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Lomax
Vielschreiber

Beiträge: 68


New PostErstellt: 16.02.07, 14:23     Betreff: Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Der Tag, an dem die Erde...
    Zitat: Theophagos
    Fantasy (und Literatur insgesamt) neigt dazu schlecht zu sein, wenn sie unoriginell (das ist übrigens ein Synonym von 'fantasielos') ist ... Dem würde ich entgehen halten, dass es allerdings intersubjektive Kriterien gibt
Dem habe ich jetzt eigentlich nichts entgegenzusetzen. An der hier angesprochenen, allgemeinen Theorie stört mich nichts, sondern nur an der in der praktischen Diskussion anklingenden Fokussierung auf das "Setting" als maßgeblichem Ausdruck von Originalität und Fantasielosigkeit. Und dem wollte ich entgegenhalten, dass zum einen gerade nach gängigen "intersubjektiven Qualitätskriterien" das Setting von eher marginaler Bedeutung ist; und dass, wenn man als Kriterium eine so breite und allgemeine Definition wie "Mittelalterfantasy" heranzieht, viele originelle Spielartien davon mit pauschalisiert werden.
    Zitat: Theophagos
    Es würde mich mal sehr interessieren, was du für gute Fantasy mit altbekanntem Setting hältst - vielleicht kannst du ein paar Beispiele geben?
Das Problem mit den Beispielen ist, dass sie versickern, solange die Diskussion sich um allgemeine Pauschalvorwürfe dreht. Denn ich hatte es oben schon erwähnt: Würde man die Vorwürfe konkretisieren und das "ausgelutschte Setting" konkret und präzise fassen, hätte ich auch keine Probleme.
Ich nenne also einfach mal einige Titel, die eine gewisse Anzahl von Settings aufspannen - und dann muss jeder sehen, welche davon noch unter das böse "Mittelalter-Setting" fallen und als Gegenbeispiel dienen können, und welche man "ja gar nicht damit gemeint hat". Aber in letzterem Fall muss man dann auch seine Genrevorstellungen differenzieren und sich überlegen, warum genau man wo seine Grenzen zieht - was eigentlich alles ist, was ich wollte. Denn gestört haben mich nicht die Vorwürfe gegen "unoriginelle Fantasy", sondern gegen "mittelalterliche" oder "rückwärtsgewandte" Fantasy.

  • Zunächst einmal will ich Tolkien selbst nennen, der als Begründer eines Subgenres ja irgendwas richtig gemacht haben muss Und der selbst auch deutlich vielschichtiger und differenzierter ist als seine Plagiatoren.
  • Als zweites habe ich schon Mervyn Peake und seinen Gormenghast-Zyklus genannt, vor allem Band 1 und 2: Rein äußerlich auch ein mittelalterlich- bis frühneuzeitliches Setting, das noch dazu (böse, böse) feudalistische Strukturen thematisiert. Trotzdem ein Vorbild von Mieville und sehr ... eigen.
  • Geraldine Harris: Die Sieben Zitadellen. Der Roman wirkt sehr "klassisch", und ich hatte den Zyklus 10 Jahre ungelesen im Schrank stehen, gerade weil Handlung und Setting, wie sie im Klappentext beschrieben standen, mich eine Geschichte erwarten ließen, die ich schon hundertmal gelesen habe. Schließlich habe ich mich aufgerafft und die Bücher doch gelesen, und anderthalb Bücher lang dachte ich, eine recht nette und gut geschriebene, aber doch konventionelle Geschichte zu lesen - bis mir ganz plötzlich im Rückblick auffiel, dass kein Konflikt so gelöst worden war, wie ich es erwartet hatte. Und das blieb auch so. Eine Reihe, die ich für subtil und genial halte - und die man zuunrecht wegen des konventionellen Settings leicht unterschätzt und übersieht.
  • Ursula K. LeGuin: Erdsee. Zählt nicht zu meinen "All-Time-Favorites", ist aber in vielerlei Hinsicht auch ein "gutes" Buch.
  • Stephen Donaldson: First Chronicles of Thomas Covenant. Ich nenne hier den englischen Titel, weil ich die dt. ÜS zum Abgewöhnen fand.
  • Barry Hughart: Die Brücke der Vögel. Zwar definitiv keine Tolkien-Fantasy - aber märchenhaft und rückwärtsgewandt.
  • Alexander Lloyd: Taran. Eine Kinderbuchreihe - aber gute Kinderbücher.
  • Michael Ende: Die Unendliche Geschichte. Keine Tolkienfantasy, aber trotzdem die "klassische Queste".
  • Hans Bemman: Stein und Flöte: Archaisch, rückwärtsgewandt und märchenhaft. Aber trotzdem ein "modernes" Stück Literatur.
  • Diana Wynne Jones Dalemark-Zyklus ist auch ein sehr interessanter Beitrag zum Thema: Die meisten Bände sind in einem frühneuzeitlichem Ambiente angesiedelt und thematisieren nicht zuletzt politisch/gesellschaftliche Konflikte. Und "Der Fluss der Seelen" führt dann plötzlich in die Vergangenheit, und plötzlich ändert sich auch die Atmosphäre ins mystisch-märchenhafte. Ein anderes Buch - aber nicht schlechter als die Bände vor dem "anderen Setting". Nur wird nicht jeder, dem das eine gefällt, auch mit dem anderen etwas anfangen können. Ein Beispiel also, das nach meinem Empfinden recht gut illustriert, dass die Frage nach dem Setting oft doch mehr mit persönlichem Geschmack zu tun hat, und mit der Frage, welche Art Thema einem liegt, nicht so sehr mit der Qualität.
Denn wie schon gesagt wurde: Jede Geschichte hat das ihr angemessene Setting. Wenn einem nun aber eine Geschichte nicht liegt, und diese Art Geschichte, die einem nicht liegt, sich nun mal besonders gut vor einem speziellen Setting erzählen lässt, sollte man nicht gleich das Setting für das Missfallen verantwortlich machen, und nicht automatisch annehmen, eine Geschichte wäre allgemein schlechter, weil man selbst keinen Zugang dazu hat. Denn gerade Geschichten mit mystisch/märchenhafter Komponente lassen sich oft vor mittelalterlich/archaischem Setting besser erzählen. Und man mag solche Geschichten mögen oder nicht - aber das ist in jedem Fall eine reine Geschmacksfrage; und diese Art Geschichte würde einem dann vor anderem Setting auch nicht besser gefallen.

