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soyfer

Beiträge: 205

New PostErstellt: 22.11.05, 20:41     Betreff: Re: Hi Torsten!

Ich habe, wie gesagt, mal auf deiner Homepage gestöbert und einiges gelesen. Mir geht es hier auch darum, zu erfahren, ob ich dich grob falsch interpretiere oder einiges von dir möglicherweise nur um einiges härter formuliert wurde, als du meintest. Ich will in der Folge vesuchen, deine Sicht der Welt zu analysieren und dann einen meiner Bedenken anzufügen.
Vieles hat mir gefallen, wie die Gedichte und Lieder, einiges fand ich - bitte verzeih - amüsant, aber bei einem Punkt, da läuft es mir doch eis-kalt den Rücken herunter.
Auch wenn ich vieles im weiteren Verlaufe wieder einschränken oder zurücknehmen muss, so kann man derzeit erst mal ganz generell festhalten, dass uns vieles verbindet. Die Ablehnung des bestehenden unmenschlichen Kapitalismus, die Einsicht, dass sich die Gesellschaftsform zu einer klassenlosen Gesellschaft ändern muss (ich nenne sie jetzt bewußt nicht kommunistische Gesellschaft, siehe dazu unten). Und nicht zuletzt die Tatsache, dass der Sozialismus nicht gescheitert ist, weil er noch nie versucht wurde. Ich z.B. trenne immer zwischen "real existierendem Sozialismus" und "der Idee des Sozialismus", denn beides hat nichts miteinander zu tun.

In dem Punkt, wo du Gott einführts trennen sich unsere Wege. Und zwar weniger, weil du Gott einführst. Denn ich realisiere und anerkenne, dass du mit deiner Gottesinterpretation dich auf dem Weg sozusagen zu den philosophischen Wurzeln von Marx begibst. Denn Marx hat viel von Hegel übernommen und Hegel viel von Spinoza. Spinoza aber legt in seinem nie fertiggestellten und postum veröffentlichten Wert Ethica dar, was Gott ist und wie er verstanden werden muss: deus sive natura, also Gott oder die Natur. Damit kommt er zwar nahe deinem: Gott oder das Gesetz. Bei Spinoza und dir handelt es sich somit um Theisten, d.h. Vertreter einer deterministische Weltsicht (und diese erst konnte zu einem Marx führen). Aber trotz dieser Ähnlichkeiten unterscheidet etwas dich von der Philosophie Spinozas grundlegend mit ganz weitreichenden Folgen. Anders als bei Spinoza kommst du nicht nur zu Handlungsratschlägen, wie ein Mensch im eigenen Intersse leben sollte, sondern bei dir gibt es konkrete Anweisungen, wie er leben muss. Anders ausgedrückt, bei dir gibt es eine Diskrepanz zwischen wohlverstandenem Eigennutzen und Kollektivnutzen, bei Spinoza gibt es diese Differenz nicht.

Und damit sind wir schon bei dem einen Punkt, der mich erschaudern läßt. Ich möchte hier nicht aus deinen Flugblättern zitieren, aber generell finde ich es erschreckend, Menschen und menschliches Leben mit einer Mücke zu vergleichen, die man erschlägt, wenn sie piekt. Es tut mir leid, nicht erst da, aber dort auf jeden Fall ist eine Grenze erreicht, die zu überschreiten und wo zu schweigen ich mich außer stande sehe.
Resultierend aus deinem ziemlich festen und starren Weltbild entsteht eine ganz konkrete wahre, gute und richtige Gesellschaftsform, die urchristliche, kommunistische, wie immer du sie nennst. Sie wird getragen von Menschen, die ihr Privatinteresse hintanstellen und das beste für das Gemeinschaftsinteresse herauszuholen (dein Landstreicherbeispiel). Dieses kontinuierliche sich-selbst-hintanstellen hinter die Gemeinschaftsinteressen fordert somit von jedem einzelnen Mitglied Opfer. Und wer dies Opfer nicht zu bringen bereit ist und sein Recht auf volles Privatinteresse fordert, der stellt sich gegen das Gemeinschaftsinteresse, gegen die Gesellschaft und damit gegen das göttliche Gesetz. Er wird - oder ist es schon zuvor - zum Parasiten und gehört vertrieben, wie eine Mücke, die um einen schwirrt und, sollte sie sich am Gemeinbesitz vergehen, wie die Mücke am menschlichen Blut, erschlagen.

Nun ich will es gleich ganz offen sagen, ich würde wohl der erste sein, der erschlagen werden müsste, weil ich sicher weder jetzt bereit bin, mich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der ich mein ich hinter das wir stellen muss. Wenn ich mich engagiere, damit ich mein ich endlich und sehnlichst erwünscht aus dem wir heraustreten lassen kann, in dem derzeit alle Menschen verstrickt sind. Und man müsste mich sogleich erschlagen, weil ich auch in einer neuen anderen, aber immer noch Wir-Gesellschaft, nicht rasten würde, für mein ich zu kämpfen. Und wenn ich meine Privatinteressen meine, so stelle ich mir mich nicht als raffgierigen Kapitalisten vor, wie du möglicherweise die von dir so genannten "Parasiten", sondern ich sehe mich vielmehr ruhig in einer Hängematte baumeln (klassisches Anarchistenbild). Um es so zu formulieren: ich - wie jeder Mensch - habe ein Recht auf Faulheit, und das werde ich zu erstreiten versuchen. Kein Gemeininteresse und kein göttliches Gesetz steht für mich über mir. Und kein Gemeininteresse und kein göttliches Interesse steht über dir, und so bei allen Menschen. Niemand soll mir in mein Leben hineinreden und ich rede niemand anderem hinein. Man kann es auch mit den Worten Rosa Luxemburgs sagen: die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt.
Diese Grundregel einer freien Gesellschaft, die zugegebenermaßen noch nie praktiziert wurde und daher diese freie Gesellschaft noch nie existiert hat, diese Grundregel wird in meinen Augen in deinem Weltbild nicht einmal ansatzweise erstrebt, ja geradezu das Gegenteil versucht: das Gemeinwohl ist für dich das Gefängnis der Freiheit des einzelnen. Und deine Kritik an der DDR ist nicht, dass die Bürger keine Freiheit hatten, deine Kritik ist, dass die politische Führung eine größere Freiheit hatte. Somit wäre die DDR gut gewesen, wenn alle dieselbe Knechtschaft gehabt hätten.

Dein obiges Beispiel und - wenn ich das richtig wiedergegeben haben sollte - dein Bild einer kommunistischen Gesellschaft als Ziel der Menschheit lehne ich zu meinem tiefsten Bedauern aus tiefstem Herzen ab.
(Ich hoffe auf eine gesalzene Antwort.)

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