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Achtung: Bei nachfolgendem Urteil sind Paragraphen aufgeführt, die es inzwischen nicht mehr gibt. Die §§ 1699 bis 1711 sind aus dem Gesetzbuch weggefallen!
BVerfG, 1 BvR 235/97 - Kindesaufenthalt
Beschluß der 1. Kammer des 1. Senats vom 3.3.
- 1 BvR 235/97 -
ein dem Verfahren { ... }
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
{ ... }
GRÜNDE:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Eilentscheidungen über den Aufenthalt eines nichtehelichen Kindes nach Trennung der Eltern.
I.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) (im folgenden: Beschwerdeführer) ist der nichteheliche Vater des fünfjährigen Beschwerdeführers zu 2) und lebte mit diesem und der Mutter des Kindes in einem gemeinsamen Haushalt in B., bis die Mutter im August 1995 auszog. Während sie die neue Wohnung herrichtete, brachte die Mutter den gemeinsamen Sohn ohne Absprache mit dem Vater bei ihrer Schwester unter. Von dort holte der Beschwerdeführer das Kind unter Vorspiegelung einer gerichtlichen Entscheidung in seinen Haushalt zurück.
a) aa) Das Amtsgericht erließ nach Anhörung beider Eltern im September 1995 eine einstweilige Anordnung, mit der es der gemäß § 1705 BGB allein sorgeberechtigten Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzog. Nachdem die Mutter die Aufhebung dieses Beschlusses beantragt hatte, setzte das Amtsgericht das Verfahren der einstweiligen Anordnung aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 1705 BGB mit Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß Gründe für einen Sorgerechtsentzug gemäß § 1666 BGB nicht vorlägen. Es entspreche jedoch dem Wohl des Kindes, daß es beim Vater bleiben könne, zu dem es eine stärkere Bindung habe. Außerdem habe der Junge enge Bindungen zu den Großeltern, die im Nachbarhaus wohnten, während er sich bei dem von der Mutter geplanten Umzug in eine neue Umgebung eingewöhnen müßte und nur noch die Mutter als bekannte Bezugsperson hätte.
Da § 1705 BGB anders als § 1671 BGB bei ehelichen Kindern eine Prüfung, bei welchem Elternteil es dem Kind besser geht, nicht vorsehe, liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder vor, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft aufgewachsen sind. Eine solche Ungleichbehandlung wolle Art. 6 Abs. 5 GG verhindern.
bb) Das Bundesverfassungsgericht hielt die Vorlage im Beschluß vom 19. Juli 1996 - 1 BvL 39/95 - für unzulässig, weil ein Ausnahmefall, in dem die Vorlage auch im Eilverfahren zulässig sei, nicht vorliege und das vorlegende Gericht an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht dadurch gehindert sei, daß es über die Frage der Verfassungswidrigkeit der entscheidungserheblichen Vorschrift nicht selbst entscheiden könne. Das vorlegende Gericht werde durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht daran gehindert, bei seiner Entscheidung im Eilverfahren die Möglichkeit einer Verfassungswidrigkeit des § 1705 BGB in seine Erwägungen einzubeziehen. Das einfache Recht gebe dem Gericht auch ausreichend Möglichkeit, im Rahmen des Eilverfahrens unter Berücksichtigung des möglichen Ausgangs der Hauptsache eine dem Kindeswohl entsprechende vorläufige Regelung zu treffen.
b) aa) Durch einen auf § 1632 Abs. 4 BGB gestützten Beschluß vom Oktober 1996 hat das Amtsgericht im Wege einstweiliger Anordnung entschieden, daß das Kind beim Beschwerdeführer verbleibe und mit seiner Mutter Umgang habe.
Die Herausnahme des Kindes aus dem väterlichen Haushalt würde voraussichtlich zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen (§ 1666 BGB). Der Junge habe in B. Kontakt zu Vater und Großeltern, er habe dort seine Freunde. Demgegenüber habe der Kontakt zur Mutter im letzten Jahr im wesentlichen an Wochenenden stattgefunden, erst in den letzten Monaten auch dreimal wochenweise. Die Bindung zur Mutter sei daher zur Zeit nicht so intensiv wie zum Vater. Die Kontakte zur Mutter hätten zwar zu keiner akuten oder starken Gefährdung des Kindes geführt. Die Gefährdungsschwelle brauche aber im Hinblick auf das im Hauptsacheverfahren angeordnete psychiatrische Gutachten und die Bedenken wegen der Verfassungswidrigkeit von § 1705 BGB nicht sehr hoch angesetzt zu werden. Dem Jungen gehe es beim Vater gut. Wäre er ein eheliches Kind, würde dies ausreichen, um eine Änderung des Aufenthaltes oder der elterlichen Sorge abzulehnen.
bb) Das Landgericht hat auf die Beschwerde der Kindesmutter nach Anhörung von Eltern und Kind die Verbleibensanordnung aufgehoben und angeordnet, daß der Beschwerdeführer das Kind an die Mutter herauszugeben habe, sowie für den Fall, daß das Kind nicht freiwillig herausgegeben werde, die Anwendung von Gewalt gestattet.
