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Ralf.
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Erstellt: 21.05.05, 12:17 Betreff: Die Bewohner der Kalahari kämpfen für die Zukunft ihres Volkes |
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Gerichtsbeschluß über eine der ältesten Kulturen Verlorene Welt der kleinen Jäger Die Bewohner der Kalahari kämpfen für die Zukunft ihres Volkes und ihrer Lebensform
Von Dietrich Lohmann
Eine Weltenzeit geht zu Ende. Still und fast unbemerkt von der Informations- und Wissensgesellschaft, verabschiedet sich die für viele Jahrtausende vorherrschende Lebensweise, die älteste Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die erste und älteste Kultur der Menschheit. Während an der vordersten Front der rasanten Entwicklung im Namen des Fortschritts die egalisierende Globalisierung voranprescht, bleibt nun am anderen Ende des Spektrums der Kulturdiversität der letzte kleine Rest der Anfänge menschlicher Kultur, der es bis in unsere Tage geschafft hat, auf der Strecke.
Aus dem Mosaik der Vielfalt menschlicher Kulturen bricht das älteste, das ursprünglichste Stück heraus - die Urkultur. Sie hat die Dynastien der Ägypter ebenso überlebt wie die Hochkulturen der Griechen und Römer, Assyrer, Chinesen, Inkas und Azteken - um nur einige zu nennen - und ist damit die erfolgreichste Kultur der Menschheit überhaupt. Heute ist sie vollkommen marginalisiert, bestenfalls als Sehenswürdigkeit in den Reiseverlauf einiger Touristen inkorporiert. Keine Festschrift. Keine Laudatio. Sie hat kaum etwas Bemerkenswertes hinterlassen: keine Bauwerke, nichts für Bibliotheken, nur wenig für Museen, außer einer grandiosen Felsmalerei. Sang- und klanglos geht sie nun zu Ende, die Zeit der Jäger und Sammler, auch Wildbeuter genannt.
Eine Weltenzeit geht zu Ende. Ob Inuit, Aborigines, Hadzabe, Yanomami oder die Buschleute der Kalahari, sie alle sind zwar in unserem Zeitalter angekommen, aber nicht in unserer Welt. Sie zählen zu den "bedrohten Völkern", für die schon 1995 von den Vereinten Nationen eine Dekade der Indigenen Völker ausgerufen wurde, die im Dezember des vergangenen Jahres mit Feierlichkeiten abgeschlossen wurde, ohne viel bewirkt zu haben. Oft tragen sie die Lumpen der modernen Industriegesellschaft und darben weiterhin in den Ländern, die sie einst bevölkerten und beherrschten, auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie vor sich hin. Kulturtheoretiker wie Toynbee haben den Jägern und Sammlern schon vor vielen Jahrzehnten jegliche Fähigkeit zum Kulturprogreß abgesprochen, sie als primitiven, statischen Gesellschaftskörper charakterisiert, mit starren unveränderbaren Sitten. Selbst heute werden sie mitunter als primitive Steinzeitmenschen, altsteinzeitliche Völker oder gar lebende Fossilien bezeichnet. Dabei bedeutet der Verlust ihrer Kultur eben nicht nur einen Verlust an kultureller Vielfalt, sondern das irreversible Verschwinden der Anfänge aller menschlichen Kultur.
Spenglers Prophetie über die Zahl der Menschen
Die moderne Welt, mit dem unersättlichen Landhunger vieler Milliarden von Menschen, rückt den Jägern und Sammlern zu Leibe. Ihre Lebensräume werden durch anderweitige Nutzung transformiert, beschädigt oder ganz zerstört. Die Ressourcen, von denen sie leben, werden knapp. Da, wo sie mit modernen Gesellschaften zusammenstoßen, lösen sich ihre Lebensgemeinschaften auf. Ihre Kultur wird aufgesogen und integriert. Die Fachleute nennen es Akkulturation. Die Kultur von zehntausend Generationen Jägern und Sammlern, das entspricht über fünfundneunzig Prozent der Zeit, seit der es anatomisch moderne Menschen gibt, geht unter.
