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soyfer

Beiträge: 205

New PostErstellt: 16.02.06, 12:16     Betreff: Re: Anarchie - Was ist das? - Teil II

Die beiden langen Antworten habe ich schon gepostet, sie enthalten daher Elemente anderen Diskussionen. Bitte dies zu entschuldigen.

    Zitat: Isquierda
    Wie kann Anarchie funktionieren?
Wenn unter anarchistischen Zuständen Einigungen erzielt werden müssen dann natürlich im Konsens. Aber hier fallen mir derzeit einzig die Verkehrsregeln ein, und auch hier ist eine Einigungsnotwendigkeit wegen der gänzlich anderen Transport- und Bewegungsnotwendigkeitslage nicht einmal wahrscheinlich. Nur sollte diese Konsensnotwendigkeit auf das wirklich Notwendige beschränkt bleiben. In allen Fragen, wo jeder seinen eigenen Weg gehen kann, und das sind fast alle Fragen des Lebens, auch gemeinsame, da bedarf es gar keines Konsenses. Das ist flüssiger als flüssig, das ist überflüssig.

Nun stellen wir uns vor, jeder geht seines eigenen Weges, so ist es durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass mehrere Menschen (zumindest zeitweise) dasselbe wollen oder als nützlich und notwendig ansehen und sich gemeinsam dranmachen das zu tun. Und um sich hier nicht zu blockieren oder es effektiver zu tun, sprechen sie sich ab, koordinieren sie sich.

Dazu ein Beispiel und weil wir schon dabei sind, ein ganz blödes:
Es geht um die Frage des Straßekehrens. Gibt es ein Konsensprinzip und einige sind der Meinung, ja, es muss geschehen und andere sagen nein, reine Zeitverschwendung. Effekt, es muss so lange diskutiert werden, bis alle sagen ja oder nein oder Kompromiss und das sollte dann so formuliert werden, dass der ausgehandelte Inhalt eindeutig und nicht mehrfach deutbar fixiert ist. Und wir wissen, wie über wesentlich unwichtigeres heftigst gestritten wird.
Die Mühe hätte man sich schenken können. Denn man hätte auch einfach hingehen können und sagen, ich halte es sinnvoll, dass die Strassen gekehrt werden, wer macht mit. Wunderbar, soundsoviele denken, es ist wichtig, packen wir es an: Wer kehrt dannunddann dortunddort und wer da und was ist morgen etc. Das ist kein Konsens, denn der wurde nie abgefragt. Aber es ist Koordination. Und so stelle ich mir Problemlösungen eigentlich überall vor.

    Zitat: Isquierda
    Was muß dafür getan werden?
Es muss gewollt werden und wenn es genügend Leute wollen, dann muss die Ausübung von Herrschaft verhindert werden. Das ist letztlich alles.

    Zitat: Isquierda
    Wie stellt man Anarchie sicher?
Mit der Aussage, dass du dir etwas nicht vorstellen kannst, hast du die formallogische Ebene übrigends verlassen. Hier kann ich dir nur antworten, was ich schon mal sagte, wenn du es dir nicht vorstellen kannst, dann nicht, weil es nicht geht, sondern weil du die Welt der Zwänge heute siehst mit all ihren Erscheinungen von Gewalt etc. und dir dann die Zwänge wegdenkst. Du siehst den Polizisten, der sich einem seine Frau schlagenden Mann in den Arm wirft. Und dann stellst du dir dieselbe Szene ohne Polizisten vor und glaubst, das sei Anarchie. Klar, dass man dann Schutzeinrichtungen für die Frau usw. will und klar, dass man Anarchie als freies und gutes interpretiertes, ein Mindestmaß an "Struktur" haben will, damit das nicht passiert. Aber da fällst du schon auf die Anti-Anarchisten-Propaganda hinein und zwar auf mehreren Ebenen:

