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OLG Koblenz Aktenzeichen: 11 WF 463/02 vom 25. September 2002
Vorinstanzen: AG Montabaur, 16 F 208/02
Normen: BGB § 1613 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz: Der nachfolgende Leitsatz wurde von der Kanzlei Prof. Schweizer verfasst. Die Kanzlei ist damit einverstanden, dass der Leitsatz mit Quellenangabe „www.kanzlei-prof-schweizer.de” übernommen wird.
Als Sonderbedarf anzusehende Kosten sind die Kosten für eine Klassenfahrt dann, wenn sie weder aus dem laufenden Unterhalt bestritten werden können, noch bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden konnten.
Entscheidung:
Tenor:
Auf die (sofortige) Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des AG – FamG – Montabaur vom 25.6.2002 aufgehoben und den Antragstellerinnen Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung unter Beiordnung von Rechtsanwältin … bewilligt, der Antragstellerin zu 1) jedoch nur insoweit, als sie mit dem Antrag zu 1) die Zahlung von 558,07 Euro beansprucht.
Auszüge aus den Gründen:
Die Antragstellerinnen haben Prozesskostenhilfe für eine Klage beantragt, mit der sie die Hälfte der Kosten für Klassenfahrten und Nachhilfeunterricht als Sonderbedarf ggü. dem Antragsgegner geltend machen wollen. Das AG hat den Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete (sofortige) Beschwerde hat ganz überwiegend Erfolg.
1. Der Unterhaltsberechtigte kann von dem Unterhaltsverpflichteten nach § 1613 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 BGB wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (Sonderbedarf) für die Vergangenheit Erfüllung verlangen. Die hier in Rede stehenden Kosten für die Klassenfahrten und den Nachhilfeunterricht sind entgegen der Ansicht des AG als Sonderbedarf anzusehen.
a) Das AG ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein unregelmäßiger Bedarf vorliegt, wenn er nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deswegen bei der Bemessung des laufenden Unterhalts nicht berücksichtigt werden konnte (BGH v. 11.11.1981 – IVb ZR 608/80, MDR 1982, 391 = FamRZ 1982, 145). Dem AG kann aber nicht darin gefolgt werden, dass die Kosten für die Klassenfahrten und den Nachhilfeunterricht vorhersehbar gewesen seien.
Auch wenn – wie das AG zutreffend angenommen hat – voraussehbar ist, dass Kinder ab Erreichen eines gewissen Alters Klassenfahrten unternehmen, so ist doch nicht absehbar, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Häufigkeit diese stattfinden und welche Kosten sie verursachen. Über das Ob und Wie von Schulfahrten wird im Allgemeinen erst im jeweiligen Schuljahr entschieden, sie stehen daher nicht längere Zeit im Voraus fest. Es ist deshalb i.d.R. – und war daher auch im vorliegenden Fall – nicht möglich, die Kosten solcher Klassenfahrten bei der Bemessung des laufenden Unterhalts zu berücksichtigen oder wegen dieser Kosten gezielt Rücklagen vom laufenden Unterhalt zu bilden (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl. 2000, Rz. 283).
Es kommt ferner nicht darauf an, ob sich die Notwendigkeit von Nachhilfeunterricht – wie das AG gemeint hat – allgemein durch die Entwicklung der schulischen Leistung allmählich ankündigt. Auch eine allmähliche Entwicklung kann unerwartet und damit unkalkulierbar sein, wenn sie – wie hier – erst nach der für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit maßgeblichen Bemessung des laufenden Unterhalts einsetzt. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob es sich bei dem den Regelbedarf überraschend übersteigenden Zusatzbedarf um einen – unregelmäßigen – Sonderbedarf oder um einen – regelmäßigen – Mehrbedarf handelt, der nur im Wege einer Abänderungsklage geltend gemacht werden kann (vgl. Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl. 2001, § 6 Rz. 3). Solange – wie bislang im Streitfall – nicht absehbar ist, dass die Nachhilfe einen Dauerzustand darstellt, sondern anzunehmen ist, dass sie lediglich der zeitlich begrenzten Überbrückung vorübergehender Schulschwierigkeiten dient, sind die dafür aufgewandten Kosten als Sonderbedarf anzusehen.
Der Antragsgegner macht ohne Erfolg geltend, die Nachhilfe sei nicht erforderlich gewesen. Die Klassenlehrerin der Antragstellerin zu 1) hat nach Rücksprache mit der Fachlehrerin bescheinigt, dass es im vergangenen Schuljahr unerlässlich gewesen sei, für die Antragstellerin zu 1) Nachhilfeunterricht im Fach Mathematik zu organisieren, weil sie ansonsten den Jahresstoff der 9. Klasse nicht geschafft hätte. Der Realschulrektor der Antragstellerin zu 2) hat bestätigt, dass die Antragstellerin zu 2) den Anforderungen der Realschule nur dann gerecht werden könne, wenn sie durch gezielten Nachhilfeunterricht die Lücken im Schulstoff aufarbeite. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners waren und sind die Antragstellerinnen auch nicht gehalten, sich von ihm selbst Nachhilfeunterricht erteilen zu lassen. Den Antragstellerinnen ist dies nicht zuzumuten, da der Antragsgegner hierfür fachlich nicht qualifiziert ist und er zudem schon seit etlicher Zeit keinen Kontakt mehr zu ihnen unterhält.
