Mehrere Gerichtsprozesse der letzten Zeit brachten zutage was politischen AktivistInnen schon ewig bekannt war: Das Berliner Landeskriminalamt beschäftigt Sondereinheiten, die sich ausschließlich auf politische Milieus konzentrieren, z.T. halblegal agieren und seit Jahren wenig erfolgreiche Strafverfahren abgeschlossen haben. Ihre Legitimität erhalten solche Einheiten nicht durch die strafprozessualen Erfolge, die sie vorweisen können, sondern durch die Möglichkeit gezielt politische AktivistInnen einzuschüchtern, die Linke zu durchleuchten und damit zu verunsichern und zu schwächen.
Der Auftrag dieser Sondereinheiten ist demnach politisch und wird auch durch den Innensenat dementsprechend gedeckt. Der polizeiliche Staatsschutz arbeitet nicht straftatenorientiert sondern straftätermilieuorientiert 1. Das bringt das Problem mit sich, dass erstmal was passieren muss, damit der Staatsschutz gegen Linke agieren kann - Dateien anlegen, Überwachen, Durchsuchen, Fotos durchgucken, Aktenvermerke anlegen etc. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung müssen also meist erst konstruiert werden, um als Landeskriminalamt kriminologisch tätig werden zu können. Selbst die kleinsten Vergehen wie das Abreißen von NPD Plakaten, das Kleben von linken Aufklebern oder das Schreien von Parolen auf Demonstrationen reichen oftmals aus, um ein aufwendiges Staatsschutz-Verfahren loszutreten, Überwachungsmaßnahmen einzuleiten und den Aktenbestand des Berliner LKA zu erweitern. Mit den Straftaten an sich hat der Ermittlungsaufwand meist nichts zu tun, was auch die StaatsanwältInnen kritisieren, die den ganzen Aufwand irgendwann einem Gericht erklären müssen.
Mehr als gute Zusammenarbeit unter Kollegen
Wer in Berlin an Demonstrationen teilnimmt, kann sich nicht nur sicher sein gefilmt zu werden, sondern läuft auch Gefahr, in der Datei „Straftäter-Links“ der Sondereinheit „Politisch Motivierte Straßengewalt (PMS)“ aufzutauchen. Diese Einheit wurde 1992 gegründet und umfasst zusammen etwa 60 Polizeibeamte zur Überwachung, Verfolgung und Einschüchterung politischer AktivistInnen.
Die Praxis hat gezeigt, dass die PMS zunehmend mit anderen Abteilungen des LKA zusammenarbeitet, und die BeamtInnen bei Beförderungen oder Versetzungen an befreundete Einheiten weitergereicht werden. Dadurch kommt es zu Machtkonzentrationen und verdeckten Hierarchien innerhalb des LKA, die einer Kontrolle durch den Innensenat entzogen sind. Die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten der Einheiten überlappen sich und die ErmittlerInnen nutzen persönliche Kontakte, um unkompliziert, aber eben nicht rechtmäßig, an Daten heranzukommen.
Polizeiliche Praxis - Korruption, Verrat, Mobbing
Bei politischen Events wie dem 1. Mai sind dann BeamtInnen der PMS (LKA 5) zusammen mit der „Ermittlungsgruppe Hooligan“ (LKA 6), „Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin“ (LKA 4) und den Sondereinheiten der Polizeidienststellen „Fahndung Observation Aufklärung (FAO)“ sowie „Operative Gruppe Jugendgewalt (OGJ)“ unterwegs und die Justiz wundert sich später, woher die hervorragenden Erkenntnisse und szeneübergreifenden Einschätzungen stammen.
Eine unkontrollierbare Exekutive riecht nicht nur nach Vorteilsnahme und persönlichen Machtspielchen – es kommt auch manchmal an die Öffentlichkeit. Im August 2005 wurde eine Fußballfan-Party im Friedrichshainer Jeton vom Sondereinsatzkommando brutalstmöglich geräumt. Die Ermittlungsgruppe Hooligan (EGH) war von der Razzia vorher nicht informiert worden, weil es Erkenntnisse gab, dass die Einheit mit Vorliebe entscheidende polizeitaktische Informationen gegen Zuwendungen an die interessierte Klientel abgibt. Die EGH schob dem Bodybuilder Ober-Kommissar Mario E. alles in die Schuhe und die Presse hatte ihr Bauernopfer Ober-Kommissar Koks: „Es existiert ein Video, das ihn privat mit Fans des BFC Dynamo zeigt. Dabei zieht sich E. eindeutig weißes Pulver in die Nase“ 2.
