Erstellt: 02.12.03, 06:10 Betreff: Re: "Repressandra 2010" - drei Professoren machten sich Gedanken
„Offensive für Arbeit, soziale Sicherheit und Bildung“Offensive, Panoramastr. 30, 88147 Achberg e-mail:
An die Unterstützer der Demo am 1.11.
Liebe Aktivisten gegen den Sozialabau,
die Demo vom 1.11. gegen den Sozialkahlschlag war ein großer Erfolg. Wie könnte es weiter gehen, damit wir von Erfolg zu Erfolg immer mehr an Kraft gewinnen, die wir benötigen, um unser gemeinsames Ziel - den Sozialabbau zu stoppen – wirklich erreichen können?
Eine Möglichkeit, wie es z. B. weitergehen kann, besteht darin, sich am Projekt WillensBekundung der „Offensive für Arbeit, soziale Sicherheit und Bildung“ zu beteiligen.
Zusätzlich möchte ich Euch, den Unterstützern der Demo vom 1.11. noch folgendes mitteilen.
Kann die Demo vom 1.11. gegen den Sozialkahlschlag als der Beginn einer „Offensive für Arbeit und soziale Sicherheit“ angesehen werden? Ich meine ja.
Eine solche „Offensive“ kann ins Rollen kommen – auch wenn wir uns zunächst unter der Negation der Regierungs-Position versammelt haben. Das heißt, wir haben den zunächst einfacheren Schritt gewählt, indem wir gesagt haben, was wir nicht wollen.
Wir haben mit dem Aufruf „gegen den Sozialkahlschlag“ gezeigt, dass wir die geplanten und zum Teil schon verabschiedeten Gesetzesvorhaben der rot-grünen Regierungskoalition und erst recht die Vorschläge der FDP- und Unions-Opposition und der Unternehmerverbände nicht haben wollen. Doch kann allein diese defensive Anti-Haltung, uns so viele Kräfte zuführen, dass es uns gelingt, einen anderen Weg einzuschlagen, als den, den die Kräfte, die das Steuer in der Hand halten, an-steuern?
Die defensive Anti-Haltung ermöglicht es zunächst, viele kleine oppositionelle Gruppierungen zu vereinen, die sonst ganz unterschiedliche Ziele verfolgen, aber gemeinsam die in Gang gesetzten antisozialen Gesetzes-Maßnahmen ablehnen.
Doch diese, sich in der Negation erschöpfende Opposition ist eine verschwindend geringe Minder-heit und wird auch eine bleiben - auch wenn die Mehrheit sich wünscht, alles könnte so bleiben wie es ist. Die Mehrheit wird letztlich denjenigen glauben schenken, die überzeugt sind, dass die (durch den globalisierten Verdrängungs-Wettbewerb erzeugte) Lage der Weltwirtschaft zunehmend zu gerin-gen Einnahmen in den Staats- und Sozialkassen führt und sie weiß, wenn weniger Geld in diese Kassen fließt, kann auch nur weniger ausgegeben werden.
Wenn wir durch Proteste nicht nur unsere Betroffenheit zum Ausdruck bringen und unseren Frust ablassen wollen, sondern wirklich eine wirksam werdende Alternative in Gang bringen wollen, dann müssen wir der Mehrheit der Mitbürger aufzeigen, dass andere Maßnahmen als diejenigen, die der-zeit von Regierung, Opposition, Unternehmerverbänden und anderen mächtigen Organisationen in Angriff genommenen werden, nicht nur sinnvoller, sondern auch möglich sind.
In der, durch die Globalisierung veränderte Situation der Weltwirtschaft, muss zunächst gezeigt werden, wie auch unter den gegebenen privatkapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen - trotz Globalisierung – durch „realpolitisch“ realisierbare Maßnahmen genügend viel Geld in die Staats- und Sozialkassen fließen kann, damit Alte, Kranke und Arbeitslose auch zukünftig ein gutes Ein-kommen und gute medizinischer Versorgung erhalten und auch Bildung als Zukunftsinvestition mit dem dazu notwendigen Geld ausgestattet werden kann.
Reichen dazu in einer Zeit, in der durch den globalisierten Verdrängungswettbewerb viele Unter-nehmen - und damit Arbeitsplätze - in den Wirtschaftsstandorten gefährdet sind, in denen noch eine soziale und ökologische Marktwirtschaft vorhanden ist, die alten linken Forderungen noch?
