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bjk

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New PostErstellt: 14.10.05, 15:58     Betreff:  Entzauberter Lügen-Mythos von der "Entdeckung Amerikas"




Gesichter und Masken

Kommentar zur „Entdeckung Amerikas“ am 12. Oktober

Von Eduardo Galeano, Montevideo



Hat Christoph Kolumbus im Jahr 1492 Amerika entdeckt? Oder waren es die Wikinger vor ihm? Und vor den Wikingern? Menschen, die dort lebten? Haben die nicht existiert? Die Geschichtsschreibung berichtet, dass Vasco Nuñez de Balboa der erste Mensch gewesen sei, der von einem Berggipfel Panamas aus, beide Ozeane gesehen hat. Waren die Menschen dort alle blind? Wer hat dem Mais, und den Kartoffeln, und den Tomaten, und der Schokolade, und den Flüssen und den Bergen Amerikas einen Namen gegeben? Hernán Cortez etwa? Oder Francisco Pizarro? Waren die Einheimischen stumm? Uns wurde gesagt, und man tut es immer noch, dass die Pilgerväter der Mayflower Amerika bevölkert haben. War das Land unbewohnt?

Weil Kolumbus nicht verstand, was die Indianer ihm sagten, folgerte er, dass sie nicht sprechen konnten. Weil sie keine Kleider trugen, freundlich waren und alles herschenkten, meinte er, sie hätten keinen Verstand. Und überhaupt, weil er überzeugt war, er habe den Hintereingang zum Osten entdeckt, glaubte er, die Indianer wären Einwohner von Indien. Später, während seiner zweiten Fahrt, erließ der Admiral die Feststellung, dass Kuba ein Teil von Asien wäre. In der Urkunde vom 14. Juli 1494 wurde beglaubigt, dass die Erkenntnis von den Mannschaften aller drei Schiffe geteilt wurde. Für alle die etwas anderes behaupten sollten, wurde eine Strafe vorgesehen: 30 Peitschenhiebe, eine Geldstrafe von 10 000 Maravedis und das Abschneiden der Zunge.

Die Eroberer bestanden darauf, dass Amerika etwas anderes sei als es war. Sie sahen nicht, was vorher dort war, sondern nur das, was sie wollten: Die Quelle der ewigen Jugend, die goldene Stadt, das Smaragd-Königreich und das Land des Zuckerrohrs. Sie behandelten de Amerikaner als wären sie das, was sie sich unter den Heiden des Ostens vorstellten. Christoph Kolumbus sah auf den Stränden Kubas gefiederte Sirenen mit männlichen Gesichtern und war sich sicher, dass nicht weit entfernt, Männer und Frauen mit Schweifen herumlaufen würden. In Venezuela, laut dem Mönch Pedro Simón, gab es Eingeborene, deren Ohren bis zum Boden reichten. Am Amazonas Fluss, laut Pedro Martín de Anglería, schnitten sich Frauen eine Brust ab, um besser mit Pfeil und Bogen schießen zu können. Anglería, der das erste Geschichtsbuch über Amerika geschrieben hat, ohne jemals einen Fuß auf amerikanische Erde gesetzt zu haben, hat auch behauptet, dass in der neuen Welt Menschen mit Schweifen leben würden, genau so wie Kolumbus vermutet hatte, nur dass diese so lang waren, , dass sich die Eingeborenen nur auf Sessel mit einem loch setzten konnten.

Im Schwarzen Kodex war die Folter von Sklaven in den französischen Kolonien verboten. Wenn die Sklavenhalter ihre Sklaven dennoch auspeitschten oder ihnen die Sehnen durchschnitten, damit sie nicht fliehen konnten – geschah dies nur um sie zu erziehen und nicht zum Foltern. Die rührenden sollten die Indianer in den spanischen Kolonien schützen. Noch viel rührender waren aber die Galgen und Pranger, die auf jedem Hauptplatz aufgestellt waren. Auch das Verlesen der „Aufforderung zum Gehorsam“ war sehr überzeugend. Das geschah jedes Mal bevor eine Siedlung besetzt werden sollte und erklärte den Eingeborenen, dass Gott auf die Welt gekommen war und den Heiligen Petrus als Stellvertreter zurückgelassen habe und das der Nachfolger vom Heiligen Petrus der Heilige Vater sei. Dieser habe die Königin von Kastilien begnadigt, die nun über das ganze Land regierte und deshalb sollte sie, die betroffene Indianergemeinschaft, von dort verschwinden oder einen Gold-Tribut zahlen. Wenn nicht, dann würde man ihnen den Krieg erklären, sie würden versklavt werden – zusammen mit ihren Frauen und Kindern. Diese Aufforderung wurde sinnigerweise in mitten in der Nacht von einem hohen Berg herab auf spanisch ohne Übersetzung verlesen, in Anwesenheit eines Notars, aber ohne Indianer, weil diese weit weg in ihren Anwesen schliefen.

Vor nicht langer Zeit war der 12. Oktober noch der „Tag der Rassen“. Gibt es überhaupt noch so etwas? Was ist die Rasse doch für eine nützliche Lüge, um seinen Nachbarn auszubeuten und auszurotten! 1942, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eingezogen sind, hatte das Amerikanische Rote Kreuz beschlossen, das Blut von schwarzen Menschen aus den Blutbanken zu verbannen. Damit habe man die Vermischung von Rassen, die im Schlafzimmer verboten war, auch über die Bluttransformation verhindert. Übrigens, hat schon mal jemand zufällig schwarzes Blut gesehen?

Später der „Tag der Rassen“ zum „Tag der Begegnung“. Sind koloniale Invasionen etwa Begegnungen? Sollte man nicht eher von Vergewaltigungen sprechen? Eines der aufschlussreichsten Ereignisse in der amerikanischen Geschichte fand 1563 in Chile statt. Die Festung von Arauco wurde von den Indianern belagert und das Essen und Wasser war ausgegangen, aber Kapitän Bernal wollte sich nicht ergeben.
Von der Befestigung schrie er: „Wir werden immer mehr werden.“. „Mit welchen Frauen?“, fragte der Anführer der Belagerer. „Mit euren. Wir werden ihnen Kinder machen, die dann Eure Herren werden.“

Die Invasoren nannten die alten Amerikaner Kannibalen. Der wirkliche Kannibale war aber der Reiche Berg von Potosí, der mit seinen Bergwerk-Mäulern Indianer gefressen hat, um Europas kapitalistische Entwicklung zu nähren. Sie nannten die Götzenanbeter, weil sie glaubten, die Natur wäre heilig und wir wäre Brüder und Schwestern von all denen, die Beine, Tatzen, Flügel und Wurzeln haben. Und sie nannten sie Barbaren. Damit hatten sie wohl nicht ganz Unrecht. Die Indianer waren tatsächlich ignorant, haben nicht mal gewusst, dass sie von Kolumbus, Cabral, Cortés, Alvarado, Pizarro und den Pilgern der Mayflower Visa, Leumundszeugnisse und Arbeitsgenehmigungen hätten verlangen müssen.

Aus Neues Deutschland, 12. Oktober 2005
im Original





[editiert: 08.08.11, 12:04 von bjk]
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