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molosovsky
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Beiträge: 230


New PostErstellt: 13.02.07, 15:36     Betreff: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zwischenrufe zu dieser aufregenden Diskussion.

Am 13.02.2007 um 06:40 schrieb Alechadro:
    Zitat:
    Geht nicht gibs nicht.
Gemeint hast Du, daß Fantasy und SF (was ist mit Horror) mehr Auslauf und damit Möglichkeiten haben. — Einspruch: Alltägliches, Banales, Triviales, ›Normales‹ als Hauptaugenmerk eines F/SF/H-Romanes ist mir noch kaum untergekommen. Das Perverse: ich würde das gern mal lesen. Einen Cyberpunkflick der 300 Seiten vom Leben in einem durchschnittlichen Akrologieding erzählt; ein Fantasyroman, der mir vom Leben in einem Stadtkarree erzählt usw. Magisches oeder SF-iges dürfte geschehen, nur eben ohne ›große Spannungshandlung‹, ohne ›epische Überhöhung‹. Stephenson ist mir augefallen, dass er seine SF streckenweise lange im ›Unspektakulären‹ laufen läßt (z.B. Nells Alltag als Kind und Reaktice). Ebenso hat das das Comic Transmetropolitain sehr viel Alltagskleinkram als Würze (Werbung, Konsum, Verkehr, Medien, Mode usw). DAS war ja auch einer der wichtigen Leistungen von Filmen wie Blade Runner, oder von Künstlern wie Giraud/Mœbius (dem seine Beiträge zu Mode in Genre z.B. sind unschätzbar. Man verliehre sich in den entsprechenden Wimmelbildern der Inkal-Comics). — Ich messe Genre-Phantastik sehr stark daran, wie gut Alltag/Banales intergiert sind, denn auf dieser Ebene schlagen alle Verinfachungen durch. Ich denke an die entsprechenden Kommentare von Diane Wynne Jones in ihrem Tough Guide to Fantasylands (Pferde vermehren sich durch Pollenflug usw). Man gucke sich nur die Zähne bei Pirates of the Caribean an. Das passt!

Zum Verhältnis Setting und Inhalt:
Warum häufen sich auf bestimmten irdischen/›realen‹ Settings mehr Stoffe an, auf anderen weniger? Welche realen Settings/Genres darf man denn als direkte Vorfahren der modernen Phantastik-Trias nehmen? Reiseberichte (fiktive wie faktische), Romance (slightly bigger than life), Western, Piraten, Ritter, usw. — WIRKLICH originell wäre ein Phantastik-Genrebuch, daß statt bei Homer, Grimm, Morris und Co sich z.B. Flaubert, Zola oder so zum Vorbild nimmt :-)

Ich finde, man kann sofort einen ganzen Haufen Interessantes von heutigen Kunstdiskursen 1 zu 1 auf Genre-Phantastik übertragen, wenn man statt ›Setting‹ eben ›Insterlation‹ sagt. Für mich (ich komm von der bildenden Kunst) ist der Unterschied zwischen Kabakov und Tolkien, zwischen Warhol und Gibson, zwischen Pollock und Joyce nur sehr marginal.

Zu Lomax Ork-Bemerkungen:
Stimme Dir 100 Pro zu, bis auf eine Ausnahme. Auch wenns mich ein wenig graust, finde ich diese Bier-, Fußball-, Rock-Orks von Warhammer herzig. Das passt einfach. Hier wurden aus der Realität sehr sinnig Eigenheiten auf die Orks übertragen. (Doch wo soll das noch hinführen: Partyorks, Naziorks, Zeckenorks, Prollorks?) — Ich finde, daß z.B. Fantasy um so besser ist, desto weniger sich solche fiktiven Arten (Orks, Elfen, Wichtel, Trolle, Drachen) auf tatächliche Gruppen/Millieus zurückführen lassen. — Ich mein, sind nicht z.B. von Indianern, über Orks bis hin zu Weltraumkäfern viele ›Bösen‹ funktionell schlicht dazu da, eben (a) eine Bedrohung darzustellen die dann (b) von den Helden bekämpft wird. Das ist ja z.B. die großartige Stärke von Zombies: das sind ›menschenartige Wesen‹, die man metzeln darf/muss.