Angefangen hat es vor etwa zwei Millionen Jahren auf dem afrikanischen Kontinent mit dem Homo erectus. Er war vermutlich der erste Frühmensch, der sich ausschließlich aufrecht gehend fortbewegte - für Craig Stanford von der University of South California der Schlüssel zu Menschwerdung und Kultur. Die größte Veränderung vollzog sich dabei im zentralen Organ der Tier-Mensch-Übergangsentwicklung: im Gehirn. Die Vergrößerung des Gehirnvolumens hatte einen Anstieg des Energieverbrauchs zur Folge, und die Quelle dieser Energie war Fleisch. Homo erectus entwickelte sich vom reinen Pflanzenesser zum Mischkostverwerter mit hohem Fleischanteil. Mit dem größeren Gehirn nahmen auch Lerndisposition und Erfindungsgeist zu. Er war nun in der Lage, Werkzeug anzufertigen, lernte den Umgang mit Feuer - mit dessen Hilfe man zur besseren Verdauung das Fleisch denaturieren konnte - und entwickelte vor allem erfolgreiche Jagdtechniken. Das Fundament für eine Jäger-und-Sammler-Subsistenz-Strategie war gelegt. Die Anhänger der "Multiregional Out-of-Africa Hypothese" sind davon überzeugt, daß es von Afrika aus mehrere Wellen der Ausbreitung nach Asien und Europa gegeben hat, möglicherweise sogar mit einer Bewegung zurück nach Afrika. Vor hunderttausend Jahren war der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens, dann nicht nur in Afrika allgegenwärtig, sondern auch im Vorderen Orient, im Fernen Osten und in Europa. Alle menschlichen Bewohner der Erde lebten zu jener Zeit als Jäger und Sammler. Es war die Zeit, in der sich ein Potential für kognitive Denkprozesse und Symbolik entfaltete.
Ohne Zweifel hatten die Wildbeuter eine Beziehung zur Natur, die ihr Bewußtsein auf eine einzigartige Weise prägte. Eine Welt fast ohne Menschen. Denn in ihrer Zeit bevölkerten kaum mehr als ein paar Millionen Artgenossen die Erde. Oswald Spengler schrieb 1917, daß die "Zunahme der Zahl der Mitmenschen für die Geschichte der Menschenseele vielleicht das tiefste und folgenreichste Ereignis gewesen ist". Uns, den Angehörigen einer Weltbevölkerung von über sechs Milliarden Menschen, die sich ihre eigene artifizielle Welt konstruieren, losgelöst von der reinen, sogenannten unberührten Natur als Landschaft oder Lebens- und Erlebnisraum, ist die Welt der Jäger und Sammler fremd.
In der Blütezeit der Wildbeuter erfinden Menschen in der Übergangszeit zum Holozän, vor etwa zwölftausend Jahren, eine völlig neue Lebensweise und Wirtschaftsform - die Agrarwirtschaft. Die Jäger-und-Sammler-Kultur bekam ernsthafte Konkurrenz, und der Anteil der Jäger und Sammler an der Weltbevölkerung war bald rückläufig. Lebte vor zehntausend Jahren die Mehrzahl der Menschen noch als Wildbeuter, so waren 5000 Jahre später die meisten Menschen in den dichter besiedelten Regionen der Erde bereits Bauern, die von und mit domestizierten Pflanzen und Tieren lebten.
Jäger und Sammler sind demgegenüber auf natürliche Ressourcenverfügbarkeit angewiesen. Die zeitgenössischen Jäger und Sammler sind die letzten Menschen, die nicht nur von der Natur, sondern tief verwurzelt mit der Natur leben, als Teil des lokalen Ökosystems. Aber für sie war und ist die Natur mehr als nur eine Ressource. Sie kennen noch ihre Stellung in der Natur und waren mit dem Netz der natürlichen Ökosysteme, das einst die gesamte Erdkugel überzog, fest verknüpft. Und sie haben nie für sich eine Sonderstellung in der Natur beansprucht. Dabei haben Tiere für sie als Beutetiere, als Konkurrenten und als Bestandteil ihrer Welt eine ganz andere Bedeutung als für den modernen Menschen des Industriezeitalters. Die Wildbeuterkultur kennt Dankes- und Absolutionsrituale. Erfolgreiche Jagden werden mit Feierlichkeiten und Tanz vollendet.