Schon 2003, wurde die Neonazigruppe „Vandalen - Ariogermansiche Kampfgemeinschaft“ vor einer Razzia ihrer Geburtstagsparty in Köpenick vermutlich von PolizeibeamtInnen gewarnt. Damals verbuchte die PMS, die Entdeckung und Auflösung der Party als Riesenerfolg 3. Die Ermittlungen wegen Geheimnisverrat wurden eingestellt.
Im September 2005 standen drei Beamte um den Kriminaloberkommissar Husahm N. der Sondereinheit Fahndung Observation Aufklärung vor dem Berliner Landgericht unter Anklage, weil sie im Drogenmilieu Handel zuließen und davon profitierten. „Ihre Verteidiger sprechen von konstruierten Vorwürfen und vermuten, interne Querelen in der Polizeibehörde hätten zu der Anklage geführt.“ 4. Diese Vorfälle zeigen auf, dass zumindest bei einem Teil des Berliner LKAs Ansätze zu mafiösen Strukturen bestehen, die BeamtInnen es mit dem Gesetz nicht so ernst nehmen und zusammen dafür garantieren, dass permanente Rechtsbrüche im Polizeialltag von allen BeamtInnen gedeckt werden. Diese Verselbstständigungstendenzen lassen sich von dem politisch verantwortlichen Innensenat schwer aufbrechen. Hagelt es allerdings Dienstaufsichtsbeschwerden und werden Rechtsverstöße durch die LKA BeamtInnen immer mehr öffentlich gemacht, kann dies unangenehme Konsequenzen für die selbstverliebten KommissarInnen haben.
Fallbeispiel aus dem politischen Alltag – Christian S.
Ein Beispiel für die Arbeitsweise des Berliner LKA im politischen Milieu zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage im sächsischen Landtag zu den Polizeieinsätzen während der Antifa-Aktivitäten gegen einen Neonaziaufmarsch am 13. Februar 2005 in Dresden. 36 Berliner LKA BeamtInnen waren „zur Unterstützung der einsatzführenden Polizeidirektion in den Einsatzabschnitten Aufklärung sowie Raumschutz/Zugriff eingesetzt“. Sie alle „trugen zivile Kleidung, so wie es bei Kriminalbeamten im operativen Einsatz grundsätzlich der Fall ist“. Zumindest „das Begehen von Straftaten ist ihnen nicht erlaubt“ 5.
LKA BeamtInnen verschiedener Abteilungen arbeiten also auch bundesweit intensiv zusammen und fahren dem von ihnen zu durchleuchtenden politischen Milieu auch in andere Bundesländer hinterher. So kam es dazu, dass zwei verdeckt ermittelnde BeamtInnen aus Berlin am Demonstrationsgeschehen in Dresden teilnahmen, Informationen sammelten und mindestens zwei Personen aus Berlin gezielt festnehmen ließen. Einer der Gefangenen war der Antifaschist Christian S., der sogleich wegen einem angeblich begangenen Landfriedensbruch, den die LKA AufklärerInnen gesehen haben wollen (andere Beweise gibt es nicht), in Untersuchungshaft kam. Der Staatsanwalt Fenner aus Berlin fand den Fall derartig interessant – es ging um einen Flaschenwurf, der niemanden getroffen hat – dass er das Verfahren an sich zog und ihn vor dem Landgericht Berlin 6 anklagte. Christian S. sitzt seit März 2005 in Berlin-Moabit in U-Haft und plagt sich mit einer Hepatitis C Erkrankung rum, die nicht richtig behandelt wird 7. Die U-Haft Frist von maximal sechs Monaten ist der Staatsanwaltschaft völlig egal und sie erneuert den Haftbefehl, bis irgendwann mal der Prozess stattfinden kann. Ermittlungstechnisch vom LKA für die Staatsanwaltschaft vorbereitet, rechtsstaatlich alles einwandfrei verpackt und irgendwann auch vom Gericht abgesegnet. So funktioniert die vom LKA gesteuerte Gewaltenteilung.