Ist z.B. noch die Forderung nach einer höheren Unternehmens- oder gar nach einer Vermögensbe-steuerung – wie dies auch wieder in dem Aufruf zum 1.11. gefordert wird, damit genügend Geld in die Staats- und Sozialkassen fließen kann, noch zielfördernd oder gefährden solche Forderungen nicht wirklich den Wirtschaftsstandort und müssen wir deshalb heute nicht ganz neue, der gegebe-nen Situation angemessene Vorschläge unterbreiten?
Die „Offensive für Arbeit, soziale Sicherheit und Bildung“ unternimmt den Versuch, solche neuen Vorschläge, von denen sich meint, sie seien der gegebenen Situation angemessen, in die gesell-schaftliche Kommunikation einzubringen.
Ich bitte Euch, diese Vorschläge gründlich zu prüfen. Die vorrangigste „realpolitische“ Maßnahme, die die „Offensive“ vorschlägt, ist die Umstellung von der einkommens- zur ausgabenbezogenen Steuer- und Sozialabgabe.
Genaueres dazu kann in der beigefügten, 8–seitigen kleinen Denkschrift für einen „Paradig-menwechsel“ nachgelesen werden.
Wichtig dabei ist: Nicht mehr die Einkommen werden mit Abgaben belegt, sondern nur noch die Ausgaben. In alle Waren- und Dienstleistungspreise werden die Abgaben – gestaffelt nach Waren-art in 4 oder 5 Abgabeklassen (so wie es bei der Mehrwertsteuer heute schon 2 Klassen gibt) – ein-kalkuliert.
Der „Konsument“ (im weit gefassten Sinn) – und nur der, also derjenige, der für Waren und Dienst-leitungen Geld ausgibt – bezahlt dann die Steuer- und Sozialausgaben – die Unternehmen (also diejenigen die beim Kauf das Geld einnehmen) führen dann - wie bei der heutigen Mehrwertsteuer – gemäß ihrem Umsatz prozentual die vom Gesetzgeber festgesetzten Abgaben an die Staats- und Sozialkassen ab. Erst dann haben wir es mit eine wirklich grundlegenden Steuer- und Sozialabgaben-Reform zu tun. – Alles andere ist nur unzeitgemäße Flickschusterei.
Sozial Gerecht wäre diese Reform auch: Denn ein jeder „konsumiert“ – also zahlt jeder diese Steuer- und Sozialabgaben.
Die sogenannten „Besserverdienenden“ geben in der Regel mehr Geld aus als die Normal- und Geringverdienenden. Sie zahlen also auch mehr Steuer- u. Sozialabgaben.
Kein Normal- und Geringverdienenden kann z. B. 200,- €, 500,- € oder gar 2000,- € täglich ausge-ben.
Luxusgüter und gesundheits- oder umweltgefährdende Waren sind in eine höhere Abgabenklasse einzuordnen als andere normale Waren und diese (die heute mit 16% MwSt. belegt werden) sind in eine höhere Abgabenklasse einzuordnen als normale Lebensmittel (die heute mit 7 % MwSt. zu versteuern sind) und diese wären dann noch in einer höheren Abgabenklasse als besonders abga-benbegünstigte Waren (genaueres dazu - und warum dies gerade im Standort-Wettbewerb unsere Wirtschaft vor dem Niedergang schützt - ist in der „Paradigmenwechsel“-Schrift nachzulesen).
Eine andere wichtige Maßnahme wäre, die Einkommensunterschiede zwischen den „Besserverdie-nenden“, Normal- und Geringverdienenden zu verringern. Ein Vorschlag dazu, wird im dem beige-fügten Brief an Schröder im Zusammenhang mit der Umstellung von den „Einkommens- zu den Verbrauchsabgaben“ gemacht.
Diese große Einkommensschere ist ja – wenigsten zu einem Teil - ein Ergebnis der Tarifverhand-lungen der letzten Jahrzehnte.
Prozentuale Einkommenserhöhungen führen über Jahrzehnte zu den immer größer werden-den Einkommensunterschieden. Hier müsste die Gewerkschaften andere Wege gehen, damit untere und mittlere Einkommen real wachsen und die höheren Einkommen die nächsten Jahre erst einmal stagnieren, um die Einkommensschere etwas mehr zu schließen. Das muss in den Tarifver-handlungen erkämpft werden, damit die Binnennachfrage steigen kann. Denn die Besserverdienen-den sparen, während den unteren Einkommensbeziehern dieses Geld für die Nachfrage fehlt.