Die weitaus berühmtesten Jäger und Sammler sind zweifelsohne die Buschleute des südlichen Afrika. Über kein anderes Jäger-und-Sammler-Volk wird so viel geschrieben. Kein Wildbeutervolk wird so häufig von Wissenschaftlern aus aller Welt aufgesucht und ist mithin so umfassend erforscht. Die bedeutendsten ethnologischen Studien über Wildbeuter wurden in der Kalahari durchgeführt und haben die Buschleute zum Thema, und nicht wenige Anthropologen und Ethnologen verdanken ihnen ihre Karriere.
Immer wieder wird behauptet, daß die Buschleute aussterben. Sie sterben nicht aus. Im Gegenteil, ihre Zahl hat in den letzten Jahrzehnten wieder zugenommen. Dafür stirbt ihre traditionelle Lebensweise aus, nicht anders als bei Jägern und Sammlern überall auf der Erde. Die untergehende Kultur hat sich auch im südlichen Afrika unsterblich gemacht. Wenn der letzte Jäger seine Jagdausrüstung, Pfeil und Bogen, an einen Baum gehängt oder an Touristen verkauft hat, dann bleibt mit Gewißheit an Tausenden von Felswänden die Kunst. Weit verbreitet findet man in Höhlen oder an Überhängen die eindrucksvollsten Zeichnungen und Gravuren - eine einzige, großartige Freilandgalerie, angelegt von vielen Generationen. Die ältesten Kunstwerke sind etwa dreißigtausend Jahre alt. Über ihre Bedeutung wird gestritten. Jagdrituale? Beschwörungen? Tranceerfahrungen? Noch vor hundertfünfzig Jahren haben Buschleute ihre Erfahrungen an Felswänden verarbeitet. Heute malen sie nicht mehr, und es stellt sich die Frage, ob sich mit dem Ende der Felskunst bereits der Untergang der Kultur ankündigte.
Berühmt sind die Wildbeuter des südlichen Afrika vor allem für ihre erstaunlichen Überlebensstrategien in den Halbwüsten, ihrem kargen Lebensraum, der sich zu Zeiten in eine fast wasserlose Vollwüste verwandeln kann. Hoch spezialisiert in der außergewöhnlichen Lebenssituation, beherrschen sie mit Effizienz sowie detaillierten Kenntnissen, die mit jedem Feldbiologen unserer Zeit mithalten können, ihre biotische Umwelt. Bemerkenswert sind Orientierungsvermögen und die ausgefeilten Jagdmethoden. Den Jägern gelingt es ohne weiteres, Geschlecht, Zustand und Aktivitäten der Beutetiere aus den Spuren zu rekonstruieren, eine Fähigkeit, die sich in jüngster Zeit Wissenschaftler bei der ökoethologischen Feldforschung zunutze machen, indem sie Buschleute als Mitarbeiter gewinnen. Sie meistern ihre Lebenswelt mit giftigen Pfeilen, Bogen, ein paar Straußeneiern als Wasserbehälter, einer gegerbten Tierhaut als Jagdbeutel. Es ist eine Welt, in der wir modernen Menschen des Industriezeitalters nur mit größtem technischem Aufwand - Geländewagen, bepackt mit Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff und Mobiltelefon - zurechtkommen. Die Frauen, für das Sammeln zuständig, kennen - und haben Namen für - über einhundertzwanzig Pflanzenspezies und tragen regelmäßig und den größeren Anteil zur Ernährung bei.