Der Festgenommene war dem Staatsanwalt und dem LKA nämlich nicht unbekannt. Ein Verfahren gegen ihn im Dezember 2004 wegen der verhinderten NPD-Demonstration am 1. Mai 2004 in Berlin Lichtenberg-Friedrichshain offenbarte, dass die verdeckt ermittelnden BeamtInnen Straftaten über längere Zeit gezielt zuließen, um das zu erwartende Strafmaß für die Person zu erhöhen. Ferner blieb offen, wie viele PolizeibeamtInnen in einer größeren Gruppe „Straftäter“ waren, die sich an den Ausschreitungen in Friedrichshain beteiligten. Nach Aussage des Hauptzeugens Siegert, der nach eigenen Angaben der Ermittlungsgruppe FAO – Fahndung, Aufklärung, Observation angehört und sich extra für den Prozess falsche Haare und Bart angelegt hatte, waren es aber „einige“, auch aus anderen Direktionen.
Verdeckte Aufklärer
Am 30. Oktober 2004 wurden bei einer antifaschistischen Demonstration gegen einen Neonaziaufmarsch in Potsdam wieder Berliner LKA BeamtInnen verdeckt eingesetzt. Dazu heißt es von der Einsatzleitung,dass es sich bei den BeamtInnen des LKA 562 um eine Variante des Verdeckten Aufklärers im politisch motivierten Umfeld handelt. Die BeamtInnen werden überwiegend zu Observationszwecken im Extremismusbereich eingesetzt. Aus diesem Grund können sie selber keine Festnahmen durchführen, stellen durch Observation und Meldung jedoch sicher, dass die Person abgesetzt durch uniformierte Kräfte festgenommen werden kann. Zeugenschaftliche Äußerungen werden jedoch geleistet.
Bei einer antimilitaristischen Demonstration im Oktober 2005 in Berlin waren wiederum polizeiliche AufklärerInnen verdeckt tätig. Doch diesmal nicht gerade unerkannt. Der Polizeioberkommissar Rouven K. vom Mobilen Einsatzkommando (MEK), war früher bei der PMS gegen „Straftäter links“ eingesetzt. Er fühlte sich von einem seiner „Klienten“ dermaßen provoziert, dass er seine Tarnung auffliegen ließ und wild mit dem Knüppel in die Menge schlug. Die Presse freute sich und stempelte ihn als durchgeknallten Workaholic ab, statt die Gründe für diese Gewaltorgie in der Struktur der Sondereinheiten zu suchen 8.
Fazit - Sich gemeinsam nichts gefallen lassen!
Wer in Berlin politisch aktiv ist, muss damit rechnen irgendwann mal Probleme mit den LKA-Sondereinheiten zu bekommen. Die einzige Möglichkeit, die mensch hat, um damit umzugehen ist juristisch und politisch gegen Rechtsverstöße auf verschiedenen Wegen vorzugehen und klarzumachen, dass die billigen Einschüchterungsversuche irgendwelcher braungebrannter BodybuilderInnen, die sich für Bulle, StaatsanwältIn und RichterIn in einer Person halten, nicht greift, weil eine starke linke Bewegung euch den Rücken stärkt.
Das Landeskriminalamt hat, seiner Aufgabe entsprechend, umfangreiche Zuständigkeiten und auch die notwendigen rechtlichen und logistischen Mittel, um euch ziemlich krass zu nerven. Aber auch diese Mittel sind endlich und Berlin spart auch beim LKA ordentlich. Mit zunehmender öffentlicher Kritik an den Sondereinheiten und derben Polizeiskandalen steigt auch das Bedürfnis diese wegzukürzen.
(1) Antifa Infoblatt Nr. 53/ 2001 „Polizeiruf 88 Null“ (2) 26.08.2005 BZ „Ober-Kommissar Koks“ (3) 24.09.2003 Berliner Zeitung „Rechte wussten offenbar von geplanter Razzia“ (4) 10.09.2005 Berliner Zeitung „Großgarnelen in geheimer Mission“ (5) KA Dresden 36-0141.50/1671 (6) Vor dem Landgericht wird nur angeklagt wenn klar ist, dass das zu erwartende Strafmaß über vier Jahren Haft liegen wird. (7) Mehr zu Fall Christian S. unter www.freechristian.de.vu (8) 29.10.2005 Tagesspiegel „Opfer klagen prügelnden Polizisten an“