Die von mir genannten Beispiele sind jedenfalls alle so, dass man sie als "rückwärtsgewandt" bzw. das Setting als "mittelalterlich" bezeichnen könnte - dass sie aber trotzdem in zumindest einem entscheidenden Punkt doch anders sind. Manchmal sieht man es sofort, manchmal muss man genauer hinschauen. Hm, soweit ich sehen kann, kommen zudem zwar mitunter "Elfen" und "Zwerge" vor, aber niemals Orks. Wie an anderer Stelle gesagt: Es ist nicht leicht, etwas so Konkretes wie "Orks" zu bringen, aber trotzdem nicht plagiierend zu wirken
Und dementsprechend gibt es neben den "Spitzenleistungen", den "preiswürdigen Büchern" (die natürlich die ersten sind, die mir hier einfallen) auch noch weitere Abstufungen: Bücher, die in mancherlei Hinsicht konventioneller sind, aber trotzdem keine reinen Nachzügler. Auch sie schaffen es, einzelne Facetten originell herauszuarbeiten und mehr zu bieten als reine Unterhaltung. Ein breites Mittelfeld gehobener Unterhaltungsliteratur in der Mittelalterfantasy, sozusagen, die im Prinzip auf dieselbe Weise "gut" sind wie die von mir genannten Beispiele, bei denen das "andere" aber oft unter etwas dickerer Firnis verborgen liegt und nicht so stilbildend für das Gesamtwerk ist.
Dementsprechend würde ich sagen, dass dieses Subgenre auch nicht schlechter dasteht als andere, die sich ebenfalls nicht von Highlight zu Highlight hangeln, sondern neben einigen Spitzentiteln auch viele Eintagsfliegen vorzuweisen haben, und ein breites Mittelfeld mit dem vollen Spektrum dazwischen, das mal mehr, mal weniger Interessantes zu bieten hat.
Was ein wenig den Blick verzerrt, ist nicht etwa eine grundsätzlich geringere Qualität oder fehlende Möglichkeiten des Subgenres "mittelalterliche Fantasy". Es ist schlichtweg der überwältigende Erfolg und ein daraus resultierender, statistischer Mechanismus: Man kann davon ausgehen, dass vorzugsweise schwächere Autoren die Anlehnung an ein größeres Vorbild suchen. Wenn man sich an ein Vorbild anlehnt, nimmt man vorzugsweise das erfolgreichste. Und das ist nun mal Tolkien. Wäre Mieville der kommerziell erfolgreichste Fantasy-Autor, dann hätte man denselben dicken Bodensatz an Plagiatoren in der politischen, urbanen Fantasy - und würde die Diskussion hier unter umgekehrten Vorzeichen führen. Es ist nämlich nicht das spezielle Subgenre mit seinen Eigenschaften, das Geschichten schlecht macht; sondern es ist die Gravitation des kommerziellen Erfolgs, die besonders viele schwächere Autoren in das spezielle Subgenre zieht.



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