Eine weitere Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes entspreche weder dem Recht der Mutter auf Pflege und Erziehung des Kindes noch dem Wohl des Kindes. Das Amtsgericht habe unter Ausblendung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu Unrecht die mit dem angefochtenen Beschluß angeordnete Verbleibensanordnung getroffen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1632 Abs. 4 BGB lägen nicht vor. Die Mutter eines nichtehelichen Kindes habe als Sorgeberechtigte einen natürlichen und gesetzlich ausformulierten Vorrang bei der Erziehung und Pflege des Kindes (Art. 6 Abs. 2 GG). Dieser durch § 1705 Satz 1 BGB gewährleistete Vorrang sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Mutter müsse demnach nur zurücktreten, wenn die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666 a BGB vorlägen.
Für eine Verbleibensanordnung sei daher nur dann Raum, wenn der Aufenthaltswechsel voraussichtlich zu schweren und nachhaltigen körperlichen oder seelischen Schäden führe und sich das Herausgabeverlangen demzufolge unter Berücksichtigung von Dauer und Anlaß der Familienpflege als Sorgerechtsmißbrauch im Sinne von § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle. Derartige Feststellungen habe das Amtsgericht nicht getroffen. Sie hätten nach Anhörung der Beteiligten auch im Beschwerdeverfahren nicht ausgemacht werden können.
Grundsätzlich komme zwar auch eine Verbleibensanordnung zugunsten des nichtehelichen Vaters in Betracht. Das Amtsgericht habe jedoch die Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf Dauer und Anlaß der Familienpflege falsch gewichtet. Das Herausgabeverlangen der Mutter sei nicht rechtsmißbräuchlich, weil sie das Kind dem Vater nicht freiwillig überlassen habe oder es ihm aus ihr vorwerfbaren Gründen habe überlassen müssen. Vorausgegangen sei die einstweilige Anordnung des Amtsgerichtes vom September 1995, die von ihrer Begründung schon nicht getragen worden sei. Die damals angenommenen Voraussetzungen der §§ 1666, 1666 a BGB hätten nicht vorgelegen. Zudem habe sich der Beschwerdeführer des Kindes gegen den Willen der Mutter, unter Täuschung der von ihr bestimmten Aufsichtsperson, bemächtigt und damit das Kind der Mutter entzogen gehabt.
Es sei nicht mißbräuchlich, wenn eine Mutter nach der Trennung von ihrem Lebenspartner das Kind für wenige Tage oder Wochen bei ihrer Schwester in Pflege gebe, um in Ruhe eine neue Wohnung zu suchen und herzurichten. Ein solches Verhalten spreche gerade für ihre Fürsorge.
Keinesfalls hätte die Mutter das Kind während der Wohnungssuche dem Beschwerdeführer in Pflege geben müssen. Es sei allein ihre Entscheidung, wem sie das Kind zur kurzfristigen Beaufsichtigung und Pflege überlasse. Das ihr insoweit zustehende Ermessen habe die Mutter nicht fehlgebraucht. Zu dem Beschwerdeführer habe nach der Trennung kein Vertrauensverhältnis mehr bestanden.
Nach Erlaß der einstweiligen Anordnung im September 1995 habe das Amtsgericht nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, schnellstmöglich auf eine endgültige Entscheidung nach geltendem Recht hingewirkt, sondern das Verfahren in eine fast unerträgliche Länge gezogen. Unter diesen Umständen könne einer Mutter, die ihr Kind herausverlange, nicht entgegengehalten werden, sie mißbrauche ihr Sorgerecht. Es sei keinesfalls der Versuch einer Herausnahme zur Unzeit, wenn nur so verhindert werden könne, daß die Mutter-Kind- Beziehung, die dem natürlichen Bedürfnis eines Menschen entspreche, weiteren Schaden nehme.
Die Herausnahme aus der Pflege beim nichtehelichen Vater führe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu nachhaltigen körperlichen und seelischen Störungen des Kindes. Nach einjähriger Trennung von der Mutter und regelmäßigen Besuchskontakten sei zu erwarten, daß das Kind wieder eine gefestigte Beziehung zur Mutter aufbaue. Dafür spreche auch, daß es durch seine Mutter in der Vergangenheit keine Vernachlässigung erfahren habe. Der Junge habe persönlich gute Voraussetzungen, sich in der neuen Umgebung einzugewöhnen, er sei gesund, lebhaft und aufgeweckt. Darüber hinaus könne der Übergang durch eine großzügige Besuchs- und Umgangsregelung zugunsten des Beschwerdeführers (§ 1711 BGB) optimiert werden.