b) Der Bedarf ist außergewöhnlich hoch, da er nicht aus dem laufenden Unterhalt bestritten werden kann. Der Antragsgegner, der Unterhalt nach Gruppe 3 der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen hat, leistet monatlich 287 Euro an jede der beiden Antragstellerinnen. Dem stehen alleine für den Nachhilfeunterricht der Klägerin zu 1) von Oktober 2001 bis Juli 2002 monatliche Kosten von 198 DM = 101,24 Euro und für den Nachhilfeunterricht der Klägerin zu 2) seit Januar 2002 monatliche Kosten von 102 Euro ggü., was jeweils mehr als einem Drittel des gezahlten Unterhalts entspricht. Hinzu kommen die Kosten für die Klassenfahrten der Klägerin zu 1) i.H.v. weiteren 614 DM = 313,93 Euro (Klassenfahrt 1999: 114 DM, Klassenfahrt 2002: 500 DM). Da der in den unteren Gruppen der Düsseldorfer Tabelle gezahlte Barunterhalt ohnehin nur für den Grundbedarf reicht, können derartig hohe Zusatzkosten nicht – auch nicht durch Bildung von Rücklagen – mit dem laufenden Unterhalt beglichen werden (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rz. 284).
2. Der Antragsgegner ist leistungsfähig, da sein bereinigtes Nettoeinkommen unter Berücksichtigung des notwendigen Eigenbedarfs ausreicht, die beanspruchte Hälfte der Kosten für die Klassenfahrten und den Nachhilfeunterricht zu decken.
Das monatliche Nettoeinkommen des Antragsgegners im maßgeblichen Zeitraum beträgt ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnung für Dezember 2001 durchschnittlich 1.777,06 Euro. Von diesem Nettoeinkommen ist eine Pauschale von 5 %, das sind 88,85 Euro, für berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen, so dass dem Antragsgegner ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.688,21 Euro zur Verfügung steht. Die weiteren Abzüge, die der Antragsgegner von seinem Nettoeinkommen machen möchte, sind nicht zulässig. Angemessene Kosten für Wohnung, Nebenkosten und Heizung sind bereits in dem notwendigen Eigenbedarf der Düsseldorfer Tabelle enthalten. Zahlungen, die der Antragsgegner erbringen muss, weil er seinen Unterhaltspflichten nicht nachgekommen ist, sind unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig. Versicherung und Steuern für den Pkw sind – soweit berufsbedingt – bereits mit der 5 %-Pauschale abgegolten.
Abzüglich der Unterhaltsleistungen an die Antragstellerinnen i.H.v. insgesamt 574 Euro und an deren Mutter i.H.v. 71,09 Euro verbleiben dem Antragsgegner demnach 1.043,12 Euro. Unter Berücksichtigung des notwendigen Eigenbedarfs ggü. minderjährigen unverheirateten Kindern, der beim erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen nach der Düsseldorfer Tabelle 840 Euro beträgt, stehen dem Antragsgegner noch rund 200 Euro zur Verfügung. Diese reichen aus, die Hälfte der Kosten für die Klassenfahrten und den Nachhilfeunterricht zu decken. Da das bereinigte Nettoeinkommen der Mutter geringer ist als das des Vaters, führt die gleichmäßige Aufteilung der Unterhaltslasten zwischen den Eltern schließlich auch nicht zu einer unangemessenen Belastung des Antragsgegners (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rz. 285).
3. Der Antragsgegner kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Sonderbedarf wegen des Nachhilfeunterrichts sei erst Wochen nachdem die Nachhilfe begonnen habe erstmalig geltend gemacht worden, desgleichen seien die Kosten für die Klassenfahrt im Jahre 2002 zu spät geltend gemacht worden. Allerdings obliegt es dem Berechtigten, den Verpflichteten rechtzeitig zu informieren, wenn er den Bedarf so zeitig voraussehen kann, dass der Verpflichtete sich darauf einstellen kann; eine Verletzung der Obliegenheit kann den Anspruchsverlust zur Folge haben, wenn der Verpflichtete deshalb nicht rechtzeitig Rücklagen bilden konnte (Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rz. 281). Der Antragsgegner hat jedoch nicht dargelegt, dass es den Antragstellerinnen möglich gewesen wäre, ihn bereits wesentlich früher zu unterrichten; insb. ist nicht ersichtlich, dass die Notwendigkeit von Nachhilfeunterricht schon zu einem erheblich früheren Zeitpunkt festgestanden hätte.
4. Nach Ablauf eines Jahres seit seiner Entstehung kann der Anspruch auf Sonderbedarf gem. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 BGB nur geltend gemacht werden, wenn vorher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Anspruch rechtshängig geworden ist. Diese Voraussetzungen sind zwar hinsichtlich der Kosten für den Nachhilfeunterricht beider Antragstellerinnen und der Klassenfahrt der Antragstellerin zu 1) im Jahre 2002, nicht aber für die Klassenfahrt der Antragstellerin zu 1) im Jahre 1999 erfüllt. Die Kosten hierfür i.H.v. 114 DM (1/2 = 57 DM = 29,14 Euro) wurden bereits am 19.5.1999 beglichen und es ist nicht ersichtlich, dass innerhalb des darauf folgenden Jahres Verzug oder Rechtshängigkeit eingetreten wäre. Aus diesem Grunde war der Antragstellerin zu 1) Prozesskostenhilfe nur insoweit zu bewilligen, als sie mit dem Antrag zu 1) die Zahlung von 558,07 Euro (587,21 Euro – 29,14 Euro) beansprucht.
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