigt nur an, dass die Germanen hier in der Nachlese des Feldes weniger erfolgreich als sonst waren.
Das Schlachtfeld von Gelduba (Krefeld-Gellep am westlichen Rheinufer), auf dem im Bataver-Aufstand unter Gaius Iulius Civilis 69/70 n. Chr. eine ganze Legion vernichtet wurde, haben archäologische Untersuchungen sehr wenig erbracht, obwohl der Ort exakt bekannt ist. Auch dieses Feld wurde offensichtlich sehr sorgfältig abgesucht.
Vom Varus-Untergang könnte man durch Luftprospektion sicherlich noch das Drei-Legionen-Lager bei Lage im Werretal finden, das nach Angaben der Schriftsteller noch vollständig und ordentlich geschanzt war. Nicht so sicher ist, dass man auch das letzte nur noch rudimentär geschanzte Lager der Legionsreste in oder bei der Knetterheide/Gnitaheide in Schoetmar-Bad Salzuflen an der Werre findet.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. S. G. Schoppe