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soyfer
Beiträge: 205
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Erstellt: 24.01.06, 22:54 Betreff: Re: Anarchisten sind Demokraten! |
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Also, ich habe jetzt die ganze Diskussion nicht ganz durchgelesen, aber zu einigen Sachen möchte ich schon Stellung nehmen: 1. es gibt verschiedenste Arten von Anarchismus, es gibt den religiösen (oft verbunden mit Meditations- und Buddismusklimbim), es gibt den - ich nenne ihn so - Almöhianarchismus (bilden wir alle zwei eine anarchistische Gesellschaft auf einer Bergspitze oder einem Stückchen Wüste, wo uns sicher keine Menschen über den Weg laufen), den Funanarchismus (Politik muss Spaß machen, alles was Spaß macht, ist Politik), den moralischen Anarchismus und weiß der Geier, was noch alles. Wunderbar, aber das hat mit dem, was ich unter Anarchie verstehe, nichts zu tun, das lasse ich daher komplett beiseite. Ich rede hier nur vom politischen Anarchismus. 2. Der politische Anarchismus ist tatsächlich, wie Torsten sagt, vom Kommunismus nicht weit entfernt, denn die klassenlose Gesellschaft (als hierarchielos verstanden und das setze ich jetzt im folgenden Text voraus) konsequent gedacht, ist nichts anderes als Anarchie. Anarchie ist nicht die Negierung der Herrschaft einzelner, es sich die Negierung der Herrschaft über jeden einzelnen. Also, wenn die gesamte Menscheheit außer einem über diesen einen herrschen würde, so wäre das keine Anarchie. Nun kommt man in der Demokratie mit der Idee der Herrschaft über sich selbst. Das ist aber Unsinn. Und zwar nicht nur "realpolitisch", weil die Politik nicht die Herrschaft des Volkes ist, sondern die über das Volk (nach dem Motto: alle Macht geht vom Volke AUS, daher ist sie auch nie dort). Das ist auch prinzipiell Unsinn: Der Mensch ist immer der Einzelmensch. Er wird nicht über eine Gesellschaft zum Über-Ich, das an der Macht teilhat. Mein Nein wird nicht dadurch zur Herrschaft von mir über mich, weil eine Mehrheit von Ja-Sagern mir ein Ja beschehrt hat. Demokratie ist der Weg, das nach einem bestimmten Verfahren als Wille des Volkes Erkannte an allen Menschen dieser Gruppe durchzuführen. Das Verfahren ist meist die sogenannte Mehrheitsentscheidung. Die Mehrheit beschließt und die Minderheit muss sich dem beugen. Das widerspricht der Anarchie vollkommen: die Anarchie ist die vollommene Bejahung und Respektierung des Individuums. Es ist der Weg der vollkommenen Verwirklichung eines jeden Einzelnen, dessen Willen von keinem anderen und von keiner Gruppe von Anderen eingeschränkt werden kann, nur durch seinen eigenen Willen selbst. Daher widerspricht die Idee der Demokratie, die allgemein die Idee der Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit ist, genauso wie die Idee des Absolutismus, so vollkommen der Idee der Anarchie. Es spielt keine Rolle, wieviele über wie wenige herrschen, es ist nur relevant, ob beherrscht wird. Die Idee der Anarchie ist, in anderen Worten, die klassenlose Gesellschaft, die Gesellschaft, wo niemand über niemandem steht. Warum Marx nicht viel über den Kommunismus gesagt hat und warum Anarchisten nicht so viel über die genaue Ausgestaltung der Anarchie sagen können und wollen ist, weil ich als einzelnes Individuum ja nicht wissen kann, was die anderen dann genau wollen. Ich kann als Individuum letztlich nur festlegen, wie ich mir das vorstelle, dass ich mit meinen Wünschen und Vorstellungen darin Platz habe. Dies kann ich mit anderen Anarchisten diskutieren und wir können uns in unseren Vorstellungen koordinieren. Aber wenn eine Anarchie wirklich entstehen sollte, dann müssen noch einige Menschen mehr dafür gewonnen werden, mit all ihren Wünschen, Hoffungen und Vorstellungen. Dabei ist das entscheidende, dass diese Wünsche usw., die von der jetzigen