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bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 05.05.05, 14:48     Betreff:  Wie links ist der 8. Mai?

kopiert aus: http://de.indymedia.org/2005/05/115052.shtml



Bericht "Wie links ist der 8. Mai?"

von hc - 05.05.2005 12:31


"Wie links ist der 8.Mai" ? unter diesem Motto hatte am 4.5. die Wochenzeitung Jungle World in den Grünen Salon in der Volksbühne Berlin zu einer Podiumsdiskussion geladen. Es diskutierten Katja Kipping (Stellv. Vorsitzende der PDS), Burkhard Schröder (Freier Autor), Deniz Yücel (Jungle World) unter der Moderation von Stefan Wirner (Jungle World).

Zusammengefasst lässt sich der Abend beschreiben als ein "stochern im Nebel". Es wurden viele unterschiedliche Themen angerissen und sobald es an einer Stelle spannend wurde, kamen die Diskussionsteilnehmer auf ein neues Gebiet. So wurden einzelne Felder wie "antifaschistische Bündnisse mit bürgerlichen Kräften ? ja/nein" oder "Nazis ? ein ostdeutsches Problem" recht oberflächlich abgehandelt.

Eine kurze Zusammenfassung einiger Punkte des Abends, die mir noch im Gedächtnis blieben:

Katja Kipping verteidigte die Position der PDS mit anderen Parteien am 8.Mai rund um das Brandenburger Tor auf den Veranstaltungen gegen die NPD teilzunehmen. Die Initiative dazu sei nicht von den bürgerlichen Parteien gekommen, sondern von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, und es sei "eine Frage des politischen Anstandes" dem nachzukommen.

Hier ging die Kritik von Yücel und Schröder gleichermassen an die Vertreterin der PDS: Es macht wenig Sinn "die Nazis" zu bekämpfen, wenn das eigentliche Problem rassistische, antisemitische Einstellungen sind, die in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet sind.

Im Laufe der Veranstaltung verteidigte Kipping die PDS gegen die Angriffe von Schröder und Yücel. Einzig Konsens herrschte unter allen TeilnehmerInnen über die Ablehnung einer Plakatkampagne mit dem Motto "Heimat" der PDS, die Kipping nicht mittragen würde, "die PDS sei eine pluralistische Partei" und sie selbst wäre gegen eine solche Kampagne.

Süffisant bemerkte Wirner hier, dass in Diskussionsrunden mit der PDS immer genau die Fraktion anwesend wäre, die parteiintern entgegengesetzt zu den jeweiligen Kritikpunkten positioniert sei.
Ebenso meinte Kipping, dass beispielsweise Hacken im Internet ein besseres Mittel gegen Rechts sei als der Baseballschläger (nach dem bekannten Woody Allen Zitat, das Yücel fälschlicherweise Andy Warhol unterschob), da Linke den direkten Kampf meist verlieren würden.
Gegen die "Nationalismus" Vorwürfe am Ende aus dem Publikum verwehre sie sich, hier wolle sie konkrete Beispiele statt pauschaler Kritik.
Alles in allem eine routinierte Parteipolitikerin, die die Linie der PDS vertrat. Etwas anderes hätte ich auch kaum erwartet.

Burkhard Schröder meinte, dass er statt einer reinen Abgrenzung ("das ist typisch deutsch- das wollen wir nicht sein") es sinnvoller fände zu definieren, was die deutsche Nationenzugehörigkeit ausmache. Diese werde heute, zumeist von der CDU, immer noch völkisch aufgefasst nach dem Abstammungsprinzip. Linke würden diese Grundsatzfrage allerdings selten stellen. Eine Antwort und Gegenmodell sei die deutsche Gesellschaft inklusive der Zuwanderer.

Er sei strikt gegen "Verbote gegen Nazis", die von staatlicher Seite aber auch von Linken eingefordert würden und nichts brächten, sondern befürwortete "als Freund der amerikanischen Kultur" eine totale Meinungsfreiheit, in der auch Rechtsextreme ihre Bürgerrechte wahrnehmen dürften (vor rechten Übergriffen zu schützen sein ein polizeiliches d.h. anderersProblem). Dies sei besser als im staatlichen "Kampf gegen Rechts" -wie in den 70er Jahren im Kampf gegen die RAF- die demokratischen Freiheitsrechte einzuschränken. Hauptargument gegen Verbote allerdings sei, dass sie am eigentlichen Problem vorbei gingen und wirkungslos seien. Deswegen sei eine "Immunisierung durch mehr demokratische Kultur" vonnöten.
Allgemein hätte Deutschland eine Kultur des preussisch-protestantischen Gedenkens: Sinnentleerte Rituale wie in der katholischen Kirche. Statt sich mit lebenden Juden heute politisch auseinanderzusetzen, würden Juden nur im Museum ausgestellt. Ebenso seien Gedenkveranstaltungen, wie am 8.Mai, reine "Selbstvergewisserung der richtigen Gesinnung unter Gleichen". Wie die NPD im Landtag in Sachsen würde er an so etwas sinnlosem aus Prinzip nicht teilnehmen wollen.

Kritik an PDS: Sie würd einer Extremismustheorie anhängen, die völlig veraltet sei. Im alten Westdeutschland sei diese gerichtet gewesen "gegen Extremisten von links und rechts", in der DDR hies es "den rechten Rand zurückdrängen". Wie Yücel meinte Schröder stattdessen, dass rechtsextremes Gedankengut aus der Mitte der Gesellschaft käme (was inzwischen auch eine Binsenweisheit sei). Die NPD sei nur eine Politsekte, die eigentliche rechte Bedrohung der nächsten Jahre würde wie in anderern europäischen Ländern mit einem "modernen" Image daherkommen und versuchen die ca. 15% potentiell rechtsextremer Wähler zu erreichen.