Originelles, was man mit Orks machen kann: nehmen wir Tolkiens Aussage, daß er niemals wirklich abbildet, was Orks so reden. Deren Umgang und Sprache sind zu übel und anstößig, weshalb er (Tolkien) eben nur ›Platzhalter-Dialoge‹ lieferte, und man sich als Leser selber das Übelste und Gröbste an Ausdrücken ausmalen darf. Also, lieber Fantasy-Adept, schreibe einfach eine unbeschönigte, reale Geschichte mit Tolkienorks (Irvine Welsh wäre dafür vielleicht ein guter Kandidat, grins). — Diese Platzhalter-Strategie ist übrigens ein guter Einblick in die fundamentale Euphemismus-Praxis/Gutenacht-Stilistik von Tolkien, die Anlaß für viel (berechtigte) Kritik ist.

Ich halte Setting nicht für DAS wichtigste Merkmal von Narrationen. Mir erscheint der Mitteilungsmodus bedeutender (sowohl sprachlicher Modus im Besonderen, als auch allgemeiner struktureller Modus … man denke nur an so grundlegend entgegengesetzte Stuktur-Möglichkeiten wie ›runde Sache/roter Faden‹ und ›offenes Ende/Kunterbuntchaos‹, oder eben solche Sprach-Ebenen wie ›hoher Stil‹ {Ross}, ›normaler Stil‹ {Pferd} und ›vulgärer/niederer Stil‹ {Gaul}).

Grob nach Aristoteles/Frye kenn ich die Einteilung nach der Handlungsmacht des Helden, die größer, geringer oder etwa gleich zu der von ›uns Lesern‹: sein kann: dementsprechend kann man unterscheiden zwischen:
(i) Mythischer Modus: Held (göttliches Wesen) ist anderen Menschen und Umwelt überlegen (Homer, Superman)
(ii) Romantischer Modus (engl. Romance!): Held ist anderen Menschen und Umwelt bis zu einem gewissen Grad überlegen; Naturgesetzte sind leicht außer Kraft gesetzt (anzutreffen von Dumas bis Dan Brown, der allgemein verbreiteste Abenteuer-Modus, deshalb auch in der Genre-Phantastik am meisten anzutreffen).
(iii) Hoher mimentischer Modus: Held (oftmals Anführer) ist anderen Menschen überlegen, aber nicht der Umwelt (z.B. »Amadeus«).
(iv) Niederer mimetischer Modus: Der Held ist einer von uns, weder der Umwelt, noch seinen Mitmenschen überlegen (das, was man heut am meisten in der realistischen Literatur antrifft. Nehmen wir z.B. George Orwell).
(v) Ironischer Modus: Kraft und Intellgenz des Helden sind niederer als die von ›uns Lesern‹ (eben z.B. der Scheibenwelt-Modus).

Das ist um einiges wichtiger, als die Kulisse und Kostüme, denn der Modus hat schon Auswirkung auf Stil und Anwednung von Kulisse, Figuren, Requisiten usw. (sowas wie »Wahnwitzige Geschwindigkeit« bei Spaceballs geht eben nur im Ironischen Modus und wäre z.B. bei James Bond ein heikler Scherz. Umgekehrt ists heikel, einen ironischen Roman {Modus v} mit einer ernsten Liebesbeziehung {Modi iii und iv} anzureichern, ) — Heutzutage trifft man freilich kaum noch Reinformen dieser Modi an, aber es gibt andererseits so ein Gravitationszentrum an Konvention. So sind ›Untergaltungsromane‹ überwiegend an Spannung orientiert, weniger an panoramischer Abschweiferei. Man kann hier z.B. Flauberts Madame Bovary als Zeitenwende nehmen.

Zuetzt: Am wichigsten erscheint mir das Verhältnis von ›Überhöhen‹ und ›Vernachlässigen‹. Welche Aspekte, Eigenschaften, Perspektiven, Annahmen werden überhöht, herausgestellt, mit Spannung aufgeladen und welche Dinge werden vereinfacht, hintangestellt, ausgeblendet. Hier findet meiner Meinung nach auch die eigentliche ›Auseinandersetzung‹ um den speziefischen Eskapismus-Modus in der Phantastik statt.

Soweit mein Bündel Gedanken zum Thema.
Grüße
Alex / molosovsky


[editiert: 13.02.07, 16:06 von molosovsky]
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