molosovsky
Experte
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Erstellt: 15.08.05, 12:59 Betreff: Re: Die phantastische Literatur für den anspruchsvollen Leser |
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Hi Seblon & alle.
Tjaaaa, die ›anspruchsvolle‹ Fantasy, oder Phantastik.
Dazu vorweg eine kleine, herbe Anekdote. Ich fisch hier in Ffm gerne in den exquisiten Remitenden-Rampen nach Schnäppchen und Geschenken. So brachte ich einem Fantasy-Freund »PSS« und »The Scar« als Panmacmillan-Taschenbücher zum Geburtstag mit. Einige Monate später trafen wir uns, ich frug nach seiner Miéville-Lektüre und er meinte: »Ach, ich habe nach einem Drittel aufgegeben. Da weiß man ja gar nicht, was das für eine Welt sein soll, SF oder Fantasy.« — Was 'ne herbe Enttäuschung. Dieser Freund schwört übrigens Stein und Bein für Martin und seinen Feuer&Eis-Zyklus.
Aus polemischer Schlechthinigkeit heraus nenne ich die schlechte Fantasy mittlerweile ›Bullshit-Bingo-Fantasy‹, wobei eine gute Bullshit-Liste Diana Wynne Jones »The Tough Guide to Fantasyland« liefert. Treffen mehr als 5 Einträge dieses ›Reiseführers‹ auf ein (nicht parodistisch gemeintes) Fantasy-Buch zu, dann kann man es wohl getrost kicken.
»Nostalgische Träumerein einer verklärten Vergangenheit« ist wohl das allgemeinste Merkmal der seichten Fantasy — oder auch entsprechender historischer Romane. So finde ich »Die Säulen der Erde« von Ken Follett als Hörbuch ganz nett, würde aber so einen Ziegel niemals als Buch lesen. Der Übergang zwischen historischen Romanen und Fantasy ist für mich eh ziemlich fließend. Zum Beispiel »Der Glöckner von Notre-Dame« von Viktor Hugo ist ein Allzeit-Lieblingsbuch von mir und läßt sich ohne viel Hirnverrenkung als 1-A-Fantasy lesen. Und Neal Stephenson hat mit seinem beeindruckenden »Barock-Zyklus« gezeigt, wie aufregend ein historischer Roman sein kann, wenn er mit den Interessen eines SF-Nerds geschrieben wurde; auch der Fantasy-Faktor ist im »Barock-Zyklus« sehr hoch, immerhin gehts für einen Handlungsstrang einmal um die Welt (Exotik in Kairo, Indien, Japan, Mittelamerika) und Alchemisten, Naturforscher, Satanisten und Jesuiten geben ihr Ständchen als Magier-Charakterklassen.
Je stärker ich bei einem Fantasy-Buch erkennen kann, daß historische oder exotische Kulturen vereinfacht verwurstet, um so uninteressanter wird es für mich. Als Beispiel führ ich da gerne Tad Williams an. Eine Ausnahme ist aber das Ehepaar Eddings, deren »Belgariade« und »Malloreon« ich durchaus genossen habe (wegen der Soap-Qualität und flotten Dialoge).
••• C. S. Lewis hat folgenden Vergleich gemacht. Die vielen Leser gebrauchen Bücher wie Fahrkarten oder Streichhölzer. Einmal benutzen und vergessen und nicht groß drüber babbeln. Die wenigen Leser öffnen sich Büchern, lesen sie auch mehrmals, babbeln gerne darüber.
Nicht nur Fantasy-Autoren beliefern die Leser erster Art. Wir klagen aber denke ich zurecht, daß die Mode der Fantasy besonders von dieser Art von Pauschal-Tourismus-Anderswelten geprägt (versaut) wurde. Mit Miéville, Burst und anderen der neuen Autoren wurde aber die Gegenbewegung des Pendels eingeleitet.
Ich denke, daß die Befremdung Tolkiens über seine Hippie-Leser dies gut illustriert. Für Tolkien war sein Mittelerde-Werk zu nicht geringem Teil ein ernst gemeinter Ausdruck seines (katholischen) Glaubens, für seine Hippie-Leser aber mehr eine toffte Exotik, die eine willkommene Ergänzung zur damaligen Folkmusik-Renaissance und Wellness-Esoterik/Religions-Bewegung bot. Nicht zu vergessen die demütige Natur- und Klang-Mysthik Mittelerdes, die ›sogar‹ mir Tolkien-Skeptiker was gibt.
••• LINKS: • Im SF-Netzwerk-Forum habe ich zu meiner bevorzugten Fantasy gepostet. • Mein Beitrag in Thread »Gute und schlechte Fantasy« im Forum von der »Die Zeit«.
Grüße Alex / molosovsky
[editiert: 15.08.05, 13:01 von molosovsky]
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