Buschleute sind zusammen mit den Khoikhoi, die man früher Hottentotten nannte, schon seit über vierzigtausend Jahren die eigentlichen Ureinwohner, die ursprünglich indigene Bevölkerung des südlichen Afrika. Als die schwarzen Völker vor 2000 Jahren im Verlauf einer Wanderung mit Vieh und Kulturpflanzen langsam das Land südlich des Äquators besiedelten und von 1652 an - dem Jahr der Landung der ersten Holländer am Kap der Guten Hoffnung - auch weiße Siedler von Süden her in ihren Lebensraum eindrangen, gerieten die Buschleute in große Not. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Bantusprechern verloren viele ihr Leben, andere wurden aus ihren Jagdgründen vertrieben oder einfach absorbiert. Die weißen Siedler waren radikaler. Für sie waren die kleinen Jäger keine vollwertigen Menschen, sondern Wilde, die weder eine Religion noch Land oder Vieh hatten, die keine Häuser, keine Schrift, keinen Anstand, nicht einmal eine verständliche Sprache besaßen und als Viehdiebe auf einer Ebene mit Schädlingen wie Hyänenhunden anzusiedeln waren.
Die Siedler machten erbarmungslos Jagd auf sie; Tausende wurden erschossen, wenige gelegentlich zu Sklaven gemacht. Im gnadenlosen Konkurrenzkampf gegen Schwarze und Weiße waren sie unterlegen und wurden dabei fast völlig vernichtet. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts war das südliche Afrika von Jägern und Sammlern entvölkert, bis auf eine kleine Population, die in den ariden Landschaften überlebte - hauptsächlich in der Kalahari, wo sie schon über viertausend Jahre überdauert hatte -, an der weder schwarze Viehzüchter noch weiße Siedler interessiert waren.
Es überlebte immerhin ein Rest von schätzungsweise zehn- bis zwanzigtausend Menschen. Heute kommen Buschleute nur noch am Rande oder in der Kalahari vor. Ende der sechziger Jahre waren es immerhin wieder fünfzig- bis sechzigtausend. Heute zählt man über hunderttausend in Angola, Sambia, Zimbabwe, in Südafrika etwa fünfzehntausend, in Namibia vierzigtausend und in Botswana an die fünfzigtausend. Authentische Jäger und Sammler findet man unter ihnen so gut wie keine mehr. Ihre Kultur liegt in Trümmern, nur klägliche Überreste sind noch vorhanden. Nun gehören die Buschleute zu den Besitzlosen und Unterdrückten, zu den ärmsten und ärmlichsten Menschen auf dieser Erde. Sie verlieren die Kenntnisse über ihre lokale Umwelt, die sie einst so souverän beherrschten, und damit auch die Fähigkeit, zu jagen und die richtigen Pflanzen zu sammeln, weil es nicht mehr viel zu jagen gibt und sie allzuoft von den Almosen der Hilfsorganisationen oder der Regierung abhängig geworden sind.
Wenn auch der Untergang der Jäger-und-Sammler-Kultur nicht mehr aufzuhalten ist, so gibt es doch Hoffnung für die Buschleute als Volk. Sie fangen an, sich zu wehren. Sie stehen auf und melden sich zu Wort. Sie organisieren sich und gründen eigene Organisationen, freilich oft mit fremder Hilfe: den Kalahari Peoples Fund, den Kuru Development Trust, die First People of the Kalahari/Kgeikani Kweni. Die zentralen Probleme: Menschenrechte, Landrechte und die politische Repräsentation. Sie nehmen Übergriffe nicht mehr ohne weiteres hin. Sie protestieren, veranlassen Eingaben und gehen vor Gericht.