In dieser Situation würde zwar kein Polizist einschreiten, aber die Nachbarn, die das Geschrei der Frau hören würden. Denn dieses Geschrei deutet sehr stark auf die Ausübung von Herrschaft hin und die will man nicht, weder bei sich, noch bei andren, weil, wie die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden kann ( Achtung Scherz, nicht dass einigen das Herz in die Hose fällt), so fängt die Verteidigung meiner Freiheit bei der Freiheit der anderen an. Ignoriere ich die Freiheit der anderen, so kommt es zum Bonnhöfereffekt (freies Zitat, habe es wörtlich nicht im Kopf): Als sie die Kommunisten holten, schwieg ich, denn ich war kein Kommunist; als sie die Juden holten, schwieg ich, denn ich war kein Jude; als sie mich holten, da war niemand mehr da, der was hätte sagen können. In diesen Sinne fängt meine Freiheit da an, wo es gilt, die Freiheit der geschlagenen Frau zu schützen.

Schlagende Männer sind in der Regel nicht so auf die Welt gekommen. Da kann die Erziehung eine Rolle spielen, da kann es Arbeitsfrust sein, Willkür, der man irgendwie, irgendwo ausgesetzt ist und sie nicht an denen abläßt, die das Verursachen, sondern an Schwächeren (Wilhelm Reich: nach oben buckeln, nach unten treten). Da es in dem strukturfreien Zusammenleben kein Oben und Unten gibt, fällt auch dieser Effekt weg (sehr verkürzt erklärt, aber es wird halt Zeitmäßig immer später).

In dem Moment, wo wir Menschen aufhören müssen Rollen zu spielen (situationistische Erklärung), sondern frei uns selbst mit allem, was dazugehört, bejahen können, ohne gesellschaftlichen Zwängen unterworfen zu sein, dann hören auch die aus diesen Zwängen resultierenden Unterdrückungsgelüste auf. Das trifft möglicherweise nicht zu 100% zu, aber betrachtet man die jetzigen Ehedramen, amoglaufenden Schüler, die vielen Selbstmorde (und ich habe noch keine Statistik gesehen, wie sehr die Selbstmordrate seit Einführung von Harz IV in die Höhe geschnellt ist, nur mal ein Beispiel von vielen), Beschaffungskriminalität aller Art, so würde doch der allergrößte Teil wegfallen, weil die Zwänge, aus denen dies Verhalten entstammt, wegfällt.

    Zitat: Isquierda
    Muß man Anarchie sichern?
Nicht anders, als durch den Willen der Menschen, sich nicht selbsterzeugten gesellschaftlichen Zwängen zu unterordnen (siehe oben).

    Zitat: Isquierda
    Was ist Anarchie überhaupt?
Wenn niemand niemand dreinredet.

    Zitat: Isquierda
    Welche Anforderungen stellt sie an den Einzelnen und an die Gemeinschaft?
An die Einzelnen, dass sie das wollen, und Gemeinschaft gibt es nicht, außer die, dass man gemeinsam etwas will. Diese Gemeinschaft ist aber eine aus den Einzelnen und entwickelt keine Über-Ich-Funktion (sonst hättest du das "wir", das du bei rikers Beispielen "wir Deutschen" oder "wir Arier" abgelehnt hast in der Form "wir Anarchisten" wieder).

Es gibt höchstwahrscheinlich viele ich's, die an einer Sache arbeiten, weil das viele ich's wollen und es gemeinsam effektiver ist. Diese vielen ich's bilden dann die Gemeinschaft der vielen ich's, werden aber dadurch kein gemeinschaftliches "wir".

    Zitat: Isquierda
    Wie bekommt man das hin?
Indem man zu den Leuten geht und anfängt die "Rechtmäßigkeit" der bestehenden politischen, wirtschaftlichen usw. Zwänge, dann die "Rechtmäßigkeit" jeglicher Zwänge der Herrschaft/Gesellschaft in Frage zu stellen. Was dann noch übrig bleibt, ist der Mensch mit seinem zwanglosen Wollen. Ein Mensch, der sein freies Wollen will, der ist Anarchist.


[editiert: 16.02.06, 12:19 von soyfer]
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