Da unbedingt zu gewährleisten sei, daß das Kind nunmehr zur Mutter gelange, sei die Herausgabe anzuordnen, nötigenfalls auch unter Anwendung von Gewalt.
c) Das Oberlandesgericht hat die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers zurückgewiesen, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.
d) Das Kind des Beschwerdeführers lebt seit dem 24./25. November 1996 bei seiner Mutter, die es anläßlich eines Besuches bei sich behalten hat. Ein Umgang mit dem Beschwerdeführer findet gegenwärtig nicht statt. Über einen Antrag des Beschwerdeführers auf Einräumung eines Umgangsrechts ist noch nicht entschieden.
2. Mit der rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 bis 3, Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6, 8, 14 EMRK. Die Verfassungsbeschwerde erhebt er zugleich im Namen des Kindes und rügt eine Verletzung von dessen Grundrechten aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 5 GG.
a) Die Verfassungsbeschwerde sei bereits nach Erschöpfung des Rechtswegs im fachgerichtlichen Eilverfahren zulässig. Gerügt werde gerade die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes, weil in den angegriffenen Entscheidungen trotz Hinweises des Bundesverfassungsgerichtes im Beschluß vom 19. Juli 1996 verkannt werde, daß die Gerichte an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für den Beschwerdeführer durch Art. 100 Abs. 1 GG und die Möglichkeit einer Verfassungswidrigkeit von § 1705 BGB nicht gehindert gewesen seien.
Das noch anhängige Hauptsacheverfahren biete wegen seiner voraussichtlichen Dauer keine ausreichende Möglichkeit, den bereits erfolgten Grundrechtsverletzungen abzuhelfen, zumal Landgericht und Oberlandesgericht sich den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 1705 BGB offenbar bewußt verschlossen hätten und mit einer Änderung dieser Rechtsauffassung nicht zu rechnen sei.
Im übrigen seien die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) gegeben, weil die Entscheidung Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle schaffen werde. Sie werde auch deshalb von allgemeiner Bedeutung sein, weil der vorliegende Gesetzentwurf zur Reform des Kindschaftsrechts ebensowenig wie das geltende Recht vorsehe, daß anläßlich der Trennung unverheirateter Eltern, die nicht das gemeinsame Sorgerecht beantragt haben, das Sorgerecht für ihre Kinder gegen den Willen der Mutter auf den Vater übertragen werden könne.
b) Mit der ausnahmslosen Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter verweigere der Gesetzgeber ohne rechtfertigenden Grund dem nichtehelichen Vater die Möglichkeit, das alleinige Sorgerecht nach Trennung der Eltern auszuüben. Das staatliche Wächteramt erfordere einen solchen ausnahmslosen Eingriff nicht.
Die unterschiedlichen Sorgerechtsregelungen anläßlich der Trennung miteinander verheirateter und unverheirateter Eltern führten zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung nichtehelicher Väter und Kinder.
Landgericht und Oberlandesgericht hätten sich dem Einfluß des auch dem nichtehelichen Vater zustehenden Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG auf die gebotene verfassungskonforme Auslegung von § 1632 Abs. 4 BGB bewußt verschlossen. Das Abstellen allein auf die Kindeswohlgefährdung im Sinne eines Sorgerechtsmißbrauchs seitens der Mutter verkenne die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte der Beschwerdeführer auf die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe.
c) Der Beschwerdeführer beantragt zugleich den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der die Vollziehbarkeit der angegriffenen Beschlüsse ausgesetzt und die Vollziehbarkeit des Beschlusses des Amtsgerichtes wiederhergestellt werden soll. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile geboten.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, könnte durch die Herausnahme des Kindes bei ihm und den Verbleib bei der Mutter zwischenzeitlich ein schwerer seelischer Schaden entstehen und das Kind aufgrund der Dauer des Verfahrens ihm, dem Vater, völlig entfremdet werden, zumal die Gerichte nicht sichergestellt hätten, daß er durch eine Umgangsregelung weiter Kontakt habe, obwohl das Kind nach den Feststellungen des Amtsgerichtes bei ihm besser aufgehoben sei.
Erginge die einstweilige Anordnung, wiese das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet zurück, würde der Wechsel zur Mutter nur verzögert, zumal er als Vater in der Vergangenheit der Mutter regelmäßigen Umgangskontakt gewährt habe.
Durch Aufhebung der Vollziehbarkeit der angegriffenen Entscheidungen und Wiederherstellung der Vollziehbarkeit der Ursprungsentscheidung verbliebe den Gerichten die Möglichkeit der Einzelfallprüfung bei einem Wechsel von der Mutter zu ihm, wenn die Kindesmutter das Kind nicht freiwillig herausgäbe und eine Vollstreckung geboten wäre.
II.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, weil die erforderliche Folgenabwägung zuungunsten des Beschwerdeführers ausfällt. Dabei kann offenbleiben, ob der im Namen des Kindes erhobene Antrag zulässig ist.