PDS - der lange Abschied vom Sozialismus von Jörg Fischer - 28.10.2003 20:53
Der Programmparteitag der PDS am letzten Oktober-Wochenende wird in die offiziellen Parteianalen als „Parteitag von Chemnitz“ eingehen. Das wird aber der Bedeutung dieses Tagung nicht gerecht. Tatsächlich war dieser Parteitag für alle, die immer noch Illusionen über den Charakter und die politische Entwicklung der PDS hatten, nicht weniger als ein Parteitag der Befreiung. Befreit wurden alle jene, die noch die trügerische Hoffnung hatten, die PDS könne doch noch eine Alternative zu den Parteien der Banken und Konzerne, zur großen Koalition der Sozialräuber sein.
Mit der Verabschiedung des neuen Parteiprogramms hat die PDS in Chemnitz nicht nur eine klarstellende Richtungsentscheidung zugunsten der kapitalistischen Marktwirtschaft und militärischen „Konfliktlösungen“ getroffen, sondern auch die „Ausrutscher“ von Münster und Gera ausgebügelt. Bei dem Bundesparteitag in Münster 2000 hatten die Delegierten gegen den Willen des Führungsduos Bisky/Gysi Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland abgelehnt und auf dem Parteitag in Gera nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 hatte der parteirechte Flügel eine innerparteiliche Niederlage hinnehmen müssen.
Chemnitz manifest programmatisch, was in der Realität der PDS-Politik schon lange sichtbar war: Die Abkehr vom Sozialismus als grundlegende Alternative zum Kapitalismus, der nicht nur nicht in der Lage ist die drängenden Probleme der Gegenwart und Zukunft – Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Sozialraub, Bildungsnotstand, Umweltzerstörung, Kriege, Hunger, Verelendung – zu lösen, sondern die Ursache dieser Probleme ist. Die PDS, dies hat sich in Sachsen-Anhalt bereits bewiesen und beweist sich in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, ist in der neoliberalen Logik verhaftet und in einer Gesellschaft angekommen, die auf Ausbeutung, Ausgrenzung und Entmündigung der Menschen basiert. Den wohlfeilen, worthülsenartig vorgetragenem verbalen Bekenntnis zu einem „Sozialismus“, der bestenfalls nur noch als nebulöse „Bewegung“ innerhalb des kapitalistischen Systems definiert wird, steht im neuen Parteiprogramm das Bekenntnis zu Gewinnstreben und Unternehmerinteressen einer kleinen, besitzenden und deshalb herrschenden Klasse zur Seite. Das die Worthülse „Sozialismus“, denn mehr als eine Worthülse ist dieser Begriff im PDS-Programm nicht mehr, er ist hier blut-, bedeutungs- und inhaltsleer, im in Chemnitz verabschiedeten Text Erwähnung findet, hat die rein taktische Bedeutung, als Beruhigungspille für kritische Mitglieder an der Basis zu dienen, um diese zumindest noch etwas an die Partei zu binden.
Sicherlich: Die PDS war nie eine revolutionäre, marxistische Partei. Aber sie war sicherlich eine Partei, in der MarxistInnen eine Plattform hatten und sich organisieren konnten. Wenn die PDS heute noch MarxistInnen an sich bindet, dann tut sie dies eher in dem Sinne, diese in die politische Wirkungslosigkeit zu führen, bzw. zu halten und sie an einem Neuformierungsprozess einer antikapitalistischen Linken und einer wirkungsvollen Mitarbeit in den entstehenden sozialen Bewegungen, von denen sich die PDS schon längst verabschiedet hat, zu hindern. So wie der Stalinismus, unterstützt durch die bürgerliche Propaganda, die Idee des Kommunismus diskreditierte, so diskreditiert die reale PDS-Politik etwa in der Berliner Senatsregierung den Sozialismus und dient heute den Gegner gesellschaftlicher Veränderungen als weiteres „Argument“ für die Behauptung, der „Sozialismus sei nicht in der Lage, die Situation der Menschen zu verbessern und sei nicht zukunftsfähig“.
Diese Situation ist jedoch nicht überraschend oder unvorhersehbar gewesen. Der Bezugsrahmen der PDS war und ist stets der bürgerliche Parlamentarismus und nicht die außer- und vorparlamentarischen Bewegungen gewesen, ihre Politik war stets darauf abgerichtet, den „Kapitalismus zu zähmen“ und „ein menschliches Antlitz“ zu verpassen, anstatt ihn zu überwinden. Das dies zum Scheitern verurteilt und in der Unterordnung unter die Profitlogik des herrschenden Systems enden muss, liegt in der Natur der Sache. So verwundert es dann auch nicht, wenn die selbsternannten „Reformer“, also die parteidominierende Apparateclique, gar nicht bemerkte, dass das kapitalistische System in der derzeitigen Phase gar nicht mehr zu Reformen fähig ist, sondern tatsächlich an seine Grenzen gestoßen ist. In ihrer Entfernung von den Menschen und ihrer Lebensrealität merkt die PDS-Führung nicht nur nicht, das sich der Klassenkampf zunehmend verschärft, sondern leugnet diesen sogar.
Wie sehr sich die PDS-Führung von den Menschen entfernt hat, wurde einen Tag nach dem Programmparteitag deutlich. Am gleichen Sonntag waren die Kommunalwahlen in Brandenburg. Parteichef Lothar Bisky verkündete, das Wahlergebnis sei ein Beleg für „steigende Akzeptanz der PDS in der Bevölkerung“. So kann nur jemand reden, der sich schon längst nur noch auf den bürgerlichen Parlamentarismus und auf das erringen von Parlamentsmandaten fixiert hat: Kein Wort darüber, das fast 55 Prozent der wahlberechtigten Menschen den Urnen fernblieben und die PDS 40 bis 42 Prozent ihrer WählerInnen, also fast die Hälfte, im Vergleich zu den vorangegangenen Kommunalwahlen verloren hat. Auch im April 2002, als die PDS bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt aufgrund der drastisch zurückgegangenen Wahlbeteiligung prozentual leicht zulegen konnte, wurde von der Parteispitze kein Wort darüber verloren, das man tatsächlich über 50.000 WählerInnen verloren hatte. Aber nicht nur die Wortwahl in den abgehobenen Statements nach den Wahlen ist zwischenzeitlich deckungsgleich mit den Verlautbarungen der anderen etablierten Parteien, die Denkweise ist es auch. Ob bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Hessen, Niedersachsen, Bremen, Bayern, ob bei der Bundestagswahl oder bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein und Brandenburg: Das eigentlich interessante und aussagekräftige ist die Wahlbeteiligung. Überall verweigern sich immer mehr Menschen dem bürgerlichen Parlamentarismus und bleiben den Wahlurnen fern. Immer weniger Menschen können der Wahl einer der etablierten Parteien etwas abgewinnen und sie sehen – zutreffend – in der PDS schon lange keine wählbare Alternative mehr zum neoliberalen Mainstream, in dem die PDS selber ist.
Eine Veränderung der PDS ist indes nicht zu erwarten. Der von den Medien immer wieder beschworene „linke Flügel der PDS“ ist biss- und politisch bedeutungslos und spätestens seit dem Berliner „Sonderparteitag“ vom Juni diesen Jahres marginalisiert. Dies zeigte auch, die fast 78prozentige Zustimmung für das neue Grundsatzprogramm auf dem Parteitag in Chemnitz. Daran ändert auch der Versuch nichts, das neue Programm schön zu reden weil einige Formelkompromisse gefunden wurden – der Seitenwechsel ist vollzogen.