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Ralf.
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Erstellt: 12.11.03, 18:07 Betreff: Eine späte Antwort zu Hartz - von Chr. Ströbele (grün) |
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Sehr geehrter Ralf Hellbart!
Ihr Schreiben vom 9. Oktober habe ich erhalten.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mir mit meiner Antwort etwas Zeit gelassen habe. Pro Tag erhalte ich 30 bis 200 Zuschriften. Während der Diskussionen zu den Hartz-Gesetzen, sind es täglich über Tausend. Zeit zur Befassung mit den Zuschriften habe ich nur in den Nachtstunden und an Wochenenden, da insbesondere die Sitzungswochen ausgefüllt sind mit Sitzungen, Besprechungen und anderen Terminen. Ich komme kaum dazu, alle Zuschriften zur Kenntnis zu nehmen. Schon gar nicht habe ich die Zeit und Muße, längere Anlagen oder dicke Akten zu studieren, die häufig beigefügt sind. Nur für ganz wenige individuelle Antworten reichen meine Kapazitäten. Gleichwohl will ich nun versuchen, meine Sicht zu den Hartz-Gesetzen und mein Abstimmungsverhalten zu erklären.
Auch ich sehe diese Gesetze nach wie vor sehr kritisch, wie auch meinen öffentlichen Kommentaren zu entnehmen ist.
Für mich, so wie für einige andere Abgeordneten aus der grünen Fraktion und der SPD, die meine Kritik teilen, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder wir lehnen die Gesetzentwürfe in der ursprünglichen Fassung einfach ab und sagen Nein, wie es zahlreiche Zuschriften von uns gefordert haben, oder wir versuchen, einige wesentliche Veränderungen zu erreichen. Letztendlich verhindern konnten wir die Verabschiedung der Hartz-Gesetze ohnehin nicht, denn CDU/CSU und FDP hatten angekündigt, Regelungen wie in der ursprünglichen Gesetzesfassung vorgesehen mittragen zu wollen. Jetzt, nach der Verabschiedung der veränderten Fassung, wollen sie im Bundesrat die Veränderungen wieder rückgängig machen.
Sie ermutigen mich, dem "Mobbing" gegen die KritikerInnen der Hartz-Gesetzte zu widerstehen. Es ging jedoch nicht darum, ob wir einknicken und umfallen, ob wir dem Druck der Fraktionsführung nachgeben, sondern welches Verhalten mehr für die betroffene Bevölkerung einbringt. Wir haben uns gemeinsam für die letztere Variante entschieden.
Mit unserem Nein hätten wir ein Signal gegen die Gesetze gesetzt, mehr aber auch nicht. Durch Verhandlungen über eine Zustimmung konnten wir erreichen, dass die schlimmsten Grausamkeiten noch korrigiert wurden. Dazu zählt nicht nur die Bezahlung zumutbarer Jobs, sondern auch eine Verdoppelung des Freibetrages für Sparvermögen der Alterssicherung und dass nicht auch noch nächste Verwandte auf Unterhalt in Anspruch genommen werden können, bevor Arbeitslosengeld II bezahlt wird.
Trotz dieses Erfolges will ich die negativen Seiten des beschlossenen Gesetzespaketes und die dramatischen Einkommenseinbußen für viele Betroffene nicht kleinreden, sondern klar und deutlich benennen und immer weiter Veränderungen anmahnen.
Aber auch ich kann mich der Notwendigkeit nicht verschließen, drastische Einsparungen vorzunehmen und die Systematik der sozialen Sicherungssysteme zu verändern. Es ist ja richtig, dass grundsätzlich die großen Unternehmen und die großen Vermögen mehr heranzuziehen sind, um die Kosten der Sozialsysteme zu tragen. Daran müssen wir arbeiten und ich tue das auch, aber kurzfristig hilft das nicht weiter.
