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Lomax
Vielschreiber

Beiträge: 68


New PostErstellt: 14.01.07, 20:47     Betreff: Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?

Canon EOS 500D SLR-Digit...
Hallo Theophagos,

ich glaube, in der Frage kommen wir nicht mehr zueinander Denn lustigerweise waren genau diese Beispiele - Textilproduktion und das Fahrrad - auch die zwei Beispiele, mit denen während meines Studiums ein Dozent mal in einer Vorlesung zur "industriellen Revolution" eingestiegen ist und die er daher besonders ausführlich betrachtet hat. Textilien deshalb, weil man nur abschätzen kann, wie "revolutionär" diese Revolution war, wenn man weiß, was vorher alles nicht ging; und das Fahrrad deshalb, weil es scheinbar so trivial ist, dass man sich fragt, warum die Römer nicht schon damit herumgefahren sind.
    Zitat: Theophagos
    1. Einen dem Denim-ähnlichen Stoff gab es bereits im 17 Jh. (Serge de Nimes) in Frankreich. Es fehlte nur Baumwolle, sonst hätte man schon in der frühen Neuzeit in Europa Jeans-Stoff herstellen können.
Baumwolle fehlte eigentlich nicht, sie musste nur teuer importiert werden. Das war im Mittelalter zugeben durch kulturelle Differenzen schwerer als in der Antike, wo Baumwolle durchaus verbreiteter war. Aber ab dem Hochmittelalter hätte man es zumindest als "Luxusgut" einführen können - wenn es denn eine Anwendung hier gegeben hätte, die den Preis rechtfertigt.
"Bluejeans" erfordern ferner geeignete Färbemittel - die gab es für Blau auch erst ab dem 18. Jahrhundert, mit dem Fortschritt der Chemie. Denn Blau lässt sich ohne eine entsprechend ausgefeilte Chemie nur sehr teuer gewinnen.
Legt man auf die Farbe weniger wert, denkt man bei "Jeans" doch zumindest an Haltbarkeit - aber genau da hatten die Textilien in Handfertigung ihre Probleme. Insbesondere die Resistenz gegen Waschvorgänge war in keinster Weise mit heutiger Kleidung zu vergleichen - schon weil das handgesponnene Garn sehr darunter gelitten hat. Noch mehr, wenn mit warmem Wasser gewaschen wurde. Wenn es denn Möglichkeiten gab, das auszugleichen, so stieg damit gleich überproportional auch der Aufwand der Fertigung - was eine Jeans in der Form, wie wir sie heute kennen, auf jeden Fall unterbunden hätte.

    Zitat: Theophagos
    2. 1869 ging es auch ohne Kugellager. Zu diesem Entwicklungsschritt brauchte man das Zweirad von Drais. Das hätte man auch im Mittelalter hinbekommen. Sicher, damit fährt man richtig beschissen, aber es funktioniert.
Kaum etwas wird so sehr überschätzt, wie das Zweirad von Drais. Entwürfe für ähnliche Gefährte gab es in der Geschichte schon häufig - entwickelt von irgendwelchen Spinnern, die sich aber nicht durchsetzten, weil sie unter den gegebenen Bedingungen keinen Vorteil boten. Wie du schon sagtest: Sie fuhren sich richtig beschissen. Außerdem fuhren sie auf dem zu erwartenden Untergrund und mit den verfügbaren Materialien nicht sehr lange.
Drais war mit seinem Entwurf nur zeitlich nahe genug an der Änderung dieser Rahmenbedingungen - deshalb geriet seine an sich belanglose und schon mehrfach aufgekommene Idee diesmal nicht in Vergessenheit, sondern wurde praxistauglich gemacht. Das wäre im Mittelalter oder der frühen Neuzeit nicht möglich gewesen.

Ich denke mal, dem Dozent der damaligen Vorlesung war als Wirtschaftswissenschaftler ziemlich egal, ob einzelne, verschrobene Figuren irgendwann schon mal fahrradähliche Konstrukte erdacht haben. Und vermutlich hat es ihn auch nicht gekümmert, ob irgendwann früher schon mal ein jeansähnlicher Stoff hergestellt werden konnte. Und für meine Betrachtung spielt das auch keine Rolle.
Wichtig ist, ob das geschilderte Element in der dargestellten Rolle in der entsprechenden Gesellschaft existieren kann. Zu einem Fahrrad gehört also mehr als eine Idee und ein Modell zu dieser Idee, mit dem man aber leider schlecht fahren kann. Unter einem Fahrrad verstehe ich ein funktionsfähiges Fortbewegungsmittel, das auch tatsächlich hergestellt wird, weil der Wert dieses Produktes eine Herstellung rentabel werden lässt.
Und zu einer "Jeans" gehört nicht nur die theoretische Möglichkeit, einen jeansähnlichen Stoff als Liebhaberartikel herzustellen. Ich würde sagen, eine Jeans ist dann denkbar, wenn sich eine Textilie mit den archetypischen Eigenschaften einer Jeans herstellen lässt, und das mit einem Aufwand, den die potenziellen Kunden des Stoffes auch zu bezahlen bereit sind. Denn nur dann wird es in einer Gesellschaft auch tatsächlich "Jeans" geben.
Würde also in einem Setting wie dem von Swainston ein verrückter Erfinder gezeigt, der ständig an seinem ewig kaputtgehendem Laufrad schraubt, würde ich nicht von einem Anachronismus reden. Aber Swainston zeigt eben beständig Objekte in ihrem Buch, die verfügbar und offenbar als "normal" in die dargestellte Kultur integriert sind, ohne dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Und sie erschafft damit Widersprüche, die nicht ohne Konflikt nebeneinander existieren können - ohne dass diese Konflikte dann irgendeine Rolle spielen würden.

Womit sie diese Elemente dann in so ziemlich gegenteiliger Weise einbringt wie Mieville.


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Endlich bin ich auch dabei: Lomax' Weblog lockt ins Lohmannsland - www.lohmannsland.de
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