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molosovsky
Experte

Beiträge: 230


New PostErstellt: 18.08.05, 11:03     Betreff: Re: Mieville/Melville

Das verlorene Symbol
Hi Jakob.

Deine Erinnerung an »The Scar« stimmt und ich mag Deine Vergleiche mit »Moby Dick«.

Die Grenzen und Grauzonen zwischen ›wild‹, ›barbarisch‹ und ›zivilisiert‹, sowie die Reibungen zwischen der Sehnsucht nach Exotik und Argwohn gegenüber Fremden werden in meiden Büchern besichtigt.
•••ERGÄNZ: Mit der Erkundung/Eroberung des Globus durch die Europäer fand und findet eine mächtig rumpelnde Relativierung ›unserer‹ Kultur und Werte statt. Man denke nur an die Chinesen und ihr Statement, daß die Menschenrechte des Westens nicht unbedingt dem Menschenbild Chinas entsprechen. Kinder bis zu einem bestimmten Alter gelten im fernen Osten beispielsweise nicht als ›Menschen‹ in sinne ›unserer‹ Auffassung. Obwohl: es gibt einen niederländischen Autor, der meint, Kleinkinder sollte man als Larven betrachten.•••ERGÄNZ ENDE

»Moby Dick« (= MD) ist nicht nur für SF- oder Phantastikautoren eine wichtige Boje im Meer der Literatur; mittlerweile ist schon lange genaug eine Melville-Renaissance im Gange. MD gehört zweifelsohne in jene obskure olympische Klasse, die man ›Weltliteratur‹ nennt. In Deutschland wird seit der Werksausgabe des Hanser-Verlages Melville mit mehr Aufmerksamkeit und Respekt wahrgenommen (endlich z.B. »Pierre« und »Maskeraden« auf Deutsch und MD in einer herrlich von Matthias Jendis übersetzten und superb annotierten Ausgabe).

Ich bin zwar mit MD erst zu einem Drittel durch, aber schwer begeistert. Ich verstehe nur zu gut, warum MD als bis heute strahlendes Menetekel des ›Zivilisations-Hasses‹ (zumindest aber der Zivilisationskritik) gilt.
Zudem ist MD auch formal ein Wonneproppen: durchgehend farbig und athmosphärisch, detailreich und dennoch lebendig. Die Sprache ist wahnsinnig vielstimmig. Zwischendurch gibts schon mal pure Essay-Kapitel und sogar Dramenform.
Soweit meine Erfahrung reicht, kann ich sagen, daß MD ein ›Männerbuch‹ ist. Kenne keine Frauen, die es wirklich schätzen. Auch inhaltlich kommen Frauen so gut wie gar nicht vor. Ahabs Frau z.B. nur indirektest.

China Miéville hat in einem Interview zu »The Scar« den Einfluß von MD klargestellt. Ich suche mal nach der Stelle.

Jupp, Götzenverehrung, oder auch Fetischisierung und ›seelische Ergänzung‹ gehören zum thematischen Fruchtfleisch von »The Scar«. Wie auch in »PSS« und »Iron Council« stellen Abhängigkeiten, Gerangel um Verwöhnungs-Ressourcen und Xenographie (›Beschreibung des Fremdartigen/Fremden‹).
Mir kommen noch in den Sinn.

SPOILERWARTUNG
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• Die Liebenden mit ihrer gegenseitigen Narbenschnitzerei. Die Beziehung der beiden ist für mich eine exzellente Anhäufung von Überspanntheit, die man bei Pärchen manches Male beobachten kann.

• Mortu Crutt-Kämpfer (überhaupt: Spektakel-Sport ist Fetischanbetung oder Götzendienst. Klingt hart, ist aber ein alter Hut).

• Bellis und ihr Brief, von dem sie lange nicht weiß an wen er gerichtet ist. – Schönes Bild für jemanden, die nach erzwungenem Exil einen neuen Seelenblumentopf (römisch: ›Genius‹; christlich: ›Gewissen‹; modern: ›Psyche‹) für seine Gedanken- Empfindungsblüten braucht.

• Der Kult (mit Anfeuerungs-Kampfrufen) der Armadier um Uther Doul. ÜBERHAUPT: Auf gewisse Weise sind ja solche Äktschn-Höhepunkte wie Uthers Kämpfe mit dem Möglichkeits-Schwert (und coole Monster, Gadgets, Orte) die Slake-Moth-Fraktalmuster, von denen ›wir‹ Genre- und Phantastik-Fans uns gern hypnotisieren lassen.

DIE zwei großen Götzen sind aber (für mich)
A) Entfaltungs-Lust in neue Gebiete, zu neuen Dingen (ungestümes Verlangen nach Kreativitäts- und Novum-Verwöhnung): die Sucht nach Neuem = die Reise zum Riss, die Abhängigkeit Armadas vom Avanc, die Abhägigkeit New Crobuzons von Steinmilch. Also Expansion über den Grundbedarf hinaus.

B) Befreiungsdrang aus Zwängen und Unfreiheit. Freilich ›im Grunde‹ nur eine andere, ›legetime‹ Ausführung von A). Doch die Schicksale von Tanner Sack, Bellis (und am Ende auch des Brucolac-Vampir) kommen für mich mehr als berechtigte Fluchten/Auflehnungen rüber.

In »PSS« ist Vogelmensch Yagharek eine famos tragische Figur, weil er zwischen A und B schimmert. Am Ende, als ich die ganze Geschichte von Yaghareks Fall erfuhr, fiel es mir nicht leicht, ein Urteil über ihn zu fällen.

Chinas Bücher platzen vor Dialektik, Diskursen und Bildern für einen ganzen Stall solcher Gedankenspiele. Puh.

Alex / molosovsky



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