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Megabjörnie

Beiträge: 5

New PostErstellt: 01.02.11, 22:28     Betreff: Re: EINE WELT OHNE GEFÄNGNISSE

Das Problem, das dieser Text schwerpunktmäßig behandelt, ohne es wirklich fassen zu können, ist moralphilosophischer Natur.
Warum definieren wir Mord und Vergewaltigung unabhängig von der Gesellschaftsordnung als abscheuliche Verbrechen, während andere Tatbestände nur konstruiert erscheinen?
Die logische Antwort: Weil mein Körper mir gehört. Er ist das einzige logisch zwingende Eigentum, das wir in einer Gesellschaft freier Menschen haben können – und müssen.
Ich habe also ein Recht auf meinen Körper. Recht ist aber bedeutungslos, wenn ich es nicht gewaltsam verteidigen darf. Demzufolge kann ich also einen Menschen töten, wenn es erforderlich ist, um von ihm nicht umgebracht oder vergewaltigt zu werden.
So weit, so gut. Was aber tun wir, wenn ein Angriff auf das Selbsteigentum erfolgreich gewesen ist? Wenn ein Mensch ermordet wurde, liegt die Tat bereits in der Vergangenheit. Der Täter erfährt keine Konsequenzen, weil das Opfer sich nicht mehr verteidigen kann.
Dann aber hat jede Gesellschaft ein moralisches Problem: Das Recht auf den eigenen Körper hat nur dann Bedeutung, wenn ein Verstoß gegen dieses Recht negative Konsequenzen hat. Ansonsten wäre es kein moralisches Recht, sondern das Recht des Stärkeren.
Alle Gesellschaften, auch jene, die Herrschaft um jeden Preis vermeiden wollen, stecken in einem tiefen unauflösbaren Dilemma: Verzichten sie auf Bestrafung von Verbrechen, weisen sie indirekt das Selbsteigentum zurück, weil sie den Angriff darauf stillschweigend akzeptieren. Damit berauben sie sich jeglicher moralischer Grundlage und zerbrechen entweder oder werden nur noch durch brutale Gewalt zusammengehalten ( wegen dieser zweiten Möglichkeit können Diktatoren straflos morden ).
Treffen sie jedoch Maßnahmen gegen das betreffende Individuum, dann ist das immer ein Angriff gegen sein Selbsteigentum. Es ist logisch unmöglich, einen Mörder herrschaftsfrei zu bestrafen, ohne dass eine noch größere Gefahr von ihm ausgeht. Ein „Ausschluss aus der Gemeinschaft“ bedeutet, wenn es ihn überhaupt trifft, ja bloß, dass er nichts mehr zu verlieren hat und noch weniger Rücksicht auf andere nehmen muss.
Nur bleibt ein solcher Angriff nie ohne Rückwirkung auf die Gesellschaft.
Greifen wir zum Beispiel zur Todesstrafe, führt das vielleicht dazu, dass ein Menschenleben weniger grundsätzliche Achtung erfährt. Verstümmelung wiederum unterhöhlt das Gefühl für die Menschenwürde. Gefängnis hat als pädagogische Maßnahme auch nicht viel Sinn, denn wie sollten sich durch das zu Recht als Psycho-Folter bezeichnete Einsperren und die Häftlingsbrutalität die Verhaltensmuster ändern?
Bleibt noch das Konzept der „Therapie“, die zwar zur Besserung eher etwas beitragen kann, aber eine bedenkliche Nebenwirkung hat: Die schleichende Akzeptanz von Gehirnwäsche. Denn wann ist die Grenze erreicht, ab der man den Menschen nicht mehr als freies Individuum ansehen, sondern als Hirnmaschine mit Fehlfunktion betrachten sollte?
All dessen muss sich eine Gesellschaft bewusst sein – und muss sich dennoch für eine dieser Möglichkeiten entscheiden.
Was nämlich im Text vorgeschlagen wird, löst das Dilemma überhaupt nicht auf, sondern verlagert nur das Problem: Selbst wenn ich die Institutionen abschaffe, die heute für die Bestrafung zuständig sind, stellt sich die Frage nach der Reaktion auf unmoralisches Verhalten eben direkt für jeden Einzelnen oder die oben genannten „Gemeinschaften“ ( wobei mir nicht klar ist, warum nicht das Wort „Gesellschaft“ verwendet wird, wenn wir schon einen moralischen Bezugsrahmen suchen - bin ich nur den anderen Mitgliedern eines Kollektivs moralisch verpflichtet? ), und die Antworten darauf sind nicht nur viel willkürlicher und von subjektiven Emotionen geprägt als jene, die eine Zentralgewalt sich ausdenken könnte ( bei der ist die Bestrafung wenigstens nichts Persönliches, auf Rachegefühlen basierendes ), sie würden auch zwangsläufig neue Herrschaftsformen hervorbringen. Oder alte. Schließlich gab es auch Bestrafung vor der Ära des modernen Staates, und keine davon konnte herrschaftsfrei sein – egal wie tief man in den Geschichtsbüchern blättert. Das Selbsteigentum des Täters wird in jedem Fall angegriffen, da kann man sich intellektuell noch so sehr auf den Kopf stellen und die Quadratur des Kreises suchen.
Was ich bedenklich finde, ist aber die Verdrängung des Problems nach dem Motto „Wenn wir die neue Gesellschaft haben, gibt es schon keine Verbrechen mehr“. Denn dann geht man der Auseinandersetzung aus dem Weg.
Nicht nur, dass man dem Kapitalismus schwerlich unterstellen kann, dass sich in ihm die Mord- oder Vergewaltigungsrate im Vergleich zu anderen Gesellschaftsformen wesentlich erhöht hätte – denn so etwas müsste man ja schon behaupten können, wenn man Umkehrschluss-Folgerungen ziehen will wie die Autoren des Beitrags – es ist zudem auch noch völlig irrelevant, wie „wahrscheinlich“ ein Verbrechen in einer Gesellschaft ist. Entscheidend ist trotzdem, wie diese damit umgeht, wenn es doch auftritt. Denn ein einziges ungesühntes Verbrechen kann weite Kreise ziehen. Rache-Spiralen sind in Gesellschaften ohne zentrale Autorität keine Seltenheit.