Insbesondere Botswana, dieser moderne Musterstaat Afrikas, ist in der jüngstvergangenen Zeit ins Gerede gekommen, durch Vorgänge in der Zentralen Kalahari, die exemplarisch für den Umgang mit indigenen Wildbeutern sind. Schon vor der Unabhängigkeit 1966, als Botswana noch unter dem Namen Betschuanaland zum britischen Empire gehörte, war man sich des "Bushmen Problems" bewußt. Deshalb untersuchte 1958 der Anthropologe George B. Silberbauer im Auftrag der Protektoratsverwaltung die Situation in der Kalahari. Seine ethnographischen Studien mündeten in der Empfehlung, ein Reservat einzurichten, um deren Ressourcen zu sichern und das Leben als Jäger und Sammler zu bewahren, indem vor allem Subsistenzjagd erlaubt sein sollte. Demgemäß wurde 1961 das Central Kalahari Game Reserve (CKGR) eingerichtet. Bei der Gründung lebten etwa dreitausend Khwe-Buschleute als Jäger und Sammler in dem rund fünfzigtausend Quadratkilometer großen Reservat.
Die Kommission empfiehlt eine Umsiedlung des Volkes
Viele Jahre bleiben die Buschleute des Reservats unbehelligt, auch nach der Unabhängigkeit Botswanas. Erst nachdem 1974 ein "Bushman Development Office" und 1975 das "Bushmen (Basarwa) Development Program" installiert waren, wendet sich das Blatt. Im August 1985 untersucht eine Kommission der Regierung die Verhältnisse im Reservat. Die Wildschutzbehörde war in Sorge um den Wildbestand. Die Kommission stellt fest, daß einige Jäger mit Feuerwaffen, zu Pferde und mit Geländefahrzeugen auf die Jagd gehen und eine zunehmende Zahl von Vieh im Reservat vorzufinden ist, das nur selten den Buschleuten gehört. Die Kommission verfaßt ein Weißbuch und empfiehlt eine Umsiedlung der Buschleute.
In der Zeit zwischen 1986 und 1996 fanden zahlreiche Konsultationen, Arbeitstreffen und Konferenzen statt, um Fragen der Umsiedlung und Landrechte zu klären, meist ohne Ergebnis. Die Regierung von Botswana war plötzlich der Ansicht, daß das Reservat, entgegen der ursprünglichen Intention, keineswegs eine Ressource für die Jäger und Sammler darstelle - sondern schon immer ein Reservat für die Natur gewesen sei, zum Schutze von Pflanzen und Tieren. Subsistenzjagd sei altmodisch, die Buschleute bedrohten durch Überjagen den Tierbestand und störten insbesondere den Tourismus. Es sei die Pflicht der Regierung, die Buschleute von einem primitiven Leben zu erlösen und sie vor einer erbärmlichen, miserablen Existenz unter wilden Tieren zu bewahren - um sie zu entwickeln. Studien belegen allerdings, daß die Auswirkungen der Jagd durch Buschleute keineswegs den Tierbestand bedrohen, sie liegen weit unterhalb der Nachhaltigkeitsgrenze. Für den allgemeinen Rückgang der Wildtierbestände im Reservat sind nicht die Buschleute die Ursache, sondern Zäune, Rinder und illegale Jagd.
Die Regierung versprach den Buschleuten Vieh und hohe finanzielle Abfindungen - es wurden dann nur ein paar tausend Pula (tausend Pula entsprechen etwa zweihundert Euro) pro Familie, eine lächerliche Summe gegenüber dem Land- und Ressourcenverlust. Von offizieller Seite wird immer wieder betont, daß die Mehrzahl der Buschleute bereit sei, freiwillig das Reservat zu verlassen und außerhalb der Parkgrenzen zu siedeln, und daß es keine Zwangsumsiedlungen geben werde. Man bestehe jedoch darauf, daß alle Khwe das Gebiet räumten. Trotz aller Beteuerungen der Regierung und weltweiter Proteste, im wesentlichen auf Grund der Aktivitäten von John Hardbattle und Roy Sesana, den Vorsitzenden der Buschleute-Organisation "First People of the Kalahari", wurden die Behörden dann 1997 rigoroser. Sechzig Kilometer außerhalb des Reservates errichteten sie die Siedlung New Xade, und man holte mit Lastwagen die Buschleute aus den alten Reservatsdörfern Gope und Xade, um sie in New Xade und Kaudwane, einer weiteren neuen Siedlung außerhalb des