Deniz Yücel meinte, dass von ihm aus "die Nazis gerne durch das Brandenburger Tor marschieren können, den ganzen Tag lang- da seien in der Zeit wenigstens die Kanaken und Punker im Osten sicher vor Übergriffen". Ihm sei es als Linker schlichtweg zu dämlich, sich schützend vor "das deutsche Bauwerk schlechthin" zu stellen. Wenn Rechtsextremisten irgendwo hingehören würden- dann dort. Anders sei dies in der Oranienstrasse und Oranienburgerstrasse, aus jeweils völlig unterschiedlichen Gründen. Hier wären Blockaden gegen Aufmärsche angebracht.

Die extreme Rechte würde aber von Linken als "Pappkameraden" aufgebauscht. Man zeichne ein Bild orientiert an der Adenauerära und der Stahlhelm-Fraktion der CSU, dass es so heute nicht mehr gäbe. Etwas wie die Wehrmachtsaustellung sei noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Deutschland habe sich verändert. Wie Jürgen Habermas schon in den 80er Jahren forderte, sei heute eben Ausschwitz der zentrale Punkt des deutschen Selbstverständnisses. 5000 Demonstranten gegen die Ausstellung in München seien eine verschwindend geringe Minderheit, dass deutsche Staatsverständnis heute sei das Problem, das zwar Auschwitz als zentralen Referenzpunkt hat, gleichzeitig aber eben auch die eigenen Opfer entdeckt. Dies sei wesentlich cleverer als der alte Rechtsextremismus im Nachkriegsdeutschland.

Deswegen sei auch der 8.Mai als Podium linker Politik verloren, hier könne man nur noch mit aber nicht mehr gegen den Staat demonstrieren. Dies äußert sich in dem Paradox, dass selbst die Gegendemo den NPD-Aufmarsch von der Polizei benutzt würde- die Route wurde so gelegt, dass sie den Aufmarsch direkt verhindern wird. Linke würden sich somit quasi zum Handlanger der Polizei und Nation machen. So verstehe er auch den Skandal um die NPD im Landtag in Sachsen und dem Boykott der Gedenkminute nicht- wenn sie sitzengeblieben wären, wäre das wesentlich dreister gewesen. (Anmerkung: die DVU Brandenburg beteiligte sich schon an Kranzniederlegungen in KZ-Gedenkstätten).

Allerdings wurde er in seine Ausführungen kritisiert von Wirner: einerseits eine differenzierte Betrachtung der deutschen Geschichte einfordern, andererseits ein statisches Bild von Gesellschaft aufwerfen, dass jeglichen Prozesscharakter ausblendet. Ebenso warf Schröder hier ein, dass es sehr wohl eben noch die CDU mit einem völkischen Staatsbürgerschaftsverständnis gäbe, insofern Yücel´s Thesen zu einseitig auf Rot-Grün ausgelegt seien.

Anmerkung hierzu: So sehr es mir auch sympathisch ist, dass es noch eine Kritik gibt, die nicht mitspielen will, so unglaublich pathetisch kann das ganze auch wirken- wenn Kritik nur noch um ihrer selbst willen formuliert wird. Und diesen Eindruck hatte ich bei Yücel. Linke Postitionen ausschließlich als Anti-Haltung zu definieren täuscht mitunter über die fehlende eigene Programmatik hinweg. Teilweise wurde das auch krass ersichtlich- wo Yücel auf den Einwand "was sollte man deiner Meinung nach denn als Linke machen?" von Wirner und Kipping einfach nicht einging.


Abgerundet wurde die Veranstaltung durch sinnentleerte Verwirrungen des Publikums wie "Warum demonstrieren Linke eigentlich nicht gegen das Großkapital und Josef Ackermann?" (eine leider nicht gegebene Antwort: weil sie weder Handlanger von "Heuschrecken" Münte noch Linksruck sind) oder eine langatmige Ausführung über den Wechsel deutscher Arbeiter von rot zu braun in der 20er Jahren (Sinn davon: unbekannt). Glücklicherweise beendete der Moderator den Abend dann, als sich ein (wohl schon bekannter- denn man kannte sich beim Vornamen) Zwischenrufer gerade mit "Ja, aber die grauen Wölfe der Türkei" in Rage reden wollte.

Lobend erwähnt werden muss die Moderationsleitung- die war exzellent. Stefan Wirner schaffte es auf Widersprüche hinzuweisen und an einigen Stellen DiskussionsteilnehmerIn auf ihre Aussagen festzunageln.

Konsens des Podiums: nahezu keiner. Was "links" bedeutet, muss ein anderes Mal geklärt werden. Interessant war es trotzdem, eben nicht das klassisch radikal-linke Ghetto zu sehen, sondern extrem unterschiedliche Postitionen im Clash miteinander. Wirner schloss dann mit den sinngemässen Worten: "Ihr wisst dann alle hoffentlich selbst was ihr am 8.Mai macht- oder auch nicht."


Mein Fazit des Abends:

Es gibt verschiedene linke Ansätze ? den Alleinvertretungsanspruch sollte jeder davon vergessen. Auch wenn ich mich nie in der PDS engagieren würde- ich bin froh, dass jemand im Abgeordnetenhaus in Sachsen sitzt und sich gegen die NPD im Parlament betätigt.

Ja, ich bin gegen die ziemlich deutsche Reaktion der Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten im "Kampf gegen Rechts" (dies ist eine Bankrotterklärung des bürgerlichen Antifaschismus). Ebenso bin ich der Meinung, dass sich kritisch gefragt werden sollte, ab wo sich Linke zu nützlichen Idioten für Nation und Polizeibehörden machen.



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