Weiter Maßnahmen – vor allem zur Schaffung von mehr Arbeit und zur Verringerung der Furcht vor der Arbeitslosigkeit – werden in dem beigefügten 8-seitigen Text „Aufruf zur Initiative für eine Offensive für Arbeit, soziale Sicherung und Bildung“ beschrieben.
Dieser Text ist eine inhaltliche Zusammenfassung von einem Schriftverkehr, der mit einem Brief (und einem beigefügten 13-seitigen Aufsatz) an Otto Schily begann.
Otto Schily lernte ich 1980 in Düsseldorf kennen. Er war dort Bundestagsdirektkandidat der Grünen, ich war dort seit 1979 im neu begründeten Kreisverband der erste KV-Vorsitzende.
Mit meinen Vorschlägen, die ich dem Kabinettsmitglied Schily in dem Brief mitteilte, wollte ich im Sommer 2002 den Versuch unternehmen, den sich anbahnenden Sozialabbau noch abzuwenden. Doch wie alle wissen, gelang dieser Versuch nicht. – Auch weitere Versuche, die rot-grüne Koalition zu „fördern“, die ich vom Herbst 2002 bis zum März 2003 unternahm, waren erfolglos.
Nun ist es an der Zeit die rot-grüne Koalition zu fordern, sie mit aller Macht dazu zu bewegern, end-lich neue Wege zu beschreiten.
Auch die Gewerkschaftsführung, die ich im März 2003 parallel zu dem Brief an den Bundeskanzler anschrieb, verhielt sich bisher - ebenso wie die Parteiführungen und die Fraktionen der rot-grünen Regierungskoalitionen - ignorant gegenüber den von der „Offensive“ mitgeteilten Vorschlägen zur Vermeidung des Sozialabbaus und für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze und Arbeits-verhältnisse. (Im Anhang beigefügt ist der Brief an den ver.di-Vorstand, der auch an den DGB-Vorstand und an die Vorstände aller Einzelgewerkschaften geschickt worden ist)
Vielleicht liegt die Ignoranz darin begründet: Die Qualität des Beitrags der „Offensive“ besteht hauptsächlich darin, Ideen, die zur Zeit fast gar nicht in der Diskussion sind, zur Lösung der Probleme aufzuzeigen.
Da diese Ideen neu sind, sind sie gewöhnungsbedürftig und müssen gründlich geprüft werden.
Wer die konkreten Maßnahmen, die die Offensive vorschlägt, nur oberflächlich mit anderen Maß-nahmen vergleicht, die von anderen Initiativen zur Bekämpfungen der Agenda 2010 vorgeschlagen werden, die aber im Grundsätzlichen im Rahmen des Bisherigen verbleiben, wird die Maßnahmen der Offensive voreilig ablehnen müssen.
Denn – z. B. die Forderung zur Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die auch von den Unter-nehmensverbänden und Oppositionsparteien gefordert wird, damit die Unternehmen risikoloser mehr Arbeitsplätze schaffen können, wird unter den bestehenden Bedingungen unsoziale Wirkun-gen haben und sie wird deshalb für die Betroffenen (und deren organisierten Interessenvertretern) und für alle sozial gesinnten Menschen zu recht völlig unannehmbar sein. – Aber unter den Be-dingungen, wie sie z. B. in der 8-seitigen Schrift „Initiative zur Offensive“ etwas genauer skizziert werden, wirkt diese Forderung gar nicht mehr unsozial, sondern befreiend und so-zial zugleich.
Jeder kann mitwirken, diese Ideen zu prüfen und wenn er sie als hilfreich erkannt hat, kann er mit-helfen, sie in die gesellschaftliche Kommunikation einzubringen, damit sie bekannt werden und an Akzeptanz gewinnen.
Dazu genügt einstweilen, die Internet-Adresse: www.offensive.willensbekundung.net auf al-len möglichen Wegen bekannt zu machen. Da kann ein jeder seine Phantasie und Kreativität walten lassen.
Weitere mögliche Aktionen werden auf dem 2-seitigen Aktions-Infoblatt vorgeschlagen.