Es ist leider nicht zu leugnen, dass für Renten, Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Gesundheitsversorgung mehr und mehr das Geld fehlt. Wenn nicht bald was geschieht, können Renten, staatliche Hilfen für Langzeitarbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen und Gesundheitskosten nicht mehr ausgezahlt werden.
Das liegt einmal daran, dass wegen der hohen Arbeitslosigkeit immer weniger Menschen Beiträge zahlen und immer mehr Menschen Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Aber auch die Kosten der Gesundheitsversorgung sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen und steigen stetig weiter. Jeder von uns erlebt beim Arzt und im Krankenhaus, dass der Einsatz von immer neuen Medikamenten und teueren Apparaten und damit aber auch die Heilmöglichkeiten erheblich zugenommen haben. Das alles kostet viel mehr als vor einigen Jahren. Dazu kommt, dass die Menschen älter werden, nicht nur länger Rente beziehen, sondern auch länger krankenversorgt werden müssen. Die Finanzierungslücken sind eindeutig und werden immer dramatischer. Niemand kann verantworten, dass in den nächsten Monaten Renten oder Krankenversorgung nicht mehr bezahlt werden können. Sollen die Sozialbeiträge der Leute, die Arbeit haben, nicht noch viel höher steigen, sind Einsparungen notwendig.
Wo und bei wem gespart wird und wer noch zu Leistungen herangezogen werden soll, darüber kann man streiten. Auch ich bin dafür, dass Selbstständige, Beamte und Politiker in die gesetzlichen Kassen einzahlen. Aber eine Umstellung der Systeme dauert viele Jahre und löst auch nicht alle Probleme, ganz abgesehen davon, dass es bisher keine Mehrheiten dafür gibt.
Ich setze mich weiter für eine sozial gerechte Verteilung der Lasten ein. Ebensowenig wie Sie möchte ich "die Gesellschaft in Arm und Reich zumentieren". Was aber für die Lösung der einzelnen Probleme das Gerechte ist, ist damit noch nicht klar. Das gilt auch für Fragen, die mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in das neue Arbeitslosengeld II zusammenhängen.
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gehören eigentlich nicht zu meinen Fachgebieten im Bundestag. Ich bin kein Experte, aber ich habe gelernt, dass die Arbeitslosenhilfe nicht aus Beiträgen der Versicherten gezahlt wird, sondern aus Steuermitteln, ebenso wie die Sozialhilfe. Es handelt sich also nicht um die in Zeiten der Erwerbsarbeit eingezahlten und gesparten Beiträge, aus denen Bezieher von Arbeitslosenhilfe heute Leistungen erhalten.
Weil Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose letztlich aus demselben Topf, nämlich dem Steuertopf, ihr Geld erhalten, macht es Sinn beide Leistungsarten zusammenzulegen. Das führt zur Vereinfachung der Abwicklung der Leistungen, ein Vorteil für Leistungsempfänger und Ämter.
Wenn aber die Existenz all dieser LeistungsempfängerInnen aus Steuermitteln gesichert wird, scheint es mir nicht gerecht zu sein, dass die ArbeitslosenhilfeempfängerInnen, die vor ihrer Arbeitslosigkeit mehr an Einkommen hatten, nun auch vom Staat mehr Arbeitslosenhilfe erhalten als die, die schon für ihre Arbeit weniger Lohn erhalten hatten. So lautet aber die bisherige Regelung. Es hat doch einiges für sich, dass alle, die vom Staat aus Steuermitteln Hilfe erhalten, gleich viel - oder besser - gleich wenig bekommen sollen und keiner und keine mehr, ob sie nun vorher Sozialhilfeempfänger waren oder ein höheres Arbeitseinkommen hatten.
Über die Höhe der Zahlungen zur Sicherung der Existenz muss man sicher streiten. Das Arbeitslosengeld II, das jetzt an die Stelle von Arbeitslosenhilfe und für viele heutigen SozialhilfeempfängerInnen an die Stelle von Sozialhilfe tritt, ist nicht viel höher als die heutige Sozialhilfe. Es sind nur ein paar Euro mehr, weil die Sachleistungen pauschalisiert dazu gerechnet werden, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall tatsächlich notwendig sind.
