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bjk
Beiträge: 7353
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Erstellt: 31.05.05, 05:56 Betreff: Re: Oskar Lafontaine will's wissen! |
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in meiner Mailbox gefunden:
Bundestagswahl 2005
Neuer Wein in alten Schläuchen - eine "Verantwortung der Linken"?
Vorausschicken möchte ich, dass es mir durchaus nützlich und begrüßenswert erscheint, wenn es durch die aktuelle Entwicklung mal wieder eine Bundestagsfraktion geben wird, die den Kapitalinteressen distanzierter und kritischer gegenübersteht, als dies CDUFDPSPDGrüne tun - auch wenn es sich nach Lage der Dinge lediglich um eine Variante der Sozialdemokratie handeln wird. Zwar: Die ProtagonistInnen schätzen sich glücklich, als Gallionsfiguren vielleicht den früheren SPD-Vorsitzenden sowie den Medienliebling und Überflieger aus der PDS gewinnen zu können, der sich dort recht erfolgreich als vielseitiger Tabubrecher betätigt hatte; sei es drum - das Geschäft des Parteienmarketings hat nun mal seine Regeln, die kaum zu ignorieren sind, wenn man unter den gegebenen Bedingungen da was erreichen will. Und wenn man das will, sollte soviel Vernunft aufgebracht werden, sich nicht noch gegenseitig den Weg zu versperren, soweit bin ich mit den kursierenden Appellen von Christine Buchholz e.a. und Winfried Wolf e.a. einverstanden.
Nicht einverstanden bin ich aber damit, dass nun für dieses Projekt die gesamte "Linke" in Verantwortung genommen werden soll. Wenn "links" übersetzt wird mit "emanzipatorisch" und auf progressive Transformation der Gesellschaft setzend, dann ergeben sich aus meiner Sicht viel wichtigere aktuelle und langfristige Aufgaben, als zum x-ten Mal dem parlamentarischen Projekt sich hinzugeben. Denn: wir haben schließlich in den letzten Jahrzehnten bereits einige Erfahrungen mit solchen Projekten gemacht, die wir nun nicht der Amnesie überantworten sollten.
Aus meiner Sicht das avancierteste dieser Projekte waren die Alternativen Listen/die Grünen, die nämlich Integrationsmechanismen des kapitalisitisch-parlamentarischen Systems durchaus kritisch reflektiert und daraus Regularien entwickelt hatten, die dem entgegenwirken sollten. Diejenigen, die wie ich schon ein paar Jahrzehnte das politische Geschehen teilnehmend beobachten, haben mit verfolgen können, wie in einem langjährigen, sehr konfliktiven Prozess dennoch die komplette Integration in den politischen mainstream erfolgte - und zwar nicht nur aufgrund solch begabter Opportunisten wir Fischer, sondern auf Grund von Mechanismen, die es wert wären, nochmal genauer analysiert zu werden.
Sicher hat es auch viel mit Medienmacht zu tun. Jedenfalls: die PDS, die anfangs ähnlich skandalös im Parteienteich querlag, hat diesen Prozess dann noch viel schneller als die Grünen durchlaufen, und zwar ebenfalls nicht nur wegen der Bosheit ihrer Häuptlinge, sondern weil die Parteibasis dies mittrug! Es ist schon verblüffend, wenn sich Winfried Wolf, der das doch leidvoll miterlebt hat, und deshalb austrat, nun schon wieder für die Wiederholung des Spielchens warmläuft; (muß was mit den Lafontaine'schen "Hufen des alten Schlachtroß" zu tun haben, in denen es dann immer wieder kribbelt). Und nun also WASG und PDS: bei der WASG ist es ja nun schon bekannt, dass sie dezidiert innerhalb des bestehenden sozial-ökonomischen Systems ihre heilsame Wirkung entfalten will, also im wesentlichen durch Wiederbelebung sozialdemokratischer Konzepte, die von der SPD aufgegeben wurden.
Aber es wäre ja vielleicht nicht unwichtig, warum denn die SPD sich in so mieser Weise zum schlechteren entwickelt hat, inwiefern das was mit gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zu tun hat, die nicht bei Parlamentswahlen entschieden werden, und ob nicht generell unsere Gesellschaft an einem eklatanten Demokratiedefizit leidet, insofern nämlich der ökonomische Bereich der Entscheidung der Bevölkerung entzogen ist. Daran würde auch eine WASG-PDS mit 10% wenig ändern. Hier müßten schon ganz andere soziale Entwicklungen in Gang kommen, die dann im Parlament nur noch ratifiziert würden. Also, um eine frühere grüne(!) Parole wieder aufzugreifen: eine Parlamentsfraktion kann die Funktion eines "Spielbeins" haben, das aber nur in dem Maße Bedeutung erlangt, insoweit dies durch das "Standbein" einer kräftigen gesellschaftlichen Bewegung ermöglicht wird.
Ob in und durch die Gewerkschaften die nötige gesellschaftspolitische Mobilisierung der Menschen gelingt, das hängt nicht von einer WASG-Fraktion ab, sondern von den Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften selber. Die Gefahr ist da, dass solche Parteigründungen eher Ablenkungsmanöver sind, statt Politisierung und Demokratisierung der Gewerkschaften ernsthaft und konfliktfreudig anzugehen! Denn dort liegt doch der Hebel realer gesellschaftlicher Macht, und nicht bei den Sesseldrückern im Reichstag (um es mal ein bißchen populistisch zu fassen).
Also jetzt schwerpunktmäßig in den Wahlkampf für diese WASG-PDS zu ziehen, halte ich wirklich für ziemlich verfehlt, Ausdruck einer Mutlosigkeit und eines Traditionalismus, der uns wenig weiterbringt, und auch diejenigen nicht beeindrucken wird, die für faschistische Propaganda anfällig wurden.
Was wir brauchen sind doch viel eher Ideen, Vorschläge, Organisationsdebatten, wie es gelingen kann, ein pluralistisches und trotzdem kohärentes Gegenmodell zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfasstheit zu entwickeln; Vorstellungen, die aus der komplexen Misere herausführen - und wie die einzelnen und die vielen daran aktiv mitwirken können. Ich zitiere mal Fausto Bertinotti (beim ESF in Florenz): die Politik muß wieder auf die Strassen und Plätze. Wir müssen also untersuchen, wie die Mechanismen der Entpolitisierung angewendet werden und greifen, sodass eben eine deprimierende und perspektivlose "Demokratie light" entsteht; und dazu gehört eben gerade auch die existierende Form des Parlamentarismus, den viele nur noch als geschickte Form der Betrügerei wahrnehmen können. Da mitzumachen, ohne dies mit der nötigen Radikalität und Konsequenz zu reflektieren, ist m.E. kein Beitrag zu nachhaltig emanzipatorischer Politik, die wir uns doch eigentlich vorgenommen haben. Matthias Jochheim
mehr Infos: http://www.sozialforum2005.de http://www.sfid.info http://www.weltsozialforum.org
[editiert: 31.05.05, 06:03 von bjk]
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