Not- und Elendsgesellschaft, von Arbeitszwang und Werbegehirnwäschen (und wievielen anerzogenen und selbstgeglaubten Barrieren) übertüncht sind, wieder zu Vorschein kommen. Diese Wünsche sind die Grundvoraussetzung für eine freie Gesellschaft, denn nur über diese Wünsche kann eine freie Gesellschaft existieren. Gesellschaften, die von den Ideen einzelner getragen werden, denen die anderen in welcher Form auch immer unterworfen werden (ob physisch oder durch Gehirnwäsche), die mögen noch so sehr die Freiheit propagieren, die sind ohne jede Freiheit. Und das trifft unsere westlichen Demokratien, wie den Realsozialismus. 3. Also Kommunismus (hängt davon ab, wie man ihn genau denn auffasst, aber generell gesprochen) widerspricht dem Anarchismus nicht. Sehr wohl aber der Sozialismus, also die Übergangsform von der Klassen- zur klassenlosen Gesellschaft. Denn anders als von Torsten dargestellt bezieht sich Sozialismus nicht auf die Zeit der "Revolution", d.h. die Zeit, in der die Klassengesellschaft beseitigt wird. Sozialismus bezieht sich auf die Zeit NACH Beseitigung der Klassengesellschaft und VOR der Einführung der klassenlosen Gesellschaft. Was ist nun der Sozialismus? Warum führt man nach Beseitigung der Klassengesellschaft nicht gleich die klassenlose Gesellschaft ein, und das Problem mit Übergangsphase hat sich? Weil, nach Vorstellung der Kommunisten, der Mensch, der eben die Klassengesellschaft beendet hat, zwar bekundet hat zu wissen, was er nicht will, aber was er will, das muss er erst lernen. Kurz, die klassenlose Gesellschaft braucht den "neuen Menschen" und nur durch die Negation des alten ist man das noch nicht. Der Weg von der Klassengesellschaft zur klassenlosen Gesellschaft ist in den Vorstellungen der Kommunisten ein Erkenntnisprozess. Dass die Klassengesellschaft den Willen der Mehrheit nicht repräsentiert, das ist die erste Erkenntnis, das ist (in der praktischen Durchführung der Beseitigung der Klassengesellschaft) der Schritt in den Sozialismus. Im Sozialismus findet dann die Umerziehung des Klassengesellschaftsmenschen zum Menschen statt, der fähig ist, in der klassenlosen Gesellschaft zu leben. Mit Ende der "Ausbildung" kann dann der Schritt vom Sozialismus zum Kommunismus, als der klassenlosen Gesellschaft, stattfinden. Warum braucht man nun die Umerziehung. Weil in der Klassengesellschaft der Mensch getrieben ist durch Zwänge und unfrei ist. Würde man ihn nicht zur Arbeit zwingen, freiwillig täte er sie nicht. Das heißt aber im Umkehrschluss, wenn man die klassenlose Gesellschaft unvermittelt einführte, dann gibt es den Zwang zur Arbeit auch nicht und also tut das der Mensch auch nicht mehr. Um aber weiterhin arbeitende Menschen zu haben, deshalb muss der Mensch erst lernen, freiwillig arbeiten zu gehen, bevor man ihn "in die Freiheit entlassen" kann. Freiheit ist hier nicht Freiheit, sondern - wie Torsten einmal treffend formulierte - Einsicht in die Notwendigkeit, ich füge hinzu, eine andressierte. Was kritisieren Anarchisten daran:
- Aus der Umerziehung ergibt sich die Notwendigkeit der Umerzieher, d.h. der Klugen, die wissen, wo es lang geht und den anderen den Weg weisen. D.h. aber ein starres, unflexibles Gedankengebäude wird auf den freien menschlichen Willen gepresst. Und da diese Weltsicht von den großen Lehrmeistern den anderen "beigebracht" wird, so wird das ganze schnell ein dogmatisches, religöse Züge tragendes Konstrukt, dass, je weiter sich die Zeit von den ursprünglichen Gedankengebern entfernt, desto morscher und unbeweglich ist es. Das, was man ursprünglich an der Klassengesellschaft kritisiert hatte, nämlich die Entfremdung des Menschen von sich selbst, das trifft jetzt in anderer Form wieder zu, nicht die Idee der klassenlosen Gesellschaft richtet sich nach Menschen, sondern umgekehrt, der Mensch muss dieser Idee angepasst werden.