Reservats, abzusetzen. Die botswanische Menschenrechtsorganisation "Ditshwanelo" beklagt, daß es seitens der Wildschutzbehörde und der Armee, die für die Umsiedlung verantwortlich sind, nicht ohne Zwangsmaßnahmen ablief. Zu weiteren Transporten kam es 1998, so daß in New Xade bald anderthalbtausend Menschen lebten. Auch die abtransportierten Buschleute berichten, daß die Umsiedlungen nicht ohne Drohungen und Nötigungen stattgefunden hätten. Die Frauen stellen fest, daß im abgenutzten und verbrauchten Gelände rund um New Xade keine Feldfrüchte mehr vorhanden sind. Wer jagen will, muß einen Antrag beim Direktor der Wildschutzbehörde einreichen, der dann Jagdmethode und Anzahl der Beutetiere festlegt. Der Fleischanteil an der Nahrung geht drastisch zurück. Dafür steigt der Alkoholkonsum. Ohne die Versorgung durch den Staat käme es zu einer Hungerkatastrophe. Immer wieder werden bis heute Männer aus New Xade verhaftet, weil sie auf der Jagd angetroffen werden, obwohl sie die Special Game Licence besitzen, sogar für das Reservat. Erst durch Intervention von "Ditshwanelo", die einen Anwalt einschaltet, werden sie dann wieder freigelassen. Die wahren Gründe der Behörden Botswanas für die Zwangsumsiedlungen bleiben im dunkeln. Man kann nur vermuten, daß Bodenschätze (Diamanten) - und die Befürchtung, daß die Buschleute Landrechte geltend machen könnten, solange sie dort leben - sowie Tourismus, der in großem Stil entwickelt werden soll und ergiebige Einkünfte verspricht, eine Rolle spielen, was die Regierung naturgemäß heftig dementiert.
Erstaunlicherweise sind ein paar wenige Buschleute durch die Maschen des Umsiedlungsnetzes geschlüpft und leben weiter im Reservat, sehr zum Verdruß der Behörden. Inzwischen liegen weitere unabhängige Aussagen vor, die von Mißhandlungen sowie plattgewalzten Hütten durch Polizei und Mitarbeiter der Nationalparkbehörde sprechen. Mit einem letzten Ultimatum im Januar 2002 sollte die Restbevölkerung gezwungen werden, das Reservat endgültig zu verlassen. Ein Reporter der BBC wurde Zeuge der letzten Aussiedlung, der Demontage der letzten Wasserbehälter und Pumpen. Die Buschleute, unter der Federführung von Roy Sesana und den "First People of the Kalahari", reagierten im Februar 2002 mit einer Klage vor Gericht. Mehr als zweihundert ehemalige Einwohner des Reservates zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Umsiedlung: Sie sei verfassungswidrig. Sie fordern das Recht, in das Reservat zurückzukehren, um dort, ihrer Kultur gemäß, als Jäger und Sammler zu leben. Auf Grund eines angeblichen Formfehlers wurde die Klage im April 2002 abgewiesen, drei Monate später in einem Berufungsverfahren wieder zugelassen und an Botswanas oberstes Gericht, den High Court in Lobatse, verwiesen.
Vielleicht bleibt am Ende nur die Folklore für Touristen
Frustriert und enttäuscht vom Leben in den Siedlungen außerhalb des Reservats, kehrten Dutzende Buschleute heimlich in das Reservat zurück. Roy Sesana, der auch gelegentlich zu den heimlichen Rückkehrern gehört, meint dazu: "Das Leben in New Xade fühlt sich an wie in einem Internierungs- oder Flüchtlingslager." Die Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof Botswanas war für Juli 2004 vorgesehen und begann mit einer Ortsbesichtigung, sowohl der neuen Siedlungen als auch der "illegalen" Kommunen innerhalb des Reservats, die inzwischen wieder auf eine Bevölkerungszahl von etwa zweihundert Buschleuten angewachsen sind. Ein Regierungssprecher kündigte an: "Sollten wir den Prozeß verlieren, werden wir einfach die Gesetze, gegebenenfalls auch die Verfassung, korrigieren." Ende Juli wurden die ersten Buschleute als Zeugen vernommen und nach ihren Erfahrungen befragt. Nach mehreren Unterbrechungen wird der Prozeß seit dem 17. Januar 2005 mit den letzten Zeugenaussagen der Buschleute fortgeführt.
