Theophagos
Dauerschreiber
Beiträge: 113
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Erstellt: 05.02.07, 22:24 Betreff: Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit? |
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Hallo Seblon,
"Nachdem ich nun Meister Atami beendet hatte, der mir ein wenig zu sehr ein flacher asiatischer Harry Potter war [...]" Das ist ja Schade - damit sinkt meine Bereitschaft mich mit der Oriental Fantasy weiter zu beschäftigen wieder etwas...
"Bei der Lektüre solcher Romane merke ich doch immer, wie sehr ich die kritische Intellektualität der Science Fiction bei 99% der Romane vermisse, die unter dem Label "Fantasy" erscheinen. Ich frage mich tatsächlich, warum es so wenige Fantasy-Romane zu geben scheint, die eine ähnliche gesellschaftlich relevante Reflexion der Welt betreiben… Muss "Fantasy" fast zwangsläufig Eskapismus bedeuten?"
Hui, starkes Stück. Ich glaube, eine Entgegnung muss sehr differenziert ausfallen, soll sie dem Phänomen gerecht werden; mal sehen.
Zunächst würde ich dir insofern zustimmen, als dass auch ich meine, dass in Deutschland unter "Fantasy" klar weniger gesellschaftliche Reflexionen veröffentlicht werden, als unter "SF". Nun würde ich der SF per se (SF maximalistisch begriffen: Alles mit wissenschaftlich erklärten Wundern) aber diese Qualität nicht zuschreiben - "Battle Tech", wahllos als Beispiel herausgegriffen, scheint mir nicht so geartet zu sein. Und ob wirklich sooo wenig Fantasy keine gesellschaftlichen Reflexionen betreibt, weiß ich auch nicht so genau. Terry Pratchett z.B. greift in beinahe jedem seiner Scheibenwelt-Romane ein solches Thema auf, auch wenn es nicht immer leicht als solches zu erkennen ist.
Der große Bonus ist wohl die Utopie, die heutzutage ja kaum mehr aus der SF wegzudenken ist, imho da aber eigentlich nicht hingehört - die drei großen phantastischen Genres sind meiner Ansicht nach die Utopie (gesellschaftliches Wunder), SF (wissenschaftliches Wunder) und die Fantasy (magisches Wunder). Ursprünglich war die Utopie einfach nur ein Nicht-Ort, i.e. ein Ort jenseits der Grenze der bekannten Welt - und die war im antiken Griechenland noch relativ schnell erreicht. Im Ausgehenden 19 Jh. gab es noch einige Fantasy-Utopien - "Hinter dem Nordwind" von George MacDonald kommt mir da in den Sinn. Die Antwort auf die Frage, warum in der Folgezeit die Utopie sich in der SF einbettete, ist meiner Meinung nach weitgehend identisch auf deine Frage, warum so viel Fantasy eskapistisch sei.
Im 20. Jh. wurde der Fortschrittsgedanke immer stärker (in der wissenschaftlich-westlichen Wertegemeinschaft; in Afrika, Arabien, ja schon in Südamerika sah und sieht das anders aus). Das Erfinden von magischen Welten kann nach dem sehr einflussreichen Max Weber nur noch als bedauerlicher Ausdruck der Schwächlinge, die sich im stahlharten Gehäuse der modernen Welt nicht mehr zurechtfinden, gedeutet werden. Wer Fantasy schreibt/liest, erträgt die entzauberte Moderne nicht. (Als postmoderner Ethnologe kann man das natürlich nur für Nonsense halten.) Von der Fantasy wurde eine einfache, pastorale, reaktionäre Welt erwartet, in der Gut & Böse noch klar zuerkennen ist, und es Helden gibt, die am Ende die (entzaubernden) Bösewichte besiegen - Clute bemerkt in seiner Encyclopadia of Fantasy, dass das "Thinning", das Schwinden der Magie aus der Welt, ein zentrales Thema der Fantasy sei. Kein Zufall, möchte ich meinen. Dieses ist keine inhärente Qualität der Fantasy, aber es wird von Vielen, von Fans wie Feinden, von der Fantasy erwartet. Und solche Traditionen setzen sich fest: Tolkien gehörte wohl noch zu den besseren der Autoren, die sich dieser Tendenzen bedienten, aber viele, die ihm nacheiferten, führten die Fantasy endgültig in diese Richtung. (BTW: Rassismus ist nur noch in der Fantasy und der SF möglich: Wo sonst wäre noch ein Endsieg, bei dem die Helden den Gegner total auslöschen, bis zum letzten Ork/Alien, möglich?) Fans erwarten Helden und epische Schlachten von der Fantasy, die Verleger glauben, dass Fans dieses am ehesten kaufen werden, und Autoren werden die entsprechende Schere schon im Kopf haben. Literaturpäpste &-päpstinnen, halten dann Alice Sebolds "Lovely Bones" zwar für ein gutes Buch, aber nicht für Fantasy - den diese ist mit Helden, die epische Schlachten schlagen.
Ich meine ja, dass sich nicht zuletzt durch Autoren wie China Miéville, Jeff VanderMeer, Terry Pratchett, Ursula Le Guin, Michael Moorcock u.a. dieses ändert. Eigenartigerweise findet sich im Deutschen mehr gesellschaftlich Reflektierendes in Rahmen der Kinder/Jugendbücher - anscheinend kann man dort eher den 'moralischen Zeigefinger', als den solches Reflexionen häufig verstanden werden, erheben. Doch generell gilt: Im deutschen Sprachraum sind derartige Themata in der Fantasy eher unerwünscht, man findet sie dann eher in der 'Hochliteratur' (wie Matt Ruff: "Fool on the Hill" oder William Goldman: "Die Brautprinzessin") und nur selten verirrt sich ein solches Buch in die Sparte "Fantasy" der großen Verlage.
Meine 42 Cent, wenn auch deutlich vereinfacht - z.B. die SF-Seite fehlt.
Theophagos
BTW: Kennst du eigentlich von Maureen F. MacHugh "ABC Zhang"? Könnte dich interessieren.
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