Die geringe Höhe dieses neuen Arbeitslosengeldes II ist sicher nicht nur ein Problem, sondern eigentlich eine Zumutung, aber mehr ist angeblich derzeit nicht finanzierbar. Schlechter gestellt sind damit vor allem die, die früher ein höheres Arbeitseinkommen hatten und deshalb bisher mehr Arbeitslosenhilfe erhalten. Für die bisher Ärmsten, das ist nach Angabe der Regierung der allergrößte Teil, wird in Zukunft mit dem Arbeitslosengeld II nicht weniger ausgezahlt als bisher mit der Arbeitslosenhilfe, die häufig sogar geringer war, und als mit der heutigen Sozialhilfe.
Wie mir gesagt wird, haben die Menschen, die ein niedriges Arbeitseinkommen hatten, bislang ohnehin vielfach weniger Arbeitslosenhilfe erhalten als sie Sozialhilfe beanspruchen können und deshalb ergänzende Sozialhilfe erhalten. Diese Menschen würden mit Arbeitslosengeld II nicht schlechter gestellt als heute.
Entscheidend sind die Detailregelungen, wie die der Anrechnung von Ersparnissen für die Altersversorgung, des Partnereinkommen und die Zumutbarkeit von angebotenen Jobs, um nur einige zu nennen. In diesen Bereichen haben wir Veränderungen verlangt. Darüber wurde verhandelt, und wie es scheint nicht ohne Erfolg. Schlimme Grausamkeiten des ursprünglichen Gesetzes wurden korrigiert, wie die, dass jeder Job zumutbar sein sollte unabhängig von der Bezahlung. Auch ein Job mit Hungerlohn von wenigen Euro pro Stunde, zudem ohne jede soziale Absicherung. Wenn solche Angebote nicht angenommen werden, sollte das Arbeitslosengeld II bis zu 30 % gekürzt werden können. Dem Lohndumping wäre Tür und Tor geöffnet worden. Das ist im verabschiedeten Gesetz jetzt anders geregelt. Der Job, der zumutbar sein soll, muss mindestens nach der tariflichen Regelung bezahlt werden und nur wenn keine tarifliche Regelung existiert, nach dem ortsüblichen Lohn. Das ist zweifellos ein Fortschritt, wenn er sicherlich auch nicht die Verschlechterungen für viele beim Arbeitslosengeld II voll aufwiegen kann. Wie es nach der Blockade gerade dieser Verbesserungen im Bundesrat weitergeht, werden wir sehen.
Ich hoffe, ich stoße mit meinen Überlegungen bei Ihnen auf Verständnis und kann Sie davon überzeugen, dass wir uns mit den Problemen ernsthaft auseinandersetzen, selbst wenn Sie nicht alle meine Argumente teilen.
Mit freundlichem Gruß verbleibe ich
Ihr Hans-Christian Ströbele
Fazit: Auch das Denken eines "Abweichlers" ist strikt systemkonform. Mit einem bißchen Kosmetik hier und da werden nur noch Hoffnungen in der Bevölkerung geweckt, die sie nie erfüllen können / wollen(?)! Ein grundlegendes "Umdenken <-> Umschwenken", wie in der allerersten Gründungsphase der Grünen angelegt ? Alles weg ...
Übrigens: ich bin davon überzeugt, in dieser Denke wird auch die PDS nach ihrer Akzeptanz der in sich verlogenen "sozialen Marktwirtschaft" und der Unternehmensprofite landen ! Hier gilt in der Tat: "Wer sich in Gefahr begibt, kommt drin um"
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www.rhellbart.de und www.carookee.com/forum/m-wie-mensch
[editiert: 31.01.07, 09:18 von bjk]
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