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Udo Teichmann

Beiträge: 7

New PostErstellt: 07.03.04, 02:59     Betreff: Re: Wer zweifelt heute noch an diesen Worten Michael Bakunins ?

Liebe Mitdiskutanten,
hallo Baba und bjk,

wir haben zielstrebig die eigentlichen Knackpunkte ins Visier genommen:

1. Sind die Menschen zu Anarchismus fähig?

2. Führt Anarchismus (in der realen Welt) zwangsläufig zu „Propaganda durch die Tat“, zur amoralischen Gewaltfreiheit des Revolutionärs, zu Terror und Kriminalität, und damit zu flächendeckender Diskreditierung der ursprünglichen anarchistischen Utopie?

Ich hatte ja schon mein schmuckloses Menschenbild über „die Mehrheit“, die „Volksmassen“ also, angedeutet: Gewohnheitstiere, dumm, egoistisch, verantwortungsfaul, risikoscheu, korrumpierbar.

Du, Baba, hast damit kokettiert, Dich zu dieser Mehrheit der Volksmassen zu zählen, so wie sich auch Bakunin dazu gezählt hätte. Bakunin hat genau so klarsichtig erkannt, wie es um die Vilksmassen stand. Seit den 60er Jahren kam mit Bakunins Unterstützung das Narodnitschestvo auf, das „Ins-Volk-gehen“, das besonders 1873 große Resonanz fand, als einige Tausend junge Leute aufs Land zogen, um Bildungs-, Erweckungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Ihre Aktion wurde ein totaler Mißerfolg: Die Bauern waren für die von Bakunins Auffassungen abgeleiteten Thesen der Volksfreunde nicht ansprechbar.

Bakunin als Angehöriger des Adels, als Offizier und Intellektueller zählte sich selbst durchaus nicht zu den Volksmassen, er entwickelte vielmehr fleißig Strategien, um aus den realen, dumpfen Volksmassen gereifte Menschen zu schaffen, die nach Anspruch und Charakter zu einer anarchistischen Utopie passen würden.

Und auch Du, Baba, gehörst nicht zu den Volksmassen, um deren Wohl Du Dich mit hohem persönlichem Einsatz bemühst. Die Volksmassen, das sind die CSU-Wähler, die Dich für überspannt ansehen, wenn sie Dich überhaupt wahrnehmen.

Und weil die Menschen so sind wie sie sind, kommen die Anarchisten mit ihrer Erweckungsarbeit nicht voran, zumal sie obendrein in ihrer Propagandaarbeit durch staatliche Eingriffe behindert werden. Konsequenz: Die Veränderungen müssen durch eine Revolution durchgesetzt werden. Diese muß aus dem Volk hervorbrechen. Dazu muß man das Volk anstacheln, durch Geheimgesellschaften, durch Propaganda, besonders intensiv durch „Propaganda durch die Tat“, also durch Attentate und terroristische Angriffe auf die herrschende Gesellschaft.

Paul Brousse prägte 1877 die einprägsame Formel der „Propaganda durch die Tat“: Mit politischem Mord wollte man das Volk mobilisieren. Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts war unter diesem Motto von einer Vielzahl von Gewalttaten erfüllt. Es kam nicht nur zu zahlreichen mißglückten oder erfolgreichen Attentaten auf Staatsoberhäupter, so auf den französischen Präsidenten Carnot, den amerikanischen Präsidenten MacKinley, auf Elisabeth von Österreich oder den deutschen Kaiser Wilhelm I, sondern auch auf viele andere Personen, besonders auf Angehöriger der Polizei, zu vielfältigen Terroranschlägen und Akten ganz gewöhnlicher Kriminalität, die nur notdürftig politisch motiviert wurden. Die Täter beriefen sich meist auf die anarchistische Gedankenwelt – und nicht völlig ohne Schlüssigkeit. Mit diesen Aktionen wurde zwar der Sinn des Anarchismus völlig auf den Kopf gestellt, sie waren gleichwohl eine Konsequenz aus der Unmöglichkeit, mit den real existierenden Menschen eine anarchistsiche Daseinsform zu gründen. Wenn der Anarchismus vielfach mit Gewaltfreiheit assoziiert wird, so gibt es dafür gute Gründe, denn die Verfechter des Anarchismus um Bakunin, Netschajew, Tkatschew, Kropotkin hatten sich alle dazu durchgerungen, die schöne Utopie von der herrschaftsfreien Daseinsweise mit häßlicher Gewalt vorantreiben zu müssen.
Was bei Godwin idyllisch als soziale Utopie begonnen hatte, getragen von dem Glauben an die Fähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung, mündete so in platten terroristischen Aktionismus, durch den der Anachismus zu recht völlig diskreditiert wurde. Hier wurde schließlich historisch der empirische Beweis dafür angetreten, daß die anarchistische Utopie unausführbar ist., weil der real existierende Mensch dazu nicht geeignet ist.

Trotzdem glaube auch ich, daß der Mensch sich entwickeln kann. Er hat die Fähigkeit zur Vervollkommnung. Es ist nicht sinnlos zu versuchen, Menschen für ideale Ziele zu erwärmen. Im Gegenteil, es macht durchaus Sinn, mit seinen Mitmenschen über die „öffentlichen Angelegenheiten“ zu diskutieren, gemeinsam oder kontrovers nach Lösungen für allgemeine Probleme zu suchen.

Dabei darf man aber keine Wunder erwarten.Man kann sicherlich graduelle Vehaltensveränderung bewirken, aber man kann Menschen nicht komplett umkrempeln.

Entsprechende Bemühungen finden ununterbrochen statt, und zwar nicht im Rahmen des Anarchismus, sondern als demokratischer Alltag durch Demonstrationen, politische Happenings, politische Bildungsarbeit, öffentliche Dispute, Tarifverhandlungen, parlamentarische Debatten, Urteile von Obersten Gerichten. Dabei werden die Menschen dort abgeholt, wo sie sind – man erwartet nicht von Ihnen, prinzipiell besser, altruistischer, verantwortungsvoller, klüger zu sein als sie nun einmal sind. Und wenn die Leute eine bestimmte Idee einfach nicht fressen wollen, wenn sie sich für ein bestimmtes Ideal nicht begeistern lassen, dann fießt nicht Blut sondern Tinte.

Einer der Gründe, warum ich eher auf demokratische Entwicklungen setze als auf Anarchsimus und den Blutzoll frustrierter anarchistsicher Fanatiker, die historisch nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel bildeten.

Deine Kritik an der Demokratie kann ich weitgehend nachvollziehen, wenn auch nicht in so zugespitzter Form. Die real existierende Demokratie liefert, was sie verspricht – nicht daß jeder Hinz und Kunz den Kanzler spielen darf, sondern daß unter Wahrung der Menschenrechte eine Herrschaft stattfindet, die sich von den Wählern her legitimiert und prinzipiell abwählbar und durch andere Machthaber ersetzbar ist. Der einzelne bleibt Zwängen ausgesetzt, seine Freiheit ist wesentlich relativiert durch die gleichzeitige Freiheit der Anderen, aber im Rahmen der für alle gleichermaßen geltenden Rechtsordnung. Und das ist ja schon einmal ein großer Schritt in der Entwicklung der Menschheit.


Mit freundlichen Grüßen
Udo Teichmann

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