- Durch die Umerziehung erhält man vielleicht einen neuen Menschen, aber einen genauso unfreien, wie zuvor. Mit solchen unfreien Menschen kann aber keine freie und klassenlose Gesellschaft entstehen. Denn der Sozialismus ist letztendlich nichts anderes als die Vertrauenslosigkeit der Idee in den Menschen. Sie vertraut nicht, dass der Mensch sich nach dem Ende der Klassengesellschaft in der Freiheit zurechtfindet, er muss erst lernen damit umzugehen. Um aber Freiheit zu lernen, trichtert man ihm ein, du muss freiwillig arbeiten, du musst die Interessen der Gesellschaft achten, du musst als Teil des Ganzen denken. Da wird aber was wesentliches übersehen. Damit hat man nämlich nur eines erreicht, der Mensch, der aus dem ich muss, ich muss kommt, dem bringt man in der Umerziehung nur bei du musst, du musst. Vorher musste er A, jetzt ist es B. Das Ziel ist anderes, das Prinzip dasselbe. Ist dies Prinzip erfolgreich, hat man Zinnslodaten, die freiwillig tun, was sie vorher mussten, aber eine freie klassenlose Gesellschaft kann mit ihnen nicht errichtet werden, weil auch hier der Zwang den Menschen reglementiert und das Vertrauen der Idee in den Menschen auch hier nicht entstehen kann. Das wird dann mit dem Sozialismus wohl eher so was wie mit dem Jammertal, das ewige Zeiten auf das Reich Gottes auf Erden wartet. Der ewige Sozialismus, der nie zum Kommunismus wird.
Was wollen daher die Anarchisten anderes: Während also der Kommunismus - auf der ideologischen Grundlage basierend: das Sein bestimmt das Bewußtsein - glaubt, die Abschaffung der klassenlosen Gesellschaft mit lauter freiheitsunfähigen Menschen durchziehen zu müssen, um sie hernach dann freiheitsfähig umzugestalten, geht der Anarchismus davon aus, dass man nur mit Menschen, die um die Freiheit wissen, die Klassengesellschaft abschaffen kann. Also: im Körper unfrei, im Geiste frei und nach der Abschaffung der Klassengesellschaft ist man daher einfach mit Körper und Geist frei. Und diese freien Menschen brauchen keine Lehrmeister, keine Avantgarde, keinen, der ihnen den Unterschied zwischen "Freiheit" und "Einsicht in die Notwendigkeit" erklärt, also keinen kommunistischen misstrauisch äugenden Polizeioberwachtmeister. Anarchismus heißt übrigends Herrschaftslosigkeit, aber nicht Organisationslosigkeit. Nur hat eine anarchistische Organisation keine Hierarchie, d.h. Befehl und Gehorsam. Dabei geht es den Anarchisten selbstverständlich darum, dass jeder "nach seiner Facon selich wird" (um den aalen Fritz zu zitieren). Wenn also einige Menschen partout den Sozialismus wollen, so gibt es aus anarchistischer Sicht damit kein Problem, wenn - und das ist eine conditio sine qua non - allen, die schon jetzt frei leben wollen, dies ohne jede Einschränkung, weder räumlicher, ideologischer oder zeitlicher Natur, ermöglicht wird. Was also Kommunisten und Anarchisten unterscheidet ist nicht das Ziel, der Kommunismus, es ist die Übergangsphase, der Sozialismus. Zwar ergeben sich aus der unterschiedlichen Einstellung zum Sozialismus auch meist unterschiedliche Betrachtungen auf den Kommunismus, aber als Grundidee der klassenlosen Gesellschaft ist das prinzipiell keine Differenz.
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