Auf einen Nebenaspekt muss ich noch eingehen: Als eine Ursache für Verbrechen wird angegeben, dass es Privateigentum gibt und deshalb künstlich ein krimineller Tatbestand, der Diebstahl, geschaffen werde. Das ist aber eine unlogische Annahme.
Ich stimme wohl zu, dass Privateigentum ein Produkt der herrschenden Institutionen ist, die die Regeln für die Güterverteilung festlegen.
Dennoch würde es Diebstahl auch in einer Gesellschaft geben, die den Anspruch verfolgt, dass alles allen gehören soll.
Nur wäre dann der Tatbestand erfüllt, wenn sich jemand persönlich Dinge aneignet und anderen die Nutzung verweigert. Gehört alles allen, ist Eigentum Diebstahl.
Warum das jemand machen sollte? Ganz einfach: Weil er keine Lust hat, auf die Zustimmung aller zu warten. Überlegen wir mal, welche Konsequenzen es hätte, wenn eine Kategorie wie „Eigentum“ nicht mehr existierte.
Jeder Quadratmeter Boden auf der Welt würde jedem Menschen auf der Welt gehören, und jeder einzelne hätte das Recht, über die Verwendung mitzubestimmen. Soll auf diesem Stück Land gefördert, gebaut, gepflanzt, gejagt oder die Unberührtheit der Natur geschützt werden? Soll in Fabrik XY in Reinsfeld Tier- oder Synthetikleder benutzt werden? Sollen drei Hektar Regenwald gerodet werden, damit dort ein Dorf hingebaut werden kann?
Moralisch ist es eindeutig wünschenswert, wenn sieben Milliarden Menschen sich permanent einig sein müssen, was mit den Dingen der Welt gemacht wird; Territorialverhalten ist unmoralisch. Eigentlich. Nur kann ich das wohl kaum praktisch umsetzen, bevor ich verhungert bin.
Wenn ich freiwillig auf Eigentum verzichte, zu wessen Gunsten denn? Übergebe ich es einer bestimmten Gruppe – meinetwegen auch einem „Kollektiv“ – dann gebe ich mein Eigentumsrecht ab, hebe es aber nicht auf.
Und wenn ich es der gesamten Menschheit überlasse – an wen wende ich mich da, wenn es keine zentrale Autorität gibt?
Wenn ich ein Haus oder eine Fabrik besetze – darf ich dann allein mit meiner Gruppe darüber entscheiden, wer darin wohnen bzw. die Produktionsmittel nutzen darf? Aber dann lösche ich das Eigentum auch nicht aus, ich usurpiere es nur, wie es ein gewöhnlicher Dieb tun würde, der alten Omas in der Fußgängerzone die Handtasche klaut.
Letztendlich wird es auch in einem „Rätesystem“ Einzelpersonen geben müssen, die etwas entscheiden dürfen, und dann gibt es zwangsläufig andere, die nicht mit dem einverstanden sind, was sie entscheiden. Aber das Entscheidungsrecht muss ja irgendwie durchgesetzt werden, sonst wäre es kein Recht. Das wiederum wird bedeuten, dass das Ganze nicht ganz so „herrschaftsfrei“ ablaufen kann, wie sich Anarchisten es sich gerne vorstellen.
Und deswegen ist es auch unsinnig, sich von der „Abschaffung des Privateigentums“ eine Abschaffung des Diebstahls zu erhoffen.
Es bringt ja nicht mal eine Reduzierung der Herrschaft, weil schon die Enteignung eines Privateigentümers ein Akt der Herrschaft ist.

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