Wird die Zukunft der Jäger und Sammler in Botswana nunmehr von einem Gericht entschieden? Werden vierzigtausend Jahre Wildbeuterkultur im südlichen Afrika endgültig besiegelt per Gerichtsbeschluß? Sie passen nicht mehr in die Zeit, in die Welt, die Jäger und Sammler - ihre Kultur ist unzeitgemäß, deren Anpassungsfähigkeit erschöpft. Daran ändert auch der 76. Platz auf der Liste der hundert bedeutendsten Afrikaner des in London erscheinenden Magazins "New African" im Herbst 2004 nichts. Diesen Rang erreichten Khoisan (Buschleute) zusammen mit den Pygmäen, mit der Begründung, daß ihre "Kenntnisse der Natur zur Weltspitze gehören" und man von ihnen den verantwortungsbewußten Umgang mit der Natur lernen könne.
In wenigen Jahren wird die Jäger-und-Sammler-Kultur endgültig der Vergangenheit angehören. Vielleicht werden einige Menschen, deren Eltern und Großeltern noch Jäger und Sammler waren, die Kultur pflegen - als Folklore. Auch wenn die authentische Kultur ausstirbt, die Menschen, die Nachkommen der Jäger und Sammler, werden überleben, als Menschen dieser Zeit. Die jüngeren Buschleute haben längst das genuine Jäger-und-Sammler-Dasein aufgegeben. Sie tragen Schuhe von Nike oder Adidas. Und einige Erwachsene haben ein Geländeauto und Mobiltelefon. Man kann ihnen nur wünschen, daß die kulturelle Metamorphose ohne viel Schmerz und Leid gelingt.
Damit verabschiedet sich eine obsolet gewordene Kultur, ohne deren Kenntnis der heutige Mensch gar nicht zu verstehen ist. Möglicherweise steckt genotypisch noch viel mehr vom Jäger und Sammler in uns allen, als wir ahnen. Warum sonst geht insbesondere von den Buschleuten so viel Faszination aus? Ist es mehr als Romantisierung und Ethnokitsch? Schließlich ist der Untergang der Jäger-und-Sammler-Kultur eine Folge der globalen Diversitätskrise. Vor zehntausend Jahren hat der Mensch sich durch die Entwicklung der Agrarwirtschaft weitgehend unabhängig von lokalen Ökosystemen gemacht. Heute mischen wir uns bereits massiv in das globale Ökosystem ein. Wir manipulieren, verändern, zerstören - und konstruieren unsere eigenen artifiziellen Ökosysteme: Megastädte, Industrielandschaften, Agrarlandschaften, Kulturlandschaften mit Straßen, Autobahnen, Bahntrassen, neuerdings Windparks. Wir kennen es nicht anders. Selbstverständlich wird die Natur in den artifiziellen Systemen weiter funktionieren, und überall wird es Inseln naturbelassener lokaler Ökosysteme geben, in Form von Naturreservaten und Nationalparks. Für die Jäger und Sammler gibt es dort keinen Platz. In der Fernsehdokumentation "Die gejagten Jäger", die man in der ARD vor zwei Jahren sehen konnte, sprach ein Buschmann, der für eine namibische Gästefarm arbeitet und Touristen die traditionelle Lebensweise der Buschleute erklärt, resignierend in die Kamera: "Es ist etwas traurig. Ich gehe hier herum und sehe Tierspuren, aber ich kann sie nicht verfolgen, ich darf es nicht mehr. Es ist vorbei." Wie auch immer der Prozeß in Botswana ausgeht - es ist vorbei. Eine Weltenzeit geht zu Ende.
Eine Information der AMDAC+ Gesellschaft für Staatenforschung http://www.amdacplus.org/
[editiert: 31.01.07, 10:00 von bjk]
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