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bjk
Beiträge: 7353
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Erstellt: 22.02.04, 19:57 Betreff: Re: Eine Frage, die Wiedervereinigung betreffend |
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Meine Erinnerungen an die Vor- und Nachwendezeit,
genannt die Wiedervereinigung Deutschlands (Teil 1)
Ende der 80er Jahre bin ich aus beruflichen Gründen aus dem reizvollen Mittelfranken, wo ich als Urberliner fast 20 wunderschöne Jahre verlebt hatte, in’s Rheinländische gelangt. Ich sollte nämlich eine Niederlassung eines großen Lebensmittel-Heimdienstes im Raum Koblenz zunächst als Bezirks- und dann als Gebietsleiter übernehmen.
Nicht nur weil ich ehrgeizig war, hatte der Tag 30 Stunden und mehr – soll heißen, obwohl ich schon immer politisch sehr stark interessiert war, zu mehr als nur schnell mal die Zeitungsnachrichten, Leitartikel und Kommentare zu lesen blieb mir kaum Zeit und Muße. Der Flüchtlingsstrom der DDR-Bürger über die Tschechoslowakei nach Ungarn kurz vor dem SED-Zusammenbruch 1989 „bescherte“ mir einen jungen Mann aus der Niederlausitz, der Heimat meiner Mutter, als Verkaufsfahrer-Aspiranten mit weitergehenden Ambitionen. Der junge Mann mußte so manchen derben Flachs wie Stasi-Spitzel etc. aushalten. Die Neckerei war nicht bösartig gemeint aber bezeichnend für das provinzielle Spießbürgerdenken in manchen westdeutschen Köpfen, für die Sibirien noch heute gleich hinter der Elbe beginnt.
Wie auch immer, er ließ sich nicht beeindrucken, brachte gute Leistungen und ich konnte ihn sehr bald auf verschiedene Fortbildungsseminare schicken, wo er, Ironie des Schicksals, im Gegensatz zu manchen seiner spottenden Kollegen alle Prüfungen bestand.
Schon im Frühjahr 1989, als erste Signale auf eine Öffnung der DDR hindeuteten, beschloß auch unsere Geschäftsführung, den Versuch zu wagen, unseren Vertrieb auch nach Osten auszuweiten. Ich war natürlich Feuer und Flamme, sozusagen als Entdecker, als Gründer-Pionier unser bereits europaweit ausgebautes Vertriebsnetz nun in der Noch-DDR mitaufbauen zu helfen. Emotionelle Erinnerungen und Bindungen vor allem an meine Geburtsstadt Ost-Berlin und Brandenburg, die ich nach fast 4 Jahrzehnten unbedingt gerne wiedersehen wollte, spielten natürlich auch eine große Rolle. Also meldete ich schon frühzeitig meine Ambitionen bei meinem Geschäftsführer an, der über meine Veränderungspläne anfangs nicht sonderlich begeistert war und mir alle möglichen Schreckensszenarien ausmalte, würde ich aus seinem wohlgeordneten Bereich in die „Walachei“ DDR wechseln. Aber was blieb ihm letztendlich anderes übrig als dann doch seine Zustimmung zu geben und sich schon mal um einen neuen Gebietsleiter im Raum Koblenz zu bemühen.
Im Frühsommer 1989, also noch vor dem Fall der Mauer, startete mein erster zunächst 4wöchiger Einsatz in der Noch-DDR und zwar im Raum Dresden. - - - Sie vergingen wie im Traum! Es war eine hochbewegende, hochemotionelle Umbruchszeit! Die Menschen, die ich kennenlernte, mit denen ich zusammenarbeitete, die vollkommen neue Welt, in die ich eintrat, die allgemeine, kaum zu beschreibende Begeisterung und Aufbruchstimmung überall, die riesige Aufgabe, die ich zu bewältigen hatte - - - kurz, ich kam nicht zum Nachdenken, zum Luftholen – ich und alle anderen um mich herum wurden regelrecht mitgerissen! Wohl keiner der damaligen Akteure vor Ort, wo auch immer in der DDR, konnte sich dieser unglaublichen Glücksseligkeit, dieser riesigen Euphoriewelle entziehen. Der aufgeheizte allgemeine Stimmungsrausch war auch nicht durch schon damals zur Vorsicht und Behutsamkeit mahnende Stimmen zu stoppen.
Im Herbst, den konnte ich schon kaum erwarten, brach ich dann zum zweiten Einsatz nach Dresden auf, denn mittlerweile hatten wir doch so etwas wie eine Niederlassung, na ja, wenigstens war es schon mal ein Stützpunkt mit Büro und Telefon! Fantastisch wie sich meine Verkaufsfahrer schon eingefuchst hatten, welchen schier übermenschlichen Einsatz sie brachten, die Heimdienst-Vertriebsidee auch im Osten durchzusetzen - - - wie schlecht und hundsmiserabel ihnen allen das von der Firmenleitung später gedankt wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Als im November 1989 in Berlin völlig überraschend auch noch die Mauer und die Grenzschlagbäume fielen und die alte DDR endgültig zusammengebrochen war, stand mein Entschluß längst fest:
ich verpflichtete mich nämlich vertraglich, auch meinen Wohnsitz in den nunmehr „Neuen Bundesländern“ zu nehmen und das Vertriebsnetz mit zukünftigen Niederlassungen und entsprechenden Verkaufsfahrerstrukturen in der gesamten ehemaligen DDR mit aufzubauen. Wie gesagt, eine riesige Pionier-Aufgabe, da schreckte mich auch nicht, anfängliche Unmöglichkeit bei der Wohnungssuche im noch immer rein staatlich bewirtschafteten Wohnungsmarkt, vorsintflutliches Telefonnetz mit ständigen Störungen und Ausfällen, katastrophales Straßennetz mit so gut wie keinen Hinweisschildern, völlig andere Mentalität der Menschen mit einer oft nicht zu erfüllenden Erwartungshaltung und – mancher wird’s nicht glauben wollen aber auch mein Gehalt wurde dem damaligen Ostniveau „angepaßt“ also halbiert. Aber wie gesagt, mir grauste es schon damals vor nix.
(Fortsetzung folgt)
bjk
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°° Macht Stimmzettel zu Denkzetteln! Bei Unschlüssigkeit nicht das "kleinere Übel" oder gar nicht wählen sondern ungültig wählen!
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